Die Suche nach dem Ich

  • Miriam saß am Küchentisch der gemeinsamen Wohnung von Pengel, Janjunatus und ihr. Vor ihr lagen mehrere Zettel. Auf dem ersten standen die Bestellungen, die Kunden bei ihr gemacht hatten, auf dem zweiten notierte sie, was sie selbst dafür alles brauchte und überlegte, von wem sie was bekäme. Auf dem dritten notierte sie, welche eigenen Bestellungen sie schon durchgeführt hatte.

    Sie seufzte tief. Die Reusen waren immer ein Problem. Alle wollten Krebse, aber keiner wollte Reusen zum üblichen Preis herstellen. Miriam legte den Kopf in die Hände und schaute über die Listen. Sättel waren auch immer beliebt. Sie hatte aber kein Leder mehr. Das bedeutete, sie müsste auch auf die Jagd. Wer könnte ihr Steinpfeile liefern?

    Miriam hörte die Standuhr im Nachbarraum schlagen. War schon wieder eine Stunde vorbei? Sie hatte diese Stunde noch nichts gegessen. Also stand sie auf und holte sich ein Brötchen aus dem Brotkorb und einen Teller Krebssuppe aus dem Topf, der über dem Küchenfeuer simmerte. Pengel sorgte gerne für das leibliche Wohl aller Bewohner. Frisches Essen war immer vorhanden. Die Suppe war lecker, aber Miriam war eigentlich nicht hungrig. Trotzdem hielt sie sich an das, was sie hier in Simkea gelernt hatte: Wann immer möglich wird jede Stunde gegessen oder getrunken. So nahm sie dann auch einen Becher Apfelsaft und trank ihn dazu. Der Becher war verdächtig rissig. Deshalb schrieb sie einen neuen Becher auf ihre Liste.

    Eigentlich sollte sie heute Abend noch mit der Arbeit beginnen, aber das Essen hatte sie eher müde als dynamisch gemacht und so entschied sie sich, heute lieber noch zu Hause zu bleiben. Aber erst einmal mussten diese Listen fertig werden...

  • Letzte Nacht war sie irgendwann aufgewacht und hatte feststellen müssen, dass sie über ihren Listen eingeschlafen war. Alles tat ihr weh. Sie schleppte sich zu ihrem gemütlichen Bett. Doch dort konnte sie nicht wieder einschlafen. Die Aufträge schwirrten ihr im Kopf herum. Hatte sie genug Kupfernieten? Wie gut war der Hammer noch, der bei Blue im Lager lag? Gab es noch Garn in der Kiste? Mit welchem der Aufträge sollte sie anfangen? Die Delphinskulptur, die Jan für sie angefertigt hatte und neben ihrem Bett stand, schien ihr unentwegt Fragen zu stellen, die Miriam nicht beantworten konnte.
    Es dämmerte schon, als sie endlich wieder Schlaf fand und dann träumte sie von einer empörten Kundin, der die Farbe der Kleidung, die sie gefärbt hatte, nicht gefiel. "Ich wollte doch keinen melonengelben Umhang, sondern einen sonnengelben" rief ihr diese zu. Miriam hatte das Gefühl, dass sie diese Frau aknnte, aber im Traum entwich ihr der Name. Also mischte sie erneut ihre Farben, aber als sie sich wieder umdrehte, war der Kessel umgekippt und der ganze Platz war mit gelber Farbe überschwemmt. Jetzt schimpften alle auf sie ein und sie wachte schweißgebadet auf.
    Die Sonne draußen stand schon im Zenit, aber sie konnte sich nicht recht motivieren, aufzustehen. Sie fühlte sich überfordert. Wann hatte sie eigentlich zuletzt hier in diesem Bett geschlafen? Sie würde sich heute Nachmittag in der Badewanne entspannen und dann morgen sauber und mit neuer Frische beginnen.

  • Das Schaumbad gestern hatte ihr gut getan. Jetzt war es wirklich an der Zeit, wieder loszulegen. Im Flur stand ein Weidenkorb voller Äpfel und einer voller Beeren. Bei den anderen Bestellungen fehlten hier und da noch Rohstoffe, um die sie sich kümmern musste, aber Saften war eine Aufgabe, die nur ihre Muskelkraft benötigte. Außerdem waren einige der Äpfel bereits sehr reif und sie hatte Angst, dass sie verkommen, wenn sie jetzt noch länger damit wartete. Ihr Pferd war ihr vorgestern davongelaufen, aber Miriam liebte es genauso, zu Fuß zu gehen. Und da sie jetzt sowieso bis zum Bauernhof musste, konnte sie auf dem Weg auch noch die Apfelbäume und Blaubeerbüsche abgehen und schauen, ob dort wieder Früchte reif waren. Angenehmerweise war das der Fall.


    Hinter dem Blaubeerbusch ging es zum Portal, wo Wilson stand. Miriam wurde klar, dass sie in der Regel dem alten Mann nur kurz zuwinkte und dann weiterhastete. Hatte sie sich nach ihrer Ankunft vor so vielen Jahren eigentlich jemals mit Wilson unterhalten? Deshalb ging sie zu ihm herüber. "Hallo Wilson, wie geht es Dir?". "Vielen lieben Dank, dass Du fragst, Miriam. Ich will mich nicht beklagen, ich bin so froh, hier auf Simkea zu sein. Jeden Tag begrüße ich die verängstigten Wesen, die von Noröm kommen und bin so dankbar. Aber kaum jemand außer den Neuen redet mit mir. Alle sind immer in Eile.Seitdem man die Pferde zähmen kann, ist es sogar noch schlimmer geworden. Gerade weil ich alle begrüße, wäre es so schön zu erfahren, wie es den Leuten ergangen ist."

