Im Zwielicht

  • Willkommen zum Tagebuch meines Chars Isimud Urkhart!
    Leider habe ich erst mit dem Aufschreiben begonnen, als ich schon eine Weile in Simkea lebte und mir einen Beruf gesucht hatte, allerdings noch immer viel zu lernen hatte. Weiter hinten im Thread erinnert sich Isi an seine Anfänge - aber jetzt gehts erstmal mitten rein ins Leben eines jungen Bergknappen und Teilzeitkämpfers. Viel Spaß!


    Kurzprofil:


    Isimud wird den meisten Bürgern Trents nur als ein etwas naiver und unbeholfener, aber stets höflicher Jüngling erscheinen. Allenfalls werden sie über ihn zu sagen wissen, dass er ein begeisterter Kämpfer ist, sich in der Natur wohler als in der Stadt fühlt und einer etwas verwirrenden zweigeschlechtlichen Spezies angehört, die man selbst in Noröm selten zu Gesicht bekam.

    Isimuds Familie, die Urkharts, gehörten zum niederen Adel, waren gerade einmal im Besitz einer Burg, einiger Zuckerrohrfelder und Rumpressen, aber so stolz, als gehöre ihnen das gesamte Königreich. Als das Böse Noröm überrante, versuchten sie zuerst zu fliehen. Da ihnen das nicht gelang, arrangierten sie sich mit den neuen Machthabern und wurden zu loyalen Dienern des Bösen. In diese Verhältnisse wuchsen Isimud und sein Zwilling Usumiya hinein. Sie luden Schuld auf sich, doch wusste MasterX, dass Isis Seele noch zu retten war, weshalb er ihn nach Simkea lenkte.

    Isimud gelangte als verwöhntes Burgfräulein, das nicht einmal wusste, dass man einen Fisch vor dem Braten ausnimmt und abschuppt, nach Trent. Seine Zuwendung zum Kämpferleben geht auf eine Mischung aus Standesdünkel und Schuldbewusstsein zurück, seither hat er allerdings ein wenig Abstand gewinnen können.
    Vom Kämpfen abgesehen fühlt er sich bei jeder Tätigkeit wohl, die grobmotorisches Draufhauen erfordert und genießt es, in Simkea nicht in eine vom sozialen Stand vorgezeichnete Rolle gepresst zu werden – ein Urkhart als einfacher Bergmann? Das wäre in Noröm selbst vor dem Einfall der Horden des Bösen undenkbar gewesen!


    Kapitel 1


    In den ehrwürdigen Monumenthallten, im Hauptquartier der Trenter Miliz, schlug Isimud Urkhart seine Augen auf (oder ihre, das war schwer zu sagen). Nicht, dass es etwas genützt hätte... Der Schleier, durch den der Jüngling die Welt sah, lies lediglich die Unterscheidung in Farben und gröbste Formen zu und selbst die verschwammen nach einer Weile miteinander. In dem vergeblichen Versuch, mit dem Durcheinander aufzuräumen, produzierte Isimuds Kopf das einzig Angemessene: Schmerz.
    "Leg dich wieder hin und mach die Augen zu", sagte der Kopf.
    "Urgh...!" machte Isimud.
    Camulos von Noröm sagte nichts. Der Kriegerveteran deutete nur mit dem Kopf an, wo ein Eimer stand, in dem sich das Sekunden später das "Urgh" wiederfand.


    "Du siehst nur aus wie einer, aber du bist kein Mensch", rügte der Krieger seinen jungen Schützling nach dem Brechanfall. "Also sei in Zukunft bitte vorsichtiger mit menschlichen Genussmitteln! Ganz besonders mit solchen, die wir Menschen selbst nicht im Griff haben."
    Doch der Mann wusste, noch während die Worte seinen Mund verließen, er hätte sich die Mühe sparen und stattdessen ein Frühlingslied singen können. Offenbar gehörte zum gesunden Aufwachsen eines Jugendlichen jeden Volkes mindestens ein ungesunder ein Vollrausch dazu.


    "Ich bin der Einzige meiner Art in Simkea", wisperte Isimud, als ihm seine Kehle wieder gehorchte. Der Neunzehnjährige gehörte einem Volk zwiegeschlechtlicher Eierleger an, dessen Anblick selbst in Noröm selten gewesen war. Anthronen fühlten sich von den auf Geschlecht beruhenden Differenzen der Menschen irritiert, sowohl von Vorurteilen und Unterdrückung, als auch von harmlosen, spaßigen Frotzeleien zwischen Mann und Frau. Gewissermaßen zum Ausgleich dafür litten sie unter Stress ganz anderer Art: Jeder einzelne Artgenosse stellte einen potentiellen Gefährten als auch Nebenbuhler dar. Das waren die Gedanken, die einen normalen Heranwachsenden beschäftigen sollten, dachte Camulos bei sich. Isimuds Hintergrund als Kriegsflüchtling und noch dazu einziger seiner Art erlaubte ihm allerdings nicht, dieses normale Leben zu führen. An manchen Tagen konnte man zu dem Eindruck gelangen, der Bursche sperre sich ganz einfach selbst dagegen...
    So wie heute.


    "Mein Volk ist gespalten", fuhr Isimud leise fort. "Die einen dienen dem Bösen als Schergen, die anderen leisten Widerstand, solange sie noch Herren ihrer Sinne sind. Nur ich, ich bin weggelaufen."
    Camulos schüttelte den Kopf. "Du wurdest gerettet", korrigierte er. "Das ist ein Unterschied."
    "Gerettet wofür?!" fuhr Isimud auf. Rasch hielt er die Hand vor den Mund, nicht vor Schreck über seinen unangemessenen Tonfall gegenüber dem Vorgesetzten, sondern, um einen erneuten Übelkeitsanfall abzuwehren.
    "Damit ich mir ein schönes Leben mache?" klagte der Jüngling weiter, zuerst noch durch die Finger gedämpft, dann heftiger. "Während sich die Anthronen zuhause gegenseitig blutig abschlachten, bis ich womöglich der Letzte bin?"
    Der Kriegerveteran hatte dem Jungen keinen Trost anzubieten. Allein der Versuch hätte hohl und lächerlich geklungen, war die von Isimud heraufbeschworene Gefahr ja nicht von der Hand zu weisen. Möglicherweise befand sich der Anthron wirklich nur als letzte Erinnerung an sein Volk in Simkea und eines Tages würde lediglich eine Grabinschrift an die einstige die Vielfalt Welt Noröm erinnern. Doch dieses Schicksal teilte der Jüngling Isimud mit vielen anderen Kreaturen Simkeas. Sie alle versuchten, diesen Fakt im Alltag so gut es ging zu verdrängen. Was für ein Dank an Master X wäre es denn, sich tagtäglich die Lebensfreude durch Schuldgefühle zerstören zu lassen? Es wäre kein besseres Leben als das unter der Knute des Bösen und nichts wäre gewonnen gewesen.


    Also äußerste sich Camulos ersteinmal nicht weiter zu dem Thema. Stattdessen holte er einen dünnen Briefumschlag aus seinem Schreibtisch hervor. Er überreichte ihn Isimud mit den Worten: "Vielleicht ist das hier ja die Antwort auf dein Dilemma."
    Isimud erkannte seinen Vor- und den Nachnamen, den kaum jemand in Trent kannte, auf dem Umschlag. Als er ihn öffnete, fiel ihm eine kleine Anstecknadel in die Hände. Er nahm sie zwischen zwei Finger und im Nu hellte sich sein Gesicht auf.
    "Das ist ein Weihnachtspin! Bei meinen Ahnen, Camulos, der kommt von Master X persönlich!"
    Dabei mochte es sich um eine besondere Ehre handeln, die den an der Vertreibung des Grinch beteiligten Bürgern zuteil wurde, doch eine größere Ehre war es für den Kriegerveteranen, den Pin seinem Schüler eigenhändig anzustecken.


    Camulos zählte im Stillen bis zwölf. Erfahrungsgemäß setzten spätestens zwölf Sekunden nach einem schönen Erlebnis die Selbstzweifel des Jungen wieder ein - und mit ihnen das Genörgel.
    "Hm", machte Isimud. "Wisst Ihr, Camulos, manche Bürger Trents verachten uns Kämpfer dafür, dass wir die Waffen aufgenommen haben... Aber ich mache das doch nicht aus Spaß an Gewalt, sondern, damit die anderen ihr Leben in Frieden fortführen können! Wenn Kämpfen befleckt, dann nehme ich das auf mich, damit sie´s nicht müssen."
    Camulos Blick ruhte prüfend auf dem Milizmann.
    "Ist das wahr? Tust es wirklich für die anderen?"
    Ismud hatte den Fehler begangen, seinen Lehrer anzusehen, als dieser ihn ansprach. Nach wenigen Sekunden gelang es ihm nicht mehr, den Blickkontakt aufrechtzuerhalten.
    "Nein...", murmelte er.
    "Eben", nickte der Krieger. "Du ziehst keine Befriedigung aus deiner selbstgewählten Aufgabe, Isimud, sondern Stolz. Fühlst dich überlegen."
    Camulos legte eine Pause ein.
    "Und deswegen", erklärte er dann, "bist du bis auf Weiteres beurlaubt!"


    "Nein!!!"
    Isimuds Protestschrei hallte von den Wänden der Monumenthalle wieder.
    Camulos lauschte darauf, zu wie vielen Teilen Verzweiflung und zu wie vielen Trotz darin lag. Denn es gab, wie er wusste, härtere Kämpfe als die mit Schwert oder Bogen gegen Monster. Erwachsen zu werden gehörte zu jenen Questen und so sehr man es sich als ein Veteran dieser "Schlacht" wünschte, am Ende vermochte die nur jeder neue "Rekrut" allein zu bestreiten.


    (Wird fortgesetzt)

    Fairness ist nicht, allen die gleichen Chancen auf Zieleinlauf zu geben, sondern dafür zu sorgen, dass jeder ankommt.


    Mein Geschichtenblog freut sich über Besucher!
    Und das Simsblog auch.

