Beiträge von Liala

    Mit einem unterdrückten Ächzen richtete sie sich auf und drückte die Hände in ihr Kreuz. Sie hob leicht den Blick und blinzelte in die untergehende Sonne Noröms. War es tatsächlich schon wieder so spät? Nun gut, ihr sollte es recht sein... So würde dieser elende Tag wenigstens endlich sein Ende finden.
    Sie schulterte den verschlissenen Weidenkorb, der nicht einmal zur Hälfte mit kleinen, unförmigen Kartoffeln gefüllt war. Die letzte Ausbeute eines langen Herbstes – und die einzige Hoffnung, einen langen Winter zu überstehen.
    Ohne groß darüber nachzudenken schlug sie den Weg ein, den sie seit sie laufen konnte fast täglich beschritten hatte. Aus der Ferne konnte sie bereits das Dorf erahnen, das mit seinen zahlreichen rauchenden Kaminen beinahe einladend wirkte. Nun, in einem Haus würde ganz sicher kein Feuer brennen, dachte sie sich, als sie die schwere Last auf ihrem Rücken ein wenig umlagerte. „Wer arbeitet, friert nicht!“ Wie ein höhnisches Lachen durchbohrte dieser Satz ihre Gedanken.
    Vater... sie zuckte unweigerlich zusammen, sie konnte sich seine Reaktion auf die heutige Ernte schon vorstellen. Aber was hätte sie ihm sagen sollen? Dass die anderen Familien hungerten, seit ihr Vater mit Billigung der neuen Herren nach und nach den Boden der anderen Dörfler aufgekauft hatte? Dass sie immer einen kleinen Teil in der Senke hinter dem Feld versteckte, damit ausgehungerte, triefnasige Kinder sie dort in der Nacht finden konnten? Nein, diese Reaktion brauchte sie sich nicht ausmalen. Sie kannte sie.
    Dass ihr Vater ein skrupelloser Mann war wusste sie nicht erst, seit er sich mit den neuen Mächtigen eingelassen hatte. Während andere Widerstand geleistet hatten – ob im Kampf oder im Stillen – hatte er es nur zu eilig gehabt, sich mit ihnen zu verbünden. Sein Plan war aufgegangen. Barmherzigkeit konnte es nicht gewesen sein, die den Herrscher zu diesem Schritt veranlasst hatte. Sie wagte sich nicht auszumalen, was ihr Vater ihm dafür versprochen hatte...
    Schließlich am heimischen Hof angekommen, ließ sie den Weidenkorb langsam von ihren Schultern gleiten. Sie atmete tief ein, genoss für einen kurzen Moment den Frieden. Obwohl sie in der kalten Abendluft bereits leicht fror, lenkte sie ihren Schritt zu der nahen Pferdetränke. Zwar war es lange her, seit hier zuletzt ein Vierbeiner geschweige denn ein Pferd getrunken hatte, aber in der nassen Jahreszeit sammelte sich hier immer ein wenig Wasser. Langsam tauchte sie die Hände in die kalte, trübe Flüssigkeit ein und wusch sich den immer noch feuchten Lehm von den Armen, als hinter ihr – auf der anderen Seite des Hofes – die Tür des Hauses mit Wucht aufflog.
    „Lia, was treibst Du schon wieder hier draußen? Wo sind die Kartoffeln?“
    Ihr Vater, natürlich. Selbst dieser kurze Moment des Innehaltens war ihr nicht gegönnt. Hastig wischte sie sich über das Gesicht und drehte sich um, dem Mann entgegen, der die Strecke zu ihr mit seinen großen Schritten schon beinahe überwunden hatte.
    „Ich wasche mich nur schnell noch, Vater. Ich weiß doch, dass Ihr es nicht mögt, wenn ich das Haus schmutzig betrete.“ Nach langen, harten Jahren hatte sie gelernt, den Kopf zu senken, wenn er mit ihr sprach.
    „Anscheinend nicht sonderlich gründlich.“ Mit offensichtlicher Missbilligung streifte sein Blick erst sie, dann den halb gefüllten Weidenkorb. „Was? Ist das Dein Ernst?! Das soll alles sein? Ein ganzer Tag auf dem Feld und das ist alles, was Du zustande gebracht hast?“
    Voller Wut trat er gegen den Korb, so dass die mickrigen Feldfrüchte wild in alle Richtungen davonkullerten.
