Veränderung?
Etwas mühsam war die hüpfende Fortbewegungsart, die Olana sich angewöhnt hatte, seit sie zu Halloween ein Kürbis geworden war. Besser drei - irgendwie zusammenhaltende - Kürbisse, mit einem Dauergrinsen obendrein.
Sie wusste nicht bewusst, wie es funktionierte, dass sie sich bewegte. Was sie nicht wirklich störte, denn im Grunde wusste sie ja auch nicht, wie sie sich, damals noch als Mensch genau bewegte. Auch wenn ihr natürlich Muskeln, Sehnen und Knochen ein Begriff waren. Etwas, das sie nun wohl nicht mehr hatte.
Schlimm war aber, dass sie nicht wusste, wie sie aß. Weder schloß sich ihr Mund zum Kauen, noch spürte sie, wie sie schluckte, wie etwas die Speiseröhre runter rutschte und ihr dann im Magen lag. Oder wie etwas, nun ja, verdaute. So etwas wie Hunger verspürte sie allerdings durchaus. Auch Sättigung, Erschöpfung, Schmerz, und leider auch Unzufriedenheit, Trauer, geistige Müdigkeit, Wut, Abscheu, Verzweiflung, eine tiefe Verstörtheit. Jedenfalls verschwand alles, was sie sich in ihre offene, grinsende Mundluke schob. Nicht dass sie sich etwas Anmerken ließ, doch war sie froh, dass sie oft allein sein konnte, im Umland oder in den Wäldern.
Die anderen störte es zwar nicht im geringsten, dass sie ein Kürbis war, es gab hier ja so unterschiedliche Wesen, doch Olana selbst störte es sehr. Wobei "störte" ein absolut falscher Ausdruck dafür war. Sie wünschte, sie wäre einfach gestorben, wirklich zu einem Gemüse ohne Bewusstsein geworden, als sie sich verwandelt hatte. Doch auch nach Halloween hatte sie weiter gelebt, ohne sich zurückzuverwandeln, mit den Gefühlen und Erinnerungen eines Menschen. Zudem war es ungerecht, einfach ungerecht, was ihr geschehen war. Sie hatte doch nur eine Zeitung nicht gelesen. Dieses verfluchte Zauberbuch... und blöde Schreibtante. Wobei Olana im Grunde wusste, dass diese nichts damit zu tun hatte, ausser durch ihre Frage. Eine Frage, im genau falschen Augenblick ein Schuldgefühl in Olana bewirkend, welches zusammen mit der Halloweenmagie diese höllische Strafe erst auslöste. Keiner konnte zu diesem Zeitpunkt auch nur ahnen, was geschehen würde.
Nun ja, so kam es jedenfalls, dass man eine hüpfenden Kürbisgestalt, bekleidet mit einer Weihnachtsmütze und einer umgebundenen Weihnachtsschürze im späten Januar noch - denn als Kürbis sah Olana einfach keinen Sinn mehr darin Kleidung zu tragen oder sich Gedanken darüber zu machen; mal davon abgesehen, dass, was immer sie vorher getragen hatte, ihr nun nicht mehr passte - ins Gebirge eilen sehen konnte, denn sie wollte Rosen schneiden.
Plötzlich hielt Olana inne, neigte den Kopf lauschend und änderte die Richtung. Rasch wurde es lauter, ein Brüllen, Zischen, Fauchen, ein knackendes Krachen, doch dazwischen ein tiefes, zufrieden wirkendes Lachen und Rauschen. Sie wusste nicht was sie davon halten sollte und näherte sich sowohl neugierig, als auch vorsichtig.
Das erste was sie sah, war ein Drache in der Ferne, der ab und an aufstieg und übermütige Kapriolen und Saltos schlug. Ah, das musste Louhi sein. Dieser war noch nicht lange in Simkea, doch seine imposante Gestalt war ihr auf dem Markt schon aufgefallen, und sie hatten auch schon ein paar Worte miteinander gewechselt.
Als sie einige Minuten später um einen Felsvorsprung herum kam, traf sie die Hitze eines scheunentorgroßen Felsstücks wie ein Schlag und sie wich verängstigt und verwirrt zurück. Dann sah sie, wie Louhi Feuer spuckte. Und nach einigen Sekunden fing die Felsoberfläche an zu glühen. Das weithin hörbare, krachende Knacken kam eindeutig vom Felsen, wie sie nun erkannte. Dieser dehnte sich unter der Hitze und versuchte das umliegende Gestein beiseite zu schieben.
Sie rief Louhi etwas zu, doch der Drache hörte sie nicht. So beobachtete Olana nur, fasziniert von dem Geschehen und kam schließlich zu der Erkenntnis, einen Louhi zu sehen, der wohl Spaß daran hatte, sich anzustrengen und soviel Feuer zu spucken, dass es den Stein gänzlich zum Glühen brächte oder gar zum Schmelzen. Doch so ganz reichte seine Puste wohl nicht dafür. Trotzdem war sie von dem Schauspiel fasziniert, vor allem von den Flammen, der Wildheit und Wucht, aber auch Leichtigkeit, mit welcher diese auf der Felswand tanzten, diese dabei, hm, malträtierten, zu bezwingen suchten. Und auch von der unglaublichen Lebensfreude, die Louhi ausstrahlte, als er mit dem Stein und sich selbst rang, besser zu werden, und immer heißeres Feuer zu spucken.
Bittere Tränen flossen ihr - wo auch immer die herkommen mochten - aus den leeren Augenhöhlen. Eine Freude, wie ihr schien, die sie nie gekannt hatte. Neid, Wut, Verletztheit, Bitterkeit waren nur zu gut spürbar und ein zynisches "gegriller Kürbis, das wärs doch", kam ihr halblaut über die - nicht vorhandenen - Lippen.
`Ja, das wärs wirklich', dachte sie. Irgendetwas in ihr machte Klick. Verbitterung, ein graues Gespinst von Selbstmitleid, sowie erstickend-klebrigem Ekel vor dem Leben gewannen die Oberhand. So trieb es Olana voran, mit blinden Augen, als Louhi Anstalten machte, den nächsten Feuerstoß loszuschicken.
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