Herrn Starkbiers Abenteuer

  • Auf der Suche nach dem verlorenen Zwicker

    (À la recherche du lunettes perdu)


    Letztens fuhr Herrn Starkbier nach eigenem Bekunden doch ordentlich der Schrecken in die Knochen. Von Reto zur Begleichung seines üppigen Deckels genötigt, wollte er sich schnell noch einige Heller aus dem Bankautomaten zuppeln, als ein zittriges Stimmchen aus dem Dunkel erklang. Ein alter Zausel tastete sich unsicher durch das Rathausfoyer, nur um über eine Sitzbank zu stolpern und genau vor Knorke einen veritablen Salto mit Bauchlandung hinzulegen.

    Während er sich aufrappelte, erzählte er dem erstaunten Knorke eine lange Geschichte, wie er im Rahmen einer Exkursion die näheren landschaftlichen Sehenswürdigkeiten Simkeas besichtigt hatte – den düsteren Dämmerwald durchwanderte, im gefahrvollen Gebirge gemsengleich über Grate glitt oder den Hühnern des heimeligen Hofes huldigte. Irgendwann auf dieser Odyssee wäre er dann seiner Sehhilfe verlustig gegangen.

    Daß der maulwurfsblinde Gelehrte – denn jetzt erinnerte sich Herr Starkbier an die Erzählungen seiner Oma Ilse von dem zerstreuten Professor Bloom – dies nicht sofort, sondern erst bei der Heimkehr bemerkte, als er statt schwungvoll das Stadttor zu durchschreiten, volle Kanne gegen die Mauer klatschte, schien Knorke ein starkes Indiz für größere Probleme als das der Fehlsichtigkeit.

    Kurzentschlossen bot er aber dem angeschlagenen Akademiker seine Hilfe bei der Suche nach dem verbusselten Zwicker an.

    In den kommenden Tagen dehnte er also seine gewohnheitmäßigen Wanderungen auf die Stationen von Blooms Exkursionen aus und spähte nicht nur nach früchtetragenden Obstgehölzen, sondern auch aufmerksam nach der Sehhilfe.

    Jedoch – nirgendwo fand sich das Dingen, erzählt Herr Starkbier, und so saß er nach Tagen der Suche leicht frustriert zwickerlos in der Taverne und legte sich tröstende Worte für Bloom zurecht. Dann hätten nicht weiter zu interessierende Umstände ihn zur taverneneigenen Latrine geführt und während er dort seinen Angelegenheiten nachgegangen wäre, wäre sein zielloser Blick auf etwas Glänzendes gefallen, das vom Spülkasten baumelte … Blooms Zwicker!

    Der Alte freute sich übermäßig und bedankte sich bei Knorke mit einem neumodernen Reiseplaner, mit dessen Hilfe man von Dings nach Bums gelangen konnte, bevor man auch nur „Huch“ sagen konnte.

    Übrigens traf Knorke schon anderntags eine jüngst zugereiste Bürgerin, die zu berichten wußte, daß Bloom seinen Brillian schon wieder verbummelt hätte! Mehr noch – Oma Ilse erzählte, daß sie ihn selbst in jungen Jahren für den Professor suchen ging. Damals hatte sie ihm eine praktische Zwickerumhängekette gebastelt. Die hat er dann auch verloren.

  • Skandal im Dämmerwald (Teil 1)


    Einmal hing Herr Starkbier gelangweilt am Lagerhaus rum und vertrieb sich die Zeit, indem er Herrn Chalek kleine Steine und Nußschalen in die Kapuze warf. Als es ihm dann aber gar zu öde wurde (da Herr Chalek der Belästigung gar nicht gewahr wurde und friedlich in seiner Kutte weiterdöste), fing er an, sich für einen Raubzug durch das Blaubeerland zu rüsten.

    Während er, begleitet vom asynchronen Schnarchen Blues und Chaleks, seine Gerätschaften zusammensuchte, kam Frau Dove des Wegs, wie immer in Blut gebadet – vielleicht von ihrer Arbeit am Schlachthof, vielleicht von einem Zwist mit einem Monster, vielleicht von einem Bieterstreit am Marktplatz um ein rares Sammelgut.

    „Knorke!“, „Tach A.D.!“ grüßte man sich jovial. Dann interessierte sich Frau Dove für den aktuellen Broterwerb Herrn Starkbiers und erfuhr, daß dieser ziellos durch die Gegend zu ziehen pflegte, dort alles an Obst, Sperrmüll, ominösen Gewächsen und Holzsplittern aufsammelte und seine Funde für ein mageres Handgeld und billigen Fusel an den zwielichtigen Jonny verkummelte.

    Von dieser prekären Lebenslage entsetzt, schlug Frau Dove Knorke vor, das Jagdhandwerk zu erlernen. Wenn man denn schon ewig durch die Pampa latschen würde, so ihr Argument, könne man dies auch auf einträgliche Weise tun.

    Herr Starkbier – dies gibt er selber zu – verstand nicht allzuviel von Frau Doves Erörterungen, nickte aber eifrig, um ihre pädagogischen Bemühungen zu honorieren. Als sie von Intuition sprach, die der Jagende in hohem Maße benötigen würde, von der Gewandtheit und der Umsicht, die Nährboden des Erfolges wären, wurde Knorke ganz schummrig im Kopf von den vielen neuen Mitteilungen.

    Als die Artemisjüngerin sich dann noch rühmte, Jagdmeisterin zu sein, gab es in Knorkes überforderter Rübe einen entschiedenen synaptischen Kurzschluß, denn, so vertraute er sich später interessierten Mitbürgern an, Jagdmeister wäre da, wo er herkäme, ein klebriges, alkoholisches Getränk und das könnte er irgendwie gar nicht mit Frau Dove zusammenbringen.

    Also flüchtete er sich in eine alte Meditationsübung, die seine Oma Ilse ihn gelehrt hatte, und dachte: „21, 22, 23, 24 …“, während Ava ihre detaillierten Erklärungen fortführte.

    Irgendwann – die Nacht hatte sich auf Trent gesenkt – wurde sich Herr Starkbier der äußeren Welt wieder bewußt und fand sich allein, ausgerüstet mit einem eigentümlichen Instrument und mehreren spitzigen Konstrukten vor den Stadttoren wieder.

    Was er noch wußte: Diese Gerätschaft hatte er von Frau Dove empfangen, verbunden mit kundiger Gebrauchsanweisung.

    Was er völlig vergessen hatte: Zweck und Name der Ausrüstung, sowie Inhalt der kundigen Gebrauchsanweisung.

