Die Legenden von Noröm

  • „Nur Du hast überlebt, auch wenn die Götter Dich mit den Narben gekennzeichnet haben. Du hast nicht überlebt, weil Du besser wärst oder nicht den Tod verdient hättest, sondern, weil die Götter wussten, dass ich ein Werkzeug gegen diese arroganten Menschen brauchen würde. Ich kann alle Wesen, durch deren Adern zumindest ein wenig Elfenblut fließt, mit meiner Magie beeinflussen, was mir mit normalen Menschen nicht so einfach gelingt.


    Und so wirst Du mir zu Diensten sein, weil ich es will. Es widerstrebt mir eigentlich, dich einzusetzen, denn es wird für Dich zu wenig Strafe sein, aber auch ich muss den Göttern in ihrer Wahl gehorchen.“


    Konu zog eine kleine Phiole hervor. „Trink das!“ Er öffnete das Gefäß und hielt sie ihr an den Mund. Nasadja hätte sich gerne widersetzt, aber als die Flüssigkeit in ihren Mund rann, schluckte sie automatisch. Es schmeckte süß und bitter zugleich. „Das ist ein Bindungs-Zaubertrank, der das Blut von Fürst Taligot enthält. Ab jetzt wirst Du jeden seiner Wünsche kennen, ohne dass er sie aussprechen muss. Und es wird Dir das wichtigste Bedürfnis sein, diese Wünsche zu erfüllen, selbst wenn sie Deinen eigenen Wünschen entgegen gehen.“


    „Denke immer daran, dass ist keine Belohnung, sondern die Strafe für die Sünden Deines Blutes. Lerne Gehorsam, damit die Götter dir vielleicht im Jenseits vergeben können.“


    Konu verließ ohne ein weiteres Wort den Raum und in dem Moment konnte Nasadja sich wieder bewegen und fing vor Erschöpfung an zu zittern.


    Als das Zittern nachließ, wusste sie, was sie wollte: Sie wollte mehr Macht und mehr Einfluss, sie wollte einen männlichen Erben, den schwächlichen König herausfordern, ein eigenes Reich gründen. Sie wollte aber auch, dass derzeit keiner etwas von ihren Zielen etwas ahnte.


    Nasadja schüttelte benommen den Kopf. Das war nicht ihr eigener Wille, sondern das, was sich der Fürst wünschte. Neben ihren eigenen, eher diffusen Zukunftswünschen wirkten die Wünsche Taligots klar und ausgeprägt. Seine Persönlichkeit war in ihrem Innern so präsent, dass sie Mühe hatte, ihre eigenen Vorstellungen davon zu trennen.

  • Und während sie noch damit rang, stellte sie fest, dass er noch etwas wollte: Und zwar sie zu Frau zu nehmen. Nicht aus Liebe, sondern um sich durch sie einen Einfluss auf Noröm zu sichern. Sein Sohn hätte so einen Anspruch auf den Thron.


    Während sie seit Jahren wusste, dass sie kein wirkliches Mitspracherecht auf die Wahl ihres Ehemannes haben würde, sondern ihr Vater aus staatsmännischer Sicht diese Entscheidung treffen würde, hatte sie diese Frage bisher erfolgreich aus ihrem Alltag verdrängt. Dass der Wunsch des Fürsten so komplett unabhängig von ihrer Persönlichkeit gefallen war, enttäuschte sie indes weniger als sie dachte. Auch wenn er es noch nicht wusste, aber er hatte eine gute Wahl getroffen und es würde ihr eine Freude sein, seine Ehefrau zu werden. Nur so war es ihr wirklich möglich, bei der Verwirklichung seiner Träume mitzuhelfen. Nasadja war erneut verwirrt über die Gedanken, die sie plötzlich hatte.


    Heute Nacht würde sie wohl keinen Schlaf mehr finden. Stattdessen versuchte sie, sich auf die Geschichte zu konzentrieren, die ihr Konu erzählt hatte. Konu war offenbar keineswegs der nette Elf, der einfach nur bei den Menschen etwas lernen wollte, sondern verfolgte eigene, düstere Pläne. Doch wie diese aussahen, war ihr nicht wirklich klar.


    War dieser Zauber mehr eine persönliche Rache oder verfolgte Konu damit Weiterreichendes. Sollte sie irgendwen warnen? Bei diesem Gedanken lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken und sie wusste, dass sie niemanden von Konus nächtlichem Besuch erzählen konnte. So grübelte sie vor sich hin, bis sie dann doch endlich wegdämmerte.


    Am nächsten Tag saß Dowegor mit seiner Gemahlin und seinem Schwiegervater zusammen. Sie beratschlagten mögliche Heiratskanditen für seine Schwägerinnen. Soldomar war im Hintergrund als Beobachter ebenfalls anwesend. Taligot war jedoch nur halb bei der Sache und konnte sich nur schwierig konzentrieren. Irgendwann sprach er aus, was ihm durch den Kopf ging: „Mein König, ich habe noch über eine weitere Hochzeit nachgedacht. So wie ihr einst auf meiner Schwelle standet, um um die Hand meiner Tochter zu werben, so will ich umgekehrt nun das Gleiche tun. Ich würde gerne Eure Tochter Nasadja freien.“


    Der König war völlig überrascht und fand diese Ansinnen wenig attraktiv. Ihm wurde sofort bewusst, dass das die Stellung des ehrgeizigen Fürsten deutlich stärken würde. Auf der anderen Seite hatte er insofern Recht, als dass seine Anfrage der seinigen vor einigen Jahren so sehr glich, dass er den Wunsch nicht würde abweisen können, ohne den Fürsten bloß zu stellen. Wie sollte er sich jetzt verhalten? „Eure Anfrage ehrt meine Familie. Aber ich will es so halten, wie es auch bei mir war: Wenn meine Tochter Euch heiraten will, so kann sie das tun, doch es soll ihre eigene Entscheidung sein und nicht die meine.“

  • Nasadja wurde davon wach, dass sie wütend wurde. Am liebsten würde sie den König herausfordern. Was für ein elendiger Feigling war er doch! Er wollte nicht, dass sie seine Tochter heiratete, aber sagte es ihr nicht ins Gesicht. Die Wut durchdrang die Prinzessin und sie schlug mit der Hand fest gegen das Bett, um dem Frust Ausdruck zu verleihen. Erst der Schmerz brachte ihr zu Bewusstsein, dass es nicht ihr eigene Wut war, mit dem sie hier zu kämpfen hatte. Sie war gefährlich nah daran, sich selbst in dem starken Willen des Fürsten zu verlieren. Sie konzentrierte sich auf ihren Atem und konnte so die fremden Gefühle etwas zurückdrängen.


    Dann zog sie ihre höfische Kleidung an, denn da sie wusste, was der Fürst wollte, war ihr klar, dass sie bald Besuch von ihrem Vater bekommen würde. Sie hatten nicht vor, sich dem Ansinnen Taligots zu widersetzen, denn alles „fürstliche“ in ihr wollte diese Hochzeit.


    Und der Fürst von Tas war tatsächlich ein angemessener Gemahl für sie. Das Gespräch mit Estral vor wenigen Wochen hatte ihr gezeigt, dass sie sowieso bald verheiratet werden würde. Im Grunde würde es jedem Anwärter nur um ihren Rang gehen. Wenn sie nun jemanden heiratete, dessen Wünsche sie jederzeit kannte, dann hatte sie jeder anderen Ehefrau etwas voraus, was sie auch nutzen konnte.
    Seit gestern wollte sie mehr Einfluss und mehr Macht und dies war vermutlich der beste Weg, um dorthin zu gelangen. Außerdem würde es sie aus dem direkten Einfluss des Elfen entfernen.


    So saß sie äußerst entschlossen in ihren Gemächern als ihre Eltern bei ihr eintrafen. Sie hörte ruhig zu, als ihr Vater das erzählte, was sie bereits wusste. Dowegor schloss mit den Worten: „Ich könnte verstehen, wenn Du Fürst Taligot nicht heiraten wolltest. Sicher würden wir einen anderen Adeligen finden, der viel besser zu Dir passt. Es wäre schon komisch, wenn Du den Vater Deiner Stiefmutter heiraten würdest, meinst Du nicht auch?“


    „Lieber Vater, ich danke Dir für die Möglichkeit, bei der Wahl meines Ehemanns ein Wort mitreden zu dürfen. Gestern Abend war der Fürst von Tas ein ausgezeichneter Gesellschafter zu Tisch und ich habe seine Anwesenheit sehr genossen. Das ist sicher keine Liebe, aber es wäre wohl sehr vermessen, so etwas zu erwarten. Außerdem hat man mir gesagt, dass die Liebe nur den Blick auf die wichtigen Dinge im Leben vernebelt. Und ein jüngerer Mann ist nicht immer der geeignete, wie ihr, liebe Stiefmutter ja sehr deutlich bewiesen habt.

