[RP] Veränderung? (Geschichtswettbewerb)

  • Veränderung?


    Etwas mühsam war die hüpfende Fortbewegungsart, die Olana sich angewöhnt hatte, seit sie zu Halloween ein Kürbis geworden war. Besser drei - irgendwie zusammenhaltende - Kürbisse, mit einem Dauergrinsen obendrein.


    Sie wusste nicht bewusst, wie es funktionierte, dass sie sich bewegte. Was sie nicht wirklich störte, denn im Grunde wusste sie ja auch nicht, wie sie sich, damals noch als Mensch genau bewegte. Auch wenn ihr natürlich Muskeln, Sehnen und Knochen ein Begriff waren. Etwas, das sie nun wohl nicht mehr hatte.


    Schlimm war aber, dass sie nicht wusste, wie sie aß. Weder schloß sich ihr Mund zum Kauen, noch spürte sie, wie sie schluckte, wie etwas die Speiseröhre runter rutschte und ihr dann im Magen lag. Oder wie etwas, nun ja, verdaute. So etwas wie Hunger verspürte sie allerdings durchaus. Auch Sättigung, Erschöpfung, Schmerz, und leider auch Unzufriedenheit, Trauer, geistige Müdigkeit, Wut, Abscheu, Verzweiflung, eine tiefe Verstörtheit. Jedenfalls verschwand alles, was sie sich in ihre offene, grinsende Mundluke schob. Nicht dass sie sich etwas Anmerken ließ, doch war sie froh, dass sie oft allein sein konnte, im Umland oder in den Wäldern.


    Die anderen störte es zwar nicht im geringsten, dass sie ein Kürbis war, es gab hier ja so unterschiedliche Wesen, doch Olana selbst störte es sehr. Wobei "störte" ein absolut falscher Ausdruck dafür war. Sie wünschte, sie wäre einfach gestorben, wirklich zu einem Gemüse ohne Bewusstsein geworden, als sie sich verwandelt hatte. Doch auch nach Halloween hatte sie weiter gelebt, ohne sich zurückzuverwandeln, mit den Gefühlen und Erinnerungen eines Menschen. Zudem war es ungerecht, einfach ungerecht, was ihr geschehen war. Sie hatte doch nur eine Zeitung nicht gelesen. Dieses verfluchte Zauberbuch... und blöde Schreibtante. Wobei Olana im Grunde wusste, dass diese nichts damit zu tun hatte, ausser durch ihre Frage. Eine Frage, im genau falschen Augenblick ein Schuldgefühl in Olana bewirkend, welches zusammen mit der Halloweenmagie diese höllische Strafe erst auslöste. Keiner konnte zu diesem Zeitpunkt auch nur ahnen, was geschehen würde.


    Nun ja, so kam es jedenfalls, dass man eine hüpfenden Kürbisgestalt, bekleidet mit einer Weihnachtsmütze und einer umgebundenen Weihnachtsschürze im späten Januar noch - denn als Kürbis sah Olana einfach keinen Sinn mehr darin Kleidung zu tragen oder sich Gedanken darüber zu machen; mal davon abgesehen, dass, was immer sie vorher getragen hatte, ihr nun nicht mehr passte - ins Gebirge eilen sehen konnte, denn sie wollte Rosen schneiden.


    Plötzlich hielt Olana inne, neigte den Kopf lauschend und änderte die Richtung. Rasch wurde es lauter, ein Brüllen, Zischen, Fauchen, ein knackendes Krachen, doch dazwischen ein tiefes, zufrieden wirkendes Lachen und Rauschen. Sie wusste nicht was sie davon halten sollte und näherte sich sowohl neugierig, als auch vorsichtig.


    Das erste was sie sah, war ein Drache in der Ferne, der ab und an aufstieg und übermütige Kapriolen und Saltos schlug. Ah, das musste Louhi sein. Dieser war noch nicht lange in Simkea, doch seine imposante Gestalt war ihr auf dem Markt schon aufgefallen, und sie hatten auch schon ein paar Worte miteinander gewechselt.