    Versuchsweise zupfte er an – wir wissen jetzt, daß es sich um einen Jagdbogen handelte – dem Aparillo (Knorke) und hörte ein sattes *Plong* der gespannten Sehne.

    „Fidelgeigei!“ dachte Herr Starkbier erfreut, was sinngemäß mit „violinenartigem Muskinstrument“ übersetzt werden könnte.

    So zog er, eine kleine selbsterdachte Komposition zupfend (Plong Plongplong Plong), in den Dämmerwald, um der dort streunenden Erdbeeren Herr zu werden.

    (Fortsetzung folgt …)

  • Skandal im Dämmerwald (Teil 2)


    In einer Mußestunde studierte Knorke den Bogen genauer.

    „Isn hier mit“ befragte er den Sinn der beigefügten Steinpfeile. In dem Versuch aus der Kombination beider, Töne von ungeahnter Schönheit zu zaubern, schoß er sich erstmal in den Schuh. Vorsichtiger, aber nicht klüger geworden, hantierte er mit dem zweiten Pfeil ungeschickt herum, als etwas durch das Gebüsch brach.

    Knorke sah nur etwas graues Wuschliges, da hatte er auch schon vor Schreck den Pfeil von der gespannten Bogensehne entlassen.

    Vor ihm lag darniedergestreckt – ein Wolf! Von Knorkes unglücklichem Pfeil des Lebens beraubt!

    „Waldwauzi!“ schrie Herr Starkbier. „Komm, ich helf Dir auf, mach kein Scheiß, Wuffi.“ Und zog und zerrte an dem leblosen Tier.

    Aber die Augen des Wolfs sahen genauso aus wie die von Großonkel Knickebein nachdem Oma Ilse ihn mit der Faust zwischen die Ohren getroffen hatte, weil dieser mit dem Rumtopf stiften gehen wollte.

    Zu diesem Zeitpunkt verlor Knorke jegliche Contenance und geriet in helle Panik. Verzweifelt zergelte er an dem armen Tier herum und heulte sein Leid in die Welt hinaus.

    Schon bald fanden sich besorgte Mitbürger am Ort des Geschehens ein und fragten nach den Umständen.

    „Hab ein Waldwauzi totgepfeilt“ heulte Knorke erklärend. „Ist denn kein Taxidermist im Publikum? Wir könnten den Wuffi ausstopfen und hier an den Baum lehnen.“ Herr Starkbier hatte offensichtlich zu diesem Zeitpunkt die Inseln der Besonnenheit und die Gestade geistiger Gesundheit in rascher Fahrt hinter sich gelassen.

    Zu allem Überdruß schälte sich jetzt auch noch der Fluglurch Herr Ludwig aus seiner komfortablen Ruhestatt und schalt den Unglücklichen, weil er einen Jagdbogen nicht von einer Geige zu unterscheiden vermochte und schloß mit der Bemerkung, Knorke möge sich überlegen, wie er Frau Fiona ihre frühe Witwenschaft erklären sollte.

    Herr Ludwig hatte damit insinuiert, daß es sich bei dem getöteten Wolf um Herrn Valon handelte, der Frau Fiona frisch angetraute Lykanthrop – ein durch nichts angezeigter Verdacht, der sich schon bald als falsch herausstellen sollte. In diesem Moment aber stürzte die Vorstellung Knorke in tiefste und schwärzeste Verzweiflung.

    „O Jammer, O Not! Herr Fio! Der arme Herr Fio! So steht doch auf! Ach, ich Unglückswurm!“

    Man mag sich den Ausgang dieser Tragödie gar nicht vorstellen wollen, aber zum Glück alarmierte das lautstarke Wehklagen Frau Fiona. Was denn geschehen wäre, so fragte sie beunruhigt und Herr Ludwig beeilte sich, ihr mitzuteilen, Herr Starkbier hätte sie ihres Gatten beraubt, indem er diesen kalten Herzens gemeuchelt hätte.

    Frau Fiona blickte verdutzt auf ihren neben ihr den Schlaf des Erschöpften schlafenden Gemahl, war aber beunruhigt genug, hastig seinen Atem und Herzschlag zu kontrollieren. „Gatte lebt und ist wohlauf!“ signalisierte sie und schüttelte mißbilligend den Kopf ob des ganzen Theaters.

    Nachdem Herr Starkbier sich nach einer Weile soweit beruhigt hatte, daß er Kraft fand, Herrn Ludwig zu beschimpfen und ihn der unverantwortlichen Verbreitung von Fakenews zu bezichtigen, zerstreute sich die Menge allmählich und es wurde wieder still im Dämmerwald.

    An Knorke ging das Geschehen indes nicht spurlos vorbei. Zwar führte er auch weiter Pfeil und Bogen mit sich, belegte aber bei Frau Dove den Kurs „Jagen mit Verstand“. Auch begegnete er angesichts der Vielfalt an gestaltwandlerischen Mitbürgern der Natur mit großer Vorsicht und verwickelte irritiertes Wild in längere Gespräche oder grüßte auch mal einen Baum für den Fall, daß es sich zum Beispiel um Herrn Andarin handelte.

    Besucher des Waldes sollten sich also nicht wundern, wenn sie Herrn Starkbier dabei beobachten, wie er ein Grünkraut befragt, ob man sich nicht aus Trent kennen würde und wie es denn so ginge. Dem Jagd- und Sammelertrag ist Knorkes neugewonnene Achtsamkeit zwar abträglich, aber dafür geht er guten Gewissens seinem Broterwerb nach.

  • INTERMEZZO 1 – Über wunderliche Wesen


    An einem nebligen Abend saß Herr Starkbier mit seinem Cousin Knusper und Großmutter Ilse in der schlecht beleumdeten Hafenschänke „Zum zankenden Zander“ und man ließ es sich bei Bockbier und Apfelbrand gut ergehen.

    Oma Ilse hatte schon mehrere Runden gegen Knorke und Knusper im Matrosenweitwerfen gewonnen und war dementsprechend guter und gesprächiger Stimmung.

    Bedächtig drehte sie sie den Krug in den vom Pferdebeschlagen schrundigen Händen.


    „Ich erinnere mich noch gut jener Tage, bevor das Schicksal uns in dieses Land gespült hat. Da, wo wir herkamen, war so vieles anders. Manches war zum Schlechteren, manches war zum Besseren bestellt.“

    „Die Musik war erträglicher“, warf Knusper ein. „Hier gilt als Höhepunkt der Sangeskunst das schrille Gejammer eines Katzenwesens!“

    Alle nickten mit von schmerzlicher Erinnerung gezeichneten Mienen.