    Und es besteht ja tatsächlich keine echte verwandtschaftliche Beziehung zwischen ihm und mir, sodass einer Heirat aus solchen Gründen nichts im Wege steht. Wenn ich also das alles so betrachte, dann gibt es eigentlich keinen Grund, das Ansinnen abzulehnen, im Gegenteil nur sehr gute, es anzunehmen.“


    Dowegor und Beanita waren sehr überrascht über die lange und kühne Rede des Prinzessin. Der König hatte eine ganz andere Tochter erwartet, stattdessen hatte sie dem widersprochen, was er ihr in den Mund gelegt hatte. Er wunderte sich über das neue Selbstbewusstsein des Mädchens: Sie war ganz offenbar erwachsen geworden.

  • „Nun denn, wenn das wirklich das ist, was Du willst, dann sollten wir zu Taligot gehen und Du kannst ihm Deine Entscheidung selbst mitteilen.“ „Ja Vater, das will ich mit Freuden machen.“


    Fürst Taligot war voller Zorn. Vermutlich würde der König seine Tochter überreden, sich gegen ihn zu stellen. Dieser König war doch ein erbärmlicher Mann. Deshalb machte er sich, als man den Fürsten in den Empfangssaal rief, auf eine Demütigung gefasst. Als er eintrat, stand Nasadja in einem dunkelblauen Kleid neben ihrem Vater. Er hatte bereits gestern gedacht, dass diese Farbe ihr sicher gut stehen würde, und so war es auch. Sie schaute ihn unverwandt an und als sich ihre Blicke trafen, sah er ein Funkeln darin, dass er gestern dort noch nicht entdeckt hatte.


    Er ging bis an den Thron und ballte seine Fäuste. Auf einen Wink des Königs begann die Prinzessin zu reden, während sie ihren eindringlichen Blick nicht von ihm ließ.


    „Mein Fürst, als mein Vater mir Eurer Ansinnen überbrachte, schlug mein Herz sofort höher. Ihr seid einer der nobelsten Fürsten des Landes und ich hätte niemals gedacht, dass ein so weltgewandter und einflussreicher Fürst um meine Hand anhalten würde. Deswegen ist es mir eine Ehre, Euer Angebot anzunehmen.“
    Der Knoten in Taligots Brust löste sich und die Prizessin lächelte ihn spontan an. Vielleicht hatte er zu viel in die Worte des Königs hinein interpretiert.

    „Ich bin sehr erfreut, dass mein Begehren auf soviel Gegenliebe gestoßen ist. Da meine bisherige Gattin noch nicht lange tot ist, würde ich gerne auf eine große Hochzeit verzichten. Stattdessen würde ich gerne eine kleine Zeremonie im Rahmen der engsten Familienmitglieder abhalten.“ Alle Anwesenden nickten zu dieser Bitte und auch die Prinzessin schien nicht traurig darüber, dass sie keinen „großen Tag“ in aller Öffentlichkeit bekam.

  • *zwischen rein spam*
    Wann gehts den weiter???
    *aufgeregt neugierig rumzappel*
    ich mag die geschichte miri. bitte nimmer solange warten lassen ja? :ui:

    Erfahrungen sind die vernarbten Wunden unserer Dummheit.
    »Landung ist langweilig«, krähte unvermittelt die Stimme des Navigationssystems. »Ich plädiere für Absturz...«

  • Nasadja schaute in den Spiegel. Seit ihrer Zusage an den Fürsten waren vier Wochen vergangen. Und heute war der Tag ihrer Hochzeit. Zwei Hofdamen richteten ihre Haare und sie musste einfach nur still halten. Die beiden schnatterten vor sich hin, aber Nasadja war mit ihren Gedanken auf anderen Wegen.


    Vier Wochen, seitdem der Zauber des Elfen auf sie wirkte, vier Wochen, in denen Sie zunehmend Schwierigkeiten damit hatte, ihren Willen von dem des Fürsten zu trennen. Allerdings fragte sie sich, ob die Weltsicht des Fürsten einfach nur ihre eigene Weltsicht geschärft hatte. Sie musste sich eingestehen, dass sie vor vier Wochen auch einfach nur ein naives Mädchen gewesen war, das mehr in ihren Träumen gelebt hatte als in der Realität.


    Sie hatte erkannt, dass ihre Stiefmutter Beanita sie nicht liebte, sondern sie zunächst vor allem als Störenfried empfunden hatte. Mittlerweile hatte sie ihre Stieftochter als Kindermädchen für ihren introvertierten Sohn akzeptiert, aber sicher nicht als Tochter. Auch ihr Vater brachte ihr keine innige Liebe entgegen. Er fühlte sich für den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders verantwortlich. Sie erinnerte ihn mit ihren Narben viel zu sehr an diese Schuld, als dass er ihr reine Gefühle entgegenbringen konnte. Außerdem fragte sich Nasadja, ob er es bedauerte, dass sie und nicht ihr Bruder überlebt hatte.


    Er hatte seiner ältesten Tochter in den letzten Jahren extrem wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Der König hatte sie jetzt bei der Eheentscheidung mitentscheiden lassen. Aber Nasadja wusste durch die Wut Taligots, dass er nicht wirklich ihre Meinung, sondern eigentlich nur auf besonders findige Weise den Fürsten von Tas brüskieren wollte. Dass sie bei diesem Spiel nicht mitgespielt hatte, nahm er ihr offenbar übel, denn er hatte in den letzten vier Wochen quasi gar nicht mehr mit ihr geredet.


    Nein, sie war weder geliebt noch geschätzt in dieser Familie und die Hochzeit mit dem Fürsten würde sie aus dieser Situation befreien. An seiner Seite hätte sie endlich die Stellung, die der ältesten Tochter des Königs zustand, und sie würde nicht zögern, in seinem Sinne gegen ihren Vater und ihre Stiefmutter zu handeln.


    Der einzige Stein auf ihrem Herzen war der junge Isedor. Er war ihr Augapfel und sie würde ihn wirklich vermissen. Ebenso war sie davon überzeugt, dass er sie ebenfalls liebte. Durch den Zauber von Konu konnte sie ihn aber nicht direkt vor diesem warnen: Kein Wort gegen den Elfen wollte nicht ihre Lippen verlassen.


    Stattdessen hatte sie sich kundig gemacht, was früher als Schutz vor Elfen benutzt wurde und war auf Schörl gestoßen, einen dunklen Halbedelstein. Daraufhin hatte sie bei einem Juwelier eine kleine Brosche aus diesem Material in Form eines Adlers anfertigen lassen. Der Juwelier war überrascht über ihre Anfrage und meinte, dass er edlere Steine im Angebot hätte, aber Nasadja hatte auf ihre Anfrage beharrt.


    Gestern hatte sie die Brosche Isedor geschenkt, damit er auch nach ihrer Abreise etwas hätte, das ihn an sie erinnerte. Sie hatte ihn gebeten, diese immer zu tragen. Der Junge hatte ihr dieses Versprechen gegeben und dann waren sie gemeinsam in Tränen ausgebrochen.


    Endlich waren die albernen Gänse – auch das hatte sie früher nicht so gesehen, aber nichts anderes waren sie - mit der Frisur fertig und die Zeremonie in greifbarer Nähe. Estral kam ins Zimmer. Diese, und nicht etwa ihre Stiefmutter, hatte sie vor ein paar Tagen bei Seite genommen, um ihr zu erklären, was nach der Hochzeit auf sie zukam.


    Nasadja hatte nicht viel dazu gesagt, denn wie sollte sie ihrer ehemaligen Amme erklären, dass sie genau wusste, was der Fürst von ihr wollte. Dass es sie in den ersten Nächten erschreckt hatte, mit welchen Gedanken sie aufgewacht war. Aber mittlerweile freute sie sich darauf, die Träume ihres zukünftigen Gatten heute Nacht wahr werden zu lassen...

  • Zwei Tage nach der Hochzeit reiste der Fürst mit seiner Gefolgschaft wieder ab. Seine beiden jüngeren Töchter hatte er bei der Königin gelassen und dieser das Versprechen abgenommen, keine Hochzeitsentscheidungen zu treffen, die nicht mit ihm abgesprochen waren. Seine Gattin reiste in einem prächtigen Wagen, die seine Morgengabe an sie gewesen war. Diese Reise hatte seine Erwartungen weit übertroffen. Er war losgezogen, um insbesondere seinen Machtbereich zu festigen und die Hoffnung auf einen eigenen männlichen Erben noch nicht aufzugeben.


    Aber wer hätte gedacht, dass sich hinter der jungen, schüchternen Prinzessin eine äußerst leidenschaftliche Frau versteckte. Er mochte ihre beiden Gesichter: Das zurückhaltende Mädchen in der Öffentlichkeit und die hingebungsvolle Liebhaberin in der privaten Kammer.


    Sie hatte ihm gesagt, dass es ihr Streben sei, alle seine Wünsche zu erfüllen. Im ersten Moment dachte er, dass sie das nur gesagt hatte, um ihm zu gefallen. Aber zunehmend hatte er das Gefühl, dass sie tatsächlich hundertprozentig meinte, was sie sagte. Wenn er doch nur früher gewusst hätte, dass es Frauen wie Nasadja gab. Er hätte sicher eine Möglichkeit gefunden, seine erste Frau loszuwerden. Aber es war noch nicht zu spät, um ein neues Imperium zu gründen. Ihn würde es nicht wundern, wenn seine neue Frau bereits mit seinem Sohn schwanger und all seine Streben endlich von Erfolg gekrönt war.