    „Warum wurde ausgerechnet ich mit einer so nichtsnutzigen Tochter wie Dir bestraft! Aber zum Glück hat dieser Irrsinn bald ein Ende!“
    „Ich... es tut mir leid, Vater.“ Zwar wusste sie nicht so recht, wofür sie sich eigentlich entschuldigte, doch etwas anderes fiel ihr nicht ein. Der Schmerz in ihren Schultern erinnerte sie daran, wie hart sie in den letzten Tagen und auch heute gearbeitet hatte. Tränen brannten heiß in ihren Augen, doch keine einzige davon stahl sich auf ihre Wange. Keine Schwäche zeigen...
    „Du kennst Lutz? Von der anderen Seite des Flusses?“
    Sie nickte schwach, beinahe wäre sie unter der Gewalt seiner Stimme zusammengezuckt – jedes einzelne Wort klang wie ein Bellen.
    Lutz war ein benachbarter Bauer, dessen Felder jenseits des Flusses lagen, der die Grenze ihres eigenen Besitzes bildete. Schon viel zu oft hatte sie seine gierigen Blicke auf sich ruhen gespürt, wenn sie gebückt durch die Reihen der Pflanzen gelaufen war. Und seit seine Frau vergangenen Frühling nach langer Krankheit dahingeschieden war...
    „Gut, dann muss ich euch einander ja nicht vorstellen. Ihr heiratet nächsten Monat, zur Wintersonnenwende.“
    Ihr klappte unwillkührlich der Mund auf. Heiraten? Sie? Einen stinkenden, verwahrlosten Mann, der mindestens doppelt so alt war wie sie selbst? Nein, das konnte nicht sein! Das konnte unmöglich sein Ernst sein!
    „Mach gefälligst den Mund zu! Du willst doch nicht blöder aussehen, als Du bist!“ Abfällig spuckte er auf den Boden. „Sammel den Mist wieder auf und dann komm ins Haus, ich habe Hunger.“ Er maß sie mit einem berechnenden Blick, dann machte er langsam kehrt, um zurück zu gehen.
    Eine eiskalte Hand schien sich um ihre Kehle gelegt zu haben, die immer fester zudrückte. Sie musste etwas sagen, irgendetwas! Doch wo sollte sie den Mut hernehmen, die Kraft...
    „Ich werde ihn nicht heiraten!“ Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. Das war doch nicht ihre Stimme gewesen, niemals hätte sie so etwas gewagt! Ihr ganzer Leib zitterte, als ihr Vater sich ihr erneut zuwandte. Sie konnte die dicke Ader an seiner Stirn pulsieren sehen und wünschte sich plötzlich nichts mehr, als dass diese platzen würde und sie endlich, endlich von ihm befreit wäre.
    Sie wappnete sich innerlich gegen die Ohrfeige, die sie von ihm nur zu gut kannte. Doch nein, dieses Mal würde es anders sein. Als er ganz nahe an sie herangetreten war, erkannte sie, wie groß ihr Fehler tatsächlich gewesen war. Sein Atem stand vor Selbstgebranntem.
    Sie sah sie nicht kommen, hätte sich wahrscheinlich nicht einmal wehren können, wenn es anders gewesen wäre. Mit voller Wucht und der angestauten Wut wer weiß wie vieler Jahre traf die Faust ihres Vaters ihr Gesicht. Sie spürte ihre Nase brechen, warm floss das Blut über ihr Kinn, als sie langsam auf die Knie und zu Boden sank. Ihr Vater stand breitbeinig über ihr und schaute voller Ekel auf sie herab, während er mit der nun entspannten Hand geistesabwesend über seine Hose strich. Seine Stimme war nunmehr kaum mehr als ein Zischen. „Wage es nie, nie wieder, mir zu widersprechen.“ Nach diesen Worten hakte er die Daumen in seinen Hosentaschen ein und wandte sich gen Haus. „Und wisch Dir das Zeug aus dem Gesicht, ehe Du in die Stube kommst.“
    Sie hörte, wie seine Schritte sich entfernten. Langsam schlug sie die Augen auf und erblickte eine kleine, schrumpelige Kartoffel, auf der ein einzelner Tropfen Blut in der tiefstehenden Sonne glänzte. Dann, endlich, sah sie nichts mehr.