    „Ein Katzenviech, das der Rede befähigt ist und einen Marktstand betreibt“, führte Oma Starkbier ihre Überlegungen fort. „Das war in der alten Heimat anders. Bei allen Unterschieden waren wir doch alle vom selben Menschenschlag, alle so normal wie ich und Du.“

    Sie stockte und taxierte mit zusammengekniffenen Augen Knorke und Knusper.

    „Also wie ich. Normal halt.“


    „Aber hier …“ Sie erwischte den vorbeilaufenden Kellner, bestellte bei ihm eine neue Runde und warf den Unglücklichen gedankenverloren hinter die Theke.

    „Diese Welt ist voll von wunderlichen Wesen. Man wird ganz kirre ob der Vielfalt und der Eigentümlichkeiten.“

    „Da sprichst Du Wahrheit, Großmutter. All die sprechenden Tierwesen, von denen manche zudem nach Lust und Laune Menschengestalt annehmen können, all die Feen, die trotz ihrer Zartheit groben Handwerken nachgehen, die zauberkundigen Zausel und elbisch schwätzenden Spitzohren. Erst kann man es gar nicht fassen, doch dann gewöhnt man sich rasch daran“, erwiderte Knusper und nahm dem humpelnden Kellner die schweren Bier- und Schnapskrüge ab.

    „Welches ist wohl der eurer Meinung nach wunderlichste Mitbürger?“ fragte Ilse Starkbier und fügte nach einem Blick auf Knorke hastig hinzu: „Anwesende ausgeschlossen.“


    „Na, ihr wißt ja, daß ich nur selten in der Stadt bin“, fing Knorke an.

    „Weil Reto bei deiner Sichtung sofort die Zahlung deines Deckels einfordert“, warf sein Cousin kichernd ein.

    „Aber auch im Umland und auf dem Hof bekommt man die seltsamsten Leuts zu Gesicht“, fuhr Knorke fort. „Zum Beispiel treffe ich häufig an der Saftpresse eine junge Dame von angenehmem Wesen mit Namen Ninawe, mit der ich über dieses und jenes zu parlieren pflege und die stets und immer eine große Anzahl der delikatesten und kundigst bereiteten Marmeladenstullen bei sich führt, von denen sie freigiebig austeilt.“

    „Altruismus mag selten geworden sein, wunderlich ist das aber nicht“, warf Ilse Starkbier ein.

    „Man muß dazu aber wissen“, setzte Knorke seine Erzählung fort, „daß es sich bei der Dame um ein Pinguinküken handelt!"

    Pinguin! Küken! Wie kam sie in ein klimatisch mediokres Biotop? Wie kann sie sich so verständig äußern so kurz nach dem Eischlupf?“

    „Wie schmiert sie die Stullen?“ ,dröhnte Oma Ilse dazwischen. „Ich meine, wie hält sie das Buttermesser? Oder benutzt sie den Schnabel?“

    Darüber geriet die Gesellschaft ins Sinnieren und der kluge Kellner proviantierte sie hastig mit einer Präventivrunde.


    „Am Trenter Lagerhaus haust ein Mann in einem roten Haus.“ räusperte sich Knusper. „Das ist gerade so groß wie er selbst und niemals verläßt er es.“

    „Haha“, lachte Knorke „Das ist der Herr Chalek – aber das ist kein Haus, sondern seine Kutte, die im Lauf der Jahrhunderte, die er dort meist schlafend verharrt, so starr und fest wie Ziegelstein geworden ist.“

    „Auf einer Schulter haust ein Papageienvogel seit Jahr und Tag und Kot und Kutte sind an dieser Stelle zu einem reichen Humus kompostiert und im Frühjahr sprießen dort die üppigsten Beerensträucher, die Blue abzuernten pflegt und daraus einen vorzüglichen Likör zu bereiten weiß.“

    „Das ist wunderlich“, bestätigte Oma Ilse und Knusper nickte mehrfach. „Aber ich habe ein- oder zweimal in frühen Morgenstunden Herrn Chalek jenseits des Lagers in irgendwelchen Gassen angetroffen.“

    „Ja“, nickte Knorke. „Ab und an passierte es, daß spielende Kinder Herrn Chalek umkippten, in den Straßen herumrollten und ihn dort achtlos liegenließen, ohne daß er aus seinem Schlaf erwachte. Mittlerweile hat Herr Blue ihn in einem Zementsockel fixiert, damit er nicht abhanden kommt.“

    „Er schläft aber nicht immer“, warf Ilse ein. „Manchmal wird er wach und murmelt etwas. Da verjagt man sich aufs Heftigste!“

    „Ja. Hab ich auch schon erlebt. Gruselig. Ich hab vor Schreck meinen Blaubeerbrand in die Nase bekommen und so geröchelt, daß der zufällig anwesende Herr Sunmo den kleinen Herrn Hu beruhigen mußte“, erinnerte sich Knorke Starkbier.

    „Man blamiert sich ja auch nicht, indem man am Lager Spirituosen verzehrt“, rügte Oma Ilse streng. „Man geht hinter das Lager! Aber trotzdem – sehr, sehr wunderlich."


    „Wunderlich, wunderlich!“ murmelten alle gleichzeitig und winkten nach dem verängstigten Kellner.


    Fortsetzung folgt

  • Die Sommer-Tombola - Eine Danksagung an Lady Sharina


    Als Herr Starkbier auf dem Weg zur Taverne von der würdigen Lady Sharina bezüglich des Erwerbs eines womöglich gedeihlichen Tombola-Loses angesprochen wurde, verstand der stets am mentalen Abgrund Taumelnde nur sowas wie "Los! Kauf!" Aus diesem Mißverständnis heraus erhandelte Knorke aus Furcht, von der resoluten Lady die Fresse poliert zu bekommen, ein Los.

    Schnell vergaß der wirre Wicht dies Geschehnis und verlor sich in den Weiten des Umlandes, wo er seinen Korb mit den Gaben der Natur füllte und abends sein Geld gegen glücksspielbetreibende Käfer verlor.

    Um so überraschter war Herr Starkbier als ihn bei seiner Rückkehr in die Metropole Trent ein paar der Lady dienende Kobolde abfingen und ihm ein kostbares Hemd aus raren Lumpen und einen Trinkkorb überreichten, von dem man in den Gassen raunte, daß er einst König Alfred, dem Verwöhnten, gehört haben könnte, vielleicht sogar der Baronesse Trina Trinkviel, der Erfinderin des Stiefelsaufens. Wie auch immer – eine dem guten Knorke ganz unmäßige Ehre.