    5 Mal editiert, zuletzt von Isimud ()

  • Plateauberg


    Da er ja Urlaub von allem nehmen sollte, was mit Kämpfen in Zusammenhang stand, hatte Isimud Urkhart die einfach zu erreichenden Eisenerzadern links liegen lassen und den Plateauberg bis fast zum Gipfel erklommen. Gold statt Eisen wollte er an diesem Tag schürfen. Gold eignete sich nicht für die Waffenherstellung, es war nur als Zierrat zu gebrauchen - und, um sich selbst zu beweisen, dass man es abbauen konnte! Isimud freute sich darauf, etwas Neues auszuprobieren. Wer weiß, vielleicht würde ihn die Arbeit an der Goldader lehren, wie man dem Fels selbst Platin abtrotzte. Der junge Bergknappe wusste seit langem, wo sich ein Vorkommen befand. Und er fühlte, dass er kurz vor dem entscheidenden Durchbruch stand.


    Doch obwohl er an diesem Arbeitstag Überstunden einlegte und eine Hacke ruinierte, gelang es ihm nicht, den fehlenden Kniff zu erlernen.
    Aber er hatte ja ohnehin vorgehabt, länger draußen zu bleiben und so pfiff er ganz zufrieden, als er sein Zelt aufbaute.


    Isimud zog die ernste Würde der Natur jederzeit dem hektischen, lauten Treiben auf dem Markt vor, was schon verwunderlich war, da weder "ernst" noch "würdevoll" als erstes in den Sinn kamen, wenn man an den Jugendlichen dachte. Dem sei, wie es sei, jedenfalls genoss der Bergknappe den Ausblick von hier oben. Es schien ihm, als könne er in jeden Winkel Simkeas schauen, bis zur Eisinsel und in noch nicht erschlossene Regionen. Obwohl Simkea kein besonders großes Land war, gab es überall so vieles zu entecken! Noröm war viel größer gewesen. Doch als er in noch in Noröm gelebt hatte, hatte Isimud gerade einmal die Gegend ein bis zwei Tagesreisen um die elterlichhe Burg herum gekannt. Allenfalls bis zum Weiher, in dem nun Sägeblattmonster und andere vom Schatten befleckte Kreaturen lebten, war er zum Angeln gereist. Es kam also gar nicht so darauf an, welches Land objektiv gesehen größer war, wenn man vom größeren ohnehin fast nichts zu Gesicht bekommen hatte.
    "Könnte ich doch fliegen!" wisperte Isimud zu sich selbst, wie er so über das Land schaute, das sich da so malerisch zu seinen Füßen erstreckte. Anthronen waren der Legende nach aufgrund ihres mutmaßlichen Engelserbes in höchster Not dazu fähig, obwohl sie keine Schwingen besaßen. "In der höchsten Not anderer", hatte Isimuds Vater spöttisch klargestellt, als das Kind ihn einmal danach befragt hatte. Und dann hatte er gelacht.


    Der Bergmann packte sein Abendessen aus. Wie meistens bestand es aus Fischsuppe, gegrilltem Fischfilet und Wasser. Als Koch fehlte Isimud einfach die Phantasie, er benötigte Rezepte, an die er sich halten konnte. Gegen Bibliotheksmarken sollten diese zu erwerben sein, doch so oft er den Professor in der Bibliothek aufsuchte, hatte Isimud ohne Marken wieder abziehen müssen. Vielleicht wurden diese nur an Interessenten verkauft, die vorher für den Professor gearbeitet hatten? Aufträge schien der ja genug zu haben... Doch der Sohn von Nudimud und Damkina Urkhart arbeitete nicht für andere Leute! Er verkaufte ja auch am Markt seine Erze und Metallbarren stets an unterschiedliche Kunden. Damit keiner leer ausging, hatte er bisher immer erklärt, aber nun fragte sich Isimud, ob es nicht noch einen Grund gab, der ihm selbst gar nicht bewusst gewesen war. Hatte Camulos am Ende Recht? Hatte Isimud Standesdünkel? Und wenn ja, aufgrund welchen Standes eigentlich? Er war doch vor dem Krieg viel zu klein gewesen, um sich noch an das alte Noröm zu erinnern, geschweige denn daran, welchen Platz seine Familie darin eingenommen hatte. Hochrangige Diener des Bösen waren seine Eltern ja erst später geworden... und sein Zwilling diente vielleicht gerade in diesem Moment als Sklavenaufseher oder Söldner. Isimuds Magen wollte bei diesem Gedanken nicht mehr so richtig arbeiten. Mit einem dicken, unsichtbaren Kloß in der Kehle packte er den Rest des Essens fort. Dennoch, die drei blieben seine Familie und was die Eltern getan hatten, das hatten sie doch sicher nur gemacht, damit es ihren Kindern besser ginge als denen der anderen, der versklavten, Norömer? Isimud war sich sicher, dass auch sie gerettet werden konnten!

  • Trent. Ein paar Tage später.


    Guter Dinge wanderte Isimud Urkhart durch das Stadttor zurück in die Wildnis. Er fragte sich, ob wohl jemand seinen ersten selbstgegossenen Goldbarren kaufen würde. Mangels anderer Goldverkäufer, an denen er sich orientieren konnte, hatte er einfach einen Preis geschätzt. Fröhlich klimperten auch ein paar Brocken Platinerz im Rucksack des Bergmannes. Wie er die zu Barren verarbeiten sollte, erschloss sich Isimud leider noch nicht. Der Prozess ging einfach über sein Verständnis. Doch allein die Tatsache, das Zeug endlich schürfen zu können, hatte seine Laune soweit gehoben, dass er wirklich einmal zu Auftragsarbeit bereit gewesen war. Dem Professor in der Bibliothek hatte er versprochen, ihm dessen verlorengegangene Brille zurückbringen und für Walter wollte er Ingedienzien für ein Rezept sammeln.


    Also schritt Isimud munter aus. Zuerst durchs Umland. Dann durch den Dämmerwald - hin und wieder zurück. Schließlich kam er völlig erschöpft und auch ein wenig gereizt auf dem Gutshof an. Wieso befand sich das, wonach man suchte, immer am letzten Ort, den man aufsuchte?!
    Den Blick zu Boden gerichtet, stapfte Isimud über die Felder. "Versuchs mal da hinten, im Hanf", riet im eine weibliche Stimme. Und tatsächlich, in dem besagten Feld glitzerte endlich der Zwicker.
    "Der Schussel scheint seine Brille öfter zu verlieren, wenn offenbar jeder Bürger Trents schon mal danach gesucht hat", knurrte Isimud. Rechtschaffen müde von seiner Suche hatte er nicht wirklich Lust, jetzt auch noch das Gras für Walter zu rupfen. Simkeanisches Gras war zwar nicht vom Schatten befleckt, wie das in Noröm (das heißt, es griff eher selten Personen an, um diese langsam zu Tode zu würgen), doch wie alles pflanzliche Leben hierzulande zeichnete es sich durch eine extreme Widerstandsfähigkeit aus. Mit ein bißchen Zupfen war es da nicht getan. Glücklicherweise war ebene jene Person, von der Isimud gerade vorhin den Tipp für seine Suche erhalten hatte, auf der Wiese beschäftigt. Vielleicht lies sich die Sache ja abkürzen? Isimud trat auf die Frau - es handelte sich um eine junge Elfe - zu, und erkundigte sich, was wohl eine kleine Menge Gras kosten würde.
    "Ich verkaufe eigentlich kein Gras", erhielt er zur Antwort. Isimuds Gesicht musste wohl sehr deutlich seine Enttäuschung darüber verraten haben, nun doch selbst ernten zu müssen, denn plötzlich drückte ihm die Elfe, ihr Name lautete Mantega, doch noch ein Büschel frisch gemähten Grases in die Hände. Eine Gegenleistung erwartete sie nicht.


    Isimud hatte die Freigiebigkeit vieler Simkeaner schon oft erlebt. Auf Volksfesten sorgte er dafür, den Verkauf von Esskörben anzuburbeln, weil seine Augen größer als sein Magen waren und die Trenter Bürger hätten ihre Feuerstellen schon ummauern müssen, um sie vor Isimuds Zugriff zu schützen. Stand niemand direkt daneben, brannte in der Regel auch das Feuer nicht mehr lange... Doch wie Flummii es ihn in seiner ersten Woche in Simkea gelehrt hatte, lies Isimud stets ein letztes Feuer brennen. Andere hielten sich nicht an diesen Brauch. Es war noch nicht lange her, da hatte Grandlady Isimud wenig Stroh zum Neu Entzünden des Feuers in der Gießerei geschenkt.
    Aber die Elfe hier auf dem Gutshof war nicht Grandlady. Sie war jung. Sie war verflixt noch mal viel jünger als Isimud selbst! Und das funktionierte einfach nicht. Jedenfalls nicht in der Phantasie des jungen Anthronen, der keinen Schwächeren ausnutzen wollte. Er wollte sich sein Gras schon selbst verdienen, sei es nun durch Arbeit oder Kauf. Also schnippte er der Elfe einen Heller hin. Das Problem bestand nur darin, dass Mantega dies zum Anlass nahm, dem Kunden nun auch noch Fladenbrot, Milch und Bier zu überreichen.
    Schäbig kam sich der Bergmann vor, von einer viel jüngeren Simkeanerin so reichlich bedacht zu werden. Deswegen biss er zwar hungrig in eines der Brote, legte die anderen jedoch wieder zurück.
    "Bitte - das genügt."
    "Nimm nur", lächelte Mantega. "Und werde groß."
    Das war zu viel für den Heranwachsenden. War er nicht mittlerweile ein Meister seines Faches? Führte er nicht Waffen, die für Anfänger viel zu schwer waren? Er mochte weniger erwirtschaften als andere, war aber durchaus in der Lage, auf eigenen Füßen zu stehen und brauchte keine Starthilfe!
    "Ich bin viel älter als du!" entfuhr es Isimud daher schärfer als geplant.
    "Aber ich bin reicher", konterte die Elfe.
    Dies war Simkea, die neue Welt, die Welt, in der alles besser sein sollte, als in Noröm. Mantega war das perfekte Beispiel für eine dieser besseren Personen. Nicht nur konnte sie auf ein reiches Erbe zurückgreifen, sie war auch glücklich mit einem anderen Simkeaner verlobt. Aber das hatte sie nicht eingebildet werden lassen. Im Gegenteil, sie wollte nichts weiter, als ihren Reichtum mit dem fremden Jungen zu teilen, der da vor ihr auf der Wiese stand.
    Sie ist genau, was ich in Noröm war. Und was ich dachte, auch hier wieder werden zu können! durchzuckte es Isimud.
    "Hör auf!" presste er hervor, nur, um im nächsten Moment mit einem Tonkrug bedacht zu werden.
    Isimuds Gedanken rasten. Sein Gerechtigkeitsempfinden, sein Stolz sowie giftiger, grüner Neid trieben sie an.
    Ich will nicht! Bitte! Ich will nicht! Es muss doch etwas geben, mit dem ich mich revanchieren kann!
    Und es gab tatsächlich etwas. Das Platinerz! Rasch fingerte Isimud in seinem Rucksack nach dem Edelmetall. Er schloss seine Faust um eines der Klümpchen, warf es der Elfe mehr oder weniger zu, anstatt es zu überreichen und dann, ja, dann floh er. Rückwärts. In einem Sprung, der jedem Grashüpfer alle Ehre gemacht hätte. Zumindest, wenn dieser auch einen Krebs zu seinen Vorfahren hätte zählen dürfen.


