Krutz und der Windgeist

  • In meinem Tagebuchthread („Im Zwielicht“) habe ich einmal angedeutet, wie mein Char ein Goblinmädchen (die kleine "Krutz") bei sich aufnimmt, diesen Handlungsstrang aber nie zu Ende verfolgt. Nun, zwei Jahre später, habe ich Lust, diese Story zuende zu spinnen.


    Was bisher geschehen ist:
    Milizkorporal Isimud Urkhart aus Trent, Angehörige( r) einer hermaphroditen humanoiden Spezies, hat im Dämmerwald ein kleines Mädchen vor Goblins gerettet. Erst hinterher stellte sich heraus, dass es sich bei dem Opfer ebenfalls um einen Goblin handelte!
    Und nun hat Isimud nicht nur dieses Kind am Hals, sondern muss sich auch noch mit dem himmlischen Erbe seiner Art herumschlagen: einem Paar machtvoller grauer Schwingen, die ihm während des Kampfes gewachsen sind, sich aber mittlerweile wieder unter die Haut zurückgezogen haben, als hätten sie nie existiert.

    Trent. Zum Küchenmeister.
    Die Wiese hinter Isimuds Hütte.

    Nacheinander hängte Isimud sein Hemd, die zwei Stoffbahnen, die gestern noch sein Umhang gewesen waren, sowie die Socken, die sich seit Wochen im Wäschekorb herumgetrieben hatten, auf die Wäscheleine. Obwohl es stockfinster war, fanden die Hände des Anthronen mit traumwandlerischer Sicherheit Leine und Wäscheklammern. Denn viel mehr als in seiner Hütte, fühlte sich der Krieger im Garten dahinter zuhause. Hier kannte er jede Erdkrume.
    Wie spät es sein mochte, wusste Isimud nicht. Die Dunkelheit war sein Verbündeter, in deren Schutz er die frisch von Blutflecken befreiten Kleidungsstücke zum Trocknen in den Wind hängen konnte. Die ganze Heimlichkeit war natürlich ausgemachte Unsinn, denn oft genug hatten die Nachbarn Isimud zerkratzt, mit zerbeulter Rüstung und in blutigen Gewändern durchs Stadttor wanken sehen. Wer sich als Monsterjäger betat, kam nun einmal nicht um einige Blessuren herum. Die Nachbarn hätten daher ganz selbstverständlich angenommen, dass das Blut auf Isimuds Kleidung – sowohl das eigene als auch das der Gegner – von einem Kampf stammte. Was ja auch zur Hälfte zutraf. Niemand wäre auch nur auf die Idee verfallen, den Krieger zu fragen, ob sein Umhang möglicherweise nur deswegen zerrissen war, weil sich heuer ein Paar Flügel aus seinem Rücken gebohrt hatte. Und überhaupt! An Flügeln war nichts Verwerfliches, immerhin war ein stattlicher Anteil Simkeaner von Natur aus damit ausgestattet! Wieso also stand Isimud hier und verhielt sich so heimlichtuerisch, als müsse er gerade seine erste Werwolftransformation vertuschen?!
    Die Antwort lag in den Federn, die sich während des Kampfes aus dem Schwingenpaar gelöst hatten, und die nun in Isimuds Gürtel klemmten. Den grauen Federn. Noch nie zuvor hatte ein Anthron derartige Schwingen manifestiert! Anthronenflügel waren stets entweder schwarz oder weiß – wenn sie denn überhaupt zutage traten, denn in den meisten Angehörigen dieses Volkes war das Engelserbe tief verschüttet. Graue Flügel hätten Isimud unter den seinen zu einem Außenseiter gemacht, mehr noch als die schwarze Varietät, welche die dunkle Gesinnung ihres Trägers für alle sichtbar demonstrierte.
    Ein letzter Seufzer, ein letzter Blick auf die im Nachtwind hin und her schlagenden Wäschstücke, dann schritt Isimud über die Wiese in Richtung seiner Hütte aus. Oder zu dem, was in deren Inneren noch heil sein mochte, denn die Götter hatten den Bewohner ja mit gleich zwei Flüchen bedacht: seinen aus der Art schlagenden Schwingen und dem kleinen Kind.

  • Doch als Isimud den Wohnraum betrat, fand er dort alles unverändert vor. Truhe und Bett standen an ihrem gewohnten Platz, die Werkzeuge hingen unberührt an ihren Brettern an der Wand, alle Vorräte lagen noch in den Säcken und Körben und der Wäschestapel mit Isimuds Reservekleidung befand sich in keinem schlimmeren Durcheinander als sonst auch.
    Lediglich Isimuds zweiter Umhang, der Gute, für besondere Anlässe, hing nicht mehr an seinem Haken, sondern diente nun dem Goblinkind als „Höhle“, in das es sich verkrochen hatte. Das Mädchen hockte im Durchgang zwischen Wohnraum und Diele, ohne einen Ton von sich zu geben.
    „Na, wunderbar“, murrte Isimud. Einem rüpelhaften Kind hätte er einfach eine Watsche verpassen können, da ja bei Goblins ohnehin das Recht des Stärkeren galt. Aber wie ging man mit einem verängstigten kleinen Mädchen um? Selbst, wenn Isimud sich an jemand um Rat hätte wenden wollen, vor dem Morgengrauen war dies völlig unmöglich möglich!
    So trat der Krieger an seinen Schützling heran, und lies sich, als keine Reaktion seitens des Kindes erfolgte, neben diesem nieder.


    Seufz und Doppelseufz!
    Wieso nur hatte das allumfassende Licht die Götter zwischen sich und die Sterblichen gesetzt! Wusste es denn nicht, dass diese ihre Spielchen mit den Menschen(artigen) trieben? Isimud meinte, dass mindestens drei Gottheiten es auf ihn abgesehen und ihm das kleine Monster geschickt hatten. Bloß half ihm diese Erkenntnis in dieser Nacht auch nicht weiter.
    Dreifachseufz!
    „Ha-hümpf!“
    Nanu? Isimuds Kopf fuhr herum. War das nicht „sein“ Goblinkind, das da ebenfalls geseufzt hatte? Äffte das kleine Biest ihn etwa nach?!
    „Lass das!“
    Einen kurzen Moment war Ruhe, dann folgte die Reaktion: „Lazz tazz!“
    Isimud knuffte den Goblin.
    Der Goblin knuffte zurück.
    „He!“ empörte sich der Krieger. „Soll das vielleicht die ganze Nacht so gehen?“
    Erneutes Schweigen quittierte Isimuds Ausbruch. Doch in dem Bündelchen an seiner Seite arbeitete es. Schließlich, Isimud hatte sich bereits ein wenig entspannt, kommentierte das Goblinmädchen mit seinem Lieblingswort, das Isimud auf dem Weg vom Wald nach Trent schon oft gehört hatte: „Krutz!“
    „Ja, richtig. Krutz und zugenäht noch mal…“


    Mit verschränkten Armen saß Isimud neben dem Mädchen und wartete auf den erlösenden Weltuntergang. Doch als dieser nicht eintrat, hörte er sich, zu seiner eigenen Überraschung, zu sprechen beginnen: „In deinem Alter…“
    Das Goblinmädchen drehte den Kopf unter seinem Umhang.
    „…fiel meine Heimat dem Schatten anheim.“
    „Krutz?“
    „Oder vielleicht lag Noröm schon lange in den Klauen der Finsternis, und unser kleiner Flecken Erde war bisher davon verschont geblieben. Wie dem auch sein, als ich so klein… öhm, so groß war wie du, da war Sense.“
    Es war anzunehmen, dass die Kleine kein Wort von dem verstand, was ihr Gastgeber ihr da erzählte. Doch Isimuds leise, ruhige Stimme schien ihm zu gefallen. Eines derartigen Tonfalls bedienten sich keine Goblins, viel eher entsprach Isimuds Sprachmelodie dem Rauschen der Blätter im Wind. Das der Wind nun im Inneren einer Hütte wehte und noch dazu aussah wie ein Goblin, nur eben weniger perfekt (denn Isimud war ja nicht grün und er roch auch nicht so gut wie ein Goblin!), faszinierte das Kind. Es reckte daher seine schweinartige Schnauze unter dem Umhang hervor, um dem fleischgewordenen Windgeist besser zuhören zu können.