    Wilson schaute so traurig, dass Miriam sofort das Herz weh tat."Weißt du was, ich bleibe den Rest des Tages hier und erzähle Dir, was ich erlebt habe und von den anderen, die ich so kenne. Zwischendrin gucke ich noch nach den Büschen und Bäumen, je mehr Obst ich habe, desto mehr lohnt sich das Saften." Also schnallte Miriam den Rucksack und die Weidenkörbe ab und bereitete alles für ein gemütliches Picknick mit Wilson vor.

  • Es war ein sehr unterhaltsamer Nachmittag mit Wilson gewesen. Er war nicht nur ein sehr aufmerksamer Zuhörer, er konnte auch selbst sehr spannende Anekdoten beitragen. Jetzt hatte sie allerdings ein schlechtes Gewissen, weil sie schon wieder einen Tag verloren hatte und mit ihren Aufträgen immer noch nicht vorangekommen war.

    Ohne weitere Umwege strebte sie deshalb auf den Bauernhof zu. Als sie sich dem zentralen Gebäude näherte, winkte Isabell ihr zu. "Na, wie geht es Dir, Miriam? Was macht Euer Schrebergarten?" Der Garten!! Miriam erfasste Panik. Jan hatte sie doch gebeten, nach den Krummfrüchten zu schauen. Das war schon eine ganze Weile her. Die wachsen ja auch so langsam. Aber dann hatte sie irgendwie vergessen, diesen Auftrag auf ihren Listen einzutragen. Sie ließ das ganze schwere Gepäck bei Isabell und rannte so schnell sie konnte nach Nordwesten.

    Mit zitterden Händen schloss sie die Gartentür auf. Vor ihr bot sich ein Bild des Elends. Nur zwei Bäume hatten noch Samen an den Ästen, alle anderen waren tot und konnten nicht mehr geerntet werden. Eine ganze Krummfruchternte war fast vollständig dahin. Und das war alles ihre Schuld. Sie wusste, Jan würde nicht schimpfen. Das tat er nie. Aber das änderte nichts daran, dass sie das hier so richtig gründlich verbockt hatte. Tränen des Frustes stiegen ihr in die Augen. Sie setzte sich auf den Lehmboden, achtete dabei nicht auf ihre Kleidung und weinte bitterlich über ihre Unzulänglichkeit.

  • Nachdem der Weinkrampf zu Ende war, hatte Miriam zur Schadensbegrenzung alle Felder wieder umgegraben und die Samen, die sie hatte retten können, wieder ausgesät. Jan hatte sie eine Taube geschickt, damit er von der Misere erfuhr. Abends hatte sie dann einfach nur völlig erschöpft ihren Schlafsack am Rande des Feldes ausgerollt und dort geschlafen, nicht jedoch ohne vorher dreimal zu prüfen, ob das Tor zu war, damit zumindest keine Vandalen das neue Feld verwüsteten.

    Am Morgen war sie nun zu Isabell zurückgegangen und hatte ihr gedankt, dass sie auf ihre Sachen aufgepasst hatte. Als Miriam ihr dann von dem Zustand des Feldes berichtete, kamen ihr erneut die Tränen. Was war denn bloß mit ihr los? So kannte sie sich überhaupt nicht. Sie wollte auf keinen Fall von Isabell bemitleidet werden. Und so wischte sie sich die Tränen schnell aus dem Gesicht und wehrte Isabells Nachfragen fast unwirsch ab. Diese zuckte nur mit den Schultern und Miriam zog weiter zur Saftpresse, um sich endlich darum zu kümmern, wozu sie vor 2 Tagen losgezogen war.

    Sie krempelte die Ärmel hoch und begann mit dem Saften. Normalerweise stellte sich bei dieser Arbeit ein angenehmes Gefühl ein, die montone Arbeit war fast wie eine Meditation. Doch heute stellte sich die Ruhe bei der Arbeit einfach nicht ein. Viele Äpfel waren angeschimmelt und sie musste sie wegwerfen. Das führte nicht nur zu deutlich weniger Saft als sie kalkuliert hatte, es brachte sie vor allem ständig aus dem Rhythmus. Nun ja, sie konnte nur sich selbst dafür die Schuld geben und zumindest konnte sie diese Tätigkeit endlich von ihrer Liste streichen.

  • Als Miriam aufwachte, guckte sie in die Augen von zwei Tauben. Eine brachte die Nachricht, dass eine Reuse für sie am Marktplatz wartete. Endlich einmal etwas Erfreuliches! Die zweite Nachricht war eine neue Anfrage, ob sie Wildpferde einfangen könne. Miriam seufzte. Ein weiterer Punkt auf ihrer Liste. Würde sie nie kürzer werden? Da sie keine Seile mehr hatte, müsste sie erst einmal Hanf besorgen, bevor sie auf Pferdejagd gehen konnte. Sie schrieb sich "Seile & Pferde" auf. Also jetzt ging es erst einmal zurück nach Trent. Sie schulterte ihre Habseligkeiten, der Saft ist deutlich leichter als die ganzen Früchte auf dem Hinweg. Es hatte auch etwas Gutes, dass sie so viele Früchte gestern wegwerfen musste, dachte sie mit etwas Ironie.