    Als sie einige Minuten später um einen Felsvorsprung herum kam, traf sie die Hitze eines scheunentorgroßen Felsstücks wie ein Schlag und sie wich verängstigt und verwirrt zurück. Dann sah sie, wie Louhi Feuer spuckte. Und nach einigen Sekunden fing die Felsoberfläche an zu glühen. Das weithin hörbare, krachende Knacken kam eindeutig vom Felsen, wie sie nun erkannte. Dieser dehnte sich unter der Hitze und versuchte das umliegende Gestein beiseite zu schieben.


    Sie rief Louhi etwas zu, doch der Drache hörte sie nicht. So beobachtete Olana nur, fasziniert von dem Geschehen und kam schließlich zu der Erkenntnis, einen Louhi zu sehen, der wohl Spaß daran hatte, sich anzustrengen und soviel Feuer zu spucken, dass es den Stein gänzlich zum Glühen brächte oder gar zum Schmelzen. Doch so ganz reichte seine Puste wohl nicht dafür. Trotzdem war sie von dem Schauspiel fasziniert, vor allem von den Flammen, der Wildheit und Wucht, aber auch Leichtigkeit, mit welcher diese auf der Felswand tanzten, diese dabei, hm, malträtierten, zu bezwingen suchten. Und auch von der unglaublichen Lebensfreude, die Louhi ausstrahlte, als er mit dem Stein und sich selbst rang, besser zu werden, und immer heißeres Feuer zu spucken.


    Bittere Tränen flossen ihr - wo auch immer die herkommen mochten - aus den leeren Augenhöhlen. Eine Freude, wie ihr schien, die sie nie gekannt hatte. Neid, Wut, Verletztheit, Bitterkeit waren nur zu gut spürbar und ein zynisches "gegriller Kürbis, das wärs doch", kam ihr halblaut über die - nicht vorhandenen - Lippen.


    `Ja, das wärs wirklich', dachte sie. Irgendetwas in ihr machte Klick. Verbitterung, ein graues Gespinst von Selbstmitleid, sowie erstickend-klebrigem Ekel vor dem Leben gewannen die Oberhand. So trieb es Olana voran, mit blinden Augen, als Louhi Anstalten machte, den nächsten Feuerstoß loszuschicken.


    ** ** **

  • Louhi hustete vornüber gebeugt und rang nach Luft. Er hatte sich an seinem eigenen Feuerstrahl verschluckt. Und Drache hin und Drache her, Feuer weit in seinem Inneren schmeckte auch einem Drachen nicht, wenn er sich damit wohl auch keine Brandblasen im Magen holen würde.


    `Was zum Henker war das', dachte er, als er, noch immer hustend, den Blick hob und den Boden vor sich absuchte. Er schluckte, als er tatsächlich eine verkohlte ziemlich formloses Etwas sah. Wobei, rollende, springende Kürbisse, wo immer die herkamen... Kürbisse?


    Langsam dämmerte es ihm. Vor seinem inneren Auge sah er noch einmal, erkennend nun, was in sein Blickfeld und Feuer gesprungen war. Kürbisse, rot weiss, ... Mütze.... Olana. Diesen Kürbissen war er schon begegnet.


    Fassungslos starrte er die Überreste an. "Nein," brüllte er, als sich seine Erstarrung endlich löste. "Nein!


    Nein. Er wollte das doch nicht. Er konnte doch nichts dafür. Er war schon einmal verbannt worden. Sollte er nun wieder verjagt werden, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen. Diesmal weil er Böse war, tötete. Er hatte es doch gar nicht gewollt. Aber vielleicht lebte sie noch? Gellend, voller Entsetzten schreiend, sprang er in die Luft, flog los und brüllte weithin, "Hilfe, Hilfe einen Heiler! Ich brauch einen Heiler." Sein Flug führte durch die Berge ins Umland nach Trent.


    ** ** **


    Ob sein Brüllen bis nach Trent reichte war fraglich, doch ins nähere Umland grollte seine Stimme allemal.


    Mauswiesel, der gerade Äpfel auf seine Art pflückte, hörte das donnernde Gebrüll. Neugierig unterbrach er seine Arbeit, schaute in die Richtung, aus der es kommen musste, und suchte zu verstehen, was denn da gebrüllt wurde. Den Drachen sah er bereits, bevor er noch das Wort Heiler verstand, nach dem gerufen wurde. Mauswiesel war Heiler, und instinktiv, obwohl er die Heilkunde kaum noch ausübte, erwiderte er den Ruf. "Hier bin ich!"