    Isimud fuhr fort:
    „Wir nannten es den Schatten oder die Finsternis, wollten es nicht mit seinem richtigen Namen nennen: Das Böse. Denn wir dienten der Finsternis, und hätten wir sie als das bezeichnet, was sie war, ja, dann hätten wir zugeben müssen, Schergen des Bösen zu sein.“
    Ins Erzählen vertieft, hatte sich Isimud ohne nachzudenken zurückgelehnt. Sein Rücken quittierte den Kontakt mit der Hüttenwand mit heftigem Schmerz.
    „Au! Aua!“ jaulte der Krieger, viel kläglicher, als es die leichten Verletzungen rechtfertigten. Doch eben diese beiden Rückenwunden erinnerten ihn wieder an seine nicht artgerechten Schwingen, die aus seinem Rücken hervorgebrochen waren.
    Isimud warf sich bäuchlings auf die hölzernen Dielen seiner Behausung – ein wenig schwungvoller als empfehlenswert. Der Aufprall trieb ihm die Tränen in die Augen, so dass es wirkte, als beweine Isimud seine Lage.
    Auge in Auge mit der Goblinschnauze fasste Isimud in Worte, was er keiner Menschenseele in Simkea jemals in solcher Deutlichkeit anvertraut hatte: Seine Schuld und gleichzeitig Unschuld als Sprössling eines Nekromanten, der vormittags gelernt hatte, keine bösen Schimpfwörter zu benutzen und nachts, wie man aus toten Halblingen sowohl Angelköder als auch Skelettkrieger herstellte. Es tat gut, sich einfach einmal alles von der Seele zu reden und am Ende ein befreiendes, vollständige Absolution erteilendes „Krutz!“ aus dem Kindermund zu hören zu bekommen.
    „Ja, und deswegen kann ich dich nicht einfach so erschlagen“, schloss Isimud seine Rede.
    Das Kind schien ihm nicht böse deswegen zu sein.
    „Denn vielleicht bist du ja gar nicht wirklich ein Monster.“
    Die Goblinschnauze presste sich ebenso liebevoll wie feucht auf Isimuds Nase, um dann sehr schnell wieder unter dem schützenden Umhang zu verschwinden.
    „Wah… ähks!“


    Doch! Das war ein Monster, gar kein Zweifel!

  • Irgendwann graute der Morgen. Jeden einzelnen Knochen spürend und die Glieder steif von der auf dem Holzfußboden verbrachten Nacht, rappelte sich Isimud auf. Sogleich kam auch Leben in seinen Festagsumhang, genauer gesagt in das darunter befindliche Goblinmädchen.
    Innerhalb der nächsten Stunde lernte Isimud, dass er sich keine großen Sorgen um eine zufällige Entdeckung seines Schützlings zu machen brauchte. Heimlichkeit schien die zweite Natur eines jungen Goblins zu sein. Die kleine „Krutz“ beobachtete ganz genau, wie sich ihr Gastgeber verhielt und imitierte dieses Verhalten, jedoch stets mit einer Prise Vorsicht mehr angereichert. Bewegte sich Isimud normal, so schlich Krutz, saß er offen auf seinem Bett, so versteckte sie sich nur halb, und als sich der Krieger einmal probeweise hinter der Truhe verbarg, um Krutzens Reaktion zu sehen, da verbuddelte sich die Kleine in Isimuds Jungesellendreckwäschestapel, die daraufhin noch penetranter müffelte als zuvor.
    Soweit, sogut. Krutzilein würde also weder durch eine offenstehende Tür auf die Straße tappen, noch großäugig mitten im Raum stehen bleiben, wenn Besuch eintrat. Dennoch bleib die Frage offen, wie es denn nun weitergehen sollte.
    Gegen Mittag kauten Isimud und das Goblinkind um die Wette kalte Eierpfannkuchen aus des Kriegers Reiseproviant. Dann spuckten sie Kirschkerne gegen die Wand, etwas, das man den in der Öffentlichkeit scheuen Milizmann sonst nie tun sah. Schließlich sackten beide in einen leichten Mittagsschlaf, aus dem Isimud mit einer Erkenntnis erwachte:
    Während der Mahlzeit hatten Anthron und Goblin dieselbe „Sprache“ gesprochen. Nun musste Isimud das lediglich weiterhin tun, ergo, er musste schnellstmöglich das Goblinische erlernen!
    Leider zählte das Lernen aus Büchern weder zu den Stärken noch den Vorlieben des Kriegers, doch wenn es sein musste, so würde er sich der Herausforderung eben stellen. Nur – was sollte während der Zeit, die er von hier zur Bibliothek und wieder zurück benötigte, aus dem Goblinkind werden? Isimud konnte es ja schlecht in die Truhe stopfen und dann den Deckel über ihm zuklappen!

    ….
    …..
    Oder vielleicht doch?
    Vielleicht, wenn man besagten Deckel mit einem Holzkeil ein klein wenig offen hielt, so dass genügend Atemlut ins Truheninnere hinein gelangen konnte?

    ….
    …..
    KLAPP – Truhe auf.
    Neugierig tappte das Goblinmädchen auf den „Windgeist“ zu. Was der wohl alles aus dieser Kiste hervorkramen mochte? „Krutz? Kruuuuuuuu…“
    KLAPP – Truhe zu, Goblin tot. Naja, zumindest ruhig gestellt.
    „…tz?“
    Türklappern.
    „Tschüß, bis gleich!“
    Türklappern.
    „KRUTZ?! WÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄHHHHHHHHHHH!!!“

  • Danke :)
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    Isimuds Weg führte ihn zu Professor Bloom, dem Universalgelehrten und Bibliothekar Trents.
    Dieser war gerade dabei, seinen Zwicker zu putzen, den ihm ein junger Bauernbursche vorbeigebracht hatte, nachdem der Gelehrte ihn sonstwo verlegt hatte. Bisweilen fragte sich Isimud, ob das Portal nicht nur deswegen immer neue Einwanderer ausspuckte, damit der Professor genügend unbeschäftigte Jungabenteurer geliefert bekam, die ihm seine Brille aus allen erdenklichen Ecken Simkeas zurückbrachten.
    Isimud wartete, bis Bloom sich den Zwicker wieder auf die Nase setzte, stellte sich dann höflich vor und trug sein Anliegen geradeheraus vor.
    Ein Wörterbuch des Goblinischen wollte er ausleihen!


    Jedoch…
    „So etwas gibt es nicht“, erwiderte der Gelehrte. „Kein Simkeaner hat sich jemals an dieses Unterfangen gewagt. Wohl besitzen wir fragmentarisches Wissen über einige Droh- und Herausforderungsphrasen, jedoch ist die Datenbasis viel zu klein, um daraus eine Goblinikunde ableiten zu können.“
    „Ich möchte aber gern wissen, was sie sprechen, wenn ich wieder mal welche um ein Lagerfeuer sitzend entdecke“, behaupte Isimud. „Falls sie einen Angriff auf die Stadt planen oder so…“
    „Dein Wissensdrang in allen Ehren, Korporal, aber so einfach vermag ich dir nicht weiterzuhelfen“, meinte der Professor schmunzelnd, wobei er sich allerdings seinen Teil dachte. Es war nicht viel über den scheuen Anthronen bekannt, außer, dass er sich vor kleinen Kindern fürchtete und sich in jede Höhle stürzte, die er finden konnte. Goblins belauschen, um deren Überfallpläne zu erfahren? So ein Unsinn! Isimud erledigte die Grünhäute doch ohnehin lange bevor sie auch nur eine Zehe weiter südlich als das Holzfällerlager setzen konnten! Geheimwissen über verborgene Schätze wollte er sicher erfahren!


    Doch so leicht ließ sich Isimud nicht abwimmeln, hatte er doch ein kleines Goblinproblem daheim bei sich sitzen, das einer Lösung bedurfte. Daher beharrte er auf seinem Anliegen: „du sagst „so leicht“ vermagst du mir nicht nicht zu helfen – also gibt es einen Weg? Der nur umständlicher ist?“ Isimud schnippte mit den Fingern. „Ich weiß! Irgendwo in den Ruinen gibt es Steintafeln, die alle einheimischen simkeanischen Sprachen bewahren! Oder etwas in der Art. Stimmts?“
    Das brachte Bloom zum Schmunzeln. „Da weißt du mehr als ich, junger Freund... von solchen ist mir nichts bekannt.“
    „Aber…“
    „Hm…“ Der Professor schien Isimud einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Als er zu keinem schlüssigen Ergebnis kam, fragte der Gelehrte geradeheraus: „Du trägst einen Eiszauberstab bei dir, aber ein Magier bist du wohl nicht? Sag, wie steht es es um deine zauberischen Fähigkeiten?“
    Nun trug Isimud zwar wie so viele Simkeaner arkane Kraft in sich, jedoch, er hatte sich nie bemüht, diese mithilfe der angemessenen Übungen in eine Struktur zu fassen oder sie gar in nützliche Kanäle zu lenken. Isimud verstand gerade genug von Magie, um zu begreifen, dass seine Fähigkeiten zwar nicht gänzlich bei Null lagen, wohl aber am untersten Niveau angesiedelt waren. Ab und zu die in einem Artefekt gespeicherte Macht anzurufen, gängige Paraphernalia herzustellen, einen in Glyphen aus uralter Zeit verfassten Text richtig vorzulesen ohne jedoch die Vokabeln zu kennen, auf Verlangen das richtige Laborgerät herbeibringen und einen Versuchsaufbau korrekt zusammenzubauen – lauter kleine Dinge, die den Krieger ungemein nützlich machten, jedoch noch lange keinen Zauberer aus ihm machten.
    „Ich kann als Ritualhelfer einspringen, ohne auf die falschen Linien zu treten, und dabei einfache Anweisungen ausführen, aber das wars auch schon“, erklärte Isimud daher.
    Blooms Reaktion bestand in erneutem „Hm“en. Bedächtig trat der Mann auf ein Regal zu, fuhr mit den Fingern durch die Luft, gerade nah genug an den Buchrücken vorbei, um die wertvollen Folianten nicht unnötig zu berühren, und, als er in dieser Reihe nicht fand, was er suchte, bückte sich in die nächsttiefere. „Ah, ja! Hier ist es ja!“