    Auf dem Weg zurück sah sie einige wilde Pferde. Wäre sie doch nur eine Pferdeflüsterin, damit die Pferde ihr einfach nach Trent nachliefen, ohne dass sie sie mühsam einfangen müsste. Am Markt wurde Miriam von einer Party überrascht. Irgendwer hatte ein großes Buffet aufgebaut, in der Mitte ein Kuchen. Der Großteil fehlte allerdings bereits, und an der Anzahl der Leute auf dem Markt konnte man erkennen, dass die Party schon eine Weile in Gange war. Miriam wollte nur schnell ihre Reuse aus dem Lager holen, doch so einfach kam sie nicht davon, denn einer ihrer Kunden hatte sie erspäht. Wo sie nun da stand und jemand ihr fröhlich zuprostete, erkannten andere sie auch und meldeten sich bei ihr. Jeder wollte etwas Anderes: Neue Bestellungen, Nachfragen nach alten, Rückmeldungen auf ihre eigenen Aufträge und Anfragen, ob sie nicht dies oder jenes kaufen wolle. Jemand Anderes drückte ihr ein Bier in die Hand.

    Miriam hätte am liebsten geschrien! Das war alles viel zu viel. Sie drückte die Reuse an ihren Körper und floh. Sie wusste, dass verärgerte und verunsicherte Blicke ihr folgten, aber das war ihr in dem Moment egal.

  • Sie war nicht nach Hause gelaufen, weil sie Angst hatte, da könnten ihre Freunde sie finden. Es war schon verrückt, sie versteckte sich vor ihren Freunden, aber gerade wollte sie niemanden um sich haben. Stattdessen lief sie zu ihren Lieblingsplatz in Trent: Das Monument. Dort meditierte sie den Rest des Abends, bis sie endlich so viel Ruhe gefunden hatte, um einzuschlafen. Am nächsten Tag wachte sie auf und erfreute sich am Licht, welches durch die Buntglasfenster in das Innere des Monuments fiel. Nach dem Frühstück ging sie rüber, um Camulos zu begrüßen. Dieser nickte ihr zu: "Hast Du Lust auf gemeinsame Übungen und einen Trainingskampf?" Miriam freute sich über Camulos Art. Er war kein Mensch der vielen Worte und sie heute auch nicht. Auch während der Übungen und des Kampfs redeten sie nicht viel.

    Camulos wies sie immer mal wieder auf ihre Haltung hin und rief Miriam Befehle zu, aber darüber hinaus hörte sie nur ihren Atem, der zunehmend angestrengter wurde. Nach dem Training fühlte sie eine angenehme Schwere, auch wenn einige ihrer Muskeln schmerzten. Camulos gab ihr ein Handtuch, damit sie sich den Schweiß aus dem Gesicht wischen konnte. "Was ist denn los mit Dir, Miriam? Du sahst nicht besonders gut aus, als Du gestern hier hereingestürmt bist." Camulos traf genau den richtigen Tonfall, dass sie nicht wieder in Tränen ausbrach, sondern sachlich über die Probleme der letzten Woche berichtete.

    Während sie es aussprach, stellte sie fest, dass ihrer Niedergeschlagenheit bei gleichzeitiger Nervosität schon Wochen vorher begonnen hatte, nur jetzt so deutlich zu Tage trat. Camulos schaute mitfühlend. "Lass mich darüber nachdenken, wie ich Dir helfen kann. Bleib heute mein Gast hier im Monument. Ich habe noch ein paar Kniffe aus dem Jodo, die ich dir zeigen will. Sie passen gut zu Deinem Kampfstil und machen dich noch effektiver." Miriam freute sich über das Angebot und nickte.

  • Am nächsten Tag trainierte sie morgens wieder mit Camulos. Er zeigte ihr, welche Übungen man morgens gut durchführen konnte, um lockerer zu werden und gleichzeitig den Geist zu fokussieren. Danach setzten sie sich zusammen, um zu frühstücken. "Du musst Dein Leben verändern, um voran zu kommen, Miriam. Als erstes solltest Du Deine Aufträge absagen." "Wie, das kann ich doch nicht tun, meine Kunden und Freunde verlassen sich doch auf mich!" antwortete sie entsetzt. "Schreib ihnen, dass du aus Krankheitsgründen die Aufträge leider nicht erledigen kannst, sondern dich wieder bei ihnen meldest, wenn Du wieder gesund bist." "Das kann ich doch nicht tun, ich bin doch nicht krank." "Fühlst Du Dich denn gesund?" Diese Frage überraschte Miriam. Camulos hatte recht: Sie fühlte sich wirklich nicht gesund. "Ich gehe für Dich auf den Markt, Miriam, und dann besorge ich Dir Tauben und Papier, damit Du allen absagen kannst. Was meinst Du?" Miriam seufzte... noch immer fühlte es sich so an, als würde sie damit ihre Freunde verraten, aber solche Ereignisse wie bei der Feier vorgestern würden sie auch von ihnen entfremden. Sie vertraute Camulos und wollte es darauf ankommen lassen. "Also gut, wir machen es so wie Du sagst."