    Im Wagen, verborgen vor den Blicken der Außenstehenden, lächelte die Fürstin ein sehr berechnendes und zufriedenes Lächeln. Die letzten zwei Tage waren die besten ihres Lebens. Sie war in den letzten Jahren immer die Außenseiterin der Familie und nun gab es endlich einen Menschen, mit dem sie im Innersten verbunden war. Ihre Haut kribbelte auf das Angenehmste bei den Gedanken ihres Gatten. Alle anderen Menschen waren in ihrem Denken mittlerweile in den Hintergrund getreten, selbst an ihren Halbbruder Isedor verschwendete kaum noch eine Minute.


    Dieser hingegen dachte in diesem Moment sehr wohl an seine Schwester Nasadja. Er war der Hofdame, die auf ihn aufpassen sollte, davon gelaufen, und hatte den mühsamen Aufstieg auf einen der Burgtürme gemacht. Er war auf eine Kiste gestiegen, um besser sehen zu können, und schaute nun dem Reisetross hinterher. Seine Schwester war die einzige, die ihn so mochte, wie er war.


    Obwohl sie Zwillinge waren, waren er und sein Bruder sich nicht wirklich ähnlich. Auch wenn es niemand sagte, aber fast alle hielten ihn als Kronprinzen ungeeignet. Einmal hatte er gehört, wie zwei Hofdamen über ihn geredet hatten: „Was für ein blasses Bürschchen er doch ist. Immer so versonnen und ängstlich. Der König kann wirklich froh sein, dass es noch seinen Bruder Artemor gibt.“


    Allein Nasadja liebte ihn vorbehaltslos, doch jetzt war sie weg. Tatsächlich hatte sie sich bereits in den letzten Wochen merkwürdig verhalten. Er konnte nicht wirklich sagen, was anders war, aber es hatte ihn beunruhigt. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie heiraten sollte und damit endgültig zu den Erwachsenen zählte.


    Gerade deswegen hatte Isedor sich sehr über Nasadjas Geschenk gefreut und er wusste auch, dass seine Schwester Artemor nichts geschenkt hatte. Es war das erste Mal, dass er etwas hatte und sein Bruder nicht. Anfangs war er hin und her gerissen gewesen, ob er diesen Schatz nicht mit ihm sollte. Dann aber er hatte plötzlich das Gefühl gehabt, dass es wichtig war, die Brosche geheim zu halten. Artemor würde ihm diese nicht gönnen und einen Weg, sie im wegzunehmen.


    Früher waren die beiden Brüder zwar unterschiedlich gewesen, doch hatten sich eigentlich trotzdem gut verstanden. Aber seit Konu da war, verhielt Artemor sich oft gemein zu Isedor und lachte ihn beispielsweise aus, wenn er etwas nicht so gut konnte. „Du bist voll das Baby“, sagte er dann und das verletzte stark.


    So stand er nun hier oben auf dem Burgturm, sein Gesicht tränenüberströmt. Ohne die Liebe seiner Schwester und die Freundschaft seines Bruders fühlte er sich einsam und verlassen. Trotzdem oder gerade deswegen würde er kämpfen. Nicht mit den Mitteln Artemors, sondern dadurch, dass er lernte und zuhörte. Während ihm Konu immer mehr als ein schlechter Ratgeber erschien, war es doch wohl das Beste, seinem Vater zuzuschauen, wie er das Reich leitete. Alle sagte, dass er ein guter König sei und das wollte sein ältester Sohn auch sein, wenn er groß war.

  • Rasim saß am abendlichen Lagerfeuer. Meist kehrte er auf seinen Reisen durch das Land in Gasthöfen ein. Dort redete er mit den Leuten, um herauszufinden, wie die Stimmung so war. Und obwohl die meisten ihn als den Reiter des Königs erkannten, sagten sie ihm relativ freimütig seine Meinung. Doch er hatte das Vertrauen dieser Leute noch nie missbraucht, um einen einfachen Handwerker zu denunzieren. Heute jedoch war er nicht in einer normalen Herberge. Er war auf den Weg in den Norden und nächtigte in der alten Mühle in der Nähe der Vier-Eichen-Kreuzung.


    Er konnte sich noch sehr genau daran erinnern, als er sich damals mit dem König hier getroffen hatte, um weiter nach Tas zu reisen. Dowegor hatte damals tatsächlich die Frau gefunden, die er zur dritten Königin seiner Herrschaftszeit gemacht hatte und diese Hochzeit hatte da Land für eine Weile befriedet.
    Ganz anders dann die Reisegruppe, die er vor vier Jahren hier begleitet hatte. Fürst Taligot hatte im Gegenzug die Tochter des Königs geheiratet. Früher hatte er das Mädchen Nasadja sehr gemocht, aber die Hochzeit hatte sie sehr verändert. Sie hatte nur noch Augen für den Fürsten und war in ihrer ganzen Art herrisch und abweisend geworden. Das hatte Rasim wirklich bedauert. Und so war diese Reise dann auch wenig angenehm gewesen.


    Zwei Jahre später war er dann wieder in Tas gewesen, um dem Fürstenpaar zu der Geburt ihres ersten gemeinsamen Sohnes zu gratulieren. Sie hatten ihn Nasgot genannt.


    Seitdem war Rasim wieder sehr viel im Norden unterwegs, da sich die Stimmung ins negative gewandelt hatte. Zunehmend häufig hörte er, dass es besser wäre, der Norden würde sich vom Süden abspalten, da die Politik des Königs ihren Teil des Landes nicht wirklich berücksichtigen würde.


    Nun ritt er wieder mit königlichen Glückwünschen gen Norden, denn Nasadja hatte erneut einen Sohn geboren. Außerdem sollte er den Besuch der königlichen Familie ankündigen, denn die Königin und der König wollten das frohe Ereignis als Vorwand nutzen, um sich selbst einen Eindruck der Lage zu verschaffen.

  • Das brachte die Gedanken Rasims auf die beiden königlichen Prinzen. Als er vor vier Jahren von Tas zurückgekehrt war, hatte er einen alten Freund, den er im Studium kannte, getroffen. Sein Name war Seras und Rasim schätzte ihn auf Grund seiner Gelehrtheit und seiner Einfühlsamkeit. Seras erzählte, dass er ähnlich wie Rasim jahrelang die Länder Noröms bereist hätte, um so viel wie möglich zu lernen. Leider sei das Lernen allein nicht lukrativ und er wolle nun doch sesshaft werden, um ein wenig mehr Luxus zu genießen.

    Rasim fiel spontan ein, dass der König noch immer einen Hauslehrer für die Prinzen suchte und nach Rücksprache mit Soldomar bot er seinem alten Freund an, mit auf die Königsburg zu kommen. Seras nahm begeistern an und seitdem unterrichtete er die Jungen täglich mehrere Stunden lang in Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, Geschichte und ähnliche Kenntnisse, die man als zukünftiger König brauchte.
    Darüber hinaus bekamen die Jungen auch von erfahrenen Rittern das Reiten und das Kämpfen in verschiedenen Disziplinen beigebracht. Und einmal in der Woche mussten sie abends dem König beim Essen aufwarten, damit sie auch die höfischen Sitten lernten.


    Isedor war Seras Lieblingsschüler, der alles schnell und aufmerksam lernte und mit guten Fragen zeigte, dass er immer bei der Sache war. Soldomar hatte dem Jungen außerdem Schach beigebracht und Isedor spielte sowohl mit diesem als auch mit seinem Vater so manche Runde. Und obwohl er sehr häufig verlor, war er weder trotzig noch jähzornig.


    Artemor hingegen war immer noch der Liebling des ganzen Hofstaates. Er konnte alle so gut bezirzen, dass er sich insbesondere um lästige Pflichten drücken konnte. Darüber hinaus war er bereits jetzt schon der Anführer der Kinder auf der Königsburg. Er dachte sich gerne Streiche aus und wenn eine Sache aufflog, dann deckte ihn irgendein Kind immer, so dass er für diese Streiche nie selbst zur Rechenschaft gezogen wurde. Wenn er aber mal nicht bekam, was er wollte, dann wurde er bockig oder auch aggressiv.


    So waren aus den Zwillingen sehr unterschiedliche Jungen geworden, die leider mit wenig Zuneigung miteinander umgingen. Wäre es anders, hätten sie sich sehr gut ergänzt, so aber war eine unterschwellige Rivalität entstanden. Rasim machte das Sorgen, denn in den Händen dieser beiden Burschen lag die Zukunft des Landes.