    Seinen Gewinn hält Herr Starkbier bis zu diesem Tage in großer Wertschätzung. Das allerschönste Lumpenhemd dient ihm als vorzügliche Brötchentüte und den Trinkkorb trägt er jeden Tag als Schutz gegen Regen und Sonnenglut.



  • Ilse Starkbiers Who´s Who in Simkea – Sammelkarte No. 1


    Letztens sprach Ilse Starkbier, die bekannte Rein- und Rausschmeißerin, Doyenne der zwielichtigeren Viertel Trents und amtierende Rekordhalterin im einarmigen Matrosenweitwurf, zu ihrem Enkel Knorke: „Knorke. Mir ist aufgefallen, daß Sammelkarten ein begehrtes Gut sind. Die Leute zahlen aberwitzige Summen für zum Beispiel die besonders rare Karte „Rübenschnitzen“. Es gelüstet mich, eine eigene Edition zu kreieren! Es wird sich um ein Who´s Who in Simkea handeln und interessante Mitbürger porträtieren.

    Jetzt hole hurtig Papier und Pinsel, wir wollen gleich mit der ersten Karte beginnen.“

    Herr Starkbier hörte dies und es kamen ihm allerlei Einwände in den Sinn. Doch die Erinnerung an den letzten Starkbier, der Oma Ilse zu widersprechen wagte – Onkel Grütze, der immer noch halb im Dach der Scheune feststeckte – , ließ ihn gehorchen.

    Und so beginnt mit der umtriebigen Töpfermeisterin Davina Feenglöckchen diese Edition.


  • Ilse Starkbiers Who´s Who in Simkea – Sammelkarte No. 2


    "Knorke" schreit Ilse Starkbier, nachdem sie die Tür der Taverne eingetreten hat und sich auf eine Sitzbank fallen gelassen hat, "Knorke, wir müssen dieser hervorragenden Dame in unserer Edition ein Denkmal setzen".

    "Wie? Was? Dame? Welche Dame?" fragt Herr Starkbier konsterniert und unterbricht das Studium seines Getränkes.

    "Hörst Du mir nicht zu, Bursche? Ich spreche von Frau Kator Dortorum Hildix Abstractum" lärmt seine Großmutter, beißt einem Steinkrug Blaubeerbrand den Hals ab und stillt ihren ersten Durst.

    "Einer Frau dieses komplexen Namens bin ich noch niemals nicht begegnet, geschweige denn einer Dame" nölt Knorke, worauf ihm die Frau Großmutter eine ordentliche Maulschelle verabreicht, die den bedauernswerten Zausel durch ein Fenster auf die Gasse befördert.

    "Das war für die doppelte Negation und für deine Dummheit. Wir sprechen von Kätchen, bei der ich heute den ganzen Tag gearbeitet habe. Sie weiß es zu schätzen, daß ich die Pferde noch mit der Hand und nicht mit diesen neumodernen Hämmern beschlage und engagiert mich von Zeit zu Zeit. Ich halte sie für ein Vorbild für die heranwachsende Jugend. Jede moderne Frau des Mittelalters sollte ein Wildpferd zähmen können. Jetzt eile Dich und hole Papier und Pinsel, während ich der Erschöpfung des Alters mit diesem Balsam Linderung zu schaffen versuche."

    Und so macht sich Herr Starkbier ans Werk, während seine Ahnin kundig ein Fäßchen Dreifachbockbier entkernt.



  • schreibt hier bitte keine Kommentare hinein, dafür gibt es einen gesonderten Kommentarthread.

    Wenn es auch in Knorkes Interesse ist, werde ich alle Kommentare dorthin verschieben.

    “We don't stop playing because we grow old; we grow old because we stop playing.” - George Bernard Shaw

  • Ilse Starkbiers Who´s Who in Simkea – Sammelkarte No. 3


    Sein geübter Blick erspäht die Herde schon von weitem. Blaubeeren! Viele Blaubeeren. Einige frisch geschlüpfte Blaubeerchen kullern noch ungeschickt durch die hügelige Landschaft und werden von den besorgten Mutterbeeren wieder zurückgerollt. Hier und da versuchen sich ein paar übermütige Jungmännchen gegenseitig den Abhang runterzuschubsen. Ganz vorne an der Spitze der Herde aber rollt der stolze Blaubeerbock. Der muß seine gut 200 Pfund wiegen, denkt er. Das reicht für genügend Blaubeerbrand um über den Winter zu kommen.

    Knorke Starkbier breitet seine mächtigen Schwingen aus, schraubt sich majestätisch in die Lüfte und stößt abrupt auf den kapitalen Bock nieder. Als dieser ihn – vom Schatten gewarnt – erspäht, öffnet er sein bezahntes Maul und schreit:

    "TAUGENICHTS! SCHNARCHZAPFEN, ELENDIGER!"

    Benommen schreckt Knorke aus seinem Traum auf und duckt sich gerade noch rechtzeitig, um einem heranfliegenden schweren Nagelstiefel zu entgehen.

    "Pennt der Nichtsnutz am Küchentisch, während seine gebrechliche Ahnfrau des nagenden Hungers stürbt" hört er seine Großmutter Ilse Starkbier zetern, während sie mit einem Hufeisen nach einer verirrten Ratte wirft. "O undankbarer Jungspund, daß Du ungerührten Herzens dies Elend schaust! Eurer greisen Großmutter hüngert es, Herr Enkel!"

    "Aber ich sah euch noch vor zwei Stunden am Marktplatz ein halbes Spanferkel direkt vom Spieß nagen" wirft Knorke zögerlich ein.

    "Möchte Er mir damit etwas sagen, Herr Starkbier? Alte Menschen bedürfen einer reichlichen und gehaltvollen Kost! Das hat auch der Herr Doktor gesagt."

    "Ähm, eigentlich …" erwidert Knorke "… hat er genau das Gegenteil gesagt. Erst nachdem ihr ihn an den Füßen gepackt, eine Viertelstunde geschüttelt und in den Marktstand von Herrn Sunmo geworfen hattet, änderte er seine Meinung in Richtung der Euren."

    "Ach, was Ihr gescheit seid, Herr Enkel" poltert Ilse. "Höret jetzt Worte der Weisheit: Mit Akademikern ist es wie mit Erbseneintopf! Die stehen den ganzen Tag dumm rum und schließlich sind die gehaltvollen Ingredenzien nach unten gesunken und oben ist nur dünne Plörre! Wenn man so einen Doktor nicht ordentlich schüttelt, bekommt man nur dummes Zeug zu hören, weil all das hochgelehrte Wissen ihm über den verbummelten Tag in die Füße sedimentiert ist!"