    Sein Hüpfer lies Isimud beinahe auf Dunuins Rücken landen, welcher gerade nichtsahnend auf der Wiese beschäftigt war. Dem Treiben der beiden Jüngeren schenkte der Veteran keine Beachtung - vielleicht die vernünftigste Entscheidung überhaupt, die man treffen konnte, wenn der junge Isimud irgendwo auftauchte.


    Isimuds Herz klopfte bis in seine Kehle.
    Ich will kein Bettler sein, dachte er. Und nun, da die Elfe das Platin bekommen hatte, war er ja auch keiner mehr! Er durfte sich das restliche Brot schmecken lassen, die Milch und das Bier.
    Also trat er einen Schritt wieder auf Mantega zu, um die beiden Fladen wieder von der Wiese aufzulesen. Schwupps - befand sich auch das Platinerz wieder in seinem Rucksack.
    "Zwei, die geben wollen, sind schlimmer, als zwei, die nehmen wollen, was?" grinste Isimud.
    Zögerlich tauschte er danach seinen alten Krug gegen den, den ihm die Elfe angeboten hatte. Er wusste nicht, was er anderes hätte tun sollen. Wieder weglaufen etwa? Eigentlich wollte er ja nur mal mit jemand reden. Und das taten die beiden dann auch.
    Mantega wusste viel über den Professor und den säumigen Zwurf zu berichten und sie hatte ebenfalls schon einmal für Walter Besorgungen erledigt. Im Nachhinein fragten sich Mantega und Isimud, wie sie damals eigentlich den Schnee so lange hatten in festem Zustand halten können...


    Als es bereits dunkelte, brach Isimud auf.
    Das Gras wog schwer in seinem Rucksack, teilte es sich diesen ja nun wieder mit dem Platinerz und den restlichen Geschenken der Elfe. In einer separaten Tasche des Rucksacks ruhte Professor Blooms Zwicker, zusätzlich gepolstert durch ein Taschentuch, das nur ein ganz klein wenig mit Kohlestaub verunreinigt war.
    Eigentlich war es viel zu spät zum Reisen. Doch Isimud wollte so schnell wie möglich die Stadt erreichen, wollte weg vom Gutshof und, was viel wichtiger war, irgendwie auch weg von sich selbst.
    Camulos hat Recht gehabt, dachte er. Mein Stolz frisst mich auf. Schlimmer, er bringt mich dazu, andere zu verletzten, die es gut mit mir meinen. Arme Mantega... Musste ich sie wirklich so vor den Kopf stoßen? Sie wollte doch nur, dass es mir gut geht. Mein Problem, dass ich mich nur dann gut fühle, wenn ich den anderen überlegen bin. Meins allein, aber ich mache es zu dem der ganzen Stadt.
    Aber ich würde so gern... ich wäre so gern... und ich kann doch eigentlich etwas...


    Isimud durchquerte den Wald zügig. Selbst in seinem aufgewühlten Zustand ließen ihn seine Überlebensinstinkte nicht im Stich. Sie verhinderten ein überhastetes Eilen mitten in die Gefahren des Trenter Umlandes hinein. Schon kam das Portal in Sicht, eine beständige Erinnerung daran, dass es immer Personen gab, denen es noch schlechter ging, als einem selbst.
    "Das Portal!" Isimuds Gesicht hellte sich auf. Spuckte das Portal nicht regelmäßig zerlumpte Flüchtlinge aus, die ein Starkapital von einigen Hellern gut gebrauchen konnten? Seinen Entschluss gefasst, nahm Isimud das Geräusch seines Platinerzes in seinem Rucksack wieder als fröhliches Klimpern wahr. "Hier trennen sich unsere Wege", erklärte der Bergmann den Steinbrocken, als er sie am Portal zurücklies.


    "Na also, geht doch", zischte der Anthrone, während er das Portal hinter sich ließ. Etwas, das der Wärme im Herzen, die auf eine gute Tat folgte, zum Verwechseln ähnelte, loderte in ihm auf. Und es brannte stetig...


    Nachsatz:
    "Es heißt, das Böse könne das Portal nicht durchqueren. Aber ich habe heute den jungen Isimud Urkhart kennengelernt und bin mir nun unserer Theorie nicht mehr so sicher. Richtig ist ohne Zweifel, dass kein offensichtlicher Scherge des Bösen am Wächter vorbeikommt. Doch stellen die Erfahrungen, die unsere geretteten Seelen aus der alten Heimat mitbringen, nicht eine zwar subtilere, aber dennoch durchaus vorhandene Gefahr dar? Ich kann nur hoffen, dass der Junge seinen Zorn bald in den Griff bekommt und werde ihn vorerst weiter beobachten."
    - Professor Bloom

  • Isimud hatte Trent beinahe erreicht, als er über einen Menschen stolperte. Man durfte das wörtlich nehmen, denn der Mann lag quer über den Pfad hingestreckt. Niemand, der so dalag, hatte sich vorher gemütlich zur Ruhe gebettet. Viel eher sah es so aus, als sei diese Person vor Erschöpfung kurz vor ihrem Ziel zusammengebrochen.
    Während er dem umsanft Geweckten aufhalf, betrachtete Isimud ihn sich näher. Zerlumpte Kleidung, ein Brotbeutel, das Klimpern von Blech in seinen Taschen... ohne Zweifel handelte es sich um einen weiteren Ankömmling von der Portalinsel. Doch bevor Isimud den anderen genauer nach dessen Herkunft ausfragen konnte, sah er sich gezwungen, ihm gleich noch einmal einen unsanften Schubbser zu versetzen.
    "Ab in Deckung mit dir! Da kommt ´ne Große Ameise!" zischte der Monsterjäger. Er riss sein Steinbeil vom Gürtel und stürzte sich auf das Ungeueher.
    Dann folgten die Hiebe blitzschnell aufeinander. Im Nu war die Bestie tot und der Menschenmann gerettet.
    Zufrieden sein Beil ums Handgelenk kreisen lassend kehrte Isimud zu seinem Schützling zurück.


    "Du bist also ein Jäger!" stellte der Fremde fest. Dabei hätte er im ersten Moment doch glatt auf Bergmann getippt!
    "Monsterbezwinger", stellte Isimud klar.
    Doch das schien seinem neuen Bekannten nicht sogleich einzuleuchten. "Die große Ameise ist doch hier nur herumgekrochen", meinte er. "Sie hat uns nicht angegriffen. Trotzdem bist du auf sie los und hast den Kadaver hinterher durchwühlt. Wie eben ein Jäger, wenn er ein Reh tötet und ausnimmt."
    "Aber das war kein Reh, sondern ein Ameisenspäher!" rief Isimud aus. "Ein Monster!"
    Der Menschenmann zuckte die Achseln.
    "Woher soll ich das wissen? Ich kenne dieses Land nicht und erst recht nicht seine Tierwelt, was da normal ist und was monströs.Ich mein, das Vieh hat dich nicht angegriffen..."
    "Das tun sie nie", nickte der Monsterjäger. "Weil es sich um Späher handelt. Wenn sie lohnende Beute ausfindig machen, alarmieren sie die echten Krieger - und wenn die angerauscht kommen, nehme auch ich meine Beine in die Hand."
    "Das wusste ich alles nicht", erwiderte der andere. "Mir wurde nur gesagt, dass ich jetzt in Simkea leben dürfe. Von einer, äh, Steinstatue."
    Der Fremde legte seinen Kopf ein wenig schräg und setzte ein ebenso schiefes Grinsen auf, das wohl "He, ich weiß ja selbst, wie merkwürdig das jetzt geklungen hat" besagen sollte.
    "Vom Wächter", korrigierte Isimud gestesabwesend. "Aus dem Mund einer Steinstatue."
    "Ah, so ist das." Besonders helle schien der Menschenmann nicht zu sein. Genaugenommen bewegte sich auch Isimud auf keinem höheren geisitgen Niveau. Er war nicht wirklich intelligent, nur hatten seine Eltern ihm ein wenig Bildung auswendig lernen lassen, die über diesen Umstand hinwegtäuschen sollte. Außerdem besaß Isimud bereits ein wenig Erfahrung das Leben in Simkea betreffend.
    "Als ich hier ankam, gab es noch keine Monster", teilte er eine dieser Erfahrungen. "Sie sind erst später aufgetaucht. Unser Wohlstand hat sie angelockt. Wie die Waschbären und Füchse, wenn sie bis in die Hinterhöfe reicher Leute kommen."
    Der Menschenmann schien Isimuds Begeisterung angesichts des Erscheinens menschenfressender Ungeheuer nicht so recht teilen zu wollen. Doch er hütete er sich, seinen Widerspruch gegenüber einem bewaffneten und gerüsteten Kerl laut zu äußern. Lediglich ein unverbindliches "Hrm" entschlüpfte seiner Kehle.


