Bruchstücke aus Xanthys Leben

  • Aus den Tagen vor der Mitte des Sommers


    Eines frühen Montagmorgens in dieser Zeit reitet Xanthy schwer beladen mit Kakao und Äpfeln nach Trent zurück, verstaut alles ordentlich im kühlsten Lagerraum bei Blue und bringt ihre Kleider wieder für die Stadt in Ordnung. Noch einmal zum Brunnen – und sie fühlt sich wieder gewappnet für das Stadtleben. Eine Weile studiert sie die zum Teil krakeligen Schriftzüge an der Auftragswand und nickt bald:

    Alkohol könnte sie herstellen, solange sie noch auf die Wasabipaste wartet, die wichtige Zutat für den wartenden Auftrag großer Mengen an Gemüse mit Reis.

    So steht sie kurz darauf in der Taverne – und hängt ihren Gedanken während der langen Siede – und Brennprozesse nach:


    Ihre weit entfernte Heimat, die sie solange nicht gesehen hat – Tage müsste sie sich Zeit nehmen um ein paar Erinnerungen wieder zu beleben. An den ersten Forschungsauftrag in andere Welten erinnert sie sich schon besser:


    Mit einem der ersten Forschungsprojekte schickte man Xanthy ins alte Griechenland. Eine interessante Zeit - viele Ideen der Menschen hat sie versucht aufzuzeichnen: Thales zum Beispiel behauptete, das Wasser sei der Urgrund aller Schöpfung - und machte aber auch in ganz anderer Weise von sich reden:

    „Als man ihm wegen seiner Armut einen Vorwurf machte, dass die Philosophie zu nichts tauge, habe er, sagten sie, da er aufgrund seiner astronomischen Kenntnisse vorausgesehen hatte, dass die Olivenernte reichlich sein würde, noch im Winter mit dem wenigen Geld, das ihm als Handgeld zur Verfügung stand, sämtliche Ölpressen in Milet und Chios für einen niedrigen Preis gemietet, wobei niemand ihn überbot. Als aber die Zeit der Ernte gekommen war und auf einmal und gleichzeitig viele Pressen verlangt wurden, da habe er seine Pressen so teuer verpachtet, wie er nur wollte, und auf diese Weise sehr viel Geld verdient: zum Beweise dafür, dass es für die Philosophen ein leichtes sei, reich zu werden, wenn sie dies wollen, dass es aber nicht das ist, was sie wollen.“

    Das wurde überliefert zur Zeit des Pythagoras, in die sie eine Weile gesandt wurde.

    Viel wurde über diesen gesprochen unter den Philosophen: - von seinen Ideen zur Mathematik und Musik – aber auch zu seiner Idee von Freundschaft:

    In herrlicher Klarheit lehrte Pythagoras die Freundschaft aller mit allen: Freundschaft der Götter mit den Menschen durch Frömmigkeit und wissende Verehrung, Freundschaft der Lehren untereinander und überhaupt Freundschaft der Seele mit dem Leibe, Freundschaft des Vernunftbegabten mit den Arten des Vernunftlosen durch Philosophie und die ihr eigene geistige Anschauung. Freundschaft der Menschen untereinander, Freundschaft unter Mitbürgern durch Gesetzestreue, die den Staat gesund erhält, Freundschaft Verschiedenstämmiger durch richtige Naturerkenntnis, Freundschaft zwischen Mann und Frau, Kindern, Geschwistern und Hausgenossen … Freundschaft des sterblichen Leibes in sich selbst, Befriedung und Versöhnung der einander entgegenwirkenden Kräfte, die in ihm verborgen sind, … Dass in all diesen Dingen der Name „Freundschaft“ ein und derselbe ist und sie beherrschend zusammenfasst, hat … Pythagoras entdeckt und festgelegt....


    Doch bevor sie ihren Gedanken weiter nachhängen kann, wird sie vom Drachen Louhi lauthals in Trent gesucht: die mächtige Stimme dringt bis in den Tavernenkeller und sie eilt, um die Wasabipaste entgegenzunehmen. Schnell gibt sie ein paar Flaschen Alkohol an den Auftraggeber ab und bereitet abends noch die Zutaten für das Gemüse-kochen vor. Damit kann es dann am nächsten Morgen sofort weitergehen. Auf dem Weg zur Küche dringen Stimmen an ihr Ohr:


    Eine gehört eindeutig dem Wesen Matschreiter. „VOTEN“, schreit er. Was das wohl heißt? - Die nächste Stimme kann sie dem schattenhaften Römer Gaius Minimus zuordnen:

    „Es gab mal nen Despoten, der wollte niemals voten,

    bis alle ihm androhten, bald gehör ' er zu den Toten,

    da kam der Matschreiter - und half ihm weiter,

    griff seine Pfote und schrie laut: Nun Vote!

    Er hat sich ergeben und ist noch am Leben.“

    und nach einer Kunstpause:

    „Und die Moral von der Geschicht: ..Vote einfach - zweifel nicht“


    Sie versteht zwar den Sinn nicht ganz, hat aber ihre Freude an der Versform, die sie ebenfalls an einige Künste der gestern in Gedanken wiedererlebten Welt erinnert. Nun aber an den Kochtopf. Viel gibt es von diesem Tag nicht mehr zu berichten.

    Gut, dass der Rucksack so groß ist - und immer ein Notizbuch und Schreibzeug fassen kann. Und gut, dass sie sich die Mühe gemacht hat, die hiesige Sprache lesen und schreiben zu lernen. So kann sie während langweiliger Arbeiten immer ein paar Minuten in den Notizen stöbern oder neue erstellen. Die nächsten Tage geht es so weiter: Schnitzel braten, Tonbecher formen und lasieren....

    Nachdem ein paar Becher zum Glasieren im Brennofen stehen, überbrückt sie die Wartezeit und breitet am Lager bei schönstem Wetter die Krummfruchternte zum Trocknen aus. Das sollte heute klappen. Von ferne dringen ein paar Gesprächsfetzen an ihr Ohr – es geht um Monster und Waffen und wer wohl der beste sei – das erste Mal weckt das ihre Aufmerksamkeit so weit, dass sie sich „den Kampfzähler“ genau ansieht. Noch nie hatte sie gemerkt, was für ein Zauberteil da seit den ersten Tagen in dieser Welt in ihrer Tasche liegt – der weiß ja alles von ihren Kämpfen.. Oh oh. Sie staunt sehr.

    Am nächsten Morgen sind die Krummfrüchte reif – die Portion reicht erst einmal für ihren Proviantkorb – und sie beginnt über dem Feuer am Markt Fischsteaks zu braten.

    Der Duft von den angeschnittenen Eiszwiebeln, die daneben liegen, läßt ihre Augen

    etwas tränen... aber hören kann sie noch gut wie Louhi aufschreit, als er versucht einen Riesenknuddler zu fangen, und dabei fast in der Marktbude hinschlägt. Hier scheinen gerade einige von den Knuddlern quer durch Trent zu fliegen – ab und zu hört sie dieses ganz besondere Zischen über sich. Hoffentlich landet keiner im Lagerfeuer. Von der Seite hört sie Louhi murmeln – „Ich leg mich jetzt in den Stand schlafen“ – und von irgendwo die Stimme des Waschbären: „Oh – Louhi liegt im Stand. Kann man den kaufen?“ Sie schmunzelt. Die Fischsteaks sind endlich fertig. Xanthy belegt ein paar Brötchen und ruht sich nun auch eine Weile aus.

    Fantasie ist eine wunderbare Eigenschaft . Aber man muss sie im Zaum halten


    Erich Kästner :alien:

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