    Natürlich hörte das weder der Drache noch sonst wer, ausser vielleicht ein paar Grillen in der Nähe. Aber wenn wer so dringend nach einem Heiler rief und sogar in seine Richtung flog, dann musste ein Wiesel doch einfach helfen. Aufgeregt versuchte er sich sichtbar zu machen, indem er auf den höchsten Astspitzen balancierte und aufgerichtet mit den Pfötchen winkte. Doch der Drache war viel zu aufgeregt, zu schnell und zu sehr auf Trent fixiert, um das Wieselchen zu bemerken.


    Doch flog er sehr niedrig, nicht weit über den Baumwipfel und tatsächlich steuerte er geradewegs auf Wieselchens Baum zu. Zumindest hatte es den Anschein und Mauswiesel erkannte eine Chance. Rasch flog aus seinem Rucksack, was ihm entbehrlich schien, und sicherlich für keine Heilung der Welt gebraucht werden würde. Denn er wollte leicht sein, wenn er sprang. Und dass er sprang, war ihm ganz selbstverständlich, denn er war ein mutiges und sehr kämpferisches Mauswiesel, ausserdem ein sehr neugieriges.


    Mauswiesel sprang, ganz kurz bevor der Drache seinen Baum erreicht, vom wippenden Ast ab, denn er wollte die Spannkraft des Astes für seinen Sprung nutzen, schaffte es, wie von ihm gehofft, etwas höher zu springen, als der Drache flog und landete beim Runterfallen auf Louhis Leib, wo er sich sofort festkrallte. Geschafft, geschafft, jubelte das Wieselchen innerlich.


    Als er sich seines Gleichgewichts wieder sicher war, drehte er und rannte den Hals hoch zum Ohr des Drachens, um endlich Gehör zu finden und Louhis Brüllen, nach einem Heiler, zu übertönen. Doch wiederum reagierte dieser nicht wie gewünscht, wenn er wohl auch unterschwellig etwas registriert hatte, denn er schüttelte heftig den Kopf, so als ob er etwas lästiges abschütteln wollte. Erschrocken, oder vielleicht auch mehr zornig als erschrocken, verbiss sich Mauswiesel in die Schuppen, die das Gehör schützten, um nicht den Halt zu verlieren. Soweit käme es noch, sich von einem Drachen abschütteln zu lassen. Gut, erlegen konnte er keinen Drachen, wobei... da könnte man mal drüber nachdenken, ob das wirklich nicht ginge, aber abschütteln, nie. Ein Mauswiesel lässt sich nicht abschütteln!


    So hart und dicht und fest Louhis Schuppenkleid an den meisten Stellen war, am Ohr war es das nicht, sondern sogar sehr empfindlich. Denn es mussten ja Töne hindurch gelangen. Und er spürte Mauswiesel Biss schmerzhaft, so dass er seine Aufmerksamkeit dorthin lenkte. Aus den Augenwinkeln konnte er gerade noch etwas braunes sehen, da musste was sein. Verwirrt flog er langsamer, sogar das Schütteln lies nach. Mauswiesel, dessen Krallen endlich wieder richtigen Halt fanden, nutzte die Gelegenheit, öffnete sein Schnäuzchen und brüllte, so laut er konnte, dem Drachen ins Ohr, "Ich bin Heiler. Halt endlich an Du du... Drache!" Das "mmer" konnte er glücklicherweise gerade noch verschlucken. Immerhin war er ein höfliches Mauswiesel und nannte die Leute nicht dumm, auch wenn er verärgert war - oder recht hatte. "Halt endlich an, und sag, was dir fehlt, Drache."


    Anhalten tat Louhi nicht, sondern er flog eine Kehrtwendung, nicht wissend, wer dort auf seinem Kopf saß."Wirklich, wirklich du bist Heiler?"


    "Olana, sie... sie ist ins Feuer gesprungen. Ein schrecklicher Unfall." Dass es etwas anderes sein konnte als ein Unfall, konnte Louhi sich einfach nicht vorstellen. "Bitte, bitte, du musst helfen. Sie ist ganz verbrannt." Unruhig vernahm Mauswiesel die Nachricht. Man hatte doch schon öfter miteinander zu tun gehabt und sich recht gut verstanden. Ob es wirklich so schlimm war, wie der Drache sagte?