    "Jetzt bringen wir erstmal den restlichen Weg in die Stadt hinter uns", entschied Isimud. "Ich wohne in einer Hütte gleich am Stadttor, da kannst du übernachten. Morgen schaust du dir dann den Markt an, fragst Leute und so, um herauszufinden, welche Art von Leben du hier bei uns anfangen möchtest."
    "Ja, und euer Landesherr? Lassen wir den einfach so außen vor?"
    "Den Landesherren hast du schon kennengelernt. Durch die Statue, du erinnerst dich? Es gibt einige Leute in Trent, die Master X bei seiner Aufgabe, über unseren bunten Haufen zu herrschen, unterstützen, aber die darfst du dir nicht wie Fürsten vorstellen. Sie achten auf die Einhaltung der Gesetze, aber keiner schreibt dir vor, wo du zu wohnen hast, welchen Beruf du ausüben musst oder wen du heiraten darfst."
    Dass noch nicht einmal Steuern erhoben wurden, behielt Isimud lieber für sich. Der andere schwankte ohnehin schon zwischen Misstrauen und Flucht angesichts dieser Eröffnungen. Am Ende war er an einen gefährlichen Aufrührer geraten, der ihn in Schwierigkeiten bringen würde?!
    "Wie heißt du?" fragte Isimud rasch, um ein wenig Normalität in das Gespräch einfließen zu lassen. So etwas bot Erwachsenen... (Äh, den anderen Erwachsenen außer ihm natürlich!) erfahrungsgemäß Sicherheit.
    Der Flüchtling nannte seinen Namen.
    Isimud lächelte.
    "Das ist ein guter Anfang. Mehr verlange ich nicht dafür, dir fürs erste Unterkunft zu gewähren. Nur eine Geschichte über das Land, aus dem du kommst. Aus Noröm, soviel ist schon mal klar. Aber ist das auch deine richtige Heimat oder bist du vorher von woanders nach Noröm gekommen?"
    "Meine Heimat?" Der Menschenmann streckte sich. Er atmete die harzige Waldluft ein, lauschte den Geräuschen den Nachtvögel und lies sich erneut Isimuds Worte über die Regierungsform dieses seltsamen Landes durch den Kopf gehen. Eigentlich sah der Bursche nicht wie ein Lügner aus. Ein kleiner Aufschneider, das sicherlich, aber kein Betrüger.
    "Meine Heimat ist Simkea!" erklärte der Mann daher voller Überzeugung.

  • "Simkea durch die Augen meines neuen Bekannten zu erleben, ist eine Herausforderung. Für mich, für die Städter und für den armen Kerl selbst. Heute habe ich ihm den Markt gezeigt und ihn nur für einen Augenblick aus den Augen gelassen, um bei bleedblue zwei Becher Dunkelbohnentrank zu kaufen. Schon brach ein kleiner Tumult aus.
    Was war geschehen? Der Neue, Enpehzeh lautet sein Name, hatte doch tatsächlich einen Händler des Betruges bezichtigt! Ein Zuchtei in den Händen trat er auf mich zu und verlangte, ich solle einschreiten. Was tun? Weit und breit keine Flummii, kein IceT oder ein anderer von den Veteranen. Der Markt war wie ausgestorben, mit Ausnahme der anonymen Masse der Bürger, die kein Wort mit mir wechseln. Es blieb wirklich an mir hängen, das Problem zu lösen. Also sah ich mir das Ei genauer an. Für meine Augen sah es völlig normal aus und würde einmal ein gesundes Kälbchen produzieren.
    "Der Kerl hat behauptet, aus diesem Ei schlüpfe eine Kuh!" brüllte Enpehzeh in einer Mischung aus bitterem Lachen und Wut über den Markt. Klar, jetzt, mehrere Stunden später, lachen wir beide darüber. Aber heute Morgen fing ich an, vom Synapsiden, dem gemeinsamen Vorfahren der Säugetiere und Reptilien zu sprechen. Hatten mir meine Hauslehrer ja mal pflichtschuldig eingetrichtert... Erst, als ich merkte, selbst nicht mehr zu verstehen, was ich da eigentlich erzählte, griff ich auf das gute alte "Das ist hier eben so" zurück. Das wirkte. Kühe, merkte sich mein Bekannter, schlüpfen aus Eiern. Ich schlug ihm auf die Schulter. "Besser verrückte Kühe, als ein tyrannischer Landesherr, ne?"


    Und nun sitze ich hier und denke über Simkeas Tierwelt nach, über Monster, um genau zu sein.
    Monster sind Tiere (Wahnsinnige Würmer), verzauberte Objekte (Belebte Vogelscheuchen) oder Kulturschaffende (Goblins). Ich schreibe hier nur über die ersten beiden Gruppen, weil ich noch keine Erfahrungen mit Goblins gesammelt habe.
    Diesen Monstern ist eigen, dass sie viel dreister als die sogenannten normalen Tiere sind und den Menschen gezielt angreifen. Aber sie tun das nicht aus Bosheit, sondern, weil sie stark genug sind, sich selbst als über uns in Nahrungskette stehend zu begreifen. Ist ein Wolf böse, wenn er ein Kaninchen fängt? Doch wohl eher nicht. Das kleinere Tier passt einfach in sein Beuteschema, so, wie wir in das jener Tiere, die wir deswegen als Monster bezeichnen. Nachdem ich das einmal begriffen habe, bin ich mir unsicher, ob ich mich weiter als Kämpfer betrachten sollte. Man denkt dabei an Soldaten und Söldner, an Kriege, Banditenüberfälle und dergleichen mehr. Das alles haben wir in Simkea glücklicherweise nicht. Womit wir uns herumschlagen müssen, sind die Monster. Wenn ich Enpezeh demnächst zum Gutshof eskortieren werde, dann werde ich natürlich meine Rüstung und Waffen dabeihaben. Mit normalen Jagdwaffen kommt man dem Großwild ("Monster") einfach nicht bei. Damit entspricht meine Funktion der eines Försters, der ja auch keine Kriege gegen Wölfe führt, sondern einfach nur darauf achtet, dass die Population nicht überhand nimmt (also das natürliche Gleichgewicht erhalten hilft) und Reisende beschützt. Naja, ehrlich gesagt würde ich gegen einen richtigen Förster ziemlich alt aussehen. Normale Wildtiere sind sowas von scheu, dass die schon geflohen sind, bevor ich auch nur einen Pfeil einlegen kann.
    Was aber bin ich dann? Ein Krieger sicher nicht, das hat sich als Irrtum herausgestellt. Monsterbezwinger will auch nicht mehr so richtig passen. Ich denke, ich werde mich als Großwildjäger bezeichnen. Aber wenn es doch mal notwendig würde, dann möchte ich schon gern ein Krieger sein...


    Okay, Enpezeh wird unruhig. Ihm sind meine Nachdenkereien sowas von egal, er möchte nur bald sein neues Leben als Bauer anfangen. Für die Schweine und Kühe wird er dann das "Monster" darstellen, ohne wirklich böse zu sein.


    Es wird Zeit, aufzubrechen."


    - Aus Isimud Urkharts Tagebuchaufzeichnungen

  • Seine Bekanntschaft mit Enpehzeh hatte Isimud vor Augen geführt, wie frei er eigentlich war. Frei von den Erwartungen anderer, besonders der Eltern und Lehrer, die ihm immer wieder durch Blicke und Seufzer zu verstehen gegeben hatten, dass aus ihm einmal "nichts Rechtes" würde. Aber auch frei von Existenzängsten, ernährte ihn sein Beruf ja nun nicht nur, sondern warf genug Geld ab, das der Jüngling in seine zahlreichen Hobbies stecken konnte: Kleidung seiner jeweiligen Stimmung gemäß zu färben, all die guten Sachen selbst zu kochen, die an den Marktständen verführerisch dufteten oder einfach die Zeit auf der Großwildjagd zu vertrödeln.
    Isimud ging seinem Handwerksberuf in dem Bewusstsein nach, das gefunden zu haben, das ihm am besten lag und nicht etwa - das war ein feiner Unterschied - weil er für keine intelektuell anspruchsvolle Tätigkeit geeignet war. Es stimmte zwar, doch war das eben nicht der Grund, weshalb Isimud Bergmann geworden war.


    Aber gerade, als alles hätte gut sein können, zogen erneut dunkle Wolken auf. Bei seiner Arbeit in der Gießerei begegnete Isimud eines Tages dem Pärchen Takezu und Maeve. Beide Liebenden trugen bedrohliche Waffen: der Halbelf sein Schwert und die Nymphe ein Kleinkind. Als Angehöriger einer Spezies von eierlegenden Nestflüchtern mied Isimud diese ihm so fremdartige Lebensform, wo er nur konnte. Babies machten ihn nervös, er neigte dazu, die Eltern zu verstören und das musste man ja beiden Seiten nicht antun.
    An jenem Tag überlebte Isimud die Begegnung, doch sie hinterließ ihn nachdenklich. Neunzehn Jahre zählte er nun, ohne auf eine Beziehung geschlechtlicher Natur zurückblicken zu können. Alb und Nymphe schienen gut zusammen zu passen, wie eigentlich Angehörige jeder Spezies, die sich in zwei distinktive Geschlechter teilte. Aber wo blieb Isimud bei der Sache? Auf den ersten Blick betrachtet standen ihm männliche und weibliche Partner offen, doch das funktionierte nur aus der Sicht eines Menschen. Denn ob er sich nun einen Freund oder Freundin suchte, Isimud würde im Liebesspiel entweder nur geben oder empfangen können. Aus der Sicht eines Anthronen blieb das nicht nur unbefriedigend, sondern wirkte zudem noch lächerlich! 'Soll ich vielleicht für immer eine halbe Jungfrau bleiben?!' dachte der Jüngling bei sich. Die einzige andere Alternative bestand darin, ein Pärchen in seinem Alter zu finden... Aber waren nicht drei stets einer zuviel? Würde das nicht zu nichts weiter als Eifersucht führen?


    Nur einer grinste in sich hinein (wenn auch unterlegt von Verständnis für den jungen Burschen): Camulos von Noröm, Isimuds Ausbilder. "Endlich hat der Kleine mal normale Probleme für jemand seines Alters!" Und das, so dumm sich das für Isimud auch anfühlte, war ja eigentlich eine gute Sache.