    Der Professor drückte Isimud eine Schriftrolle in die Hand. „Das ist das Beste, was ich dir anbieten kann“, meinte er dabei.
    Isimud musste nicht erst fragen, worum es sich handelte, denn der Professor erklärte ihm ausführlich Art und Anwendung des Objekts. Es handelte sich um einen Zauberspruch, der es dem Benutzer ermöglichte, eine beliebige Fremdsprache zu verstehen. Jedoch bleib kein Langzeitnutzen erhalten, nach Ablauf der Wirkungsdauer verlosch jegliche Erinnerung an das Gehörte. Wenn nun aber jemand während der Zauber aktiv war sorgfältig niederschrieb, was er hörte, und welche Bedeutung diese Worte in seiner eigenen Sprache hatten, so ließ sich mit etwas gutem Willen ein Wörterbuch erstellen. War diese Person auch noch in der Sprachenkunde bewandert, kannte sich mit Syntax, Semantik und den Regeln der Wortbildung aus (lauter Begriffe, die Isimud bisher für hübsche Vornamen gehalten hatte), so mochte er nicht nur die einzelnen Worte, sondern auch eine einfache Grammatik der fremden Sprache festhalten können. Doch all dies, so erklärte der Professor, erforderte Ruhe, Zurückgezogenheit sowie natürlich einen willigen Partner, lauter Umstände, die im Wald wohl kaum gegeben sein dürften.
    „Das lass nur meine Sorge sein“, antwortete Isimud. Unter Dankesworten kramte er in seinem Geldbeutel nach der verlangten Bezahlung und begab sich anschließend auf den Heimweg.
    „Aber nicht verschwenden!“ rief ihm der Professor noch nach. „Wende den Zauber wirklich erst dann an, wenn du dir sicher bist, Nutzen daraus zu ziehen!“

  • Gern hätte Isimud noch einen Abstecher zum Markt gemacht. Für das kleine Biest in seinem Haus Süßkram zu kaufen, hätte ihm nämlich eine Ausrede verschafft, sich ebenfalls damit einzudecken. Was das Essen anging, war der große Krieger ein gehöriges Leckermaul, dem der eigentliche Nährwert egal war, solange die Mahlzeiten nur recht vielfältig waren und hübsch bunt aussahen. (Einiges dazu beigetragen hatten wohl auch die ersten Wochen in Simkea, in denen sein Speiseplan aus Fischsteak, Wasser und Schuhsohlen bestanden hatte.)
    Doch an derartig weite Ausflüge war derzeit nicht zu denken.

    Kaum hatte er die Tür seiner Hütte einen Spalt geöffnet, schlug Isimud ein penetranter Gestank entgegen. Die Geruchsfahne eines Goblins war bereits im Wald schwer zu ertragen, in einem geschlossenen Raum wirkte sie beinahe wie ein Atemnotfluch!
    Der Hausherr holte tief Luft, band sich ein Tuch vor den Mund und trat dann ein.
    Die kleine Krutz hämmerte noch immer aus dem Truheninneren gegen den Deckel. Gut bekam das sicher weder Truhe noch Kind…
    Isimud hob den Truhendeckel an und griff nach dem Goblinmädchen, um es herauszuheben. Doch kaum hatte er den Ärmel ihres zerlumpten Kittels auch nur leicht berührt, als er auch schon wieder zurückzuckte.
    „Igitt, das Vieh ist ja nass!!!“
    „Krutz!!!!!“ empörte sich das solcherart verunglimpfte „Vieh“, und dann, kläglich und jammervoll: „Kruuuuuutz…“
    Da hockte die Kleine nun, in einer engen Truhe, auf deren Boden sich eine gelbliche Pfütze ausbreitete. Die ganze letzte Stunde hatte sie in dieser Pfütze ausharren müssen. Aber nun war ja der Windgeist zurückgekommen und würde sie zuerst aus diesem Loch herausholen und dann trocken pusten.!
    Der „Windgeist“ allerdings dachte gar nicht daran. Ganz im Gegenteil brauste er auf:
    „Kreutzdonnerelementnochmal! Du blödes Viech hast mir die Truhe versaut! Das putzt du eigenhändig weg, dass das mal klar ist!“
    Außer sich vor Wut schlug Isimud die ihm von Professor Bloom überreichte Schriftrolle gegen die Truhe – nicht aber auf das Goblinkind. Zumindest soviel Selbstbeherrschung vermochte er noch aufzubringen.
    „Und sprechen tust du ohnehin nur dieses eine dumme Wort! Wozu rapple ich mich eigentlich ab…“
    Mit großen Augen starrte das Goblinkind seinen Windgeist an. Wie der stürmen konnte! Was für ein mächtiger Verbündeter das war!
    Das Mädchen krümmte sich zusammen.
    „Ja, kauer du nur in Furcht da unten. Verdient hast du´s wohl!“ kommentierte Isimud. Doch weit gefehlt! Anstatt sich vor dem Wüterich klein zu machen, hatte das Goblinkind sich lediglich zu einem Sprung zusammengekrümmt. Mit einem glücklichen „Kruuuuuuuuuuuuuuutsch!“ auf den Lippen hüpfte es aus der Truhe heraus und dem Windgeist direkt in die Arme. Dieser, in keiner Weise auf die „Attacke“ vorbereitet, taumelte, ruderte mit den Armen und purzelte schließlich hinterrücks auf die Dielen.

    Da lag Isimud nun, mit dem verrutschten Mundtuch zwischen den Zähnen als sei es ein Knebel, begraben unter einem Haufen aus kindlicher Zuneigung und Goblinpisse.
    „Hmmm! Ümmm!“
    „Krrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrusch“, schnurrte das Mädchen. Ihr Windgeist zürnte gar nicht mehr, sondern wollte sie ganz offenbar in den Schlaf säuseln.
    „Um-um-om-mi!“ versetzte Isimud, was „Runter von mir“ heißen sollte.
    Das Goblinkind nahm die Silbenfolge auf: „Um-um-om-im“, wiederholte es in einem Singsang, mit dem es sich selbst in den Schlaf lullte.
    „Kann mich bitte jemand erschießen…“ knurrte Isimud. „Apollon, Skadi, St. Eustachius… irgendwer?“

  • In der kleinen Hütte Zum Küchenmeister war an diesem Abend Badetag angesagt.
    Isimuds Magen hatte sich seit seiner Heimkehr bereits mehrfach umgedreht, Schuldgefühle angesichts seines kürzlichen Wutausbruchs nagten an dem Krieger und Krutz verbreitete Pfützen im ganzen Raum, da scheinbar mehr Goblin-Pipi aus ihren Lumpen wieder herausfloss, als diese ursprünglich aufgenommen hatten.
    Unter diesen Umständen war an den Einsatz der magischen Schriftrolle nicht zu denken, nein, da musste zuerst einmal Schadensbegrenzung betrieben werden. In die Wanne gehörte das kleine Balg (und das große genaugenommen auch)!
    Eine solche Badewanne hatte sich Isimud in der Herberge zwei Straßen weiter ausgeliehen. Die Betreiberin, Grandlady, hatte sich gar nicht groß gegen sein Ansinnen gewehrt. Wer dermaßen stank wie der Nachbar, dem warf man keine Knüppel zwischen die Beine, wo er sich doch endlich entschlossen hatte, sich zu waschen!