    ** ** **

  • Es war schlimm. Schlimmer noch. Es roch verbrannt. Und es roch sehr lecker nach Kürbis. Was Mauswiesel nicht roch, war Leichengeruch. Dafür konnte es aber noch zu früh sein. Oder zu gar. Oder Olana war nicht tot. Falls die Überreste denn tatsächlich Olana waren. Ob ihr Herz noch schlug. Mauswiesel war plötzlich mit der Frage konfrontiert, ob ein Kürbiswesen ein Herz hatte - herzlich konnte Olana ja durchaus sein. Aber das gehörte nicht hierher, rief sich Mauswiesel zur Ordnung. Hören tat er jedenfalls nichts, als er lauschte. Nun, Mauswiesel war ein geradliniges praktisches Wiesel. Und so würde er einfach tun, was sich anbot: Die oberflächlichen Wunden versorgen, vorsichtig nachsehen, wie tief die verkohlte Schicht war und was darunter war. Und ihr einen schmerzlindernden Kräutertee verabreichen.... Äh, wo war der Mund?


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    Oshun hatte auch das Gebrüll gehört, und war, weil sie wissen wollte, was los ist, Richtung Trent aufgebrochen, als sie erkannte, dass ein Drache darauf zusteuerte - sie war natürlich weit langsamer als dieser flog, obwohl sie für eine Zweibeinige recht schnell war. Als der Drache eine Kehrtwendung machte, änderte auch Oshun die Richtung, fürs erste darauf zusteuernd, wo sie ihn das erste Mal erblickt hatte, als sie nach dem Gebrüll Ausschau hielt. Und sie behielt ihn solange im Blickfeld, wie es irgend ging.


    Die dunkelhäutige Frau hatte ein gutes Gespür für das Gelände, schließlich war sie sehr viel ausserhalb Trents unterwegs. So kam es, dass sie recht zielsicher auf den Landeplatz Louhis zuhielt und kaum eine halbe Stunde später das erste, noch immer ausgesprochen aufgeregte Gerede des Drachens vernahm. Denn dieser konnte einfach nicht aufhören zu erzählen, was geschehen war.


    Mauswiesel beachtete ihn inzwischen gar nicht mehr, sondern hatte mit seinen Pfötchen und Louhis Hilfe beim Wenden Olanas, alles entfernt was restlos verkohlt war und praktisch abfiel. Begleitet war die Prozedur von einem Knistern, das Mauswiesel nicht einordnen konnte. Rieben Reste von Kürbisschalen aneinander, war es zerbröselnde Kohle oder gar ein Stöhnen? Inzwischen setzte er Maden auf, die das verbrannte Fleisch abnagen sollten. Er hoffte inständig, dass diese das noch harte, unverbrannte Kürbisfleisch dabei in Ruhe ließen. In normalen Fleischwunden und Brandwunden war es zumindest so, dass sie das rohe gesunde Gewebe in Ruhe ließen. Hoffentlich auch hier. Immerhin, es gab noch unverbranntes, recht hartes Kürbisfleisch.


    Soweit war man also, als Oshun eintraf. "Hallo", grüßte diese. "Was ist denn los?" Da sie das, was dort lag, in keinster Weise einem Lebewesen zuordnen konnte, war die Frage alles andere als unbegründet, doch Louhi redete natürlich aufgeregt weiter, bis Mauswiesel ihm das Wort abschnitt. "Oshun, du bist doch gut im Sammeln. Ich brauch Kräuter, und vor allem mehr Maden." Oshun, die inzwischen immerhin aus Louhis unablässlichen Redestrom entnommen hatte, dass das Olana war, gab nur ein heiseres "Ja" von sich. Mauswiesel erklärte ihr, was er brauchte und was davon möglichst sofort.


    Sie hatte auch recht schnell zusammen, was das Wiesel ihr aufgetragen hatte und für die Erstversorgung noch brauchte. Als sie Olana schmerzlindernden Tee einflößten - und dieser auch irgendwie verschwand - nahmen es alle als gutes Omen und es war endlich soweit die Verletzte nach Trent zu bringen.


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    Es sorgte doch für einiges Aufsehen unter den Bürgern Trents, als ein riesiger Drache, mit einem großen Etwas in seinen Klauen, über Trent flog. Und man diskutierte auf den Straßen, was es wohl sein konnte. Ein Zelt, als Tragetasche für Lasten umfunktioniert, schien die favorisierte Vermutung zu sein. Und das, obwohl Louhi im Wohnviertel landete, nicht im Lager und nicht am Markt. Auf Trents schnellsten Krankentransport jedenfalls kam wohl keiner.