    "Jetzt genug der Widerworte, Herr Starkbier! Eilet in die Taverne, wo um diese Zeit das Fräulein Ninawe tätig ist. Es gelüstet mir nach ein oder zwei Dutzend ihrer hervorragenden Pfannkuchen. Hier ist Geld" brüllt die robuste Alte und wirft Knorke einen prallen Geldbeutel an den Kopf. "Untersteht Euch, bei geistigen Getränken am Tresen zu säumen, sondern kehrt in großen Eilmärschen zu Eurer darbenden Vorfahrin zurück!"

    "Nun ja, es wird sicher etwas dauern, bis diese Menge Pfannkuchen gebacken und verpackt ist. Da kann ich die Zeit doch nutzen, einen kleinen Branntwein …" merkt Knorke vorsichtig an.

    "NUTZEN! Da sagt Ihr was" kreischt Ilse und schwingt den verbliebenen Nagelstiefel. "Nehmt euren Malkasten mit und fertigt geschwind ein leidlich zutreffendes Portrait des Fräulein Ninawe an, auf daß wir endlich wieder eine Sammelkarte publizieren können. Los jetzt! Eins, zwei, eins, zwei …!"


    Und so trollt sich Knorke, die Aufträge seiner Großmutter getreulich zu erledigen oder – wer weiß dies bei dem zottligen Bummelanten schon – das Essensgeld zu verzechen und dafür eine furchtbare Tracht Prügel von ihr zu erhalten.



  • Wie Ilse Starkbier dem Osterhasen begegnete und Knorke keine Eier fand


    Eines Abends kam Großmutter Starkbier nach einem langen Arbeitstag im Rodegebiet in die Stadt zurück. Der Ausbau des Familienanwesens forderte eine große Menge Holz und die Schulter schmerzte ihr ein wenig vom Umschubsen der Bäume.


    So ging sie noch etwas ziellos spazieren, als der ungewohnte Anblick eines blumengeschmücktes Tores ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Pforte war unverschlossen und so trat Ilse ein, denn ein altes Starkbiersches Bonmot besagte, daß hinter offenen Türen oftmals freie Getränke warteten.


    Hier stieß sie aber nur auf einen haarigen Gesellen, der mit einer auffälligen roten Schleife, aber ohne Hose auf einer Wiese rumlungerte. Schon wollte sie dem vermeintlichen Unhold eine Tracht Prügel verpassen, als dieser sie fröhlich ansprach:


    „Ja, Grüß Gott, gute Frau. Schau, ich hab hier ein Körble für Euch, damit ihr bunte Eierle sammeln gehen könnt!“

    Was?“

    „Ein Körble. Für euch. Zum Eierlesammeln.“

    Hä?

    „Frau! es ist Ostern. Ich bin der Osterhase. Ich offeriere Euch hier einen traditionellen Korb, damit ihr die traditionellen Ostereier traditionell einsammeln könnt!“ Auch für den Hasen war es ein langer Arbeitstag gewesen und die neue Kundin hielt ihn vom Feierabend ab.

    „Wozu?“ fragte Ilse ratlos.

    „Wozu? Das Osterfest, gute Frau, ist ein kulturell reiches Fest, das ein Band knüpft zwischen …“

    „Du bist ganz schön fett.“ merkte Ilse an, die Taille des Gesellen taxierend.

    „Äh … ein Band knüpft zwischen Alt und Jung und … Iiiiks!“ Ilse Starkbier hatte einen knorrigen Zeigefinger in des Hasen weichen Bauch gebohrt.

    „Richtige Schwabbelbombe!“

    „Gute Frau, ich, äh, ich …“ Empört und verlegen zugleich mühte sich der Osterhase den Bauch einzuziehen.

    „Vielleicht solltet ihr euch mal selbst so nen Korb nehmen und ein wenig tätig werden, um eure Plautze wegzuschmelzen.“

    „Aber, gute Frau! Ich bin der Osterhase und ich …“

    „Eure Vorgänger jedenfalls hätten sich so einen Speckranzen nicht leisten können. Als ich ein junges Mädchen war, war das Eierfärben noch ein gefahrvolles Geschäft für sehnige Athleten. Da gabs noch keine gemütlichen Hühnervögel, denen man das Gelege unterm Hintern wegziehen konnte, ohne den Verlust von Gliedmaßen zu riskieren.“

    „Äh. Es gab noch keine Hühner, sagt ihr? In eurer Jugend?“ Mittlerweile war der Hase völlig konsterniert und schaute sich unauffällig nach Hilfe um.

    „Nein, die Eierproduzenten waren im allgemeinen stark bezahnt und so einem fetten Happen wie Euch nicht abgeneigt. Hab mal einen frühen Vertreter eurer Zunft beobachtet, als ich weiland Ostern Anno Tobak meine Großeltern zum Schachtelhalmtee besuchen wollte.“

    „Schachtelhalmtee …“

    „Dunkelbohnen gabs noch nicht“

    „Gabs noch nicht. In eurer Jugend. Äh.“

    „Jedenfalls mußte ich in das Sumpfgebiet, weil meine Oma und mein Opa noch amphibisch lebten“ begann Großmutter Starkbier zu erzählen. „Den damaligen Trend, ganz an Land zu leben, hielten sie für eine kurzlebige neumoderne Marotte. Dort beobachtete ich einen Osterhasen bei seiner gefährlichen Arbeit …“




    Kurz verschwamm Ilse Starkbiers Blick bei der Erinnerung an die fernen Tage, gewann dann aber gleich wieder die bohrende Schärfe, mit der sie den Erzählungen ihrer Anverwandten zufolge aus sechs Metern Entfernung einen Kürbis platzen lassen konnte.


    „Nun gebt schon einen Schwung dieser Körbe her, Moppelhase. Die ganze Sache riecht nach Dukaten. Ich entsende meinen Klan zur Eiersuche!“

    „Oh, es gibt aber pro Kopf nur ein Körble …“

    „Soll so sein. Das wären dann zwei Dutzend. Rückt sie gleich jetzt raus, Dickerchen – ihr wollt nicht alle Starkbiers hier im Osterland einzeln empfangen, glaubt mir, Meister Wampe“ erwiderte Ilse resolut und nahm dem Hasen die Sammelkörbe ab, dem jetzt so langsam alles egal war, sofern er nur die grobe Alte los wurde und mit einer Flasche Eierlikör ins Bett konnte.


    Zuhause angelangt verteilte Ilse die Körbe an die zusammengerufenen Damen und Herren Verwandten und erteilte Ihnen für den nächsten Tag den Marschbefehl mit dem Auftrag, Ostereier in großem Stil abzuräumen.