  • Als Rasim am nächsten Tag schon seit Stunden wieder im Sattel saß, macht sich die königliche Gruppe gerade an die Verabschiedung in der Königsburg. Die beiden jüngeren Königskinder sollten nicht mitkommen, sondern bei Estral und Soldomar bleiben. Lusita hatte damit kein Problem, denn sie und Margrett waren unzertrennliche Freundinnen. Nach der Geburt ihrer Tochter war Estral nicht wieder schwanger geworden, aber Beanita wusste, dass Soldomar nach der lebensgefährlichen Situation der ersten Geburt mit entsprechenden Tränken vorgesorgt hatte, damit so etwas nie wieder passieren konnte.


    Anders hingegen verhielt es sich mit Margor. Er lief Artemor überall hinterher und war nun widerspenstig und schrie, weil er nicht zu Hause gelassen werden wollte. Der König aber drückte unbeeindruckt den Jungen in Soldomars Arme, um dann seine Frau und seine älteren Söhne nach draußen zu begleiten. Während Beanita standesgemäß in einer Kutsche reiste, standen für die Jungen zum Reiten gut ausgebildete Jährlinge bereit.


    Beim Auszug aus der Hauptstadt ritten die beiden Jungen nebeneinander, redeten aber nicht. Artemor schielte ab und an zu seinem Bruder. Früher hatte er Isedor mal gemocht, aber Konu hatte ihm gezeigt, dass er besser vorsichtig war. Sein Zwilling war ein Schwächling und ein Schleimer, aber er war auf dem Papier der ältere Sohn. Obwohl er, Artemor, schon jetzt seine königlichen Qualitäten deutlich zeigte, könnte es passieren, dass sein Bruder ihm seinen angestammten Platz wegnahm. Konu hatte ihm klar gemacht, dass er früh anfangen musste, seinen Bruder auf den Platz zu verweisen, auf den er gehörte: Auf den Platz des Verlierers.


    Er müsse es schlau anstellen, hatte der Elf gesagt, und dann hätte Isedor im entscheidenden Moment keine Möglichkeiten mehr, ihm den Thron streitig zu machen. Deswegen war es wichtig, dafür zu sorgen, dass Isedors Schwächen gut sichtbar wurden. Ihr Vater musste erkennen, wer der bessere Sohn und Nachfolger war.


    Der Elf war ein enger Freund von ihm geworden. Ohne Konu hätte er nie erkannt, mit welchen üblen Tricks sein Bruder versuchte, ihn zu überlisten. Artemor hatte es sehr geschmerzt, als der Elfenfürst seinen Sohn nach zwei Jahren zurück in den Wald geholt hatte. Aber dieser versprach ihm, wiederzukommen, und ihn dann in den Wald mitzunehmen.


    Bis dahin war seine Aufgabe klar: Gerade auf dieser Reise würde der König viel von seinen Söhnen mitbekommen und da wäre es hilfreich, wenn sich Isedor möglichst häufig richtig stark blamierte. Vielleicht sollte er heute Abend vorschlagen, dass sie zusammen einen Schaukampf machten, damit gleich klar wurde, wer der Bessere war. Artemor rechnete mit einem schnellen Sieg und freute sich bereits über diese Aussicht.

  • Isedor hingegen achtete nicht auf seinen Bruder. Er hatte sich in den letzten Jahren an dessen Gemeinheiten gewöhnt und versucht, ihn so gut wie möglich zu ignorieren. Früher hatte er gerne mit den anderen Jungen zusammen gespielt. Irgendwann hatte Artemor aber entschieden, dass es interessanter sei, wenn man „feindliche Königreiche“ spielte und Isedor musste immer der „böse König“ sein. Zu den Untertanen dieses Königs gab es nur ein paar kleine Jungs. Natürlich musste man die bösen Truppen mit Prügel vertreiben, und da seine „Gefolgsleute“ aus Angst immer sofort Fersengeld gaben, war es dann immer nur Isedor gewesen, der übel Dresche bezog. Als er beim dritten Mal dieses „Spiels“ sogar ein fettes blaues Auge bekam und er deswegen seine Mutter anlügen musste, entschloss sich Isedor, bei dem Treiben seines Bruders nicht mehr mitzuspielen.


    Zunächst hatte er sich einsam gefühlt, aber es gab einen Rettungsanker, den Rasim mitgebracht hatte: Meister Seras. Bei ihm war der Unterricht nie langweilig. Er kannte 1001 Geschichte aus alle Fürstentümern und allen Zeiten. Er wusste, wie die großen Schlachten geplant worden waren, aber auch Geschichten von Trollen und Gnomen. Artemor lachte dann und sagte, dass seien Kindermärchen, aber Isedor glaubte dem Meister aufs Wort. Die Menschen mit ihrer aggressiven Art hätten viele dieser Wesen aus der Öffentlichkeit vertrieben, aber wenn man lernen würde, richtig hinzusehen und zuzuhören, dann würde man sie auch erkennen.


    Isedor hielt Meister Selas für einen der schlausten Menschen von Noröm. Er brachte den Jungen Lesen und Schreiben bei, den Gebrauch der Zahlen und des Abakus, aber auch die Stimmen der Vögel und die Namen der Pflanzen. „Es gibt immer etwas zu entdecken“ war das Motto des Lehrers und so füllte Isedor seine Stunden mit Entdeckungen. Selas half ihm, ein Teleskop zu bauen und den Lauf der Gestirne zu entdecken, aber Isedor ging auch alleine auf Entdeckung.


    Er fand einen Geheimraum hinter dem normalen Lager, in dem der Mundschenk die besonderen Dinge lagerte, von denen keiner wissen sollte. Er entdeckte, dass Soldomar heimlich Schnupftabak schnupfte, wenn Estral nicht in der Nähe war. Er entdeckte, wie die Ameisen sich organisierten, um an den süßen Honig zu gelangen. All seine Entdeckungen machten seine Welt reicher und es machte ihm schon länger nichts mehr aus, dass er nicht mehr mit seinem Bruder und dessen „Horde“ (seine Mutter sagte das, wenn sie dachte, dass kein Kind sie hören konnte) spielen konnte.


    Er war außerdem froh, dass Selas weiter hinten im Zug mitritt. So konnte er sich alle Fragen und Beobachtungen am Tag merken und abends oder bei den Pausen mit Selas teilen bzw. erklären lassen. Isedor freute sich über die Reise, denn so konnte er seine Entdeckungen auf einem ganz anderen Niveau weiterführen. Schon jetzt merkte er, dass es außerhalb der beschützten Burg so viel mehr zu erleben gab.


    Außerdem freute er sich auf seine Schwester Nasadja. Noch immer trug er ihre Brosche unter dem Hemd, aber er hatte sich vorgenommen, sie zum ersten Mal offen zu tragen, wenn sie am Hof des Fürsten eintrafen. Es war viel Zeit vergangen, seitdem sie fortgegangen war, aber noch immer vermisste er sie manchmal. Mutter und Estral waren gut zu ihm, aber Nasadja war seine Vertraute gewesen. An ihrer Schulter er sich hatte ausweinen können, ohne das Gefühl zu haben, dass sich das für einen Prinzen nicht gehörte. Er hoffte, dass er diese alte Verbundenheit wiederfinden konnte und freute sich auch aus diesem Grund auf die Reise.

  • So ritten die Brüder, jeder für sich in seinen Gedanken, nebeneinander. Die Leute, die den königlichen Zug empfingen, sahen zwei ansehnliche Jungen auf schönen Pferden. Sie jubelten den Prinzen zu. Es hatte so lange gedauert, dass es endlich Thronfolger geboren worden waren. Und so waren alle glücklich, dass die Zwillinge zu gesunden Burschen heranwuchsen. Da geriet der König selbst fast etwas zu einer Nebensache.


    Dowegor war jedoch auch stolz auf seine beiden Söhne und es freut ihn, dass die Leute in den Dörfern diesen ihren Tribut zollten. Der König wollte in Tas nach dem Rechten sehen, aber er war in den letzten Jahren auch wenig aus der Königsburg herausgekommen. Er hatte sich auf Rasim verlassen, aber die Menschen und die Adeligen wollten ihn persönlich treffen und ihn bewirten und so würde er diese Reise auch nutzen, um seine Söhne mit den adeligen und einfachen Menschen seines Landes in Kontakt zu bringen. Diese sollten so früh wie möglich eine Loyalität zu ihnen aufbauen.


    So hielten sie dann abends auch zeitig an einem Herrenhaus eines Grafens an, dessen Haushalt auf Grund der ihnen zu Teil werdenden Ehre in hellem Aufruhr war. Man wollte die königliche Familie rundum gut bewirten. Trotzdem ging es hier eher einfach zu und so waren alle positiv überrascht, als Prinz Artemor einen Schaukampf zwischen ihm und seinem Bruder vorschlug. Alle waren sofort Feuer und Flamme, da das gut die Zeit überbrücken würde, bis die Spanferkel über dem Feuer gar wären.


    Der König beobachtete seine Söhne genau, die sich mit Übungsholzschwertern gegenüber standen. Es wurde schnell sichtbar, dass Artemor mehr Übung hatte, seine Schläge waren kraftvoller und routinierter. Isedors Muskeln waren weit weniger gut gebildet. Dafür beobachtete er seinen Bruder sehr genau und machte keine unnötigen Bewegungen. Er erkannte immer, wohin sein Bruder schlagen wollte und auch wenn seine Abwehr nicht sehr kraftvoll war, so war sie doch effektiv.