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  • Louhi war bei Jims Haus gelandet. Denn Olana hatte, wie so viele andere auch, keine eigenes Obdach und nützte öfter Jims Schlafsaal. Louhi, inzwischen in einen Menschen verwandelt, denn als Drache würde er kaum in ein Haus passen, eilte ins dortige Herbergszimmer, um, mit der Hilfe der dortigen, teils noch verschlafenen Gäste, Olana möglichst behutsam mit der Trage hinein zubringen und umzubetten.


    Denn ein Drache konnte zwar spielend eine große Trage aus dicken Ästen, Seilen und Schlafrollen gebastelt, bewegen, ein Mensch allein aber kaum, und behutsam schon gar nicht. Aber, wie bereits gesagt, ein Drache passte nicht ins Haus.


    Das war natürlich eine Aufregung, als sich rumsprach, was los war und jeder wollte sehen und auch helfen - und Mauswiesel musste recht fauchen, damit die Schlafgäste, und nun Schaulustigen, nicht zu sehr behinderten: "Um Mondgöttins Willen, seid doch ruhig, und haltet Abstand... und holt mir heißes Wasser!" Zwei von ihnen eilten in die Küche, wenn auch mit dem Gefühl etwas zu verpassen, um Wasser zu erhitzen, ein anderer eilte zum Rathaus, um Almuth zu informieren, und auch Jim, falls man diesen antraf. Almuth jedenfalls war rasch zu finden, stand sie doch getreulich bereit, die Lose einzulösen. Der Bote erklärte atemlos sprunghaft, der so erstmal verwirrten Almuth, die Situation und bat sie, ob es möglich sei, einen Teil des Herbergszimmers als Krankenstube....


    Almuth eilte daraufhin - soviele Stunden sie sonst auch gewissenhaft ihrer Aufgabe am Rathaus nachging - sofort heim, um mit Wieselchen zu sprechen. Der war froh über Almuths praktischen Verstand und ihre Gastfreundschaft, und man ließ Olana, samt Bett, nach hinten in die Wohnstube bringen, damit sie dort ihre Ruhe hätte. Auch vor Jim. Almuth ließ ihm eine Nachricht zukommen, dass er doch bitte die gute Stube im Erdgeschoss meiden solle, da dort eine Schwerverletzte untergebracht war und diese nun eine Krankenstube sei.


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    Einige Stunden später kam Oshun schließlich, die zurück geblieben war, um noch fehlende Kräuter zu suchen, bei Jims Haus an und brachte alles was Mauswiesel gewünscht hatte an Kräutern; aber auch anderes, wie Heiltränke, Maden, Salben, Verbände und so einiges mehr. Almuth führte sie leise in die gute Stube, wo Olanas Bett am Fenster zum Garten stand, damit diese etwas entspannendes sehen konnte, wenn sie denn aufwachen würde und es ihr gut genug ginge. Mauswiesel war eingeschlafen. Er hatte getan was er nur konnte und Almuth hatte darauf geachtet, dass er etwas zu sich nahm und sich selbst über der Behandlung nicht vergaß. So gönnte er sich etwas Ruhe, die nun aber, da die beiden Frauen den Raum betraten, zu Ende war.


    Noch halb verschlafen überprüfte er das Gebrachte und fing an Teemischungen zusammenzustellen, und fragte dabei, ob Louhi immer noch draussen war? Oshun nickte. Sie hatte ihn beim Reingehen im Gang sitzen sehen, recht bedrückt. Mauswiesel seufzte: "Ein weiterer Patient." Und machte noch eine Teemischung zusätzlich. Mauswiesel drückte den Stoffbeutel mit der Mischung Oshun in die Hand. "Hier, gib das Louhi. Sag ihm, es müsste einem Menschen helfen zu Ruhe zu kommen und zu schlafen. Ein Esslöffel, auf eine Tasse heißes Wasser, 10 Minuten ziehen lassen. Wie's auf seine Drachengestalt wirkt, keine Ahnung. Vermutlich gar nicht, viel zu schwach dafür." Ein Anflug von Humor ließ ihn zwinkernd hinzufügen, "aber er kanns ja mal nen Tag ziehen lassen."