    Nachdem ich mich getraut hatte, anzufangen, muss ich inzwischen feststellen... das schreibt sich selbst! Ich hab da gar nicht mehr so viel mit zu tun... das machen die Finger ohne Umwege übers Hirn!


    HW, ich bin begeistert :) Und somit: Ich werde auch teilnehmen!

    Hallo ihrs :)


    Da ich mich nun schon seit geraumer Zeit mit Urheberrecht auseinandersetze (wie wahrscheinlich so ziemlich jeder mit einem nicht selbstgezeichneten Profilbild auch), bin ich irgendwann auf die Avatarschmiede gestoßen -> www.avatarschmiede.de
    Hier haben sich ein paar wirklich tolle Künstler gefunden, die auf Anfrage kleine Bilder (wie z.B. unsere Charbilder hier) kostenlos erstellen, größere z.B. für die Beschreibung gegen eine kleine Spende.
    Ich finde sowohl das Konzept als auch die Bilder einfach grandios, deswegen wollte ich das gerne mit euch teilen :)


    LG Lia

    Mit einem erleichternten Aufseuzfen ließ sich Lia in den Flur ihres Hauses plumpsen und begutachtete zufrieden ihr Werk. Der komplette Flur und - sie warf einen kurzen Blick nach rechts - das kleine Zimmer auch. Lächelnd strich sie mit rissigen Fingern über das edle Parkett. Es war eine Heidenarbeit gewesen, all die kleinen Holzstäbchen wieder so zusammen zu fügen, dass sich nun ein glatter, ebener Boden daraus ergeben hatte. Doch die Mühe hatte sich gelohnt, klein Vergleich zu den groben Dielen, über die sie vorher ihr Heim betreten musste!
    Sie streckte die Beine von sich und pulte ein paar Reste Knochenleim unter ihren Nägeln hervor. Und dennoch - es lag noch sehr viel Arbeit vor ihr. Das Wohnzimmer, das Bad, die Küche... vom Obergeschoss und dem Keller ganz zu schweigen. Sie legte kurz mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken, dann streckte sie sich ausgiebig und hievte sich wieder auf die Beine. Vom Herumsitzen würde sie sicher nicht voran kommen. Sie warf einen letzten Blick zurück in den Flur und verließ dann das Haus, die Tür sorgsam hinter sich verschließend.
    Ihr Blick wanderte die Häusergassen auf und ab. Ruhig war es heute hier. Auch nicht schlecht, in der letzten Woche war so einiges los gewesen. Viele Feiern, Hochzeiten, Prüfungen... nicht zu vergessen Lodra mit seinem seltsamen Gedächtnisverlust. Unwillkührlich runzelte sich ihre Stirn, als sie an den Abend dachte. Zwar hatte sie Parkers Bedenken, all dies sei lediglich Show, schnell von sich gewiesen, doch ein kleiner spitzer Nagel des Zweifels ließ sich nicht aus ihren Gedanken vertreiben.
    Sie setzte sich langsam in Richtung Stadtmitte in Bewegung, während sie sich die Ereignisse noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Gut, Lodrakan hatte sich von keiner Frau anfassen lassen wollen und schien sich in deren Gegenwart auch deutlich unwohl zu fühlen. Das war ganz und gar untypisch für ihn gewesen, soviel stand fest! Aber war es auch echt gewesen? Schließlich hatte es nicht lange gedauert, bis er sich an ihrem Schoß festgeklammert hatte. Und dann die Schmeicheleien...
    Entschlossen schüttelte sie den Kopf und trat mit der Fußspitze nach einem kleinen Steinchen auf dem Weg. Was für einen guten Charakter sie haben müsse, wie liebreizend sie sei, wie famos - sie schnaubte heftig durch die Nase. Was hatte er sich nur dabei gedacht?! Ganz so unschuldig, wie er getan hatte, schien er wohl doch nicht zu sein. Sollte Parker am Ende Recht gehabt haben? Nein, entschloss sie schließlich. Ganz sauber war Lodrakans Geschichte zwar nicht, aber irgendetwas stimmte definitiv nicht mit ihm. Was genau, das galt es wohl in den nächsten Tagen und Wochen herauszufinden.
    So völlig in Gedanken hatte sie gar nicht gemerkt, dass sie inzwischen am Marktplatz angekommen war. Leicht irritiert blickte sie sich um. Nach Unterhaltung stand ihr derzeit nicht der Sinn und so schlich sie sich durch die Hintertür in Arnuras Stand. Hier etwas Ordnung zu schaffen, würde sicher auch ein wenig Ordnung in ihre Gedanken bringen.