    Was beim frühmorgendlichen Aufbruch niemand ahnen konnte, war, daß die Expedition in einem Fiasko enden würde und daß von der ursprünglichen Gruppe nur einer auch nur das erste Ziel, den fernen Dämmerwald, erreichen sollte.


    Als die Klanmitglieder – Knorke Starkbier, einige Onkel und Tanten, eine vielköpfige Neffen- und Nichtenschar sowie ein Schwippschwager, dessen Herkunft etwas im Ungewissen lag – an diesem diesigen Sonntagmorgen aufbrachen, wußten sie nicht, daß sie schon den ersten schweren Planungsfehler gemacht hatten.


    In den kühlen Morgenstunden erschien die Bemessung der Blaubeerbrand- und Dreifachbockbierrationen ausreichend, doch nur eine Stunde später auf Höhe der alten Weberei war die Sonne stechend durch die Wolkendecke gebrochen und die Abenteurer litten unter quälendem Durst. Mit Mühe und Not rettete man sich in die Taverne, wo man die schwersten Fälle in hastig errichtete Sauerbierzelte bettete und die Glücklicheren mit duftenden Obstbränden und perlenden Heilbierchen verarztete.


    Schwippschwager Schwenke und die Onkel Kruste und Bärlauch erklärten, aufgrund ihrer tiefen Erschöpfung nicht weiter mitreisen zu können. Den Protesten Retos zum Trotz baute man in seinem Weinkeller ein Lazarett. Verschiedene Tanten und jüngere Verwandte blieben zur Pflege und Beaufsichtigung der Versehrten zurück.

    "Bringt mir ein Osterei mit!" barmte Onkel Kruste der Restexpedition mit schwacher Stimme hinterher und entkorkte, als diese außer Sicht geriet, zum Trost eine Flasche Chateau de Sumpfi Brut.


    Kurz nach Verlassen der Stadt stießen die Starkbiers auf ein üppig tragendes Blaubeerfeld. Instinkt, Neigung und Vorausschau auf die nahe Blaubeerbrandsaison obsiegten über das Pflichtbewußtsein und der größte Teil der Gesellschaft beschloß hier ein provisorisches Lager aufzuschlagen. Knorke half noch mit, die Theke und die Billiardtische zu errichten, bevor er sich mit seinem verbliebenen Trupp – seiner Nichte Nöle Starkbier – weiter durch das Umland kämpfte.


    Diese letzte Anverwandte verabschiedete sich von Knorke in Höhe der seltsamen Waldstelle mit einer bewegenden Rede – des Inhalts, daß das Umland doof sei, Ostereier doof seien, der Hase gar noch doofer und Knorke sowieso.


    Auf sich allein gestellt erreichte er den Dämmerwald, fand jedoch dort alles mit Bäumen zugestellt – an eine Eiersuche war hier nicht zu denken.


    Sein nächstes Ziel – die Nordschneise – fand er nicht, weil er sich nicht erinnern konnte, in welcher Himmelsrichtung sie lag.


    Auf dem Gutshof wiederum erkannte ihn kein Schwein und es hatte sich zudem eine Hühnerwehr organisiert, die mit paramilitärischen Mitteln alle Ostereier zu requirieren suchte. Knorke versteckte sich im Teich, teilte sein Brot mit der dort hausenden Ente und schlich sich im Schutz der Dämmerung davon.


    Doch das Pech blieb ihm treu. Auf der Überfahrt zur Insel des gefrorenen Feuers kollidierte sein Boot mit einem gefrorenen Osterzopf, schlug leck und sank. Knorke konnte sich in einem halbvollen Aquavitfaß retten.


    Die Überfahrt zur Sumpfinsel blieb ihm verwehrt, weil er anstelle eines Holzpaddels versehentlich einen Pfannenwender ausgerüstet hatte.


    Im Adoragebirge stellten sich die gefundenen Ostereier als einigermaßen ovoides Geröll heraus und schließlich – in der Wüste – blieb der frustrierte Abenteurer in der Karawanenkneipe „Zum Treibsand“ hängen.

    In sein Tagebuch notierte er: „Heute die Wüste erreicht. Alles voller Sand. Eine kleine Schale Kaktusbier kostet 2 Dukaten.“

    Knorke gab auf und trat die Rückreise nach Trent an.


    Das Umland war mittlerweile von erschöpften, aber erfolgreichen Eiersammlern bevölkert, die, gebeugt von der Last ihrer Beute, in Richtung Trent trotteten.


    Dieser angesichtig wurde Herr Starkbier von einer warmen Welle des Mitgefühls erfaßt und er erleichterte die Beladenen stickum hier um das eine, dort um das andere Osterei, bis er ein respektables Sortiment vorzuweisen hatte, das man der Frau Großmutter präsentieren konnte, ohne Schaden am Leib zu nehmen.


    Und so nahm die so desaströs begonnene Odyssee doch noch ein gutes Ende.

  • Der Tod klopft an die Tür


    "Herr Enkel!"

    In seltsam gedämpften Ton brüllt Ilse Starkbier nach Knorke und alarmiert eilt er an die Seite der knorrigen Alten.


    "Herr Enkel, es gibt Ernstes zu besprechen. Bitte setzt Euch und hört zu" röhrt die Großmutter und wirft Herrn Knorke mit einer beiläufigen Handbewegung in eine nahe Sitzgelegenheit.


    "Ich werde bald nicht mehr hier sein. Könnt Ihr die Familie an meiner Stelle zusammenhalten? Herr Knorke? Fühlt Ihr Euch imstande meine Aufgaben als Familienoberhaupt wahrzunehmen?" insistiert Ilse, die Schulter ihres Enkelkindes umfassend.


    "Aber wie, was, wieso, warum, Frau Großmutter …" stammelt Knorke konsterniert.

    Die riesige Gestalt der muskulösen Greisin beugt sich langsam hinab zu ihrem Enkel und Herrn Starkbiers Schulter protestiert mit trockenem Knacken gegen den fester werdenden Griff. "Ich spüre den Tod nahen, Herr Enkel."


    Knorke ist keines Kommentars fähig, er ringt sichtlich um Verständnis.


    Die Alte wendet den Blick zum Fenster – im Gegenlicht wirkt ihr Profil wie ein massiver, schrundiger Baumstumpf. "Ja, ich spüre es, ganz nah ist der Tod schon und bald muß ich gehen. Dann, Herr Knorke, müßt Ihr da sein.


    Sorgt dafür, daß Schwippschwager Schwenke nicht auf dem Heuboden raucht!

    Kümmert Euch um eure flatterhaften Kusinen!