    Mit einem Blick auf Olana wurde nun wieder ernst hinzugefügt, "ich wünschte, ich wüsste wie's bei einen Kürbis wirkt.... Hier brauchts wohl eher ein Wunder, denn einen Heiler."


    "Vielleicht, ich hab ja keine Ahnung davon, ob ein Zauberkundiger... ?" Fragend sah er die Dunkelhäutige an. Sie nickte, ja sie würde Al fragen.


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    Louhi verließ Trent als Mensch, und lief auch als Mensch zu dem dichten Blumenfeld, in der Hoffnung, dass an den Blumen zu schnuppern ihm gut tun würde. Ein Drache, obwohl er sich besser in dieser Gestalt fühlte, wollte er gerade jetzt nicht sein. Denn als Mensch konnte er kein Feuer spucken, und wollte es auch nicht. Es war ihm gerade lieber so. Und auch wenn Oshun ihm sagte, er habe bestimmt keine Schuld an dem Geschehen, es ging ihm nicht gut damit.


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  • Inzwischen war Oshun zu Al gegangen und erzählte ihm bedrückt die ganze Geschichte. Auch, dass sie aufgrund der Örtlichkeit, und Louhis Redeschwall, dass er schon die ganze Zeit Feuer gespuckt hatte, sich einfach nicht vorstellen konnte, dass Olana versehentlich in den Feuerstrahl geraten war.


    Al verspürte als erstes Abscheu, dass man einem anderen so etwas antun konnte. Er hatte mit Louhi wirklich mehr Mitgefühl, als mit Olana. Was hätte sie nur für einen Grund haben können so zu handeln. Und sollte man jemanden helfen, der sterben wollte, am Leben zu bleiben? Wobei er keine Ahnung hatte, wofür er denn gebraucht würde. Schließlich war er kein Heiler. Aber vielleicht stimmte Oshuns Vermutung ja auch nicht.


    Und wenn doch, sie hatte ihn gebeten mal nachzusehen, ob er helfen könnte. Sie selbst hatte bereits getan was sie konnte und sie war voll Sorge um Olana. So war im Grunde die Entscheidung für ihn bereits gefallen und er ging zu Jims Haus mit, sich die Flambierte wenigstens anzuschauen.


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    Mauswiesel hatte das Laken zurück geschlagen. Es roch ein wenig verbrannt, doch vor allem roch es köstlich nach gebratenem Kürbis. Es war, nun ja, noch einiges an Kürbis da, und darauf bewegten sich Maden, recht fett gefressen, wie es Al schien. Das sollte Olana sein? An die junge Frau von einst erinnerte nichts mehr, und an die Kürbisgestalt zuletzt, auch nicht wirklich.


    Nach einem längeren Gespräch mit Mauswiesel hatte Al zumindest eine Ahnung, was er versuchen konnte.


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    Am nächsten Tag kam er wieder und brachte ein Zauberrune mit. Al hatte diese mit all seinem Können bearbeitet und sich dabei vorgestellt, wie Olana ihre Gestalt zurück erhielt, wie ein Mantra oder Gebet. Fürs Heilen war Mauswiesel zuständig. Doch Olanas Gestaltänderung war magisch gewesen. So würde wahrscheinlich auch nur Magie - wenn überhaupt etwas, ausser einem Wunder - ihr ihre Gestalt zurück geben - oder irgendeine Gestalt. Eine Gestalt, mit der sie vielleicht leben konnte, wenn sie denn überlebte.


    Er legte ihr die Rune.... aufs Herz. Zumindest stellte er sich dies vor. Auf den "Auflauf", ein bissserl oberhalb der Mitte halt.


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  • Schmerz! Schmerz, und sie konnte nicht einmal schreien. Etwas in Olana wollte sich orientieren. Doch es war nichts da, um sich zu orientieren, ausser Schmerz, der alles durchdrang, ja alles verdrängte, zu allem wurde, letztlich war Agonie ihr Sein.