    Lia schlenderte vergnügt auf den Markt. Es war ein schöner, wenn auch langer Tag gewesen, und so freute sie sich mehr als auf alles andere auf einen schönen Platz am Feuer. Verwundert betrachtete sie die versammelte Menge. Was war denn hier...?
    "Ach, Lodrakan von einer Bande Damen umringt.", dachte sie schmunzelnd bei sich. "Also alles beim Alten."
    Ein Blick in die Marktgasse ließ ihren Wunsch nach dem Knistern der Flammen noch ein wenig warten, viel lieber wollte sie noch einen Moment durch die Marktbuden schlendern. Hier gab es schließlich immer Spannendes zu entdecken.
    Mit halbem Ohr folgte sie weiter den Gesprächen am Markt. "... Gedächtnis verloren..." Dieser kurze Gesprächsfetzen ließ sie aufhorchen. "... beim Gnom gewesen..." Interessiert blickte sie über ihre Schulter. Welcher Gnom? Und wer hatte sein Gedächtnis verloren?
    Sie fing Tonksis Stimme auf: "Der hat da so einen Stein... und wenn man den dreht, wird die Seele von oben nach unten und von rechts nach links gedreht..." Nanu? Das versprach wohl doch mehr als die übliche Szenerie am Markt. Geistesabwesend befühlte sie ein Stück Stoff bei einem der Händler, die Aufmerksamkeit nun doch deutlich zum Marktgeschehen hin verschoben.
    "Wie, wo soll ich dran gespielt haben, wenn ich schlafe spiele ich nie wo dran.", empörte sich Lodrakan.
    Lia lachte kurz auf, würgte dieses Lachen aber schnell wieder ab, als der Händler ihr einen seltsamen Blick zuwarf. Mit einem unverbindlichen Lächeln legte sie die angeschaute Ware wieder hin und wandte ihre Schritte gen Mitte des Marktes. Wenn hier jetzt ähnlich Unterhaltendes passieren würde, was es hier ohnehin interessanter als an den Marktbuden...

    Lia blickt Lodra mit großen Augen an. "Andere Erinnerungen? Aber welche könnten das denn wohl sein? Lasst mich überlegen... oh ja, eine fällt mir ein!", lacht sie, ehe sie soeben bestellte Bier entgegen nimmt und - nach einem Prosten in Lodras Richtung - einen kräftigen Schluck nimmt. "Ich habe da Erinnerungen an gar wundervolle Laute, die ich schon des öfteren von Euch vernommen habe. Ab und an am Markt, doch auch bei gewissen Veranstaltungen in der Taverne." Grinsend fixiert sie ihn über den Rand ihres Bierkruges hinweg.

    Lia genießt den kleinen Schauer, den Lodras Atem über ihren Nacken schickt und lehnt sich behaglich zurück. "Oh ja, Erinnerungen... vor allem erinnere ich mich kaum noch an den Geschmack eines kühlen, dunklen Bieres..." Sie blickt begehrlich in Richtung der Theke, hoffentlich würde sich bald jemand ihrer Wünsche annehmen. Schließlich wendet sie sich wieder ihrem Gegenüber zu. "Aber Lodrakan, sagt... wie ist es Euch ergangen? Ganz so frisch wie bei unserer letzten Begegnung erscheint Ihr mir heute nicht." Mit hochgezogener Augenbraue und dem Hauch eines Lächelns mustert sie ihn.

    "Ja, erholsam war sie in der Tat. Aber wo soll auch sonst der Lohn in all den Mühen liegen, wenn noch nicht einmal die Nächte unterhalt... ähm - entspannend sind." Sie stützt beide Ellenbogen auf den Tisch, legt den Kopf auf ihren Händen ab und schaut zu Lodrakan hinüber. "Ach, ein wenig Ablenkung muss bisweilen sein - findet Ihr nicht?" Nach einem kaum wahrnehmbaren Zwinkern blickt sie sich nach dem Wirt um, inzwischen hatte sie wirklich Lust auf ein kühles Bier.