    In den Tagen, in denen diese Geschichte spielt, war Seife (oder auch nur regelmäßiges Waschen am Brunnen) in Trent noch nicht verbreitet. Isimud musste daher mit klarem Wasser und einer Bürste auskommen. Das Wasser hatte er ebenfalls aus der Herberge geschnorrt. Es war lauwarm und glitzerte einladend in der Wanne.
    Gestikulierend versuchte Isimud dem Golbinmädchen zu vermitteln, dass es da hinein hüpfen sollte.
    „Na, los, komm schon! Du… du darfst auch spritzen und so!“
    Doch Krutz schüttelte den Kopf.
    Ihre Verweigerung zeigte Isimud, dass die Kleine verstanden hatte, was er von ihr verlangte, sich dem Ansinnen jedoch aus unerfindlichen Gründen verwehrte. Fragend legte er den Kopf zur Seite.
    Krutz kratzte sich in ihrem eigenen wilden Haarschopf - einmal, zweimal, dann schob sie nachdenklich eine soeben gefangene Kopflaus in den Mund und kaute gut durch, bis sich der erwünschte Geistesblitz einstellte.
    Das Kind hielt seine Fänger vor den Unterkörper und wackelte mit den Beinen.
    „Du musst vorher nochmal auf den Abtritt?“ riet Isimud. „Nein, Unsinn, so wie du das zeigst, machen doch eigentlich nur die Knaben…“
    Krutz deutete auf den begriffsstutzigen Windgeist, dann hielt sie sich die Augen zu. Da begriff Isimud: „Wie jetzt? Was? Soll ich etwa weggucken? Nein, das ist doch lächerlich! Ich bin doch kein Mann!“
    Krutz drehte sich mit dem Rücken zur Badewanne. Solange der Windgeist ihr zusah, wollte sie nicht hineinsteigen oder sich auch nur entkleiden.
    Isimud seufzte. „Naja, genaugenommen bin ich ja schon ein Mann“, gab er zu. „Aber eben auch eine Frau.“
    Das Goblinmädchen lächelte. Mittlerweile kannte es seinen Windgeist ja, und wusste, dass er jedesmal so grummelte, bevor er tat, was man von ihm wollte. So waren sie eben, die Naturgeister, ganz anders als ein vernünftiger Goblin, der niemals getan hätte, was man von ihm verlangte, wenn nicht mindestens zwei andere, stärkere mit großen Keulen in den Händen der Aufforderung Nachdruck verliehen hätten. Geister hingegen, so hatte die Mutter dem Kind erklärt, waren dazu da, den Goblins zu dienen. Und nun hatte das Mädchen sogar seinen eigenen, obwohl sein Leben doch vor kurzem noch weniger wert gewesen war als das Schwarze unter den Fingernägeln (aber das war wenigstens kleidsam!).


    Endlich wandte der Windgeist seinen Blick ab. Das Kind schlüpfte aus einen Lumpen, trat auf die Badewanne zu und patschte mehrfach mit den Händen im Wasser herum, um eventuellen Geistern klarzumachen, dass jetzt gleich ein Goblin kommen würde und sie gefälligst Platz zu machen hatten. Wassergeister konnten schon gemein sein, aber Feuergeister noch mehr. Und weil das da in der Wanne warm gemachtes Wasser war, mochte es durchaus sein, dass sich der eine oder andere Feuergeist ins gute Kochwasser geschlichen hatte.
    „Spiel nicht rum, steig endlich in die Wanne!“ kommentierte Isimud das Geschehen in seinem Rücken. Die kleine Goblinin freute das sehr. Nach so einem gefährlichen Knurren hielten bestimmt sämtliche Geister in der Wanne still und würden sich nicht wagen, die Badende zu behelligen!
    Endlich hörte Isimud ein vernehmliches „Platsch“ in seinem Rücken.

  • Körperlich und seelisch ausgelaugt, brachte Isimud die Badewanne in die Herberge zurück. Die Sonne ging langsam unter und die Bürger Trents kehrten von ihrem Tagewerk in ihre Häuser zurück. Doch auch weniger ehrenhafte Individuen befanden sich um diese Zeit auf den Straßen:
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite beispielsweise lungerte ein gelbpelziger Tschätt herum. Das Wesen war etwa halb so groß wie ein Mensch. Sein im Vergleich zum Körper überproportional großer Kopf ließ selbst ein erwachsenes Exemplar wie ein Kind wirken, was dazu führte, das viele Gegner einen Tschätt zuersteinmal nicht als ernsthafte Bedrohung einstuften.
    Die Tschätt-Monster waren mittlerweile ein gar nicht so seltener Anblick in der Stadt. Die Miliz stufte sie als „Zivilisationsfolger, halbintelligent“ ein und riet ihren Mitgliedern, sich nicht auf sinnlose Kämpfe mit einem Tschätt einzulassen. Zwar, die meisten Angehörigen dieser Spezies liebten es, Passanten anzupöbeln, doch stellte zumindest die gelbpelzige Unterart keine echte Gefahr dar. Beinahe jeder Bürger vermochte sich ihrer durch einen gezielten Tritt zu erwehren. Nur, wenn die Grünpelze unterwegs waren, dann hieß es für die Männer, Frauen, Geschlechtslosen und Blumigen von der Bürgerwehr, sich eine richtige Waffe umzuschnallen und Präsenz in den Straßen zeigen.

    Als die Kreatur Isimuds gewahr wurde, lehnte sie sich rücklings gegen die Hausmauer und verschränkte die Arme, um anschließend provozierend aufs Pflaster zu spucken.
    Isimud ignorierte das Wesen und schleifte lieber die Wanne zurück zu ihrer Eigentümerin im Alchemistengang.
    Als er die Herberge wieder verließ, hörte Isimud die beinahe klägliche Stimme des Tschätt: „Isi… hey, Isi! Wasn´los mit dir heute?“ Isimud Urkhart ging an einem Monster vorbei und wollte sich nicht prügeln? Da konnte doch etwas nicht stimmen! Mit weit aufgerissenem Maul, die spitzen Zähne entblößt, gaffte der Gelbpelz Isimud an, bis ihm eine Erleuchtung kam: „Bissu etwa krank?“
    „Haben dir die blauen Flecken von letzter Woche etwa nicht genügt?“ fauchte der Angesprochene den Tschätt an.
    „Dummer Fehler“, schoss es ihm gleich darauf durch den Kopf. „Ganz dummer Anfängerfehler!“ Wer sich von einem dieser Rüpel in ein Gespräch verwickeln lies, der hatte bereits verloren. Mit seinen Suggestivkräften sorgte ein Tschätt dafür, dass sein Opfer sich nur unter Aufbietung äußerster Willenskraft aus dem einmal begonnenen Dialog lösen konnte. Während dann Wort und Widerwort fielen, schlichen sich dann die Kumpane des Gelben an, um das arme Opfer entweder um seinen Geldbeutel zu erleichtern, oder ihm gleich eine über den Schädel zu ziehen. Schon spürte Isimud, wie der Zauber nach seinem Geist tastete, ihm jedes bisher gesprochene Wort überdeutlich ins Gedächtnis zurückrief und den Sprecher in einen unnatürlichen Rechtfertigungszwang versetzte.

    Wir drehen dir die Worte um,
    bis alles was du sagst klingt dumm!
    Und was du nur denkst, du kleiner Wicht,
    das zerren grinsend wir ans Licht.
    Zunge lockern oder lähmen,
    jau, wir werden dich beschämen!
    Wir reißen, beißen und verschlingen,
    werd´n dich in unser´n Bannkreis zwingen!

    - Traditionelles "Kampflied" der Tschättmonster

    In seiner Karriere als ehrenamtlicher Stadtwächter hatte sich Isimud bisher nur selten der Zauberkräfte eines Tschätt erwehren müssen. In der Regel wollten diese Kreaturen dasselbe wie er: sich hemmungslos prügeln. Doch diesmal war es anders. Diesmal wussten der gelbe Tschätt und seine mit Sicherheit ganz in der Nähe lauernden Kumpane, dass Isimud erst vorgestern aus dem Wald zurückkgekehrt war. Sie hatten ihn dabei beobachtet, nachts, als alle rechtschaffenen Bürger geschlafen hatten, und dachten sich nun, dass Isimud die Taschen voller Münzen oder gar leckerer Blaubeeren hatte. An diesen guten Sachen wollten die Tschätts natürlich ihren Anteil haben, sie, die sich als die Herren der Gassen Trents sahen!
    „Wieso bist du vorletzte Nacht über die Stadtmauer gesprungen?“ verlangte der Gelbe Tschätt zu wissen.
    „Ich bin nicht gesprungen.“
    „Doch, bist du!“
    „Nein, bin ich nicht! Ich bin…“
    „Gehüpft? So wie ein Floh!“
    „Nein, geflog… verdammich, es geht dich nichts an!“
    „Geht es mich wohl! Heimlich wie ein Dieb schleicht sich der Isi nach Trent hinein…“
    Unter dem Zauberbann vermochte Isimud weder seine Waffe zu ziehen, noch die Hand schützend auf seinen Geldbeutel zu legen. Ganz und gar darauf fixiert, seine Rückkehr nach Trent in harmlosestem Licht darzustellen, gestikulierte er sinnlos mit den Händen.
    Plötzlich nickte der Gelbe. „Joh, geht mich wirklich nichts an“, erklärte er in völlig normalem Tonfall.
    Isimud spürte die Kontrolle über seine Glieder zurückkehren und, was noch wichtiger war, sein Geist klarte sich. Er fuhr herum, nur, um sehen zu müssen, wie zwei weitere gelbe Tschätts eilends in einer Gasse verschwanden. Ein rascher Griff zum Geldbeutel brachte ans Licht, dass dieser noch am Gürtel hing. Das Lederbeutelchen hing allerdings schlaff und taurig herab, denn die frechen Biester hatten sich seinen Inhalt unter Nagel gerissen und dann wieder zugeschnürt!