    Nachdem sie den Nachmittag damit zugebracht hatte, all ihren Kunden zu schreiben, setzten sie sich wieder zusammen. Miriam hatte immer noch sehr gemischten Gefühle. Einige ihrer Kunden hatten umgehend sehr verständnisvolle Tauben zurückgeschrieben, aber so ganz beruhigte sie das trotzdem nicht. "Ich denke, Du solltest einige Zeit Trent verlassen. Hier triffst Du einfach zu viele Leute. Wie wäre es, wenn Du zu Troubadix in den Wald gehst? Er hat eine sehr eigene Sicht auf die Welt, die Dir vielleicht auch helfen kann, alles mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Was denkst du?" Miriam nickte. Sie fühlte sich in der Regel immer wohler, wenn sie sich außerhalb von Trent aufhielt. "Nimm Deine Flöte mit", rief Camulos ihr hinterher, als sie das Monument verließ.

  • Nach einem kleinen Fladenbrotsnack verließ Miriam vor Sonnenaufgang Trent. Die Gassen waren ruhig und verlassen, so sah niemand, wie sie durch das Stadttor ging. Als sie bei Wilson vorbeikam, war gerade die Sonne aufgegangen. Es saß beim Frühstück und sie setzte sich zu ihm. Wilson hatte Pfannkuchen frisch zubereitet und Miriam steuerte etwas Honig bei. Außerdem gab es heißen Dunkelbohnentrank. So gefiel ihr das Leben. Nachdem sie die Frühstücksreste gemeinsam aufgeräumt hatten, machte sie sich auf den Weg zum Wald.

    "Komm immer gerne wieder vorbei", rief Wilson ihr hinterher und sie winkte ihm zustimmend zurück. Auf dem Weg machte sie einen kleinen Umweg und pflückte noch ein paar Äpfel. Sie merkte, dass sie schon wieder ein wenig hungrig wurde und holte Pastete und ein Croissant aus ihrem Gepäck, die sie entspannt im Schatten des Apfelbaumes aß. Danach war es nicht mehr weit bis in den Wald. Die Blätter malten hübsche Schatten auf den Waldboden. Simkea war so wunderschön. Der Blaubeerbusch lud zum Träumen ein, sie setzte sich für ein kleines Nickerchen daneben. Als sie wieder erwachte, sah sie ein paar reife Beeren am Strauch und pflückte sie.

    Als sie diese verpackte, überkam sie der Appetit und sie aß einen Fisch am Stock. Auch wenn sie jetzt viel an Land war, waren doch Fische immer noch ihre Leibspeise. Miriam bemerkte, dass die Sonne schon deutlich über dem Zenit stand und so schulterte sie wieder all ihre Habseeligkeiten, nahm den Essenskorb in die Hand und lief das letzte Stück zu Trubadix. Auf dem Weg zu ihm pflückte sie noch ein paar wilde Erdbeeren. Als sie den Goblin erblickte, der mit seiner Laute musizierte und dazu sang, fühlte sie eine wohlige Wärme. Camulos hatte recht: Sie brauchte nur etwas Abstand und dann würde sich schon alles wieder einrenken.

  • Der Abend mit Troubadix war sehr angenehm gewesen. Miriam und er hatten lange musiziert und sogar ein wenig komponiert. Zum Abendbrot hatten sie nicht, wie Miriam es gewohnt war, eine reichliche Mahlzeit am Lagerfeuer gegessen, stattdessen hatte Troubadix einen Obstkorb zurechtgestellt, aus dem sie sich nebenbei bedient hatten. Entsprechend hungrig war Miriam am nächsten Morgen, so dass sie früh aufstand, um eine umfangreiche Frühstückstafel aufzubauen: Brötchen, Windbeutel, Krummfrüchte, Milchreis und Apfelkuchen standen auf der Picknickdecke. Troubadix erwachte, als sie gerade dabei war, Trinkschokolade aufzuwärmen.

    "Guten Morgen, Miriam. Uhh, wer soll das denn alles essen?" "Na wir natürlich" Miriam musste über diese Frage lachen. "Die Wesen in Simkea essen einfach zu viel, das ist hier eine echte Volkskrankheit." Sie war enttäuscht, dass Troubadix so reagierte.Sie war extra früh aufgestanden und nun bekam sie so einen Dank? "Bitte nimm es nicht persönlich, aber ich bin komplett auf Früchte umgestiegen: Äpfel, Blaubeeren, Erdbeeren und ab und an Kirschen. Seitdem ich diese Umstellung gemacht habe, fühle ich mir viel besser. Und von den ganzen süßen Säften lasse ich auch die Finger. Viele wissen die Reinheit des Wassers gar nicht mehr zu schätzen. Ich habe so lange beobachtet, wie wir uns alle ständig bis zum Hals vollstopfen. Dabei reicht ein Bruchteil der Nahrung aus, damit wir nicht hungern müssen. Die Rohkost der Früchte spart mir auch viel Zeit und Kraft beim Kochen. Klar, nicht jedes Wesen kommt damit aus, aber statt immer 16 verschiedene Gerichte mit sich herumzutragen, ist die Hälfte mehr als genug." Miriam fühlte sich völlig vor den Kopf gestoßen. Tränen des Frustes standen ihr in den Augen. Ohne ein weiteres Wort nahm sie ihren Rucksack und lief in den Wald.