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    Mauswiesel grüßte Al. Er kam den fünften Tag nun. Und jeden Tag brachte er eine Rune mit, die Olana ihre Gestalt zurück geben sollte. Als sie ihr das erstemal eine Rune auflegten, warteten sie lange, sehr lange, bis sie endlich sicher waren eine Veränderung festzustellen. Es hatten sich leichte Auswüchse gebildet, fünf an der Zahl. Mit etwas Optimismus konnte man auf Beine, Arme und einen Hals, Kopf hoffen.


    Und der Optimismus war berechtigt gewesen. Jeden Tag bewirkte die neu mitgebrachte Rune etwas. Es dauerte ein paar Stunden, bis die Entwicklung zu Ende war und sie geschah nur sehr langsam, und doch ging es mit jeder weiteren Rune schneller, und die Veränderung wurde immer ausgeprägter.


    Inzwischen konnte man wirklich ahnen, dass da so etwas wie ein Mensch entstand. Und Mauswiesels Heilmethoden halfen dabei, dieser Gestalt eine Haut zurück zu geben.


    Er meinte inzwischen sogar so etwas wie Herzschlag zu hören, wenn auch unglaublich langsam, selbst für einen Zweibeiner.


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    Einige Stunden später, Al war schon gegangen, zuckte Mauswiesel erschrocken zusammen. Ein knarzendes Geräusch war da plötzlich gewesen. Dann war wieder Ruhe. Er meinte es sei von Olana gekommen. Sicher war er sich aber nicht.


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    Dunkelheit und Schmerz. Dunkelheit, das war doch schon etwas. Ein bewusstes Wissen. Vielleicht gar ein bewusster Gedanke. Da war Dunkelheit und da war Schmerz. Weniger Schmerz als zuvor. Die Dunkelheit bot bereits eine Orientierung, das Wissen um Licht gehörte dazu. Auch das Wissen von einem Raum ausserhalb, wenn auch Olana weit davon entfernt war, zu wissen, dass sie war, so suchte der Schmerz und ihr Sein doch eine Möglichkeit, sich auszudrücken und mitzuteilen.


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  • Es gab wenige Besucher. Doch Almuth ließ niemanden herein, der nicht helfen konnte. Olana sollte ihre Ruhe haben. Und Mauswiesel auch. Manchmal jagte sie diesen geradezu aus dem Krankenzimmer, damit er sich ein wenig Erholung und Abwechslung gönnte. Was aber immer nur kurz gelang.


    Doch Mauswiesel war Almuth durchaus dankbar dafür. Sie war ihm überhaupt eine große Stütze bei Olanas Pflege. Und er war froh über Almuths und Jims Gastfreundschaft.


    So mochte er auch nicht glauben, was er in einer seiner kurzen Pausen und Ausflügen aus dem Haus zu hören bekommen hatte, nämlich, dass Jim Almuths Krankenstubenverbot dafür nützte, bei anderen Frauen zu fragen, ob er bei ihnen nächtigen dürfe. Und im übrigen waren die wirklichen Privaträume ja auch im ersten Stock. Nun, Gerüchte gabs über Jim schon immer.


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    Der achte Tag. Die achte Rune.


    Olana ritt auf einem Wildpferd. Es war ein wahnsinnig schneller Ritt. Wie Schemen flogen Bäume, Getier, Sträucher an ihnen vorbei. Sie sucht zu erkennen, was es alles war. Doch sie ritt durch die Nacht... oder war es doch eine Höhle? Denn dort vorne, da waren Geräusche... Licht...


    "Wo bin ich?" Dachte sie es? Knarzte sie es? Sagte sie es? Konnte man es verstehen?


    Jedenfalls starrte die drei, die sich im Raum befanden, nun gespannt zu Olana, hielten vielleicht sogar den Atem an.


    Wenig später schlug Olana blinzelnd ihre Augen auf und versuchte zu verstehen was sie sah. Schließlich kam sie zu der Erkenntnis, es waren Gesichter.


    Sie schlief wieder ein.


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  • Nachdenklich sah Olana aus dem Fenster. Ihre Heilung machte rasche Fortschritte, und auch wenn sie in vielem Freude empfand... - Nein! In Wahrheit dachte sie, sie müsste Freude empfinden. Doch war sie jedenfalls sehr dankbar dafür, dass sie wieder Lippen hatte, die etwas spürten. Es Hände gab, Beine gab, sie schlucken konnte und vieles mehr. Dennoch sie war traurig.