  • „Mach dir nichts draus“, meinte der Straßen-Tschätt lässig. „Mal gewinnt man, mal verliert man. Aber jetzt mal im Ernst – wieso bist du denn nun tatsächlich auf diese komische Weise nach Trent rein?“
    Ehrliche Neugier stand in dem zahnbewehrten Gesicht geschrieben.
    Isimud zuckte die Achseln. „War verletzt und hatte keine Lust, mich mit einem von eurer Bande herumärgern zu müssen.“
    Das konnte der Tschätt nachvollziehen.
    „Und ich bin auch nicht über die gesprungen oder geflogen, sondern einfach geklettert.“
    Ein Tschätt, der seine Zaubermacht nicht einsetzte, war nicht der hellste Bursche. Das Wesen schenkte Isimuds Aussage daher Glauben. Seinem Weltbild als Herr der Gassen und Hinterhöfe gemäß war es völlig nachvollziehbar, dass ein schwer verletzter Kämpfer seinen wundenübersäten Körper lieber über die Stadtmauer wuchtete, als die Begegnung mit einem Straßentschätt zu riskieren.
    Der Gelbpelz tippte sich wie zum Gruß an seine Stirn und erklärte: „Na, ich muss dann mal gehen, dein Geld verjubeln.“
    „Wie jetzt, mein Geld verjubeln?“ Isimud schüttelte den Kopf. „Das Geld haben doch deine beiden Kumpane…“
    „Ja… öhm… und?“
    „Hast du sie was von mit dir teilen wollen sagen gehört? Ich jedenfalls nicht.“
    Ein schrilles Kreischen entwich der Kehle des Tschätts. Er vollführte einen Satz nach vorn, stieß Isimud beiseite und setzte seinen Artgenossen nach.

    Der Kämpfer nickte zufrieden. Er zählte bis fünf, dann folgte er dem Gelbpelz im Schlenderschritt.
    Isimud musste nicht weit laufen, da fand er seinen Bekannten auch schon in die schönste Prügelei mit seinen Kumpanen verwickelt. Diese verstanden überhaupt nicht, weshalb ihr Gefährte sie hinterrücks angegriffen hatte und nun einem von ihnen in den Nacken biss, während er mit beiden Fäusten auf den anderen einschlug.
    „Stadtwache!“ ächzte der eine, als er Isimuds in schweren Stiefeln steckende Füße auf dem Gehwehgpflaster sah. Seinem Gegner zischte er zu: „Lass mich - au! - los oder - aua! - die Wache verhaftet dich!“
    Isimud zückte einen Holzstab, der zu einem Dreikantholz zurechtgefeilt war. Improvisierte Schwerter mit einem, zwei oder gar geschliffenen „Klingen“ führten viele Bürger bei sich. Sie waren leicht, erforderten keine besonderen Kenntnisse und ein gezielter Stich damit in eine Tschätt-Hinterbacke sorgte dafür, dass dieser jaulend das Weite suchte, wie Isimud gerade bewies.
    Die beiden Zurückbleibenden kullerten noch eine Weile auf dem Pflaster herum, bevor sie gemeinschaftlich zu Isimud aufschauten.
    „Danke, Offisser!“ ächzte der erste.
    Isimud streckte seine Hand aus, in der anderen noch immer das Holzflorett haltend.
    „Wir nichts geben zurück!“ fauchte der zweite Tschätt.
    „Aber natürlich nicht.“ Isimud lächelte. „Wo das doch euer rechtmäßig erworbenes Beutegut is.“
    „Siehste!“
    Isimud zog seine Hand zurück, mit der anderen jedoch, die das Schwert hielt, schoss er noch vorn, um zuzustechen. Einmal, zweimal… nein, nicht dreimal. Zwei Hiebe genügten, damit der erste der großmäuligen Monster auf allen Vieren davonrobbte, während der zweite seine Handflächen auf eine Platzwunde am Kopf presste und „Ich verblute, ich verblute!“ jaulte.
    Isimud aber klaubte seine in der ganzen Straßen verteilten Münzen auf und ging dann seiner Wege.

    Fairness ist nicht, allen die gleichen Chancen auf Zieleinlauf zu geben, sondern dafür zu sorgen, dass jeder ankommt.


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  • Unterdessen wartete das Goblinmädchen auf die Rückkehr des Windgeistes. Doch als der sich damit Zeit ließ, dachte es bei sich, meinte sie, er müsse wohl erst noch ein wenig herumflattern, wie es eben so die Natur dieser Wesen war. Daher beschloss das Kind, selbst für sein Abendbrot zu sorgen und fing sich eine fette Kelleratte.
    Als Isimud zurückkehrte, warf das Mädchen gerade den letzten abgenagten Knochen auf den Haufen zu den anderen.
    Der Anblick rief Isimud wieder ins Gedächtnis, womit er es hier zu tun hatte. Gerade eben hatte er drei Straßen-Tschätts verprügelt und in die Flucht geschlagen. Jeder einzelne war in etwa so gefährlich wie eine Kellerratte. Mit beiden Monsterarten war nicht zu spaßen. Ein Menschenkind hätten sie in arge Bedrängnis gebracht (genaugenommen wäre es um das Kleine geschehen gewesen), aber dieses Goblinmädchen, das verspeiste mal eben so eine Riesenratte…

    Das bedeutete auch, dass das Kind nun satt und etwas träge sein musste. Isimud beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Er entrollte das Papier mit dem Zauberspruch und aktivierte seine Macht!
    Nun mit der Fähigkeit ausgestattet, jede Sprache zu verstehen, nahm der Kämpfer weitere Bögen grobes Papier, Tinte und Federkiel von einem Wandregal und lies sich mit seiner Ausrüstung vor dem Goblinmädchen nieder. Kaum hatte er Platz genommen, da wurde Isimud auch schon mit einem verständlichen Satz belohnt: „Spielen wir Maus komm raus?“
    „Vielleicht.“ Isimud zwang sich zu einem Lächeln. „Wie geht dieses Spiel denn?“
    „Na, so wie du gerade machst, Krutz. Man setzt sich hin und starrt auf das Loch und wenn die Maus rauskommt, dann schnappt man zu und dann quiekt die Maus und wer am schnellsten ist, der darf sie auch fressen.“
    „Ich starre aber gerade auf dieses Papier… nicht auf ein Loch.“
    „Ja!“ Was wohl aus dem Baumbreiflachgemacht herauskommen mochte? Mit Sicherheit eine ganz besondere Leckerei!
    „Soso“, murmelte Isimud, was alles oder auch nichts bedeuten mochte. Innerlich jubelte er, immerhin hatte der Zauber gewirkt! Nun musste er sich höllisch konzentrieren, ja keinen Fehler zu machen. Jede Sekunde der Wirkungsdauer war wertvoll und musste bestmöglich genutzt werden!