  • Gestern war sie den Rest des Tages mehr oder weniger kopflos durch den Wald gelaufen. Die Worte von Troubadix im Ohr, hatte sie sich wechselweise empört, unverstanden und dumm gefühlt. Irgendwann war sie dann erschöpft an einem Blaubeerbusch stehen geblieben und hatte gemerkt, dass ihre Essens- und Trinkkörbe bei Troubadix standen.
    Also aß sie die Blaubeeren vom Busch, Erdbeeren, die nicht weit entfernt wuchsen, und etwas Schokolade, die sie noch in ihrem Rucksack gefunden hatte. Trotz und gerade wegen dieser ganzen Aufregung war sie dann eingeschlafen.
    Heute morgen war Miriam aufgewacht und fühlte sich erstaunlicherweise sehr gut. Irgendwie war sie klarer im Kopf. Es gab wieder Beeren zum Frühstück. Miriam überlegte, wo ein guter Platz wäre, um über alles nachzudenken. Sie entschied sich, dass sie zum hölzernen Pier ging.

    Sollte sie vielleicht nach Gargantua übersetzen? Sie war schon eine Weile nicht mehr dort gewesen. Als sie dort ankam, zog die salzige Luft ein. In Momenten wie diesen vermisste sie ihr altes Leben im Noröm ohne das Böse sehr stark.
    Aus der Ferne näherte sich ein Segelschiff, welches sie gut kannte. Kapitän Smith nahm regelmäßig die Überfahrt zwischen der Insel und dem Festland in Angriff. Da sie schon oft mitgefahren war, verband sie eine gute Freunschaft. Sie beobachtete, wie das Schiff immer größer wurde und winkte dem Kapitän zu, als dieser die Leinen am Pier festmachte.
    "Na, wie geht es Dir, Miriam?" fragte er, als er dann von Bord kam. Miriam wollte ihm nichts vorlügen und so erzählte sie ihm, was in den letzten Tagen passiert war und vor allem den Frust, den sie am Vortag mit Troubadix gehabt hatte. "Ich denke nicht, dass es gut wäre, jetzt davonzulaufen, so gerne wie ich Dich mal wieder in der ersten Klasse begrüßen würde.", sagte dieser danach. "So wie Du es erzählst, glaube ich nicht, dass Troubadix dir vor den Kopf stoßen wollte. Ich denke, er ist um Deine Gesundheit besorgt, denn wie heißt es so schön: 'Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper.' Mein Tipp: Söhne Dich mit Troubardix aus." Miriam nickte. Mit dem Abstand von mehr als einem Tag musste sie zugeben, dass sie überreagiert hatte. Sie meinte deswegen: "Danke für Deine Meinung. Jetzt lass mich Dir helfen, alle Ressourcen, die hier auf Dich warten, auf's Schiff zu bekommen, damit ihr pünktlich wieder ablegen könnt." Kapitän Smith schlug ihr freundschaftlich auf die Schulter und sie machten sich gemeinsam an die Arbeit.

  • Miriam hatte die Nacht am Meer verbracht und realisiert, wie sehr ihr diese Nähe gut tat. Die Luft war salzig, das Geräusch der Wellen hatte ihre Träume begleitet.

    Jetzt war sie auf dem Weg zurück, um mit Troubadix zu reden. Er saß mit seiner Laute am gewohnten Platz und spielte eine bekannte Simkea-Weise, die von der Rettung vieler Wesen mit Hilfe des Portals handelte. Da sie ihn nicht unterbrechen wollte, zog sie ihre Flöte aus dem Rucksack und spielte die zweite Stimme zu diesem Lied.

    Es waren fröhliche Töne, jede Strophe handelte von einem anderen Geretteten.

    Als das Lied im Wald verklungen war, sagte Miriam: "Es tut mir leid." "Mir tut es auch leid" war die Antwort, "Ich wollte Dir nicht vor den Kopf stoßen. Ich weiß, dass gemeinsames Essen extrem wichtig für alle auf Simkea ist. Aber es wirklich fast immer im Umfang übertrieben. Und wenn man ständig isst, dann ist man richtig energiegeladen, das weiß ich wohl. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass einige sich fast wie in einem Hamsterrad befinden. Das schiebe ich wirklich auf die Ernährung. Die ganze Energie macht alle irgendwie hyperaktiv. Das wollte ich erklären, aber ich gebe zu, dass ich es nicht wirklich klug gesagt habe." Miriam nickte. "Weißt Du was, weil ich meine Körbe bei Dir habe stehen lassen, habe ich mich in den letzten zwei Tagen genauso ernährt, wie Du vorgeschlagen hast. Jetzt denke ich, dass ich mich weniger hungrig fühle. Ich glaube, ich probiere das wirklich mal ein paar Tage länger aus." "Super, dann lass uns doch gemeinsam für heute Abend Erbeeren suchen. Ich kenne ein paar Ecken, da wachsen die süßesten im ganzen Wald". Troubadix legte seine Laute behutsam auf die Seite. Voller Vorfreude folgte ihm Miriam in den Wald.

  • Heute hatte Miriam lange geschlafen. Als sie aufwachte, stand ein Korb mit Früchten neben ihr. Sie musste lachen, weil sie merkte, dass sie sich wirklich auf die Kirschen und die Äpfel freute. Der Drang nach Pfannkuchen mit Honig, Stulle mit Erdbeermarmelade und Brötchen mit Spiegelei war verschwunden. Hatte sie wirklich früher so üppig den Tag begonnen?