    Behaltet Euren Großonkel Stülpnagel im Auge! Er hat sich von Herrn Sunmo einen sehr langen Löffel fertigen lassen und ich fürchte, er plant einen Anschlag auf unseren Rumtopf."


    Jetzt ist Knorke kurz davor nervlich zu kollabieren. "Frau Großmutter! Aber! Wie? Nein! Es kann doch nicht … Warum?"


    "Ich vertraue Euch das Schicksal des Starkbier-Klans an. Ihr taugt zu nichts, Herr Enkel, aber ihr habt ein gutes Herz." Die Alte richtet sich auf und ihr Blick schweift in die Unendlichkeit. Ganz leise wispert sie: "Der Tod klopft gleich an meine Tür. Es ist Zeit!"


    Knorke ist des verständigen Wortes nicht mächtig. Wie versteinert umklammert er die Tischkante.


    *Klickerdiklacker Klickerdiklack!* Das Geräusch kleiner, klopfender Knöchelchen an der Holztür.

    "Da!" brüllt Ilse. "Sag ich doch. Frau Rattentod ist pünktlich!" Hastig reißt sie eine Gallone Blaubierbrand aus dem Spirituosenregal und eilt zur Tür.


    "Frau Rattentod und ich sind nämlich zum Angeln verabredet! Rechnet morgen früh mit meiner Rückkehr und achtet nach Eurem besten Vermögen auf alles."


    Sie greift sich ihre alte Angelrute, öffnet die Tür, begrüßt die skelettierte Freundin und gemeinsam zieht man Richtung Weiher.


    Über die Schulter krakeelt Ilse noch: "Hände weg vom Blaubeerbrand!", aber die Ermahnung kam nicht nur schon zu spät, sondern war Herrn Knorke auch herzlich egal.


  • Die wenig bekannte Geschichte des Glückskekses


    Frühstück bei den Starkbiers. Kusin Kleinlicht und Onkel Topfen hieven mit vereinten Kräften den Haferschleimkessel zum Tisch und gießen die blasenschlagende Masse in den hölzernen Speisetrog.

    Im letzten Moment kann Kusine Kremich den Kopf vom schlummernden Großonkel Lüpfel aus der Flußrinne ziehen.

    Mit vor Gier zitterndem Eßbesteck – bei den Glücklicheren Löffel, bei den Findigeren hohl geschnitzte Stöcke oder konkave Steine, bei den Mittellosen die bloßen Hände und bei dem unglücklichen Schwippschwager Schwenke ein aus einem Mißverständnis heraus gestohlener Schusterhammer – harren die hungrigen Horden der ersehnten Sättigung und halten doch inne. Noch fehlt die großmütterliche Freigabe – der Startschuß zur Speisung.


    Unruhig brummelt die Menge, einander schubsend und zerrend – nur Kusine Schwämmchen bleibt unbedrängt wie eine Insel in stürmischem Gewässer und im Stillen gratuliert sie sich zu der Disziplin, mit der sie jahrelang die Ohren ihrer aufdringlichen Sitznachbarn abgebissen hat.


    Plötzlich wird es still. Großmutter Ilse naht und ihre Schritte lassen einige unsachgemäß gelagerte Einmachgäser aus den Regalen fallen, ein lockerer Dachziegel löst sich und zerbirst vor dem Fenster mit einem schamhaften Klirren.

    Tief gebeugt, um nicht an die Decke zu stoßen, schiebt sich die Clan-Chefin durch die Tür, greift sich einen zufälligen Verwandten und wirft ihn an den gegenüberliegenden Essensgong.

    BOIIING


    „MAHLZEIT!“ schmettert die Alte mit einer Stimme wie knirschender Kies.


    Wie da die Damen und Herren Starkbier flink wie alarmierte Erdmännchen und fokussiert wie ein Reiher in einem unverhofften Fischschwarm auf die warme, lebensspendende Haferpampe einstaken und sich das Mäulchen füllen!


    Da, unerwartet, öffnet sich die Tür und Vetter Dose schwankt herein. „Guten Appetit“ wünscht er rülpsend, bevor er sich schwer auf eine Bank niederläßt.

    Den vereinzelten Einladungen, sich zur speisenden Rotte zu gesellen, begegnet er mit müdem Winken. „Danke, danke. Ich möchte nichts.“

    Mit einer Mischung aus Schmerz und Freude wie eine werdende Mutter streicht sich der Spätankömmling über den geschwollenen Bauch. „Heute hatte ich wahrlich Fortune! Bei fast jedem Schritt fand ich einen Glückskeks! Ich bin pappensatt! Aber *ächz* die Teile dürften wirklich bekömmlicher sein.“


    „Ähm? Ihr eßt die Dinger?“ fragt Knorke irritiert.

    „Es sind Kekse. Natürlich esse ich sie.“ erwidert Dose auch irritiert.

    „Ganz?“ fragt Knorke irritierter.

    „Die sind umsonst“ antwortet sein Vetter noch irritierter.


    Die Herren starren sich in bilateralem Unverständnis eine zeitlang an, bis Oma Ilse die ungemütliche Stille unterbricht.


    „Ich entsinne mich noch an die Zeit als Glückskekse ein Bildungsprojekt des Magistrats waren.

    Natürlich um sich die Kosten für den Bau von Schulen zu sparen und sich die gesparte Penunze in die eigene Tasche zu schieben.“

    Ilse zieht eine überdimensionale, fast nachtschwarze Zigarre aus der gußeisernen Kittelschürze und entzündet sie mit einem lodernden Kaminscheit.


    „Damals erschien es dem Planungskomitee eine kostbare Idee, den Bürgern bei ihren täglichen Verrichtungen ein kostenloses Körnchen Wahrheit anzubieten …“

    „Für mich ZWEI!“ kreischt in diesem Moment Großtante Mürbel, die bei „kostenlos“ aus ihrem Schlummer erwacht war und nach „Körnchen“ aufgehört hatte zuzuhören.

    „Aber zwei große! Ich bin Kriegswitwe!“


    „Ich entsinne mich der frühen Glückskeksprojekte!“ fährt Ilse fort. „Bei den ersten Versuchen folgte man dem Grundsatz, den physischen und den geistigen Nährwert gleichwertig zu behandeln, so daß wertvolles Wissen in reichhaltiges Schmalzgebäck gebettet wurde. Die Resonanz der Kundschaft war zwiespältig, aber durchweg negativ – die einen beklagten durchfettetes, unlesbar gewordenes Pergament, die anderen störende Fremdkörper beim Verzehr.“


    Mit einer Pranke langt die Großmutter quer durch den Raum zum Blaubeerbrandregal und schenkt sich ein großzügig bemessenes Maß ein.