    Artemor ärgerte sich offenbar, dass ihm kein schneller Sieg beschieden war, und legte noch mehr Schwung in seine Schläge. Durch diese schiere Kraft schaffte er es, Isedors Deckung zu durchschlagen und ihn am Bein zu treffen. Die Zuschauer raunten, aber Isedor schrie nicht, sondern verengte nur die Augen und hob das Schwert, um anzuzeigen, dass der Kampf nicht unterbrochen werden musste.


    Danach hatte Artemor erneut Schwierigkeiten, die Deckung Isedors zu durchbrechen. Dieser hingegen versuchte keinen Angriff von sich aus und man sah, dass er Schmerzen hatte, wenn er sein Bein bewegte. Dann stolperte Isedor plötzlich und Artemor konnte seinen Bruder mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter zu Boden bringen. Die Zuschauer jubelten über den spannenden Kampf. Artemor hielt seinem Bruder einen Moment lang das Schwert an die Brust, sagte etwas zu ihm und drehte sich dann den umstehenden Gratulanten zu.


    Dowegor war stolz auf seine Jungs. Er hatte Schaukämpfe von Erwachsenen gesehen, die deutlich langweiliger waren als der Kampf seiner Söhne. Das war genau die Art von Aufmerksamkeit, die er sich für diese Reise gewünscht hatte.

  • Am Folgetag ritten die Jungen wieder nebeneinander und wieder waren beiden in ihren eigenen Gedanken. Artemor ärgerte sich, dass er seinen Bruder unterschätzt hatte. Dessen Verschlagenheit ging weiter als er gedacht hatte. Sein Plan war nicht wirklich aufgegangen. Der Sieg war sein gewesen, aber nicht so eindeutig, wie er eigentlich gewollt hatte. Am Schluss musste er dann sogar noch den kleinen Trick anwenden, den Konu ihm gezeigt hatte. Es war eine kleine magische Beschwörung, die dazu führte, dass derjenige, auf den man ihn anwendet, leicht ins Stolpern kam.


    In der Königsburg benutzte er diesen Trick wenig, weil er nicht wusste, ob Soldomar so etwas spüren konnte und er wollte keinen Ärger mit dem Zauberer haben. Gestern Abend aber, als er merkte, dass auch seine Kraft abnahm, wollt er nicht das Risiko eingehen, dass sein Bruder wohlmöglich einen Treffer landete. Auf diese Weise hatte er zumindest eindeutig zeigen können, dass er der überlegene Kämpfer war. Ein weiterer Schaukampf würde aber nicht zu dem führen, was er bezweckte. Deswegen müsste er sich etwas anderes ausdenken.


    Und so grübelte der Junge mehrere Stunden vor sich hin. Wann immer sie durch Dörfer ritten und die Bauern ihnen zujubelten, war er in seinem Element, denn das war es, wovon er seit Jahren träumte. Hier waren all diese Untertanen, die seinen zukünftigen Ruhm umjubelten.


    Und so stellte er sich auch seine Untertanen vor. Konu hatte ihm erklärt, dass jeder Bauer nur durch die Gnade des Königs sein Land bebauen konnte, und so war es dann auch mehr als Recht und billig, dass sie hier in angemessenem Abstand standen und ihren Herrscher bewunderten.


    Weiter hinten ritt Selas und machte sich so seine eigenen Gedanken über die beiden Prinzen. Als er vor vier Jahren seine Arbeit am Königshof begann, war er zunächst auch Artemors Charme verfallen, während ihm Isedor irgendwie blass und verschüchtert vorkam. Mit der Zeit hatte sich seine Sichtweise aber vollständig gewandelt. Artemor war in seinem Unterricht oft unaufmerksam und wenn Selas ihn tadelte, behandelte dieser ihn mit Herablassung. Selas sah, wie Artemor seinen Bruder bei jeder sich bietenden Gelegenheit schikanierte, ohne dass dieser sich großartig wehrte.


    Isedor hingegen hatte sich als wissenshungriger Bursche entpuppt, der zwar nicht viel sagte, aber umso besser zuhörte und beobachtete. Er hatte ein offenes Ohr für jede Wissenschaft und ging mit allen Themen offen und unvoreingenommen um. Mit der Zeit hatte er sich Selas gegenüber immer mehr geöffnet und fragte ihm mittlerweile das eine oder andere Loch in den Bauch.


    Der Lehrer beobachtete seinen Schützling von hinten und sah, dass dieser sehr steif im Sattel saß. Nach dem Kampf war er in einer ruhigen Minute zu Isedor gegangen und hatte ihn gefragt, ob er sich die Verletzungen einmal anschauen solle, aber dieser hatte nur stumm mit dem Kopf geschüttelt. So wie sich der Prinz heute im Sattel hielt, hatte er offenbar noch Schmerzen. Dieser Ritt musste für den Jungen sehr unangenehm und anstrengend sein, aber er wollte gegenüber seinem Vater wahrscheinlich keine Schwäche zeigen. Es wäre im Grunde kein Problem, wenn er einen Tag bei seiner Mutter im Wagen mitfuhr. Aber vermutlich war der Schmerz besser auszuhalten als mögliche Hänseleien durch Artemor, wenn er wirklich den bequemeren Weg ginge.

  • Während die ersten vier Tage ihrer Reise gutes Wetter herrschte, schlug dieses am fünften Tag um. Statt des Sonnenscheins war nun Regen ihr Begleiter. Die Straßen waren von weit weniger Schaulustigen gesäumt und die allgemeine Stimmung sank. Insbesondere für die beiden Prinzen war diese Erfahrung etwas Neues. Ihre Regenkleidung war zwar gut gefettet, aber trotzdem fand der kontinuierliche Regen im Laufe des Tages einen Weg unter die schützende Schicht.


    Isedor beobachtete, wie auch die Landschaft sich mit dem Regen veränderte. Die Schmerzen der letzten Tage waren glücklicherweise etwas abgeklungen und so konnte er der ganzen Situation sogar etwas Gutes abgewinnen.


    Artemor hingegen frustrierte der Regen umso mehr. Eigentlich war nichts, wie es sein sollte: Die Bürger, die den Regen scheuten, statt ihrem Prinzen zu huldigen, die klamme Kleidung, die unangenehm am Körper klebte, aber vor allem, dass er noch immer keinen guten Plan hatte, wie er seinen Bruder so richtig blamieren konnte…


    Auch am nächsten Tag hielt der Regen an. Der Boden schmatzte unter den Hufen der Pferde und der Wagen der Königin kam schlecht voran. Der Weg ging jetzt bergauf in die Hügelkette Haskats hinein. Zu Mittag erreichten sie eine kleine Schutzhütte an einem Hang. Erschöpft machte die Gruppe Halt. Das Wetter klarte etwas auf und die Isedor konnte sehen, dass sie sich etwa 300 m oberhalb einer Schucht befanden. Unten floss ein Fluss, dessen Ufer durch den Regen gut überspült waren.


    Von dem guten Wetter animiert, brach die Reisegruppe wieder auf. Der König wollte es gerne bis Abend schaffen, die Burg eines Grafens auf die andere Seite der Haskat-Hügel zu erreichen. Es war nicht selten, dass dort anderes Wetter herrschte und auch Dowegor wollte so schnell wie möglich wieder in trockener Kleidung reisen. Der Weg führte weiter am Rand der Schucht entlang und alle ritten hintereinander.


    Zwei Stunden später setzte der Regen, deutlich stärker als zuvor, wieder ein. Der König drängte zur Eile: „Es ist nicht mehr weit, dann geht es wieder hinunter.“ Und kurz darauf fing der Weg tatsächlich an, langsam zu fallen. Doch der Regen nahm in seiner Intensität weiter zu und man konnte gerade noch so den Vordermann erkennen.


    Plötzlich brach unter den Hufen von Isedors Pferd ein Stück des Weges weg. Das Pferd wieherte und versuchte, sein Gleichgewicht zu halten und auch Isedor kämpfte damit, nicht herunterzufallen.


    Artemor, der hinter ihm ritt, riss an seinen Zügeln. Wie von selbst vollführte seine rechte Hand Konus Elfenrune und Isedors Pferd verlor den Kampf und rutschte in die Tiefe. Artemor schrie und sprang von seinem Pferd. Sofort waren andere Ritter des Königs da und hielten ihn fest. „Isedor ist mit seinem Pferd den Hang herunter gerutscht. Schnell, ihr müsst ihm helfen.“, schrie der Prinz. Bei allem Groll, den er seinem Bruder gegenüber empfand, war Artemor dann doch entsetzt, was er angerichtet hatte.