    Als sie später mit Troubadix zusammensaß, berichtete sie von ihrer Beobachtung. "Siehst Du, Miriam", erwiderte dieser, "Das Essen und die Getränke sind nur ein erster Schritt, auch bei anderen Dingen solltest Du Dich fragen, ob Du sie wirklich brauchst. Du schleppst neben dem Weiden-, Essens- und Getränkekorb auch noch einen Rucksack mit Dir rum. Am Schluss hast Du nur Haltungsschäden. Guck mal rein, musst Du wirklich all den Kram darin mitnehmen? Wenn man mehr plant, dann erledigt sich das Meiste schnell."

    Früher wäre Miriam wegen der Unterstellung, sie würde unnützen "Kram" mit sich tragen, sofort explodiert. Aber jetzt musste sie zugeben, dass er Recht hatte. Im Rucksack befand sich beispielsweise noch eine Schere, die sie vergessen hatte auszupacken, und ein Kescher, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie ein ihr unbekanntes Insekt fangen wollte. Auch die Reuse, die sie neulich am Markt abgeholt hatte, war noch im Rucksack. "Ich hoffe, Du schlägst mir jetzt nicht auch noch vor, dass ich nackt herumlaufen sollte." Troubadix lachte lauthals. "Von mir aus gerne", meinte er scherzhaft, "aber hier im Wald kann man schnell krank werden. Man muss es mit der Kleidung nicht übertreiben, aber eine Grundausstattung ist sehr sinnvoll. Schau, ich habe so hübsche klobige Stiefel, eine lumpige Hose und aus purem Luxus ein Spinnenseidenhemd. Das alles heißt ja nicht, dass man sich nicht auch mal was gönnen kann." Da mussten sie beide zusammen herzhaft lachen."Okay, dann bin ich ja echt beruhigt", kichterte Miriam.

  • Am nächsten Morgen war Miriam davon überzeugt, dass sie wirklich ihren "Kram" reduzieren musste. Also machte sie sich auf nach Trent, um dieses zu erledigen. Natürlich ging sie auch bei Wilson vorbei, um mit ihm zu plaudern und ihre neue Erfahrungen mit ihm zu teilen. Er wünschte ihr viel Glück und so kam sie in Trent noch vor dem Sonnenzenit an. Sie ging direkt zum Lagerhaus, wo sie Blue ebenfalls ihre Erlebnisse der letzten Tage mitteilte. "Erzähl mir nichts vom Sammeln.", erwiderte dieser, "Dies ist hier der Sammeltempel schlechthin, wenn man so will. Ich beschäftige 24 Wichtel, die sich in drei Schichten ums Ein- und Auslagern, sowie die ganze Buchhaltung kümmern. Am aufwändigsten ist nämlich, die indiviudellen Lagerbücher und das allgemeine Lagerbuch immer aktuell und korrekt zu halten."

    Blue tippte auf das Buch, welches vor ihm auf seinem Sekretär lag. Er schlug es auf: "Allein Du, Miriam, hast 267 unterschiedliche Items hier eingelagert." Er fing an zu blättern. "Um Gottes Willen, was willst Du denn mit den ganzen verschiedenen Farbtönen?" "Ach, da habe ich nur ein wenig rumgespielt..." Miriam wurde die Diskussion nun etwas ungemütlich. "Ach, nur rumgespielt? Aber meine Wichtel müssen jetzt Apfelgrün, Bergwiesengrün und Kristallgrün in ihrer Lagerhaltung unterscheiden. Hier macht sich wirklich keiner Gedanken um meine Arbeit. Aber der Professor, der bekommt natürlich immer das Lob, wobei seine Bibliothek dagegen echt ein Kinderspiel ist."

    Miriam war jetzt völlig beschämt. Sie hatte sich niemals zuvor darüber Gedanken gemacht, dass ihre Sammelei irgendwelche Konsequenzen für andere Leute hatte. Nichtsdestotrotz, aber mit ein wenig mehr Aufmerksamkeit als bisher, lies sie Verschiedenes ein- und auslagern, damit sie weniger mit sich herumschleppte. Dabei hatte sie allerdings eine Idee, die sie gleich morgen in die Tat umsetzen würde.

  • Miriam hatte sich heute ausnahmsweise den Wecker gestellt, um früh aufzustehen. Sie musste ihren Plan umsetzen. Sie hatte gestern sehr genau hingeschaut, als die Wichtel ihre Sachen aus dem Lager holten und Anderes einlagerten. Bisher hatte sie die Wichtel kaum wahrgenommen, sie waren schließlich nur Blues Mirarbeiter, irgendwie sehr anonym.

    Ihre Idee war nun, allen neue Outfits zu nähen. Sie brauchte sowieso noch Tuniken und Röcke für sich selbst, damit sie länger im Wald bleiben konnte. Also ließ Miriam ihre Nadel "heißlaufen". Für die Wichtelausfits konnte sie die normale Schneiderpuppe nicht nutzen, aber sie hatte ihr Handwerk gelernt, als es die Puppe noch nicht gab und sie war nicht umsonst Meister dieses Faches geworden. Also gingen ihr die Wichtelgewänder gut von der Hand. Gestern hatte sie alle diese Farbmischversuche ausgelagert und als sie am späten Nachmittag mit dem Nähen fertig war, färbte sie jedes Gewand in einem anderen Farbton. Sie hoffte, dass die Wichtel damit für alle sichtbarer und auffälliger würden. Es war wichtig, dass sie nicht einfach nur anonyme Lageristen waren.