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    Einmal editiert, zuletzt von Isimud ()

  • Seit einigen Wochen musste sich jeder, ob er es nun wollte oder nicht, anhören, dass Isimud Urkhart plante, einen Garten anzulegen. Das verwilderte Grundstück hinter seinem Haus erschien ihm dafür ideal und, so sagte er sich, so ein romantischer kleiner Garten erhöhte sicher auch die Chancen, ein Ehe- oder Zwillingspaar ins Heu... äh, nein, falsch, ins Herz natürlich! - zu bekommen.
    Eine der Stadtbewohnerinnen, die von den Plänen des Jünglings erfuhr, war Gypsy Rose, die Wanderrose. Über wieviele Ecken sie davon gehört hatte, dass dieser sich als Hobbyfärber betätigte, würde Isimud wohl nie erfahren (Eishexe Eisflackern erschien ihm allerdings als mögliche Quelle, immerhin war sie seine erste und einzige Kundin gewesen). Jedenfalls erkundigte sich die Frau freundlich, ob ihr Gegenüber ihr vielleicht einige Kleidungsstücke schwarz färben könne. "Ich benötige erst Farben", erwiderte Isimud. Er erklärte, kein besonders begabter Alchemist und daher auf Einkäufeangewiesen zu sein.
    Und damit hatte es sich... vorerst...


    Von allen möglichen Lebensstilen eines Simkeaners reizte der des Landmannes Isimud Urkhart am Wenigsten. Genaugenommen verabscheute er das Bauernleben. Das mochte daran liegen, dass ihm das Schlachten im Gegensatz zur Jagd zuwider war, aber ein paar in der Kindheit aufgeschnappte Vorurteile gegen die "niederen" Feldsklaven spielten sicher auch hinein. Doch für den Garten brauchte er Gras und das wuchs nun einmal am besten auf einer Wiese. Also hieß es: zwei Sicheln gekauft und ab zum Gutshof!
    Die Arbeit war eintönig und schwerer, als man denken sollte. Rechnete man noch das Unbehagen gegen die Landarbeit hinzu musste man sagen: unerträglich.
    Isimud versuchte, ein Spiel aus seiner Mühe zu machen. Erinnerte die Sichel nicht ein wenig an einen Krummsäbel, wie ihn die Mutter getragen hatte? Klar doch! Und die Grashalme waren ein feindliches Heer. Allein Isimud stand zwischen den finsteren Heerscharen und den unschuldigen Bürgern Trents. Feind um Feind stürzte unter seinen Hieben zu Boden und wurde als Gefangener in den Rucksack gestopft. Die "Kampf"bewegungen sahen tänzerisch und leicht aus, doch handelte es sich um das Ergebnis langen Trainings. Auf spielerische Weise verbesserte der Jüngling seine Geschicklichkeit, ohne es zu merken.
    Erschöpft lies sich Isimud am Ende des Tages ins Gras fallen, wo er gestanden hatte. Schlaf bemannte sich seiner, doch sollte nur der Körper, nicht der Geist, des Jugendlichen Erholung finden. Denn aus den Tiefen seines Unterbewusstseins stieg eine alte, beinahe vollständig verdrängte Erinnerung wieder nach oben. Und diese Erinnerung fügte der Lösung des Rätsels, wieso sich Isimud auf Feldern nicht wohl fühlte, das letzte Puzzleteil hinzu!


    Noröm. Etwa zehn Jahre zuvor.


    Zwei Kinder, Zwillinge von vielleicht neun oder zehn Jahren, tobten durch den Wald. Da es sich bei den menschenähnlich aussehenden Kindern um Angehörige des seltenen Anthronenvolkes handelte, die menschlichen Zweijährigen ebenbürtig aus Eiern schlüpften, konnten sie also in Wirklichkeit erst acht Jahre alt sein.
    Unter normalen Umständen wäre das Treiben der Geschwister gefährlich gewesen, doch Magie sorgte dafür, dass der Wald den Heranwachsenden nichts zuleide tat. Gegen den Urkharts feindlich gesinnte Durchreisende aber schützten die Kinder ihre Leibwächter, zwei Skelettkrieger, welche diese Aufgabe bereits zu ihren Lebzeiten für den Vater der Zwillinge erfüllt hatten.
    Doch ging die größte Gefahr stets vom Unbekannten aus und manchmal kam sie aus völlig unerwarteter Richtung.
    Schneller und schneller liefen die Jungen. Sie verliesen den Wald, sprinteten in die grasbewachsene Ebene hinaus bis zu den Klippen, die ins Meer hinein ragten. Die Geschwister machten ein Spiel daraus, wie weit sie sich dem Abgrund nähern konnten, ohne von ihren Beschützern aufgehalten zu werden. Irgendwann blieben sie stehen, grinsten sich an und genossen den ungehinderten Blick in den finsteren Himmel Noröms. Nur, dass dieser Himmel in der Umgebung des Urkhart´schen Familiensitzes gar nicht so finster war. Der Vater der Zwillinge hielt mithilfe seiner Magie eine künstliche Lichtquelle, eine beständig im Explodieren befindliche kleine Sonne, aufrecht. Zum einen natürlich für die Kinder, zum anderen aus Nostalgie, in Erinnerung an bessere Zeiten, und zum dritten, weil ohne Licht nun einmal nichts wuchs. Ohne Pflanzen aber gab es keine Nahrung, auch nicht für die ach so starken Fleischfresser. Die Urkhart-Ländereien stellten eine der letzten Kornkammern Noröms dar. Sie produzierten für die Armeen des Bösen ebenso wie für die zahllosen Sklaven - für die einen ein bißchen mehr und besser als für die anderen.
    Die Reichweite der magischen Sonne endete an den Klippen. Das Meer lag bereits wieder in Dunkelheit versunken. Isimud, das ältere der beiden Kinder, fühlte sich vom Meer beinahe magisch angezogen. Dass er einmal Seeräuber werden würde, daran gab es für ihn gar keinen Zweifel! "Ja", erklärte er seinem Bruder Usumiya. "Und dann schicke ich die untreuen Matrosen über die Planke. So hier!" Mit diesen Worten versetzte das Kind dem anderen einen Schubs. Usumiya stürzte über den Rand der Klippe und in die Tiefe. Ein selbstgefälliges Grinsen huschte über Isimuds Gesicht.


    Keine halbe Stunden später stand das Kind schmollend vor seinen Eltern.
    "Meinvater...", brummte Isimud. [Fußnote siehe unten]
    "Was hast du dir nur dabei gedacht?!" schimpfte der Vater. Nudimud Urkhart wurde nicht laut, das wurde er eigentlich nie. Viel stärker als Wut klang abgrundtiefe Enttäuschung aus den Worten des Erwachsenen. "Deinen Bruder ins Meer zu stoßen... Hätte ich nicht rechtzeitig mit dem Levitationszauber eingegriffen, wärst du jetzt ein Einzelkind! Wie ein dreckiger Mensch!" Der Zauberer blickte Isimud tief in die Augen. Der leichte Ansatz insektoider Facetten Augen, der bei älteren Individuen der Spezies bisweilen auftrat, ermöglichte ihm präzise Sicht, doch ins Herz seines Kindes vermochte auch Nudimud Urkhart nicht zu schauen. "Dabei sind wir alles, was wir noch haben", beschwor der Zauberer sein Kind. "Alles, was Damkina und ich zu tun gezwungen waren, das haben wir nur für unsere Familie getan. Verstehst du das denn nicht? All die Opfer, und die Befleckung... die Richtung, die meine Magie eingeschlagen hat - damit niemand auch nur daran denkt, euch etwas zuleide zu tun. Wir sind treue Diener des Schattens, aber treuer ist ein Urkhart den Seinen gegenüber!"
    "Ich dachte", erklärte Isimud trotzig, als Nudimud eine Atempause einlegte, "dass ich fliegen will! Es heißt doch, dass wir das können, wenn jemand in Not ist. Also hab ich halt dafür gesort, dass Usi in Not gerät. Hättest du dich nicht eingemischt, dann wären mir Flügel gewachsen und ich hätte meinen Bruder gerettet!"
    Dies war der Moment, in dem auch der sonst so ruhige Nudimud explodierte wie die Sonne, die er geschaffen hatte. Der Zauberer brüllte! "Zum letzten Mal! Dabei handelt es sich nur um eine dumme alte Legende! Anthronen können nicht fliegen! Versuch es gar nicht erst! Es... es würde nur..."
    "Ja?"
    "Nicht funktionieren", erwiderte Nudimud ausweichend. Statt weiter Isimuds Neugier zu befriedigen, kam er lieber ausführlich auf die dem Kinde zugedachte Strafe zu sprechen.


    (Wegen Zeichenbegrenzung weiter im nächsten Post)

  • (Forts.)


    Abkommandiert auf eine Plantage! Als Feldaufseher! Sonderlich viel tiefer konnte man nicht sinken, oder? Isimuds Träume von einer Piratenkarriere endeten dort, wo sie üblicherweise endeten: Auf einer Zuckerrohrplantage. Nah an den Subtropen gelegen ermöglichte das Klima der hiesigen Region das Wachstum dieser wichtigen Pflanze vorzüglich. Und nun stand der Urkhart´sche Erbe gegen die Wand des Schuppens, in dem die Pressen betrieben wurden, gelehnt, seinen Übungsbogen in der Hand und einen Tellerhelm auf dem Kopf, der ihm ständig ins Gesicht rutschte. Außerdem hatte ihn sein Vater mit einem Vorrat an Schriftrollen ausgestattet.
    Auf den Feldern schufteten die Sklaven: Menschen, Halblinge und andere zweigeschlechtliche Missgeburten der Natur. Jeder einzelne befand sich am Leben, benötigte Schlaf und musste zu Essen bekommen. Der Einsatz von nimmermüder Zombies in der Lebensmittelproduktion verbot sich von selbst, soviel verstand selbst der kleine Isimud bereits. Es war einfach unhygienisch! Zu den Aufgaben des Knaben gehörte es nicht nur, Fluchtversuche zu erkennen und zu vereiteln, sondern darüberhinaus einzuschätzen, welcher der Sklaven nicht mehr wirtschaftlich war. Dann musste er einen Trank vom Apothekarius holen und dem Betreffenden ins Essen schütten. Der Todeskandidat erfuhr nicht, was ihn erwartete und er würde, so hatte der Vater Isimud versichert, auch nicht leiden. Darauf war Nudimud besonders stolz: Niemand litt unnötige Qualen unter seiner Herrschaft. Dies redete der Burgherr sich und seiner Familie ein.
    Nach dem Trunk kam dann die Schriftrolle zum Einsatz, mittels derer auch ein nicht in der Nekromantie geschulter Leser einen Toten als Zombie auferstehen zu lassen vermochte - für Zombies gab es immer gut zahlende Abnehmer. Selbst ein Kind konnte die Schriftrolle benutzen. Alles, was man dazu beherrschen musste, war ein wenig Lesefertigkeit. "Du kannst das", hatte der Vater Isimud aufmunternd mit auf den Weg gegeben. "Du bist doch mein Großer!"