  • Durch den Regen hörte man ein leises Rufen: „Hilfe!“. Alle atmeten erleichtert auf und dann ging die Rettung sofort zügig weiter. Ein Ritter hatte sofort ein Seil zur Hand, das er um einen Baum schlang und ein Ende an seinem Gürtel befestigte. „Ich werde mich vorsichtig hinunterlassen, Sire. Werft ein zweites Seil hinunter, wenn ich rufe“. Der König nickte nur und gab ihm einen aufmunternden Schlag auf die Schulter. Ein anderer Ritter hatte das andere Seilende ergriffen, so dass die Abseilaktion sogleich beginnen konnte.


    Selas war auch eilig abgestiegen und ging näher an die Kante. Er achtete sorgfältig darauf, dass er einen Baum in Griffweite hatte, um nicht selbst noch zum Opfer zu werden.


    Diese verdammte Regen! Die Sichtweite war nicht weit genug, um zu erkennen, wie tief der Junge gefallen war. Sein Herz schlug wie wild. Schon bald hörte man den Ruf des Ritters und das zweite Seil wurde in die Tiefe geworfen. Wieder gab es eine Pause, doch zum Glück schien der Regen nachzulassen, denn Selas sah dunkle Schemen, die sich bewegten.


    Der Baum, um den die Seile geschlungen waren, knackte beim Heraufziehen und noch einmal hielten alle die Luft an. Dann sah man deutlich den Ritter, der den gesicherten Jungen im Arm hielt.


    Selas schaute sich um. Er sah den König, der Artemor fest in seinem Arm hielt. Neben ihm stand mittlerweile auch die Königin, ihr schönes Kleid völlig durchnässt und der Saum schmutzig vom Matsch des Weges. Aber das schien sie nicht zu stören, denn sie auch sie hatte nur Augen für die Rettung ihres Sohnes.


    Und dann war der Ritter mit Isedor wieder auf festen Boden. „Ein Baum hat seinen Sturz abgefangen. Er ist recht glimpflich davon gekommen, aber ich denke, sein Bein ist gebrochen. Das Pferd hatte weniger Glück. Ich denke, es ist den ganzen Hang hinunter gefallen. Ich habe es nicht sehen können.“ Er hielt den Jungen fest in seinen Armen, um das angeschlagene Bein nicht zu belasten.


    „Das war eine gute Rettungsaktion, John!“ Dem König war seine Erleichterung anzusehen, als er den Ritter lobte. „Jetzt müssen wir nur noch versuchen, aus diesem Wetter herauszukommen. Isedor legen wir in den Wagen und meine Lady wird auf ihn aufpassen. Artemor kommt zu mir aufs Pferd. John, kümmere Dich bitte um Artemors Pferd. Es geht zügig, aber mit doppelter Aufmerksamkeit weiter. Ich möchte keine weiteren Vorfälle dieser Art erleben!“

  • Und so lief der Treck wieder an. Zum Glück regnete es nur noch leicht und alle konnten den weg wieder besser erkennen. Ohne weitere Zwischenfälle war man eine gute Stunde später wieder in der Ebene und in der Ferne war ein Dorf zu erkennen. Die Entscheidung Dowegors war eindeutig: „Wir werden da heute nächtigen und nur zwei Reiter werden weiter zu unserem eigentlichen Tagesziel reiten, um die veränderte Situation zu erklären.“


    Als die Reisegruppe im Dorf hielt und nach dem Haus des Vorstehers frage sowie einem Heiler oder einer Heilerin, waren die Bewohner sofort in Aufruhr. Kurz darauf kamen der Vorsteher Flyn und die Heilerin Alkmene herangeeilt. Die Heilerin führte man zum Wagen der Königin, um Isodor zu begutachten, während der König dem Vorsteher erklärte, dass man Unterkünfte für die Reisegruppe brauche.


    „Selbstverständlich, Sire, es ist uns eine große Ehre. Unsere Hütten sind sehr bescheiden, aber wir bekommen das hin. Ihr müsst Euch allerdings aufteilen. Das größte Haus im Ort ist die Schmiede. Dort lebt auch Alkmene und so würde ich vorschlagen, dass ihr mit Eurer Familie dort nächtigt.“


    Dowegor nickte und beauftragte John und Selas, sich um die Aufteilung der restlichen Leute auf die anderen Häuser zu kümmern. Er begab sich zur Kutsche und fragte Alkmene nach der Lage. „Das rechte Bein ist zweimal gebrochen, aber es sind glatte Brüche. Ansonsten hat er verschiedene Prellungen, die aber unkritisch sind. Ich würde sagen, der junge Prinz hat sehr viel Glück gehabt, Sire. Um das Bein ruhig zu stellen und die Knochen in der richtigen Position zu halten, kann mein Mann Baldwin, der Schmied, Metallschienen anfertigen. Er hat das bei anderen Knochenbrüchen auch schon gemacht. Wenn ihr mir folgen mögt…“ Alkmene machte einen Knicks und sie deutlich weniger befangen aus als der Dorfvorsteher. Dowegor nahm seinen Sohn auf den Arm und Beanita kletterte ebenfalls aus dem Wagen und nahm Artemor in den Arm.


    Sie gingen über den Dorfplatz und hielten tatsächlich auf das größte Haus zu, das dort stand. Ein kräftiger Mann kam ihnen entgegen und verbeugte sich. „Ich bin Baldwin, Sire. Soll ich Euch den Jungen abnehmen?“ Der König aber schüttelte nur den Kopf. Als sie am Haus des Schmieds angekommen waren, hielt ihnen ein Junge von vierzehn oder fünfzehn Jahren die Tür auf. „Das ist mein Sohn Jonathan“, sagte Baldwin und führte die ganze königliche Familie in sein Haus. „Die Tür gerade aus führt in unsere Kammer. Sie ist heute Euers. Jonathan wird Euch alles hereinholen, was ihr für die Nacht braucht. Links ist die Tür zum Heilerzimmer. Bitte legt den Jungen da auf die Pritsche.“


    Alkmene und Baldwin folgten dem König, während sich Jonathan vor der Königin verbeugte und seine Hilfe anbot. Beanita sagte: „Artemor, sei so gut und zeige Jonathan, welches Gepäck er rein holen muss. Wir sollten alle so schnell wie möglich wieder in trockene Kleidung kommen!“


    Artemor hasste es, wie ein Botenjunge mit diesem Gemeinen losgeschickt zu werden. Der Schreck, der in den Bergen noch in seinen Knochen gesteckt hatte, löste sich langsam. Was passiert war, war passiert. Isedor war nicht ums Leben gekommen und wenn er ein Humpeln zurück behielt, wäre das seinem Bruder nur recht. Was ihn aber jetzt vor allem ärgerte, war, dass diese Schmiedefamilie so tat, als wäre sie der Königsfamilie fast gleichgestellt. Sie lebten hier in diesem kleinen Drecksnest im Nirgendwo, aber hatten nur knappe Verbeugungen für ihren König. Der Junge lief jetzt sogar neben ihm, fehlte nur noch, dass er ihn ungefragt ansprach.


    „Die Rucksäcke oben auf der Kutsche brauchen wir, Knecht, und dann die Satteltaschen von meinem Pferd da vorne. Die Satteltaschen meines Vaters nehme ich lieber selbst. Wir möchten ja beide nicht, das nachher etwas fehlt.“ Der Prinz drehte sich brüsk um und ging zu dem prächtigen Schlachtross seines Vaters.


    Jonathan machte einen etwas verdatterten Eindruck und schaute dann dem anderen Jungen einen Moment lang mit verengten Augen nach. Dann zuckte er mit den Schultern und begann, das Gepäck von der Kutsche herunter zu laden.
    In der Zwischenzeit hatte Alkmene Isedor die nasse und dreckige Kleidung vom Körper geschnitten und nun sah man, dass der Junge auch an anderen Stellen Prellungen und Abschürfungen erlitten hatte. Alkmene nickte, als hätte sie sich so etwas schon gedacht und holte aus dem Regal an der Wand eine Salbe, die sie vorsichtig auf den verschiedenen Verwundungen aufbrachte. Der Junge hatte die Augen geschlossen und zuckte manchmal bei der Berührung einer Stelle zusammen, aber er jammerte nicht. Der König war sehr stolz auf seinen Sohn und zunächst unentschlossen, was er machen sollte. So stand er hinter der Heilerin und schaute ihr zu. Da er jedoch das Gefühl hatte, dass Isedor in ihren Händen gut aufgehoben war, sagte er ein paar aufmunterde Worte und ging zu seiner Frau.


    Baldwin hatte an dem verletzten Bein Maß genommen und war in der Schmiede am anderen Ende des Hauses verschwunden. Etwas später rief der Schmied nach seinem Sohn, der mittlerweile alles Gepäck hereingeholt hatte und nachdem Jonathan in der Schmiede verschwunden war, hörte man die Schläge des Hammers.