    Die Sonne ging schon unter, als sie mit der gesamten Arbeit fertig war. Sie nutze die Hilfe einiger anderer Bürger, um alles zum Lager zu bringen. Es war ein großartiger Moment, Blues Überraschung zu sehen. Er rief die Wichtel, die gerade auf Schicht waren, aus dem Lager und die konnten sich vor Freude kaum halten. Einer schlug einen Purzelbaum, ein anderer drückte Miriams Bein ganz fest. Sie selbst hatte auch Tränen in den Augen. Es gab nichts Schöneres als wenn eine Überraschung gelang. Die harte Arbeit heute hatte sich wirklich gelohnt!

  • Nachdem sie all ihr Gepäck umorganisiert hatte, verabschiedete sich Miriam am nächsten Morgen von Blue und den Wichteln und machte sich wieder auf in den Dämmerwald. Wilson war mittlerweile zu einer festen Station auf ihrem Weg geworden. Sie konnte nicht umhin, ihm die Geschichte der Wichtel zu erzählen und Wilson freute sich mit ihr, dass die Überraschung so gut gelungen war.
    Eine Stunde später traf sie wieder im Wald ein und sie freute sich schon darauf, Troubadix wiederzusehen. Diesem ging es offensichtlich genauso. "Ich will gerade Obst und Beeren suchen gehen, kommst Du mit?" rief er ihr zu. Das wollte sie nur zu gerne und so spazierten sie zusammen durch den Dämmerwald auf der Suche nach süßer Beute.
    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Irgendwann brach Troubadix das Schweigen und fragte Miriam: "Wenn Dir eine Zauberfee einen großen Wunsch erfüllen könnte, was wäre der?" Diese dachte eine Weile lang nach und antwortete dann: "Ich würde gerne ein Haus außerhalb von Trent bauen, am liebsten am Meer. Aber da bekommt man keine Baugenehmigung. Alte Häuser haben ja Bestandsschutz, aber Neubauen darf man nicht, wie du weißt. Und ich kann das auch verstehen, weil die Natur so wertvoll ist und sie schnell leiden würde, wenn jeder bauen könnte, wo es ihm einfällt. Aber trotzdem bedaure ich es, nicht am Meer zu wohnen. Ich bin einfach kein Stadtmensch und Trent ist mir zu eng und zu voll." "Da kann ich Dich gut verstehen, ich lebe auch lieber hier im Wald und bin dafür dann in den Eingangsbereich der Ruinen gezogen. Zum Glück lassen mich die Nachbarn von unten in Ruhe." Troubadix lächelte schief. "Komm, lass uns zurückgehen, wir haben für heute genug gesammelt, es wird schon langsam dunkel..." Und damit stimmte Troubadix ein Lied über die Sehnsucht nach dem Meer an, in das Miriam beim ersten Refrain mit einfiel.

  • Beim Frühstück entdeckte Miriam, dass sie keine Kirschen mehr hatte. Das war genau der richtige Anlass, den sie brauchte. Nach den Erfahrungen der letzten drei Wochen fühlte sie sich wieder voller Energie und ein Ausflug ins Dunkel war genau das Richtige, um diese Energie loszuwerden. Sie verabschiedete sich von Troubadix, sagte ihm, dass sie ein paar Tage weg sein würde, aber dafür mit ganz vielen Kirschen wieder eintreffen würde. Dieser meinte, dass er ebenfalls Leckereien sammeln würde, und winkte ihr fröhlich hinterher.

    Es war nicht viel Zeit vergangen, als sie über einen Dämmerpfad in den dunklen Teil des Waldes eindrang. Hier hatte man kaum noch Licht und man wusste sofort, woher der Dämmerwald seinen Namen hatte. Die Sonne konnte man direkt nicht mehr sehen, was die Orientierung deutlich erschwerte. Aber das war natürlich nicht das erste Mal, dass sie hier war und deswegen hatte sie auch ihr Fernglas zur Orientierung mit im Gepäck. Nachdem sich ihre Augen an die veränderte Helligkeit gewöhnt hatte, fing sie an, nach reifen Kirschen zu suchen. Das war ein anstregendes Unterfangen, aber sie konnte nebenbei noch etwas Rosmarin sammeln. Sie wusste, dass Captain Smith damit seine Schiffskost aufbesserte und gut bezahlte. Ein paar Extraheller in der Tasche konnten am Schluss nicht schaden.

    Gegen Abend war ihre Arbeit gut fortgeschritten und sie wollte ein letztes Mal für den Tag mit dem Fernrohr die Gegend überprüfen. Als Miriam dieses aus der Tasche zog, bekam sie es nicht richtig zu fassen, so dass es ihr aus der Hand rutschte. Wie in Zeitlupe sah sie wie es auf dem steinigen Boden auftraf und die Linse in 1000 Teile zerbracht. Miriam war gefrustet. Was für ein bescheidenes Ende für diesen Tag! Es brachte aber nichts, jetzt irgendeinen Aktionismus zu starten. Besser sie legte sich hin, um zu schlafen und dann morgen einen Plan zu schmieden.

  • Am nächsten Morgen beschäftigte Miriam zunächst mit den Resten ihres Fernrohrs. Nach etwa einer Stunde war ihr aber klar, dass sie es mit den überschaubaren Hausmitteln nicht reparieren konnte. Sie würde sich aber davon nicht unterkriegen lassen. Schließlich war sie schon so oft im Dunkel gewesen, dass sie sich auch ohne Fernrohr zurecht finden würde.