    Konnte er es wirklich? fragte sich der Junge. Denn der Tag, an dem er es herausfinden würde, war gekommen. Einer der Sklaven, ein Halbling, war seit Isimuds Ankunft täglich hinter der zu erbringenden Quote zurückgefallen. Eine Ausrede oder Rechtfertigung, länger zu Zögern, gab es nicht mehr. Heute Abend musste der Trank des Todes verabreicht werden. Isimud hatte bereits eine Phiole beim Meister Apothekarius abgeholt. Nun stand er in der Küche, das Gefäß in der einen Hand, eine Schale mit Reisbrei in der anderen. Mangobrocken schwammen im Reis. Es sah richtiggehend fröhlich aus...
    Plitsch! Der erste Tropfen Flüssigkeit fiel in das Essen. Salzig, heiß. Kein Gift, sondern eine Kinderträne. "Ich mache das ganz einfach nicht", flüsterte Isimud zu sich selbst. "Und zuhause sage ich, der Trank hat nicht gewirkt." Ob dann der Apotheker Ärger bekommen würde? Der war ja auch nur ein Sklave, wenngleich ein gebildeter. Der Halbling oder der Alchemist... beide befanden sich in Gefahr. In höchster Not, konnte man sagen...
    Isimud spürte ein leichtes Kribbeln auf dem Rücken, ziemlich weit oben, beinahe im Nacken. Das Kribbeln intensivierte sich zu einem Jucken. Das Kind kratzte sich mit den Fingernägeln. Es scharrte sich, als das nichts half, mit einem Stock zwischen den Schulterblättern. "Menno! Dafür habe ich jetzt absolut wirklich gar keine Zeit!" murrte Isimud. "Ich muss mir doch etwas einfallen lassen, wie ich die beiden Nicht-Anthronen rette! Sie sind in Not und ich bin ihre einzige Hoffnung!"
    Das war der Moment, in dem die Schmerzen einsetzten. Als wolle sich etwas unter seiner Haut Verborgenes einen Weg nach draußen bohren, drückte und schmerzte es in Isimuds Schulterbereich. Je intensiver er daran dachte, dem Halbling das Leben zu retten, umso stärker wurde der Schmerz. Das Kind krümmte sich zusammen, fiel zu Boden und wand sich dort weiter. Isimud wurde es schwarz vor Augen. Dann sah er sich selbst, wie der den alten Halbing durch die Lüfte transportierte. Der Mann war leicht und Isimud musste seine Schwingen nur wenig anstrengen. Er flog! Fort von der Plantage, fort von den Urkharts, auf eine Insel zu. Merkwürdige steinerne Gebilde standen dort. Waren das Säulen? Oder befand sich nicht auch eine Statue darunter?
    Eine ernste, aber auch liebevolle Stimme erklang im Kopf des Anthronenkindes: "Isimud Urkhart! Sei tapfer!"
    Doch die Schmerzen waren stärker als der Lockruf der Vision. An das Zahnen besaß Isimud keine bewusste Erinnerung, doch das ebenso schmerzhafte flügge werden ging über seine Kräfte. Das Kind gab seinen Rettungsplan auf.
    "Wir sehen uns wieder. Wenn du älter und bereit bist", meldete sich noch einmal die unbekannte Stimme. "So leicht geben wir in Simkea keinen der unseren auf!"
    Simkea? Isimud vergaß diesen merkwürdigen Namen wieder, kaum, dass er ihn vernommen hatte. Mühsam zog er sich am Tischbein hoch. Mit zitternden Fingern tastete er nach der Phiole, die noch immer dort oben stand. Leicht fiel es dem Kind nicht, doch je überzeugter er von seiner Sache war, umso mehr ebbte die Pein ab.
    Phiole - Halbling - Schriftrolle.
    Und Nudimud Urkhart war stolz auf sein mutiges und vernünftiges Kind.


    Simkea. Zurück in der Gegenwart.


    Isimud richtete sich im Gras auf. Sein Haar war zerzaust und seine Kleidung bot allerlei Krabbeltierchen eine übergangsweise Heimat, doch das spielte jetzt keine Rolle. Nichts war mehr, wie es zuvor gewesen war... nein, geschienen hatte. Isimud starrte ins Leere. Er war nicht als Opfer nach Simkea gekommen, wie all die anderen, sondern als Täter! Oder vielleicht war er ja beides gleichzeitig. Was sollte er nun tun? Wie sollte er mit diesem wissen weiterleben? Der Körper des Jünglings hatte seine eigene Antwort parat: Lautes Magenknurren veranlasste ihn, einen Apfel aus seinem Esskorb zu holen und zu verspeisen. Der Alltag, so begriff Isimud, übte eine extrem starke Macht aus.
    Zuerst zögerlich, dann immer überzeugter, schnürte der Anthron seinen Rucksack auf. Er suchte Mörser und Stößel, die er immer bei sich führte. Von seiner letzten Reise ins Adoragebirge trug er auch noch ein wenig Kohle mit sich herum. Eines dieser Bricketts zerrieb er nun in der Keramikschale. Beim ersten Mal fiel sie ihm aus den Händen und die Kohle verteilte sich auf seinem grasgrünen Umhang. Doch im zweiten Anlauf gelang es dem Hobbyfärber, zwei verwendbare Einheiten Farbpulver zu produzieren. Lange starrte Isimud auf das Ergebnis seiner Arbeit. Das Unmögliche war doch zu schaffen! Man musste nur... wollen? Nein, der Wunsch allein genügte nicht. Dranbleiben musste man und durfte nicht zurückschrecken, egal, wie steinig der Weg auch sein mochte. Und selbst dann gab es noch immer keine Garantie, das Ziel auch zu erreichen. Doch Isimud war sich an diesem Morgen absolut sicher: Eines Tages würde er doch noch fliegen lernen!
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    [Fußnote:
    Anthronenkinder nennen ihre Eltern nicht beim Vornamen. Sie benutzen zwei Worte, die "Meinvater" beziehungsweise "Deinemutter" und "Meinemutter" beziehungsweise "Deinvater" bedeuten. Das neutrale Wort "Elter" existiert zwar in ihrer Sprache, doch die Anthronen empfinden es als äußerst unhöflich, nicht zu unterscheiden, welches Elternteil denn nun das jeweilige Kind-Ei besamt und welches es letzten Endes gelegt hatte. Das Elter-Wort findet nur im Gespräch mit anderen Rassen Verwendung. Ein Anthron benutzt auf das eigene Volk bezogen auch niemals "er", "sie" oder "es", sondern ein viertes Pronom, das am besten mit "ersie" zu übersetzen ist.
    Isimud und Usumiya wuchsen zwar in der elterlichen Burg ein wenig hinterwäldlerisch auf, dennoch hatten die Zwillinge in ihrem Leben bereits mehrere andere Rassen gesehen. Manche zeigten sich nur selten, das waren die Lehnsherren, vor denen man buckelte. Dann sprach man so, wie diese es erwarteten und aus den Eltern wurden "Mutter" und "Vater". Isimuds Vater übernahm im Kontakt mit Nichtanthronen die männliche Rolle, weil ihm die Burg gehörte und er als Magiermeister die höhere soziale Stellung einnahm. So mochten es die Herren vom hohen Adel.
    Mit anderen Fremdwesen hatten die Urkharts täglich zu tun, doch diese waren die Sklaven, um deren Meinung man sich nicht scherte.]

  • (OOC: Da dies ja inzwischen eher zu einer Familienchronik denn einem Tagebuch mutiert, hier eine weitere Rückblende)


    Ort: Noröm. Urkhart-Festung.
    Zeit: Gegenwart. Heute.


    Nun ist es zehn Monate her, seit mein Kind Isimud, die Leibesfrucht meines geliebten Partners Damkina, verschwunden ist. Ich sehe ihn vor mir, als sei es erst gestern gewesen, wie er mein Labor zweckentfremdet hat, um seine Angelköder herzustellen: Bällchen aus Hobbitpaste. Die Düsterfische sind ganz wild auf das Fett und auch in der Alchemie findet es die eine oder andere Verwendung. Doch davon wollte mein Sprössling nichts hören, ihn interessierte nur sein Steckenpferd, die Angelei. Daher beließ ich es an diesem Tag bei einem Lächeln, glaubte ich doch, noch so viel Zeit mit Isimud läge vor uns allen. Ich überreichte dem Jungen eine neue Angel aus Entholz, vom lebenden Baum geschnitten. Was hat er da für Augen gemacht! Ob die Ents nicht für die Bergwerke gebraucht würden, um die magischen Stützen herzustellen, fragte er mich? Und so war es ja auch, doch der uns entgangene Gewinn war mir in diesem Moment egal. Holz ist ein nachwachsener Rohstoff, aber eine Kindheit hat man nur einmal im Leben. Die sollte mein Isimud genießen, nicht vor sich hin vegetieren, wie die Ent-Ableger in unserer Baumschule. Etwas anderes habe ich nie vom Leben verlangt. Nur das Wohlergehen meiner Familie, das habe ich eingefordert.


    Als Noröm unter die Knute des Bösen fiel, planten Damkina und ich die Flucht. Wohin? Das wussten wir nicht. Wir hatten nur eine vage Ahnung, dass es eine Möglichkeit gäbe. Vielleicht war es auch nur der allerletzte, verzweifelte Funken Hoffnung. Oder eben Dummheit, eine Illusion, welcher die Schwachen bedürfen. Wohlwissend, dass die Spione des Feindes überall lauerten, beschlossen wir, uns zu trennen. Jeder sollte einen der Zwillinge mitnehmen. Damkina konnte sich nicht entscheiden, er verlangte von mir, die Wahl zu treffen. Meine Wahl fiel auf Usumiya. "Also hast du ihn lieber", sprach Damkina traurig. "Nun ja, du hast ihn ja auch neun Monate lang ausgetragen." "Nein", widersprach ich. "Ich habe Isimud lieber. Deswegen soll er mit dir gehen. Du bist ein Krieger, deine Überlebnschancen stehen viel besser als meine!" Ich blickte zu Boden. Damkinas Reaktion sah ich nicht. Ich fürchtete mich auch davor. Niemand hatte je erfahren sollen, dass ich eins meiner Kinder dem anderen vorzog. Es hätte mein schamvolles Geheimnos bleiben sollen! Doch nun war es ans Licht gekommen. Das ist der Einfluss des Bösen. Es zerstört auf vielerlei Weise. Mit diesen Worten versuchte Damkina mich zu trösten, bevor er als erster aufbrach.