    Ganz so leicht gestaltete sich das Unterfangen allerdings nicht. Zwar lernte Isimud, dass die Goblins eine ungefähre Ahnung von der Papierherstellung hatten, immerhin nannten sie ein Blatt Papier „Baumbreiflachgemacht“, doch es war beinahe unmöglich, dieses Wissen schriftlich festzuhalten. Isimud schrieb „Papier“ in die „Simkeanisch“-Spalte seiner entstehenden Vokabelliste. Bloß was gehörte in die die andere Spalte? Das Goblinische beherrschte der Kämpfer dank Professor Blooms Zauber nun, allerdings auf eine intuitive Weise. Für Isimud hörte es sich so an, als spräche er Simkeanisch, obwohl seine Zunge die goblinischen Laute bildete. Seine Gesprächspartnerin antwortete in ihrer eigenen Sprache, die wiederum eine Sofortübersetzung ins Simkeanische in Isimuds Kopf hervorrief. Die meiste Zeit über hörte er dabei die ohm vertrauten Begriff, nur ab und zu hatte der Zauber einen Aussetzer, so dass eben anstatt des „Papier“ auch einmal die wörtliche Übersetzung als „Baumbreiflachgemacht“ durchkam. Er hätte sogar „Camera Obscura“ sagen können und der Zauber hätte einen Weg gefunden, diesen Begriff ins Goblinische zu übertrage, ohne, dass Isimud etwas dazu hätte beitragen müssen.
    Nur unter Aufbietung äußerster Konzentration gelang es Isimud, die eigentlich gesprochenen Silben wahrzunehmen. Sonderlich weiter half ihm das allerdings auch nicht, denn es wollte es ihm nicht gelingen, die Grunzlaute des Goblinmädchens sauber in einzelne Worte zu trennen. Und schrieb Isimud die Lautfolgen, die er für Sätze hielt, wie er sie hörte nieder, so las sich am Ende alles gleich: „Grunzgrunzgrunz“ oder eben „Krutz“ in verschiedensten Dehnstufen.
    Eines der „Krutz“-Worte bedeutete „Windgeist“, was die Bezeichnung des Kindes für seinen Retter war, wie sich herausstellte. Nun ja, immerhin war Isimud ja auch mit dem geretteten Kind durch den Wald und über die Stadtmauer geflogen, da war diese Vermutung gar nicht einmal so abwegig. Das einzige wirklich Abwegige hier waren seine Versuche, eine Systematik des Gegrunzes festzuhalten. Dafür verstand Isimud einfach zu wenig davon, wie Sprachen im Allgemeinen funktionierten. Ebensogut hätte ein der arkanen Künste Fremder versuchen können, einen Zauberspruch allein vom Hören und der Beobachtung der Gesten des Magiewirkers zu erlernen. Nein, am besten war es wohl, das Beste aus seiner kurzzeitigen Sprachbeherrschung zu machen, einfach draufloszufragen, was er wissen wollte, und jegliche wissenschaftlichen Ambitionen aufzugeben.
    „Weshalb hat dich der große Goblin im Wald töten wollen?“ forschte Isimud daher geradeheraus.

  • Hallo!


    Ich Krutz. Sonst Spieler von Isi erzählt Geschichte. Aber nicht heute. Heute ich rede!
    Ist ganz, ganz bestimmt so, weil ich schöner als Isi und auch schöner als Spieler von Isi!
    Auch besser rieche, besonders wenn frisch gebadet. Dann großer Wohlgeruch.
    (Anmerkung: Ein nasser Goblin stinkt noch widerlicher als ein trockener…)
    So ist das.


    Jetzt du denkst, Krutz lenkt ab. Ich sage: Ja, ist so!
    Weil Geschichte jetzt nicht mehr lustig. Nicht mehr Ratte fressen und Maus komm raus spielen und auch nicht durch Luft fliegen.
    Jetzt Windgeist gefragt wieso großer Goblin dich tot machen gewollt, kleine Krutz. Ja, und, das schlimme Sache.
    Hm.
    Du nicht lieber hören Geschichte von Häuptling und wilde Sau?
    Nein?
    Hm.
    Na gut.


    Wenn Krutz noch klein, lebt in Zelt von Geheimnisfrau. Geheimnisfrau lernt Krutz malen an Felswand, sprechen mit Geister und machen Vielgut-Lärm. Wenn irgendwo in Wald Lärm, sofort Raubtier kommt, kommt gucken, ob was zu fressen. Deswegen in Wald alle müssen leise machen. Aber wer stark, der haut Raubtier tot und schleift heim und macht Haut ab und macht Fell ab und macht Raubtier auf und frisst Raubtier auf. Kann machen Lärm soviel er will.
    So das mit Goblins ist. Wenn Goblin bekommt Junges, dann laut schreit. Das Warnung für alle, Warnung dass neuer Goblin gleich da ist!
    Mutter von Krutz schreit auch, aber dann tot.
    So, dann Geheimnisfrau nimmt Krutz und zieht groß. Aber alle wissen, dass Krutz Kind von Kruutz und Kruutz war Frau von Häuptling.


    Nun aber Häuptling auch nicht mehr da. Mann aus Menschenhaufen nämlich tot geschlagen Häuptling.
    So, ist also weg. Kommt nicht wieder!
    Neuer Häuptling nimmt Frauen von Vorgänger und schlägt tot Junge. Macht Aua und dann weg.
    Krutz nicht will weg sein! Krutz läuft in Wald, aber Goblin hinterher.
    Kommt Windgeist und trägt fort Krutz.
    Ja, und das alles. Jetzt Geschichte vorbei.
    Puh.

  • Mit seiner Erzählung war das Kind zwar am Ende angelangt, doch das Leben ging weiter.
    Nur – wie? Das Mädchen saß in einer Hütte inmitten des Lagers der Menschen fest, einem Lager, so groß, als hätten sich die Frauen aller Waldstämme zusammengetan, während ihre Männer miteinander Krieg machten. Kundschafter hatten überdies berichtet, dass noch viel gefährlichere Wesen als Menschen diese Ansiedlung mit ihnen steilten.
    Wenigstens war Krutz nicht allein, denn da gab es ja noch den Windgeist, der offensichtlich Gefallen an dem Kind gefunden hatte. Sollte der Geist allerdings jemals aufmucken, so wusste das Mädchen nicht, wie es ihn wieder unter Kontrolle zwingen sollte. Nur eine fertig ausgebildete Geheimnisfrau vermochte das, kein kleines Kind. Auf sich allein gestellt jedoch, ohne die Hilfe des Windgeistes, würde ein solches Kind, selbst wenn es sich um einen Goblin handelte, nicht lange überleben.
    „Puh!!!“ wiederholte das Goblinmädchen, ein Mittelding aus Schrei und Fauchen, auf dass der Windgeist auch ja wisse, dass mit ihr nicht zu spaßen war!
    Krutz grinste zufrieden, als sie bemerkte, wie der Geist daraufhin zu beben begann.
    Ha! Jetzt hatte der so richtig Schiss!

    Isimud zitterte tatsächlich, nun, da er erfahren hatte, dass nichts, aber auch gar nichts, seinen Schützling von allen anderen Goblins unterschied. Es handelte sich um eine kleine boshafte Kreatur, die zu einer großen boshaften Kreatur heranwachsen würde. Schuld daran aber war Isimud selbst, denn er hatte ja die Hinrichtung der Häuptlingswaise verhindert. Von Rechts wegen oblag es dem Krieger daher, seinen Fehler auszubügeln und nachzuholen, was er im Wald versäumt hatte: dem Monster ein Ende zu bereiten.
    Nur war das leichter gesagt als getan…

    Ich bringe es immer noch nicht fertig. Aber wenn ich es nicht tue, müssen irgendwann einmal Unschuldige wegen mir leiden.

    Isimuds anfängliche Erschütterung wich Wut. So hätte es nicht laufen sollen! In keiner Geschichte lief die Sache so, jedenfalls in keiner von denen, die Isimud stets hatte hören wollen. Die nämlich, in denen ein Held stets das Richtige tat und dafür Lob einheimste.
    In der wirklichen Welt war „das Richtige“ schwerer zu definieren.

    Hab dich nicht so, Isimud Urkhart! schalt sich der Krieger. Es ist doch nur ein Goblin! Man stellt doch auch Bierfallen im Garten auf, damit die Schnecken darinnen ersaufen, um den Verlust der Ernte zu verhindern. Da fragt auch keiner, ob´s womöglich noch Babyschnecken sind, die in die Fallen reinkriechen.

    Ganz langsam bewegte sich Isimud auf die Wand zu, an der sein Langschwert lehnte. Das richtige Schwert, nicht die Holzklinge, mit der er erst vorhin die Tschätts gekitzelt hatte.

    Gleich neben der Klinge lag auf einem Wandregal der Eiszauberstab, Isimuds der Wahl gegen Goblinkundschafter. Mehrere Ladungen aus dem Stab genügten, um einen Goblin ins Jenseits zu befördern. In der Regel genügten zwei Schuss, um den Goblins das klar zu machen und sie zum taktischen Rückzug zu bewegen.
    Eine Miniausgabe von Goblin mit dem Eiszauber hinzurichten würde kurz und schmerzlos vonstatten gehen…

    Fairness ist nicht, allen die gleichen Chancen auf Zieleinlauf zu geben, sondern dafür zu sorgen, dass jeder ankommt.


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  • Oh wie schön, es geht weiter.
    Aber Isi wird Krutz doch nicht gleich erledigen. Bitte nicht.
    Ist doch ein Kulturproblem und kein echtes ...
    Also nix was nicht mit reden zu lösen wär-

  • Schon berührten Isimuds Fingerspitzen den Eiszauberstab, doch bevor sich sein Griff darum schließen konnte, drang ihm der Gegensatz zwischen Schwert und Stab so richtig ins Bewusstsein. Genauer gesagt, nicht der Widerspruch zwischen Fechtkampf und Zauberei, sondern die Einträchtigkeit, in der beide Waffen nebeneinander existierten.
    So war es auch daheim gewesen. Isimud war nicht nur das Kind eines Kämpfers, nein, neben Damkina, seiner der kriegerischen Mutter, hatte er auch einen schlauen Vater gehabt. Nudimud nämlich, der immer einen Ausweg wusste und sich in Isimuds Alter bisweilen absichtlich in ausweglose Situationen manövriert hatte, nur um zu sehen, ob er wohl allein durch Cleverness wieder heraus käme.