    „Man entschloß sich, das Projekt in die Hände eines externen ausgewiesenen Bildungsexperten zu geben. Somit betraute man Herrn Karana mit dem Entwurf eines massentauglichen Glückskeksprototypen.“


    Oma Ilse entweicht ein kleines Rauchwölkchen aus den Nasenlöchern, nachdem sie den Brand ruckartig eingekippt hat. „Holla! Der 1619er wird gut!“


    Mittlerweile haben sich nicht alle, aber zumindest die noch mobilen Verwandten um die erzählende Greisin geschart.


    „Der Herr Karana hat den Glückskeks erfunden?“ ruft Schwippschwager Schwenke überrascht. „Dann hat der Herr Waschbär ja mein Leben verändert!“

    „Wie denn das?“ wird von mehr als einer Seite gefragt.

    „In dem ersten, den ich fand, stand etwas sehr Kluges, das ich fortan immer beherzigt habe“ erinnert sich Schwenke.

    „Wie lautete denn diese Weisheit, Schwager?“ fragt Knorke.

    „Irgendwas mit Bienen.“

    „Mit Bienen?“

    „Ja. Oder anderen Vögeln. Es war ein sehr, sehr langer Satz. Aber sehr klug. Ich hab ihn mir leider nicht gemerkt“

    Herr Knorke wendet sich resigniert ab.


    Kusine Knorpel engagiert sich für Schwenke „Man sollte sich überhaupt nicht mehr als notwendig merken. Wenn man den Kopf überfüllt, läuft nämlich Wissen aus Mund und Nase raus. Und vielleicht weiß man dann nicht mehr, wo man wohnt oder wie man heißt.“


    Erbleichend starrt Schwenke sie an. „Das kann passieren?“

    „Jawohl“ informiert Kusine Knorpel „und wenn man sich die Löcher im Kopf mit Wachs zustopft, um zum Beispiel Porfessa an einer Universiumität zu werden, dann kann es passieren, daß einem die Birne zerplatzt wie ein Ballon und man anschließend nicht weiß, wie man seinen Hut tragen soll.“

    „Also am besten erst gar nix merken und wenn doch, dann schnell wieder vergessen!“ Ermutigend klopft sie Schwenke auf die Schulter.

    „Oh. Das schaffe ich“ seufzt dieser erleichtert.


    DARF ICH WEITERERZÄHLEN?“ brüllt Großmutter Ilse dezent und alle Nebengespräche enden.

    „Herr Karana hatte also seinen Glückskeks konzipiert. Der Magistrat hatte ihm unbedacht freie Mittel gewährt und so kam es dazu …“


    „ICH WEISS WIEDER“ unterbricht Schwippschwager Schwenke aufgeregt. „Ich weiß wieder die Keksweisheit!

    Den frühen Wurm fängt der Vogel!

    Eine Ermahnung nicht vor dem frühen Nachmittag aufzustehen, weil der Tag umso gefährlicher ist, je jünger er ist!“

    Erschöpft von der Erinnerungsarbeit fällt der Mann in sich zusammen.


    „… so kam es also dazu“ fährt die narbige Matriarchin mit einem entnervten Blick auf den suspekten Zufallsverwandten fort, „daß Herr Karana also einen Glückskeks nach seinem eigenen Ideal konzipierte. Als erstes verwarf er den zuvor als unabdingbar betrachteten Nährwert. Denn, so argumentierte er, ein gesunder Geist würde auch einen gesunden Körper bedingen (während der Zuckerbäckerinnung nahestehende Kreise zuvor behauptet hatten, daß in einem fetten Bauch auch voll fett der Geist wäre).


    „Dann erwog er einen besseren Schutz der offerierten Klugheiten, Denn Regengüsse, Parasitenbefall und Vandalismus zerstörten in der Frühphase des Glückskeksismus die meisten der Bildungsangebote. In der Folge trennte sich der weise Waschbär von der Idee eines eßbaren Behältnisses und bezog Holzstrukturen, Zement und Metallarmierungen mit ein.“


    Stöhnend öffnet die Alte einen 15-Liter-Bembel „Alter Dreiifachblaubeerdoppelbrandgeist“ mit der steif gehaltenen Unterlippe und gießt sich zwei handbreit in ein schmauchendes Marmeladenglas um es dann mit einem zufriedenen Röcheln zu leeren.


    „Jedenfalls stellte Herr Karana dem Magistrat eines Tages seinen ersten Glückskeks vor. Er bot mit solidem Mauerwerk, stabilen Fundamenten und einer vertrauenswürdigen Überdachung maximalen Schutz für die beherbergte Weisheit. Dazu bot das Konzept von Herrn Karana regalweise Raum für Sekundärliteratur und für die Promotionsarbeiten der den Glückssspruch verwaltenden Bibliothekare. Natürlich gab es auch eine kleine Küche und Sanitärräume.“


    Herr Knorke staunt. „Aber gab es da denn nicht Mangel an Raum für das üppige Begleitprogamm?“

    „Halb so schlimm“ antwortet Ilse. „Es ging, nachdem man das Quellenverzeichnis in die beiden oberen Stockwerke verlagerte. Und für die Fußnoten hatte Herr Karana ja ohnedies ein großzügiges Kellergewölbe eingeplant.“


    „Aber was ist aus diesem wunderbaren Projekt geworden, Frau Großmutter? Denn die kleinteiligen Klugscheißerkekse von heute können doch kaum der Plan dieses großen Gelehrten sein?“


    „Das habt Ihr für eure geistigen Mittel recht klug erkannt, Herr Enkel.“ antwortet Ilse. „Schnell wurde Herrn X das ambitionierte Projekt unheimlich und er wies die Reduzierung auf ein billig zu produzierendes Teigschälchen mit einer Füllung aus wenigen variierenden Kalendersprüchen an. Man enteignete Herrn Karana wegen Verstoßes gegen die eigens deswegen erlassene Gebäckmaximalgrößenverordnung und nutzt seinen Ur-Glückskeks seitdem als Ratsgebäude.“


    „Du liebe Güte“ staunt Neffe Nepomuk nicht schlecht „man weiß nicht, wo man lebt, bis man den Erzählungen unserer Ahnin lauscht.“


    „Ja, genau“ schreit Vetter Dose „und das Beste ist, daß ich noch einen von den leckeren Glückskeksen gefunden habe!“ Er hebelt sich mit dem Kappmesser eine breitgetretene Masse von der Schuhsohle und schiebt sie sich in den Mund. „Frag jetzt aber keiner, was da drinstand. Das kann ich frühestens morgen früh sagen.“