    Ich wollte am nächsten Tag aufbrechen, doch da war es bereits zu spät. Urkhart Castle war von Feinden umgeben. Sie drangen bis in unsere privaten Gemächer ein, die Bewohner der Burg vor sich hertreibend. Schließlich gab es keinen Ort mehr, an den sie hätten flüchten können.
    Der Anführer der dunklen Horden, ein massiv gebauter Halbork, aus dessen Augen die Intelligenz seiner menschlichen Mutter, aber auch die gesamte Bosheit dieser Rasse, sprach, zählte die Kinder durch, meinen Usumiya und die der Dienerschaft. "Die kleinen Friegs nehmen wir mit, für Arena!" ordnete er an, das Wort aus der Menschensprache besonders betonend. "Sie sollen zu Gladiatoren heranwachsen. Tötet den Rest, denn es war ein langer Weg und ich weiß, dass ihr hungrig seid!"
    Wut stieg in mir auf. Wer waren denn hier die Missgeburten, wir Engelabkömmlinge oder nicht eher diese Wesen, die sich vermehrten wie die zweihäusigen Topfpflanzen? Bevor die Orks den Befehl ihres Anführers verstehen, geschweige denn ausführen, konnten - immerhin hatte er ziemlich viele Silben aneinandergereiht - rammte ich meinen Zauberstab in die Lücke zwischen zwei Steinfliesen des Bodens. Ich tat es in einer Weise, die den Stab zerbrechen lassen musste. Magische Energien breiteten sich wie ein Ring aus und schmetterten alles zu Boden, was ihnen ihm Weg stand. Ich schrie vor Schmerz, denn auch ich war nicht immun gegen den Effekt meines Zaubers. Jeder im Raum hätte unweigerlich sterben müssen: Ich selbst, die Orks, aber auch die Anthronen, darunter mein eigenes Kind. Doch wie es die Legenden verkündeten, wachsen unsereinem in solchen Momenten Flügel. Die Schwingen brachen aus meinem Rücken hervor, ich konnte mich trotz der doppelten Pein soweit beherrschen, mein Kind zu greifen und zu mir heranzuziehen. Dann schlug ich meine neuen Flügel schützend um uns beide. Um uns herum tobte ein Inferno. Mehrere hundert in dem Stab gespeichert Bannzauber entluden sich mit einem Mal. Nichts Totes in dem Raum, der später mein Labor werden sollte, überstand den Ausbruch der Magie. Und den Lebendigen erging es nicht besser. Denn bestand der potenzierte Effekt der gestapelten Zauber: Alles Existierende wurde eine Stufe herabgesetzt. Himmlisches wurde weltlich, Lebendiges tot und Totes regelrecht pulverisiert. Theoretisch hätte Nichtexistentes zu Unvorstellbarem werden müssen und wie es dann weiterging, darüber zerbrachen sich die Gelehrten die Köpfe. Doch im Elternschlafzimmer der Burg Urkhart spielte das an diesem Tag keine Rolle. Hier starben meine Artgenossen um mich herum. Ihres engelischen Erbes beraubt, war es meinen Dienern unmöglich, selbst auf ihre Schwingen zurückzugreifen. Nur ich war mächtig genug, uns zu retten. Als die magischen Energien verebbten, öffnete ich zaghaft meine Schwingen. Dennoch blieb es dunkel um mich herum und ich begriff rasch, weshalb: Die Flügel waren schwarz und sie stanken nach Schwefel. Ich hatte mein Kind gerettet, doch um den Preis des Lebens aller mir anvertrauten Untertanen. Deswegen hatten sich meine Flügel als die eines gefallenen Engels, eines Dämonen, manifestiert.
    Doch ich war nicht allein. Es gab noch eine Person, mit der ich diese Erfahrung teilen konnte.


    Damkina hatte sich auf den Weg zu jenem eingebildeten Ort gemacht, an dem wir uns Rettung erhofften. Doch als ihn für einen Moment die Müdigkeit überfiel und er rasten musste, war Isimud neugierig davongetappt und den Häschern in die Arme gelaufen. Damkina sollte, wenn er unser Kind wiederhaben wollte, das Versteck eines Rebellen ausfindig machen. Tatsächlich fand er das Lager auch, doch brachen die Gefolgsleute des Rebellen gerade auf. Um rechtzeitig vor dem Ablauf des Ultimatums Isimuds Entführer zu erreichen, hätte mein Partner schon fliegen müssen - was er auch tat. Isimud befand sich in Lebensgefahr, wodurch die himmlische Gabe der Anthronen aktiviert wurde. Auf diese Weise gelang es dem Bösen, die Flüchtlinge aufzuhalten. Jeder Einzelne, ob Rebell oder Zivilist, Mann, Frau oder Kind, fiel ihnen zum Opfer. Damkina aber kehrte zu mir nach Hause zurück, in den Händen eine einzelne schwarze Daune.
    Mit den Armeen des Bösen hatten wir von da an nie wieder Probleme. Sie gaben mir sogar zwei meiner Jugendfreunde zurück, Ritter, die in Gefangenschaft geraten waren und ebenfalls in der Arena hätten kämpfen sollen. Nun würden sie stattdessen über Leib und Leben meiner Kinder wachen.
    "Dient uns weiter, alle ihr Urkharts", erklärten uns die Feinde. "Dann geschieht euch nichts."
    Aber das war eine Lüge! Mein Kind ist tot! Alles war umsonst... die Befleckung... und mein Kind... fressen die Fische...


    Nudimud Urkhart

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    Einmal editiert, zuletzt von Isimud ()

  • Simkea. Zurück in der Gegenwart.


    In der Straße "Zum Küchenmeister" gleich rechts vom Stadttor lies es sich Isimud Urkhart in seinem Garten gutgehen. Zwei Schafe hatten sich erst kürzlich auf seinem Grundstück eingefunden. Nicht ganz so effektiv wie eine Ziege, aber dafür auch weniger eigensinnig, hielten sie den Rasen und das Unkraut im Garten kurz. Isimud bezweifelte, ob sich die Tiere im Herbst scheren lassen würden, doch das war eigentlich nebensächlich. Er schätzte ihre Gesellschaft auch so.
    Ein halber mit Nichtstun vergammelter Tag lag bereits hinter ihm. Innerhalb der nächsten Stunde würde er dem Markt einen Besuch abstatten, um seine Vorräte aufstocken - Oder vielleicht auch sofort, denn das Geschrei eines städtischen Ausrufers, der sich seinen Weg durch die Straßen bahnnte, hatte den Gartenbesitzer gerade unsanft aus seinen Tagträumen gerissen. Wozu gab es eigentlich öffentliche Aushänge?! schoss es Isimud durch den Kopf. Sollten die Simkeaner doch gefälligst lesen lernen und auch mal das Rathaus aufsuchen, um sich zu informieren, wenn sie schon in Freiheit leben durften! Dann bestünde keine Notwenigkeit mehr, zusätzlich schreiende Menschen durch die Straßen zu scheuchen.
    "Blöder Kerl, mir mein Faulenzen zu verleiden", murrte Isimud. "Mit seinem Geplärre über ein Portal und aggressive Monster dahinter..." Mit einem Mal schoss der Faulenzer aus seiner Hängematte! Hatte er da eben wirklich "aggressive Monster" vernommen? Nein, da war der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen. Isimud hörte genauer hin. Jemand hatte ein Portal oder ähnliches entdeckt, hinter dem es rumorte. Na, wer da nicht sofort an Monster dachte, sie sich womöglich sogar herbeiwünschte, der war wohl kein Abenteurer in seinem Herzen. Jedenfalls suchte die Stadtverwaltung nun Freiwilige, welche sich die Bescherung einmal genauer ansehen sollten. Kampferprobte Freiwillige natürlich. Isimud fand, dass es sich um einen Job handelte, der genau seine Kragenweite aufwiese!


    Nicht Camulos von Noröm, sondern der Katzenfrau Pytron oblag es, die Kandidaten zu prüfen. Isimud trat noch am selben Nachmittag vor sie. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus: Was die werte Gesundheit mache, dass er sich gern der Expedition anschließen wolle, was er alles bereits erlernt habe, wie oft er trainiere, wo seine Stärken im Kampf lägen und ob es einen Test gäbe.
    Und Pytron gab Auskunft: Die Gefahren, die möglicherweise uf die Expeditionsteilnehmer zukamen, erforderten es, dass die Kandidaten in der Lage waren, mit fortgeschrittenen Waffen und Rüstungen zu hantieren, teilte sie dem Bewerber mit. Offenbar schien die Katzenfrau bereits eine Vermutung darüber zu haben, was genau die Kundschafter erwartete. Isimud könne sich der Gruppe gern anschließen, aber es würde schwerer für ihn werden, als für die erfahreneren Helden Trents...
    Der Bogenschütze lauschte eifrig, bemüht, sich auf die Gegenwart zu konzentireren und die Tagträume von Ruhm und Ehre... naja, nicht komplett wegzuschieben, aber zumindest in Grenzen zu halten. Er wollte unbedingt als einer der ersten sehen, was sich da anbahnte, sich mit den Pionieren zusammen bereits in der ersten Welle den bislang unbekannten Gefahren stellen! Zählte Isiumd denn etwa nicht mehr zu den 30 besten Kämpfern des ganzen Landes?
    "Ich habe einen Goblin besiegt, im Kampf Mann gegen Mann!" eröffnete er Pytron. "Er hat mir aufgelauert, als ich vom Holzfällerlager nach Trent unterwegs war, aber er war mir nicht gewachsen!"
    Die Katzenfrau nickte. "Wie gesagt, es ist nicht unmöglich, aber es wird hart", meinte sie.
    Isiumd spielte mit den Gurten seines Köchers. Mehr als alles andere drängte es ihn danach, sich den Trentern zu beweisen, ihnen vorzuführen, dass er es doch wert gewesen war, aus dem finsteren Noröm gerettet zu werden. In seinem ersten Jahr in der "Neuen Welt" hatte sich der junge Krieger zu diesem Zweck darauf konzentriert, den Zivilisten vorzuführen, wie überlegen er ihnen an der Waffe war. Aber vielleicht hatte er das ja gar nicht mehr nötig? "Ich will ein Mann sein", dachte der Anthronenjüngling, obwohl es dieses Wort in seiner Muttersprache gar nicht gab. Doch mit der Zeit hatte er sich angewöhnt, sogar simkeanisch zu denken. "Als Erwachsener möchte ich mich beweisen!" folgte der zweite Gedanken, diesmal in seiner eigenen Sprache, auf den Fuß. Und dann öffnete er den Mund zu einer notwendigen Ergänzung seiner Goblin-Geschichte:
    "Naja, das war dieses eine Mal. Hinterher war meine Rüstung beinahe hin und ich hatte so viele Kampftränke geschluckt, dass es für eine ganze Mahlzeit reichte. Also, was ich sagen will, ist, es geht... ein-, oder zweimal. Ich fürchte, mit meiner Ausrüstung und Kampferfahrung bin ich den Strapazen der Expedition noch nicht gewachsen. Deswegen möchte ich meine gerade erst ausgesprochene Bewerbung zurückziehen."
    Pytron tobte nicht, wie Isimud es befürchtet hatte. Sie stöhnte noch nicht einmal über die verschwendete Zeit und sie lachte den Kandidaten auch nicht aus. Ganz im Gegenteil sprach die Katzenfrau Isimud ihre ehrliche Anerkennung aus.