    „Es gibt einen anderen Weg!“ rief Isimud aus. Entschlossen packte er den Zauberstab, um ihn auf das Goblinkind zu richten. Doch anstatt die tödliche Ladung abzufeuern, nutzte Isimud die letzten Sekunden der Wirkungsdauer seines Übersetzungszaubers, um eine kleine Rede zu halten:


    „Jetzt hörst du mir gut zu, Kleine! Für deinen Stamm bist du tot! Das sind eure Regeln und niemand würde es wagen, Goblinregeln in Frage zu stellen, richtig?“


    Krutz nickte voller Begeisterung. Na klar, Goblins waren mächtig!


    „Aber du bist ja nicht wirklich tot“, fuhr Isimud fort. „Ich, der Windgeist, habe dem großen Goblin dein Leben weggenommen und es für mich genommen. Also gehörst du nun den Geistern. Das heißt, du machst, was wir sagen. Und was wir dir sagen, das ist, wie man ein gutes Leben führt. Wenn du das nicht tust, dann schlagen dir die Geister doch noch den Schädel ein! Klar soweit?“
    Isimuds kurzgefasste Auffassung von Kindererziehung (immerhin hatte bes bei ihm ja auch nicht anders funktioniert…) wurde von der kleinen Krutz mit Enthusiasmus aufgenommen.


    Ich jetzt gehöre Geistern. Das heißt ich jetzt Geheimnnisfrau! Ich jetzt nicht mehr klein!


    Als große Geheimnisfrau würde sie ein Leben fernab von den kleinlichen Fehden der Erwachsenen führen, so, wie der Windgeist es ihr befohlen hatte. Vielleicht in einer magischen Höhle tief im Gebirge oder im Inneren eines uralten Baumes im finsteren Teil des Dämmerwaldes. Sie würde mächtig werden, viele Rätsel ergründen und sich immer satt fressen. Das war ein gutes neues Leben, das da vor ihr lag, ein Leben, mit dem sie sogleich anfangen musste!
    Nach einem kurzen Anlauf hüpfte das Goblinmädchen seinem Windgeist in die Arme. Dieser, nicht im Mindesten auf die Umarmung vorbereitet, krampfte seine Finger unwillkürlich um den Eiszauberstab zusammen…


    „Neeeeeeeeeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiin!


    Doch es war bereits zu spät und drei Dinge geschahen gleichzeitig: Isimud und das glückseelig um seinen Hals geschlungene Goblinmädchen torkelten gegen das Wandregal, er stieß seinen Schrei aus und ein machtvoller Strahl gefrorenen Wassers mit scharfen Kanten löste sich aus der Waffe, geradewegs durch das offene Fenster…


    (Ich werd´ doch nicht meine Kleine abmurksen *schreck*
    Jetzt muss ich euch allerdings noch mal ein bissel zappeln lassen, u.U. habe ich nämlich erst Montag wieder zuverlässiges I-Net.)

  • Stolz wie Oskar hockte Krutz auf ihrem Windgeist. Aus winzigen schwarzen Goblinäuglein grinste sie ihn an und versäumte auch nicht, ihm einen feuchten Kuss mit der Schnauze zu schenken. Das machte man so mit Kindern und Haustieren, damit sie sich an einen gewöhnten und williger folgten. Nur bei Geistern schien der Plan nicht aufzugehen, denn Krutzens Windgeist schob sie unwirsch von sich, riss die Tür auf und stürmte auf die Straße.


    Während sich die Kleine angesichts der gefährlich offenen Haustür tiefer ins Innere zurückzog, sah sich Isimud draußen um. Hier hatte sich innerhalb weniger Sekunden eine Menschenmenge gebildet. Die Trenter Bürger sprachen durcheinander und gestikulierten. Doch noch bevor Isimud versuchen konnte, sich einen Reim auf das Ganze zu machen, fiel sein Blick auf die überall herumliegenden Exemplare des Trenter Boten. Sie lagen in der Gasse verstreut, ganz so, als habe sie jemand nicht nur vor Schreck fallen lassen, sondern als habe derjenige dabei noch wild mit den Armen gerudert.


    Nicht Jascha! Fuhr es Isimud durch den Kopf. Bitte… Götter… lasst mich nicht den Jungen getroffen haben!


    Bei Licht betrachtet, war das natürlich Quatsch. Jaschas Tod wäre nicht schlimmer gewesen als der eines Käfers, auf den man unbeabsichtigt trat.
    Ein Toter… das war so schrecklich, dass jeder weitere Tote kaum mehr das Potential besaß, die damit einhergehende Trauer zu steigern. Doch Isimud lebte nun einmal nicht im Himmel bei seinen engelischen Ahnen, sondern unter Menschen, und das färbte unweigerlich ab. Daher sein “Nicht Jascha” anstatt des “Bitte kein Todesopfer beliebigen Alters und Niedlichkeitsfaktors”.
    “Nicht Jascha…” wisperte Isimud, während er einen Schritt vor den anderen setzte, seinen Zauberstab noch immer fest in der Hand haltend.


    Die Umstehenden hatten ihn noch nicht bemerkt. Lediglich ein Gefräßiger Tschätt der gelbpelzigen Sorte sauste um Isimuds Beine herum. Die Kreatur schnappte sich ungerührt eine der herumliegenden Zeitungen, um damit in einer Lücke zwischen zwei Holzhäusern zu verschwinden. Nicht ihr monsterhaftes Aussehen, sondern diese Eigenschaft, im Angesicht des Leides ihrer Mitstädter nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, unterschied die Gelbpelze von den restlichen Trentern, machte sie zu Monstern. Und dennoch… der kleine Dieb hatte wenigstens nicht den Zeitungsjungen umgenietet! Isimud hingegen…


    “Wie jetzt, “Nicht, Jascha”?” hörte Isimud da eine Jungenstimmezu seiner Linken. “Was soll ich nicht machen?”
    Da hockte das Kind ja, weitestgehend unversehrt, auf dem festgetretenen Lehm, der Gasse “Zum Küchenmeister”! Jaschas Hose war zerrissen, die Knie aufgeschabt und er rieb sich sein Handgelenk.
    “Pass du lieber mit dem Dingens da auf. bevor du mir was verbietest!” fügte der Junge hinzu, auf den Zauberstan in Isimuds Hand deutend. “Das ist ja lebensgefährlich!”
    “Ja… weiß ich. Tut mir leid…”
    Jascha grinste. “Ich gehe hier so nichtsahnend die Straße lang, auf einmal – wusch – saust so ein blauer Blitz mitten über den Weg! Dem kleinen Tschätt friert es beinahe die Nase ab und er hüpft in die Höhe, und dann purzelt er mit voller Wucht in mich rein und wir kugeln durch die Gasse und…”
    Isimud entspannte sich ein wenig. So hatte er also mit seinem fehlgeleiteten Schuss also nur einem Tschätt ein wenig den Pelz gekühlt. Nun, der würde das aushalten. Was nun Jascha anging, der schien über sein Abenteuer die Schmerzen von seinem Sturz bereits wieder vergessen zu haben. Munter plapperte der Junge weiter.
    Aus den Augenwinkeln jedoch beobachtete Isimud, dass sich noch immer Menschen dem Auflauf anschlossen. Etwas ging da vor…


    “He! Du hörst ja gar nicht richtig zu!” beschwerte sich Jascha. Sein Blick folgte dem des Erwachsenen. “Nanu? Was ist denn dort los?”
    “Ich weiß es nicht…”
    “Dann müssen wir´s herausfinden!”
    Ganz zukünftiger Reporter ergriff der Zeitungsjunge Isimud bei dessen freier Hand und zog ihn hinter sich her, auf die Menschentraube zu. Eine Frau drehte sich um. Sie stieß einen kurzen Schrei aus, dann packte sie den Jungen. Ihm die Augen zuhaltend, schob sie Jascha wieder zurück in die Gasse.Isimud aber sah nun, was den Auflauf verursacht hatte: Zwar, den Zeitungsjungen hatte er verfehlt, auch dem Gefräßigen Tschätt keinen ernsthaften Schaden zugefügt, doch nicht jeder in Trent hatte an diesem Tag Glück gehabt.
    “Komm weg”, hörte Isimud die Frau sagen, die Jascha fortführte. “Das solltest du nicht sehen…!”