    Also machte sie sich auf, um in die Richtung zu gehen, in der sie meinte, dass dort der nächste Dämmerpfad zurück zum den helleren Teil des Walds liegen müsste. Sie wanderte zwei bis drei Stunden, hatte aber das Gefühl, dass sie irgendwie von der richtigen Richtung abgekommen war. Schließlich bestätigte sich ihr Verdacht, als sie den Waldboden auf Spuren untersuchte und dabei auf ihre eigene stieß. Offenbar war sie in einem großen Kreis gegangen. Was für ein Ärger, dass man sich hier so gar nicht nach der Sonne orientieren konnte.

    Plötzlich trat ein Goblin in den Weg. Miriam war erleichtert: Endlich jemanden, den sie fragen konnte. Doch der Goblin deutete ihre Ansprache falsch: Er zog seine Waffe und griff Miriam an. Camulos hatte ihre Reflexe gut genug geschult, dass sie seinen Angriff mit ihrem Scimitar parieren konnte. Nach einem kurzen, aber heftigen Schlagabtausch floh der Goblin in den Wald und verlor dabei ein paar Kreuzer aus seiner Tasche. Miriam wäre es viel lieber gewesen, wenn er ihr den Weg aus dem Dunkel gezeigt hätte, aber zumindest war sie unverletzt aus der Auseinandersetzung hervor gegangen. Sie musste wirklich eine bessere Strategie finden, um aus dem Dunkel heraus zu kommen. Es brachte nichts, tagelang im Kreis zu wandern. Miriam holte die Kirschen und ihre Feldflasche aus der Tasche und setzte sich auf einen Stein, um eine neue Strategie auszuarbeiten.

  • Sie hatte gestern noch lange auf dem Stein gesessen und nachgedacht. Schließlich entwickelte sie folgende Idee: Sie würde die Bäume einseitig mit Kerben markieren, damit konnte sie nicht nur anzeigen, dass an einem Platz gewesen ist, sondern auch, in welche Richtung sie von da aus gegangen war. Und dann würde sie sich spiralförmig voranbewegen. Das war zwar ein aufwändiges Verfahren, aber es müsste sie eigentlich am Ende zurück zu einem der Dämmerpfade bringen. Essen hatte sie noch genug zur Verfügung, aber die ständige Dunkelheit schlug ihr auf's Gemüt. Sie hatte heute Nacht verschiedene Tierschreie gehört und nicht wirklich gut geschlafen.

    Es half aber alles nichts, es gab nur den Weg nach Vorne. Also machte sich Miriam auf den Weg und markierte sorgfältig die Bäume. Dieser schleppende Prozess nagte allerdings nach einigen Stunden an ihrer Geduld. War das wirklich die schlauste Strategie?

    Miriam fing an, an sich zu zweifeln. Sie setzte sich hin, um eine kurze Pause zu machen und Kirschen zu naschen. Da bemerkte sie ein Glühwürmchen und musste lächeln. Wie hieß so schön die Simkea Weisheit: "Diese Exemplare entfalten erst in der Dunkelheit der Nacht ihre wahre Persönlichkeit."

    Es flatterte um Miriam herum als wollte sie ihr etwas sagen und dann flog es weiter. Miriam fragte sich, ob das ein mystisches Erlebnis war, auf das sie sich einlassen sollte. Sie hatte noch einige Kirschkerne in der Hand, die sie zur Markierung nutzte, während sie dem Glühwürmchen folgte. Plötzlich war dieses zwischen zwei Büschen verschwunden. Vorsichtig drückte Miriam diese beiseite und zwängte sich so durch die entstandene Lücke. Sie hätte jubeln können, denn dahinter lag tatsächlich ein Dämmerpfad. Den hätte sie ohne das Glücksglühwürmchen nie gefunden!

  • Als sie die andere Seite des Dämmerpfades erreichte, war es Nacht, so dass sie sich hinlegte, um zu schlafen. Nach dem Aufstehen war sie völlig überrascht, denn sie war mitnichten im Dämmerwald gelandet. Der Blick, der sich ihr öffnete, war atemberaubend. Unter ihr war eine Bucht mit weißem Sand. Außerdem sah sie eine kleine Insel in der Bucht.

    Sie musste auf jeden Fall einen Weg finden, zum Wasser zu kommen. Sie arbeitete sich durch das Gehölz und fand zunächst eine Quelle klaren Wassers. Miriam war froh, dass sie ihre Feldflasche wieder auffüllen konnte. Jetzt musste sie sich aber überlegen, wie sie an den Strand kommen konnte. Vorsichtig arbeitete sie sich weiter vorwärts, damit sie nicht von den Klippen fiel. Plötzlich lichtete sich die Vegitation und Miriam konnte endlich einen Weg nach unten sehen. Es sah fast so aus, als hätte jemand bewusst Treppen in den Felsen gehauen, um dies zu ermöglichen. Miriam jubelte laut auf.

    Nach dem Abstieg ließ sie die Finger durch den Sand gleiten. Wer hätte gedacht, dass man so ein Juwel hinter dem Dunkel finden könne. An einer seichten Stelle schaute sie ins Meer und sah hunderte kleiner Fische. Auch wenn sie den Kescher nicht mehr dabei hatte, war Miriam geübt genug, auch ohne dieses Hilfsmittel Fische zu fangen. Das wäre endlich mal wieder eine Abwechslung in ihrem Speiseplan. Sie entzündete ein Feuer, briet die Fische mit Hilfe eines Stocks und genoss den Abend bis die Sonne über dem Meer unterging.