    Misstrauisch öffnet sie ihr rechtes Auge einen Spalt breit. Wer hatte sie da eben angesprochen? Doch als sie Lodrakan erblickt, öffnet sie auch das zweite Auge und lächelt ihn strahlend an. "Müde? Nein, nicht wirklich. Eher entspannt würde ich sagen." Grinsend deutet sie auf einen der freien Stühle. "Wollt Ihr nicht Platz nehmen? Hochblicken liegt mir nicht."

    Lia ließ sich selbst vom lauten Tönen des wohl jüngsten Bewohners Simkeas nicht aus der Ruhe bringen, als Mutter hattte sie gelernt, diese Laute bisweilen auch mal zu ignorieren - zumindest eine Zeit lang. Sie lehnte sich nach vorne, stützte den Ellenbogen auf den Tisch und legte den Kopf darauf ab. Vielleicht wäre es nun doch an der Zeit, sich etwas zu bestellen. Ein Bier vielleicht? Oder doch einen Wein? Vor sich hin grübelnd gähnte sie leise.

    Lia genoss es, für den Moment einfach mal nichts machen zu müssen. Sie sank noch ein wenig tiefer in ihren Stuhl, die Augen nach wie vor geschlossen und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ob sie etwas trinken sollte? Oder doch noch ein wenig die Ruhe genießen? Mit einem ausgiebigen Strecken beschloss sie, für den Moment noch die zweite Option zu wählen.

    Lia schlich sich leise in die Taverne und ließ die Tür fast lautlos hinter sich in den Rahmen fallen. Ein leerer Tisch? Ja, tatsächlich fand sie noch einen, in einer ruhigen Ecke gelegen, und ließ sich auch sogleich auf einen der Stühle fallen. Was ein Tag! Mit einem wohligen Seufzen streckte sie ihre Gliedmaßen von sich, legte den Kopf in den Nacken und schloss für einen Moment die Augen.

    Es war mal wieder einer dieser Tage. Sie spülte den trockenen Brotrest am Morgen mit einem Dunkelbohnentrank hinunter, rang sich zu einer hastigen Katzenwäsche mit dem Brunnenwasser vom gestrigen Abend durch und war schon unterwegs, den Rucksack geschultert und zu allem bereit.


    Nun… zu allem? Sicher, so lange ein Tag an der Goldschmiedebank den Ansprüchen genügt. Seufzend machte Lia sich auf den Weg,
    in Gedanken schon die Aufgaben durchgehend, die der heutige Tag für sie bereithielt.
    Ein Bilderrahmen, sorgsam mit dünn gewalztem Gold beschlagen. Ein filigraner Kupferring – so schlicht und doch so aufwendig zu fertigen, das Material so weich und das Ergebnis doch so dauerhaft, beständig…


    … beständig. So war es einst auch gewesen. Ein Platz, der nur einem selbst gehörte. Wo niemand sonst war, außer…


    … außer dieser vermaledeite Hammer würde ihr wieder ausrutschen. Genau wie beim letzten Mal, als sie auf das so sorgfältig gefertigte Schmuckstück nur noch ihr Siegel aufprägen wollte. Entschlossen beschritt sie die letzten paar Schritte zum Haus der Raritäten. Heute würde ihr das sicher nicht passieren. Schließlich hatte sie in den letzten Wochen und Monaten viel Zeit auf diese ehrenwerte Kunst verwand, so dass ihr wirklich nur noch sehr selten etwas misslang. Ein jeder Ring, ein jedes Armband etwas ganz Besonderes…


    „… spürst du es? Dieses Besondere? Wenn es nur uns beide auf der Welt gibt? Und alles andere steht still, der Mond, die Sterne – selbst die Gezeiten…“


    … nun denn. Sie verstärkte den Griff um ihren Hammer, nahm den filigranen Meißel in die linke Hand und machte sich an die mühsame Aufgabe, das feine Blattgold auch in die letzten Ritzen des meisterhaft geschnitzten Bilderrahmens zu bringen. Und das natürlich, ohne die empfindliche Oberfläche zu beschädigen. Nur allzu schnell konnte man dabei einen Fehler machen…