    Isimud sah: Eine umgestürzte Leiter… einen Topf, der an eben jener Leiter gehangen hatte und aus dem nun Farbe auslief… ein in Manneshöhe an der Hauswand hängendes Schild, auf dem “Städtische Baust” zu lesen stand… und den Stecken, auf den sich Bob der Baumeister stützte, wenn er durch die Straßen wanderte, um den Zustand der Gebäude zu überprüfen oder Vermessungen für neue Baugrundstücke durchzuführen.
    Bob selbst aber lag lang ausgestreckt auf dem Boden und es war fraglich, ob er jemals wieder aufstehen würde. Die gesamte rechte Seite des Rumpfes war wie von einer Schwertklinge aufgeschlitzt, doch das war nicht das Schlimmste. Nachdem Isimuds Eiszauber den Baumeister solcherart gestreift hatte, musste der Strahl mit voller Wucht in die Hausmauer eingeschlagen sein. Beim diesem Aufprall war die Eisklinge in hunderte scharfkantige Splitter zersprungen, die Bob noch einmal aus nächster Nähe getroffen hatten. Die Geschosse steckten noch immer in Gesicht, Händen und Oberkörper des Mannes. Überall dort, wo die Eissplitter steckten, war Bobs Haut blau angelaufen. Er blutete aus zahlreichen Wunden und sein Körper zuckte im Schock.


    Camulos von Noröm, neben vielen anderen Dingen auch Hauptmann der Stadtwache, bahnte sich einen Weg durch die Menge.“Der Heiler ist gleich da!” rief er, dann entdeckte er Isimud mit seinem Zauberstab zwischen den Menschen. Dem erfahrenen Krieger fiel es nicht weiter schwer, sich die Zusammenhänge zu erschließen: Isimud hatte Bob diese Wunden zugefügt – doch konnte es sich nur um einen Unfall handeln. Niemals hätte der junge Krieger eine andere Person mut- oder gar böswillig angegriffen!
    “Es war ein Nachalb, nicht wahr?” forschte Camulos. “Junge? Ähm, Mädchen? Was auch immer du bist?”
    Die Worte des Kriegerveteranen klangen regelrecht flehentlich. Doch Isimud stand in Straßenkleidung vor Camulos. Er war nicht gerade erst aus dem Bett aufgestanden. Er hatte nicht gegen einen Nachtalb gekämpft. Er konnte nicht die kleinste Rechtfertigung dafür vorbringen, mitten in einem Wohngebiet einen Eiszauberstab zu schwingen!
    “Kein Nachtalb”, erklärte Isimud tonlos.
    Camulos senkte den Kopf. Seine Enttäuschung war beinahe körperlich zu spüren.


    Während Camulos damit beschäftigt war, Ordnung in die aufgeregte Menschenmenge zu bringen, stand Isimud nur regungslos dabei. Er erwartete, abgeführt oder in seinem Haus unter Arrest gestellt zu werden, doch nichts dergleichen geschah. Bob zu helfen hatte vorerst Priorität. Selbst wer nichts von Heilkunde verstand, konnte doch zumindest saubere Tücher und Wasser herbeibringen, oder einfache Anweisungen der Heiler ausführen.
    Immer wieder streiften Isimud dabei vielsagende Blicke. Unausgesprochene Vorwürfe standen in diesen Blicken zu lesen: Verantwortungsloser Bursche! Spielt im Haus mit Waffen! Unreif!
    Doch immer wieder mischten sich andere, zweifelnde Blicke darunter. War dieser Isimud tatsächlich nur ein zu groß geratener Junge? Was wussten die Trenter denn über ihn? Selbst nach zwei Jahren fast gar nichts, wenn man es genau nahm. Woher also nahmen sie die Gewissheit, dass nicht doch Absicht hinter dem “Unfall” stand, es sich nicht um einen Angriff gehandelt hatte?
    “Wir sollten MasterX vertrauen”, raunte jemand seinem Nachbarn zu. “Nichts Böses kann das Portal durchqueren und der junge Urkhart ist ja durch das Portal nach Simkea gekommen. Also kann er gar nicht böse sein.”

  • “Hiermit tun wir für jedermann kund, dass Isimud Urkhart, eingetragen im Bürgerverzeichnis unter der Nummer (unleserlich),wegen grober Fahrlässigkeit im Umgang mit Zauberwerk einhergehend mit schwerer Körperverletzung auf sechs Monate aus der Stadt Trent verbannt wird!
    Der Verbannte darf mitnehmen, wieviel er tragen kann. Der Rest seiner Habe wird bis zum Ende der Strafe in seinem Haus aufbewahrt. Der Hausschlüssel ist im Rathaus abzugeben, wo er nach Ablauf der Strafe auch wieder abgeholt werden kann.
    Angesichts der Verstocktheit des Angeklagten, vor dem Gericht über seine Motive oder auch nur den genauen Tathergang Auskunft zu geben, wird eine Strafverschärfung über ihn verhängt:
    Es ist den Bürgern der Stadt verboten, dem Verbannten Ausrütsung oder Vorräte nachzusenden.

    Gez.
    Der Rat der Stadt Trent”


    So stand es wenige Tage später auf einer großen Tafel zu lesen, die Marry ans Rathaustor geschlagen hatte. Im Trenter Boten war es schwarz auf weiß gedruckt und wer weder die Innenstadt aufsuchte, noch Zeitung las, dem trugen es die Gelben Tschätts voller Häme zu.
    Die meisten Bürger waren sich darüber einig, dass das Urteil gerecht war. Einige, die enger mit Isimud bekannt waren, zeigten ihre Erschütterung offen, doch auch sie vermochten nicht von der Hand zu weisen, dass ihr Freund eine Strafe verdient hatte.
    “Welche Strafe?” murrte allerdings der eine oder andere Bürger. “Der kleine Urkhart fühlt sich doch in der Wildnis wohl! Außerdem kann er da ungestört weiter mit seinen Waffen rumfuchteln…”
    “Und das wird er auch!” erhob sich Camulos Stimme neben dem Nörgler. “Er wird Leute wie dich, die nichts von den Gefahren, die da draußen lauern wissen, weiterhin beschützen! Und dabei hoffentlich lernen, nicht noch einmal über die Stränge zu schlagen. Ich hätte den Burschen wirklich als verantwortungsvoller eingeschätzt… Nun muss er den Preis für seinen Übermut zahlen. Wenn er denn dass halbe Jahr überlebt. Wir sollten beten, dass wir ihn lebendig wiedersehen.”

    “Der Wald”, hatte Isimud kurz nach seiner Ankunft in Simkea in seinem Tagebuch festgehalten, “versorgt die Leute mit allem, was sie zum Leben benötigen. Er ist nicht der tödliche Feind wie die Wälder, die in Noröm unter den Schatten gefallen sind, sondern ein Partner, den wir mit Respekt behandeln müssen.”
    Schon mal nicht ganz falsch. Nur handelte es sich bei dieser Lebensweise um eine gemeinschaftliche Anstrengung aller Simkeaner. Vom erlegten Wolf zum Fellumhang war es ein weiter Weg, dessen einzelne Schritte Isimud nicht beherrschte, geschweige denn in der Wildnis die Mittel dazu besaß, diese Schritte umzusetzen. Auf sich allein gestellt vermochte Isimud nicht zu sagen, ob er das halbe Jahr seiner Verbannung überleben würde. Und er war ja noch nicht einmal nur für sich allein verantwortlich, sondern hatte einen jungen Goblin im Schlepptau!

    Im Schutze der Nacht, noch vor dem Morgen, an dem sein Urteil in Kraft treten sollte, schlich sich Isimud Urkhart aus seinem Haus. Den Hausschlüssel warf er bei Marry in den Briefkasten. Danach lief er ein letztes Mal die zum Tor führende Allee entlang. Er stolperte über eine unebene Stelle, verbiss sich einen Fluch und blinzelte stattdessen eine Träne fort.

    “So ein Käse”, murmelte Isimud zu sich selbst. “Was flenne ich hier herum, obwohl ich dem Treiben in der Stadt doch gar nichts abgewinnen kann!”
    Ich hasse das Stadtleben, ich hasse das Stadtleben, ich hasse das Stadtleben!
    Gar nicht so einfach, sich das einzureden, wenn man gerade durch das hohe Tor hinaus in die absolute Freiheit trat…

    Isimud folgte dem Pfad, der um die Stadtmauer herum zum Apfelhain führte.
    An seiner Seite schritt das Goblinmädchen, die Augen weit aufgerissen, damit es auch ja keinen Eindruck von dem neuen Leben verpasste, in das der Windgeist sie führte. Nach einer Weile griff es nach Isimuds Hand, denn gar zu groß und beängstigend war die weite, weite Welt, und das Kind musste sich der Anwesenheit seines Beschützers körperlich versichern.