    Alkmene hatte inzwischen den verletzten Prinzen versorgt und ihn mit einem Schlafmittel ruhig gestellt. Sie ging zum König, um ihm zu berichten „Er wird bis morgen früh durchschlafen, Sire. Dann ist auch das Schienengestell fertig, dass das Bein entlasten wird. Wenn alles gut geht, werdet ihr übermorgen weiter reisen können. Allerdings ist die Kutsche Eurer Hoheit etwas eng, da er das Bein gestreckt halten muss. Aber ich denke, auch dieses Problem werden wir morgen irgendwie lösen können. Jetzt werde ich erst einmal etwas zu essen kochen, damit Ihr etwas in den Magen bekommt.“


    Artemor saß in einer Ecke des Raumes und ärgerte sich darüber, dass sein Vater diese anmaßende Frau nicht in ihre Grenzen verwies. Konu hatte ihm mal gesagt, dass der König schwächer wäre, als es den Eindruck habe, und jetzt erkannte der Prinz, dass der Elf vermutlich recht gehabt hatte.

  • Kurzer Exkurs
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    Zusammenfassung der beiden ersten Teile der Nöromlegende :


    Teil 1
    Vor langer, langer Zeit herrschte König Dowegor über Noröm. Sein bester Freund und Hofzauberer war Soldomar, den er außerdem zu seinem Kämmerer ernannt hatte. Eine der besonderen Fähigkeiten Soldomars war es, telepathisch mit seinem Bruder Rasim über jegliche Distanz zu kommunizieren. Diese Eigenschaft machte Rasim zum besten Kundschafter und Auge des Königs, auch wenn das nicht viele wussten.


    Nach einer unglücklichen ersten Ehe, verliebte sich König Dowegor auf einer Landfahrt in das Findelkind und Ziehtochter des Fürsten von Nasadh, die Aglirië hieß. Auch diese verliebte sich in den König und so wurde alsbald eine Liebeshochzeit gefeiert. Die Königin schenkte dem König zwei Kinder: Das Mädchen Nasadja und den Prinzen Dowegar. Unter den Burgfräulein findet die Königin in der jungen Estral eine besonders gute Freundin.


    Als der Prinz noch keine zwei Jahre alt ist und der König gerade für Regierungsaufgaben unterwegs, bricht in der Hauptstadt eine Pockenpest aus. Die Königin und die beiden Kinder erkranken, Estral allerdings nicht. Sie pflegt die königliche Familie aufopferungsvoll, aber sowohl Aglirië als auch Dowegar sterben. Nur die Prinzessin überlebt, allerdings durch die Narben ihrer Krankheit stark gezeichnet.


    Der König gibt sich selbst die Schuld für den Tod von Frau und Sohn und fällt in tiefe Depressionen und vernachlässigt das Reich. In dieser Zeit wittert Fürst Taligot, der Fürst von Tas, seine Chance, um mehr Macht an sich zu ziehen. Durch Rasims unermüdliche Bemühungen bekommt Soldomar von den Machenschaften Taligots zu hören. Er weiß, dass man dieser Gefahr irgendwie entgegen treten muss. Da Taligot nur Töchter, aber keinen Sohn hat, hat Soldomar die Idee, die älteste Tochter des Fürsten als neue Frau des Königs vorzuschlagen. Dowegor ist eigentlich noch nicht wieder für eine Heirat bereit, kann aber von der staatsmännischen Bedeutung überzeugt werden.


    Mit einem kleinen Trupp reitet der König in den hohen Norden, wo das Fürstentum Tas liegt. Diese Reise befreit ihn zu einem guten Teil von seiner Trauer. Als er dann die charakterstarke Tochter des Fürsten, Beanita, kennenlernt, merkt er, dass er durchaus für eine weitere Ehe bereit ist. So freit er um sie, auch wenn Taligot nicht wirklich über die Wendung des Schicksals erfreut ist. Seine Frau ist mit seinem siebten Kind schwanger und er hoffte innerlich, dass es sich diesmal um einen Jungen handelte. Mit einer Heirat seiner Tochter mit dem König würde er in gewisser Weise Macht abgeben. Trotzdem konnte er dessen Anliegen nicht ablehnen, insbesondere da seine Tochter sehr gerne Königin des Landes werden wollte.


    Und so wurde wieder Hochzeit gefeiert, wobei die noch sehr junge Beanita sehr schnell merkt, dass die Damen am Hofe es ihr nicht einfach machen werden. Während der König ihr durchaus Einblicke in die Politik gewährt, halten viele andere sie für zu jung und bevormunden sie. Erst als sie schwanger wird, behandelt man sie mit mehr Respekt.


    In dieser Zeit kommen auch Nasadja und Estral zum Königshof zurück. Man hatte die Prinzessin eine Weile zu ihren Großeltern geschickt, damit sie sich in dort von ihrer Trauer zu erholen. Während die junge Königin sofort Zutrauen zu Estral fasst und sie enge Freudinnen werden, ist das Verhältnis zu Nasadja eher unterkühlt, da Beanita eifersüchtige Gefühle hegt.


    Als es so weit ist, stellt sich heraus, dass Beanita sogar zwei Kinder erwartet und gebiert dem König zwei Söhne, die sie Isedor und Artemor nennen.


    Teil 2
    Von Anfang an entwickeln sich die beiden Jungen sehr unterschiedlich. Artemor ist extrovertiert und der Liebling des Hofes, Isedor ein sehr ruhiges Kind, um dass sich seine Halbschwester Nasadja sehr intensiv kümmert.


    Knapp zwei Jahre später wird Beanita wieder schwanger und schenkt dem König diese mal eine Tochter, die sie Lusita nennen.
    In der Zwischenzeit haben sich Estral und Soldomar ineinander verliebt, die dann auch heiraten. Nasadja, die durch die Ereignisse das Gefühl hat, ihre beste Freundin zu verlieren, zieht sich noch stärker in sich selbst zurück.


    Es folgen beschauliche Jahre, in denen Estral und Beanita nun gleichzeitig schwanger werden, Beanita bekommt den Jungen Margor und Estral nach einer schwierigen Geburt, das Mädchen Margrett.


    Plötzlich tauchen Elfen am Hofe des Königs auf. Die Elfen waren für Jahre aus dem Reich nach einem Streit mit Dowegors Großvater „verschwunden“. Deswegen sind alle von die Abordnung überracht. Es ist der Fürst Nakau Akamu, der gekommen ist, um die alten Beziehungen wieder aufzubauen. Er hat als Zeichen der Freundschaft seinen Sohn Konu mitgebracht, damit er ein Lehrjahr beim menschlichen König absolvieren könne.


    Man nimmt dieses Angebot an und der Jüngling Konu ist sofort am ganzen Hof beliebt. Nur Nasadja hat in seiner Gegenwart Visionen und Angst. Konu erklärt den Menschen, dass es zwei Arten von Elfen gibt, die Môrben und die Hellim, die sich seit langer Zeit voneinander angegrenzt hätten.


    In dieser Zeit verstarb Beanitas Mutter, die dem Fürsten Taligot keinen Sohn geschenkt hatte und bei einer neuen Schwangerschaft verstorben war.


    Beanita, in Sorge um ihren Vater, lädt ihn in die Hauptstadt ein und dieser nimmt die Einladung an. Unter dem Vorwand, seine älterste Tocher wieder zu sehen und zwei weitere unter die Haube bringen zu wollen, hegte er allerdings einen anderen Plan: Er will Nasadja heiraten, um seine eigenen Ansprüche auf Noröm wieder zu festigen. Die Narben des Mädchens spielten ihm dabei in die Hände, weil es deswegen noch keine andere Verlobung gab.


    So ist er dann auch positiv gestimmt, als man ihm zufällig die Prinzessin als Tischdame beim Begrüßungsbankett zuordnete. Wenn man von den Narben absah, war es ein gut entwickeltes Mädchen, welches darüber eine angenehme Art hatte. Nasadja fühlte sich in der Anwesenheit des Fürsten auch wohl.


    In dieser Nacht enthüllt Konu gegenüber Nasadja sein wahres Gesicht und seinen Hass auf die Menschen. Er erzählt ihr, dass ihre Mutter Aglirië durch die schändliche Beziehung einer weiblichen Elfe (seiner Tante Tariawen) mit einem Menschen entstanden sei. Man hätte ihre beiden Großeltern deswegen getötet und auch Agliriës Tod und der ihres Bruders seien auf Basis ihres schändlichen Daseins göttlichem Willen entsprungen. Dass Nasadja überlebt hätte, wäre zwar ärgerlich, aber nun hätte man die Möglichkeit, dass sie als ekelerregendes Halbwesen einen Zweck erfüllen könne.


    Auf Grund ihres Elfenbluts kann er die Prinzessin verzaubern. Sie kann fortan alle Wünsche des Fürsten Taligot spüren und will diese wie ihre eigenen erfüllen. Außerdem kann sie über Konus wahre Gefühle nicht reden. Noch in dieser Nacht erlebt sie die Auswirkungen des Zaubers und verliert sich fast vollständig in den Wünschen des ihr noch unbekannten Mannes.


    Als Taligot am nächsten Tag seinen Wunsch dem König und der Königin äußert, merkt Dowegor, dass er in einer Zwickmühle sitzt. E versucht, ihr dadurch zu entkommen, dass er Nasadja die freie Wahl lässt, ob sie den Fürsten heiraten möchte. Diese ist durch den Zauber natürlich mehr als erfreut, genau diesem Wunsch nachzukommen.