    … den schwersten Fehler ihres jungen Lebens. Es einfach hinzunehmen, noch nicht einmal den Versuch zu unternehmen, dafür zu kämpfen. Zu suchen. Nicht aufzugeben. Manchmal ist Schwäche einfach viel zu leicht…


    … glitt der Meißel in das hauchdünne Gold. „Verdammt!“ rief sie aus, sich sogleich wieder besinnend und einen Blick um sich herum werfend. Nun, zumindest hatte es niemand mitbekommen. Wieso war sie nur so unkonzentriert? Ärgerlich betrachtete sie den Makel, der den beinahe fertigen Bilderrahmen nun verunzierte. Aber vielleicht wäre sie ja in der Lage, dies mit ein klein wenig zusätzlichem Gold wieder auszugleichen? Konzentriert schob sie ihre Zungenspitze in den linken Mundwinkel und nahm Hammer und Meißel wieder zur Hand. Wenn sie nur ein klein wenig…


    „… anders ist es schon dieses Mal. Aber warum? Seit ich meinen ersten Schritt auf diesen Landstrich lenkte, gab es nie etwas anderes.
    Das Rauschen des Meeres, das leise Auf und Ab der Wellen, nie brauchte ich mehr. Doch nun, seit ich dein Antlitz erblickte… scheint etwas zu fehlen. Seltsam, man scheint nie auszulernen…“


    … Verdammt! Ärgerlich warf sie das nun endgültig verdorbene Stück von sich. Wie konnte das sein? Sie fuhr sich mit den Händen durch die Haare und stütze den Kopf auf. Vielleicht sollte sie sich doch erst dem Ring widmen, das Gold schien heute nicht ihr Freund zu sein. Mit Bedacht nahm sie ein Stück Kupfer aus ihrem Rucksack. Es war ein besonderes Stück, ganz rein und wirklich hervorragend eingeschmolzen. Keine Adern oder sonstige Verunreinigungen zeigten sich in dem Stück und so machte sie sich mit neuem Mut ans Werk. Ein Ring, in Auftrag gegeben von einem liebenden Herzen, gleichfalls Verheißung und ein Versprechen…


    … dass sie ihn niemals verlassen würde. Wie könnte sie auch? Ein Blick in diese Augen, ein einziger Augenblick nur im Angesicht der Sterne und des leise knisternden Feuers und sie war gefangen. Das Lächeln auf seinen Lippen wärmte nicht nur ihr Herz, ihr gesamter Körper schien wie von innen heraus zu glühen und so lehnte sie sich zu ihm, nicht mehr als einen Fingerbreit trennt sie…


    … von einer Beinahe-Katastrophe. Himmel noch eins! War sie denn heute zu gar nichts in der Lage? Mit einem letzten Blick auf ihre
    Werkzeuge und den um Haaresbreite geretteten Ring fasste sie einen Entschluss, packte ihre Habe ein und erhob sich. Den Rucksack mit Schwung über die Schulter geworfen machte sie sich auf den Weg. Und wenn schon, so brachte sie heute eben nichts zustande. Verschollen würde ihr Talent schon nicht sein…


    … nein, nie im Leben! Verschollen? Wie könnte er… ist er? Nein! Ich habe doch gestern noch mit ihm… nein… Die Stimme brach ihr. Das
    Versprechen, so kurz erst gegeben, konnte doch noch nicht…? Und doch – Hände, die ihr den Rücken tätschelten. Nur schlecht verborgene, mitleidige Blicke. Übertriebene Freundlichkeit. Sorgsames Vermeiden des einen Themas. Was war passiert? Plötzlich… allein…


    … die Zeit konnte ihr hierbei helfen. Nachdenklich drehte sie den unvollendeten Kupferring in ihren Händen. Morgen würde sie es erneut
    versuchen, und dann würde es klappen! Zuversichtlich lehnte sie sich zurück und genoss die Wärme des Feuers am Marktplatz, ehe sie für heute eindöste.


    Und der Ring? Er wurde nie fertig. Mit dem nächsten Versuch zerbrach er. Doch nicht allein.