    Noch nicht einmal darüber, dass die Verwandlung nicht weiter ging. Al hatte viel geschafft. Doch ab einem bestimmten Punkt war Schluss. Die Runen wirkten einfach nicht mehr, gleich wieviel Mühe und Wissen er einsetzte. An Olana haftete noch immer die Halloweenmagie, und diese ließ anscheinend nicht mehr Veränderung zu.


    Auch spürte Olana, dass etwas zwischen ihnen stand, und Al, wie ihr schien, von ihrem Dank nichts wissen wollte. Es reiche, wenn sie sein Geschenk nutzte und nicht wegschmiss, beschied er ihr.


    Wie weit ihr Geschenk, die Veränderung und Heilung, gegangen ist, wusste Olana selbst nicht genau. Mauswiesel achtete peinlich genau darauf, dass sie nichts sah, wenn er ihre Haut mit Heilsalben einrieb und ihr frische Bandagen anlegte. Die Haut sei noch zu schlimm anzusehen, sie solle sich gedulden beschied er ihr. Immerhin fühlte Olana, dass sie ziemlich menschlich war. Nun ja, menschlich fühlte sie auch als Kürbis, aber die Körperfunktionen stimmten diesmal dabei, wenn diese auch oft noch schmerzhaft waren.


    Mauswiesel setzte sich immer noch unermüdlich für sie ein. Er tat einfach was ihm notwendig erschien.


    Sie schuldete vielen zuviel. Mauswiesel, Al und Oshun. Almuth und Jim, ihren Gastgebern...


    Louhi.


    Olana hatte ihm gegenüber inzwischen zugegeben, dass sie absichtlich gesprungen war und dass es ihr leid tat, was sie ihm damit angetan hatte. Sie versuchte es zu erklären, in der Hoffnung, seine Schuldgefühle zu mindern. Doch ob das gelang, oder es das Ganze irgendwie sogar schlimmer machte, sie wusste es nicht.


    Am wohlsten fühlte sie sich, wenn sie jemand besuchte, dem sie nichts schuldete, wie Bella. Doch auch deren Sorge war manchmal zu merken. Auch wenn mit ihr belangloses Reden und sogar Scherzen möglich war. So kam es, dass Bella vielleicht am meisten von Olana erfuhr. Auch, wie sehr sie ihr langes braunes Haar vermisste.


    Obwohl es nur beiläufig erwähnt worden war, blieb es in Bellas Gedächtnis, und sie beschloss Olana eine Perücke zu besorgen aus wunderbar braunen langem Echthaar. Und ihr so hoffentlich auch etwas Lebensfreude zurück zu geben. Wie sie das schaffte, ist allerdings eine ganz andere und eigene Geschichte. Doch mag hier noch erwähnt sein, dass Olana diese Geschenk liebte, obwohl es ihr nicht möglich sein würde, diese zu tragen.


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  • Al und Oshun saßen zusammen und genossen etwas Malzbier. Er erzählte ihr von seinem Stolz und seiner Freude darüber, ein Wunder geschaffen zu haben und Olana so eine Gestalt gegeben zu haben. Auch von seinem Zwiespalt, ihr überhaupt zu helfen. Und dass es ihm, obwohl es ihn wurmte, letztlich die Magie, die Olanas Verwandlung verursacht hatte, nicht ganz bezwingen zu können, er auch froh darüber war.


    Sie hatte eine ständige Erinnerung an ihr Tun verdient, schloss er. Manches tat man einfach nicht. Und sie ist ja eh gut davon gekommen.


    Oshun hörte nachdenklich zu und schwieg. Sie sorgte sich eher, ob Olana es wieder tun könnte. Doch offen mit Olana darüber zu reden, das hatte sie bis jetzt noch nicht gekonnt.


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    Heute hatten Almuth und Mauswiesel für Olana ein Heilbad hergerichtet. Es ging ihr sogar so gut, dass sie es schaffte, nur leicht gestützt selber in den Baderaum hinüber zu gehen. Mauswiesel entfernte ihr Verbände, sie blickte wie ihr befohlen zur Decke, doch als alles entfernt war und sie ins Bad steigen sollte, drehte sie sich offenen Blicks zum Spiegel, den sie beim Eintreten gesehen hatte.


    Schweigend blickte sie hinein. Lange...


    Als sie ins Bad stieg, netzten Tränen - aus echten Augen - ihr Gesicht.


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