    Ein Monat später ist bereits die Hochzeit auf der Königsburg. Nasadja hat sich in dieser Zeit entwickelt, da sie nur noch das Machtstreben ihres zukünftigen Mannes erfüllen will, und damit ihre eigene Familie in einem anderen Licht sieht. Allein der schüchterne Prinz Isedor ist nach wie vor ihr Liebling und sie hat Angst vor Konus Einfluss auf ihn. Weil sie ihm nichts sagen kann, schenkt sie ihm eine Brosche mit einem Schörl. Diese Halbedelsteine sollen Menschen vor Elfenbannen schützen können.


    Zwei Tage nach der Heirat reisen Taligot und Nasadja zurück nach Tas. Der Fürst ist mehr als zufrieden, weil er mit Nasadja offenbar mehr gefunden hat als er dachte: Eine Verbündete, die ihm jeden Wunsch von den Lippen ablas. Von ihren Verwandten vermisst sie nur ihr Halbbruder Isedor, der sich seit der Ankunft Konus immer mehr von seinem Zwillingsbruder Artemor entfremdet fühlt und mit Nasadja seine einzige Vertraute gehen sieht.


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    Teil 3 startet hier

  • Am nächsten Morgen bat der Schmied Selas, ihm beim Anlegen der Streckschiene behilflich zu sein. „Es wird dem Prinzen kurzseitig Schmerzen bereiten und da brauche ich jemanden, der ihn festhält. Damit es aber möglichst schnell geht, ist auch Jonathan dabei, um mir beim Befestigen zu helfen.“ Selas nickte nur und als sie zu Isedor ins Zimmer kamen, war dieser schon wach.


    Sein Blick war etwas glasig, aber er rang sich ein leichtes Lächeln ab. Baldwin erkläre mit ruhiger Stimme das gemeinsame Vorgehen und empfahl dem Prinzen, ein Stück Leder in den Mund zu nehmen, damit er etwas zum Draufbeißen hätte. Selas reichte dem Jungen das Leder und stellte sich am oberen Ende des Bettes auf, um den Jungen bei den Schultern zu halten. Die anderen beiden gingen an das untere Ende. Selas sah sofort, dass Vater und Sohn ein gut eingespieltes Team waren, die sich ohne viele Worte verstanden. Baldwin nickte Isedor zu und dieser zurück. Dann ging es los. Selas war sehr stolz auf seinen Zögling, weil er nur kurz zuckte und fest auf das Leder biss. Auch wenn er sich in seinem Griff versteifte, war Selas nicht sicher, ob er überhaupt gebraucht wurde. Die Schine war schnell montiert.


    „Das ist sehr gut gelaufen, mein Prinz. Ihr müsst diese Schiene etwa fünf Wochen tragen. Danach dürfte das Bein wieder richtig zusammen gewachsen sein. Sie behindert Euch, aber Ihr solltet nicht die Geduld zu früh verlieren.“


    Auch Dowegor und Beanita waren froh zu hören, dass die Schiene gut saß und man machte mit der Hilfe einer Krücke en Versuch, wie beweglich der Prinz war. Er ging leidlich, aber gut genug, um weiter über die Weiterreise zu reden.


    Baldwin wandte sich an den König: „Wenn ich einen Vorschlag machen darf?“ Als Dowegor nickte, fuhr er fort: „Wir haben ein Pferd und ein kleines Fuhrwerk. Prinz Isedor könnte sich auf die Ladefläche setzen und Jonathan könnte es für Euch bis Gondar steuern. Gondar ist groß genug, dass ihr dort eine bessere Kutsche bekommen könnt und wenn ihr morgen sehr früh aufbrecht, könnt ihr es bis morgen Abend erreichen.“ Der König war einverstanden und schickte zwei Ritter als schnelle Vorhut los, damit sie sich schon heute nach Gondar begeben konnten, um die morgige Ankunft der Reisegesellschaft vorzubereiten.


    „Sire, ich hätte noch ein Geschenk für Euch. Ich fühle mich sehr geehrt, dass Ihr meine bescheidene Hilfe angenommen habt und hier unter so einfachen Verhältnissen wohnt. Ich bin Waffenschmied und deswegen habe ich mir erlaubt, Euch einen kleinen Dolch zu schmieden.“ Baldwin übergab Dowegor den Dolch mit dem Heft voran. Der König nickte. „Ich habe zu danken“. Er zog den Dolch aus seiner Scheide und sah mit Begeisterung, welch hervorragende Arbeit er in seinen Händen hielt.


    Als am nächsten Tag der Tag dämmerte, begab sich die Reisegesellschaft wieder auf den Weg nach Tas. Zum Glück war der Großteil des Weges bereits überwunden. Der Wagen des Schmieds war ganz hinten untergebracht, damit er den Rest nicht aufhielt und man außerdem mögliche Gefahren frühzeitig erkannte. Auf der anderen Seite hatte Beanita darauf bestanden, dass Artemor dicht bei seinem Vater ritt, damit dem gesunden Kind nicht auch noch ein Unheil passierte.


    Dieses Arrangement gefiel beiden Prinzen: Artemor hatte das Gefühl, dass die ganze Angelegenheit zu seinem Vorteil ausgegangen war. Er sonnte sich im Huld der Untertanen am Wegesrand und empfand sich schon fast als König selbst. Besonders freute ihn der Gedanke, dass sein tumber Bruder wie ein Sack Getreide in einem Karren mitfuhr. Er hätte so eine Schmach nie auf sich genommen, aber Isedor war duckmäuserisch genug, um sich das gefallen zu lassen. Wenn diese Reise so weiter ging, dann würde sein Vater endlich verstehen, warum er und nicht Isedor der bessere König wäre.


    Isedor hingegen war ebenfalls nicht zu unzufrieden mit der Situation. Er wusste, dass er nur um Haaresbreite mit dem Leben davon gekommen war. Und wenn auch das Bein schmerzte, so war er durch die vielen Prügel seines Bruders schon an einiges gewohnt. Er hatte Vertrauen in den Schmied und seinen Sohn gefasst und so hatte er die Hoffnung, dass durch die fachmännische Schiene alles so verheilen würde, dass er wieder vollständig genesen würde.


    Neben dem Karren ritt Selas und erklärte dies und das. Als er merkte, dass neben Isedor auch Jonathan aufmerksam zuhörte, schwenkte er thematisch auf die Beschaffenheit verschiedener Böden um. Er erklärte, wie man in Minen verschiedene Erze abbauen könne und in welchen Regionen des Reiches welche Vorkommen bekannt seien. „Aber von der Verarbeitung der Erze kann Euch Jonathan sicher mehr erzählen als ich.“ Der Junge schaute erstaunt hoch, dann aber nickte er, als er sah, dass auch Isedor ihn gespannt anschaute.


    Daraufhin erzählte er aus dem Alltag eines Waffenschmiedes und dass besonders die Temperaturgeschichte ein gutes Schwert von einem schlechten schied. Man sah Jonathan die Begeisterung an, mit der er die Details erzählte und irgendwann fragte Selas, ob er gerne in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Dieser nickte heftig. „Mein Vater ist ein hervorragender Schmied und gibt nichts Erfüllenderes als die Erze in der richtigen Mischung zu etwas Edlerem zu machen. Die eigene Kunstfertigkeit entscheidet mit nur kleinen Änderungen über die endgültige Qualität. Das ist meine Welt.“


    Isedor war beeindruckt, wie klar Jonathan seine Berufung sah. Es war etwas anderes, Dinge zu tun, weil man dachte, dass man sie machen müsse oder weil man davon überzeugt ist, dass es das ist, wofür man bestimmt ist. War er dazu bestimmt, König zu werden?


    Bis zum Abend tauschten sich die Jungen zunehmend lebhafter miteinander aus. Jonathan war schon gestern beeindruckt, wie gut Isedor mit dem Schmerz umgegangen ist. Insbesondere im Kontrast zum arroganten Bruder war Isedor hart im Nehmen und außerdem zeigte er ein Tiefes Interesse an allem, was ihn umgab. Jonathan fühlte sich ernst genommen und war beeindruckt, was der Prinz alles wusste.


    Auf der anderen Seite war Isedor davon eingenommen, wie selbstsicher Jonathan seinen Platz in der Welt zu kennen schien. Das war wirklich etwas, über das er für sich intensiver nachdenken sollte. „Wenn ich König bin, werde ich bei Dir mein Schwert kaufen, Jonathan“, sagte der Prinz spontan.


    Dieser freute sich über dieses Angebot. „Sehr gerne, mein Prinz.“ „Nenn mich ruhig Isedor.“ Beiden Jungen grinsten und es war wie eine kleine Verschwörung. Sie bedauerten fast, als Gondar in Sicht kam und es klar wurde, dass die neuen Freunde sich bald wieder trennen müssen.


    Diesen Abend war wieder alles dem Rang angemessen vorbereitet und man hatte eine größere Kutsche besorgt. Die Reise konnte also wie geplant weitergeführt werden.