    Da er seine Entscheidung gefällt hatte, blieb Isimud hier nichts mehr zu tun, außer sich zu verabschieden.
    Das Schicksal wollte es so, dass der Bogenschütze auf dem Platz vor dem Rathaus seinem Vorgesetzten Camulos begegnete. Beim letzten Treffen der beiden Männer hatte der Waffenmeister seinen Schüler von dessen Milizaufgaben entbunden. Isimuds Hochfahrt hatte ebenso dazu geführt wie gewisse Exzesse bezüglich Alkohol. Wie lange war das nun her? Lediglich einige Monate, realisierte der Anthron.
    Camulos musste nicht darüber in Kenntnis gesetzt werden, was im Rathaus vor sich gegangen war. Sein Kriegerverstand und seine damit einhergehende Personenkenntnis verrieten es ihm bereits, als er Isimuds ansichtig wurde.
    "Wie fühlst du dich jetzt?" erkundigte sich der Waffenmeister.
    "Na, wie schon? Beschissen!" Isimud besann sich. Er lauschte in sich hinein, schmunzelte, und ergänzte, ohne den Kopf dabei zu heben: "Ich bin natürlich enttäuscht. Aber auch ziemlich stolz."
    Camulos lächelte. "Ehrlich zu anderen und ehrlich zu dir selbst, Glückwunsch, mein Junge! Auch ich bin stolz auf dich."
    Nun erst blickte der Jüngling seinem Mentor ins Gesicht. Eine verrückte Mischung aus Dankbarkeit, Freude und Trauer spiegelte sich in seinen den menschlichen so ähnlichen Zügen wieder.
    "Noch ein wenig trainieren zu müssen ist keine Schande", meinte Camulos. "Aber lass uns das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden. Du kennst das Adoragebirge wie kein anderer, Wahnsinnige Würmer erlegst du mit verbundenen Augen und die Jagd auf Schneebälle stellt dein täglich Brot dar. Für andere sind sie eine tödliche Gefahr. Ich teile dich daher den Erztransporten zu, die zwischen dem Gebirge und der Stadt unterwegs sind, sowie dem Schutz der weniger kampfwilligen Bergleute."
    Isimud hörte das natürlich äußerst gern! "Ich bin also nicht mehr beurlaubt?" vergewisserte er sich.
    "So ist es. Willkommen zurück." Camulos streckte Isimud die Hand entgegen. Geistesgegenwärtig vermied es Isimud, seinem ersten Instinkt zu folgen und zuzugreifen. Es wäre ihm schlecht bekommen, denn Camulos hatte nicht etwa einen Handschlag im Sinn, sondern präsentierte seinem Untergebenen etwas in der Handfläche. Es handlete sich um einen kleinen Anstecker, wie ihn die Stadt für besondere Verdienste auszuteilen pflegte. Wie die meisten engagierten Bürger besaß auch Isimud bereits einige davon. Doch dieser hier war keine Auszeichnung, sondern ein ganz normales Rangabzeichen.
    Sorgfältig ergriff der Kämpfer den Pin und befestigte ihn an seiner Tunika.
    "Sie haben Ihre Befehle, Korporal der Miliz, Isimud Urkhart", meinte Camulos. "Ab ins Gebirge mit Ihnen!"

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  • Wie bekämpft man einen Schneeball?


    Oft genug hatte Isimud Urkhart dieses Thema mit anderen Mitgliedern der städtischen Miliz diskutiert. Um Vergleich zu echten Kriegsleuten waren Isimuds Kollegen und Kolleginnen blutige Laien, den ihm anvertrauten Bergleuten hingegen erschien der Teilzeitkämpfer und selbsternannte "Großwildjäger" Isimud als ihr Held. Zu seinem Ansehen trug bei, dass Isimud ja selbst in diesem Handwerk daheim war. Gemeinsam hatte man beschlossen, sich höher ins Gebirge zu wagen. Die Erzgräber wollten einige ihrer etwas schwächeren Gesellen und die Lehrlinge in einem zweiten Lager nahe des Hauptcamps gleich Kohle abbauen lassen. Soweit oben war nicht mehr mit dem Auftauchen von Monstern zu rechnen, wusste Isimud zu berichten. Daher würde es ihm auf dem Plateauberg zufallen, den Kontakt zwiscchen beiden Gruppen aufrechtzuerhalten. Zudem hatte sich der Hobbykoch bereiterklärt, den Küchendienst zu übernehmen. So war eigentlich alles geregelt und die Karawane hatte bis jetzt mit keinerlei Zwischenfällen zu kämpfen gehabt.
    Entspannt genossen die Männer (und natürlich auch die wenigen Frauen und Blumenartigen unter ihnen) die Rast am Ende eines weiteren Reisetages. Lediglich die jüngsten Lehrlinge wollten noch nicht so recht zur Ruhe kommen. Zu neu und aufregend war alles um sie herum. Diese Kinder und Jugendlichen waren eine gemischte Truppe. Manche bewahrten im Unterbewusstsein noch verschüttete Erinnerungen an ihre Flucht aus Noröm, andere hatten das Leben unter dem Schatten bereits bewusst miterlebt und wieder andere hatten erst in Simkea das Licht der Welt erblickt. An diesem Abend wuselten sie zuerst alle in einer Schneeballschlacht durcheinander, jeder gegen jeden. Dann verfiel ein Junge auf die Idee, "Böser Schneeball" zu spielen. Dazu musste Isimud seinen Bogen spannen und versuchen, möglichst viele Schnebälle im Flug zu treffen, die von den Kindern geworfen wurden. Hui, war das ein Vergnügen! "Den kriegt er NIE!", "He, nicht schummeln, der war zu leicht!" und "Das nennst du werfen?" schrien die Spieler durcheinander. Längst hatte auch der Schütze selbst jegliche Berührungsangst abgelegt und verhielt sich nicht anders als die nur unwesentlich jüngeren Bergknappen. Wieder und wieder flogen die Bälle munter durch die Luft, zwei, drei, vier gleichzeitig. Fünf, sechs, sieben... acht... Acht?! Da konnte etwas nicht stimmen! Sechs Kinder konnten gar nicht aus acht unterschiedlichen Richtungen Schneebälle werfen! Isimud begriff das noch bevor der Zähne sah. Die Fangzähne und das hämische Grinsen eines Bösartigen Schneeballs, wie die Elementarwesen, die das Adoragebirge bewohnten, von den Trentern genannt wurden.


    Wie kämpfte man gegen einen Schneeball?
    Die Antwort lautete: verzweifelt, vor allem dann, wenn das eiskalte Bällchen noch zwei Gefährten mitgebracht hatte. Isimud mit seinem Bogen stand zwischen den ihm anvertrauten Trentern und den Monstern. Pfeil um Pfeil flog von seinem Bogen, die Sehne surrte, das lackierte Holz ächzte unter der Dauerbelastung. Dem Milizmann blieb nichts anderes übrig, als sich auf unpräzise Schnellschüsse zu verlegen. Die taten den Gegnern zwar nicht unbedingt weh, genügten aber, um die Angreifer immer wieder zu verscheuchen. Nur, auf Dauer würde Isimud sie auf diese Weise nicht zurückdrängen können.
    Und dann geschah es. Einem der kleinen Monster gelang es, den Wall aus Geschossen zu durchbrechen. Geschickt flog er auf Isimud zu, kreiste um ihn herum und raammte sich schließlich in seinen Nacken. KLATSCH! Eisige Kälte breitete sich auf Isimuds Haut aus. Wasser, viel mehr Wasser, als man glauben sollte, dass in dem lebendigen Wurfgeschoss enthalten sei, troff über Isimuds Schultern den Rücken hinunter. Das Gefährliche an einem Schneeballangriff waren nicht unbedingt nur die Wunden, die man davontrug, sondern die Gefahr einer Erkältung - fernab der Zivilisation konnte die einen einzelnen Reisenden durchaus töten. Ein Nieser zum falschen Zeitpunkt, ein Verstolpern oder ein Fieberschub, der zum verlängerten Aufenthalt zwang...
    Doch über eine mögliche zukunft über den Moment hinaus konnte Isimud gar nicht nachdenken. Erneut sauste ein Schneeball auf ihn zu. Diesmal verbiss sich die Kreatur in den Bogen des Zweibeiners. Es war unmöglich, die Sehne wieder zu spannen. Isimud griff seine Waffe fester und donnerte sie gegen den nächstbesten dürren Baum. Der Bogen hielt es aus, der Schneeball leider auch. Nur leicht betäubt taumelte das Wesen zur Seite. Aber immerhin hatte es losgelassen. Isimud stöhnte, als er sah, wie eifrig das Elementarwesen bereits an seiner Bogensehne gekaut hatte. Mehr als diesen einen Kampf würde sie sicher nicht mehr überstehen. Wenn sie doch wenigstens noch dieses eine Gefecht über hielte, dann könnte er leicht Ersatz anbringen. Wenn, ja, wenn!
    Die beiden unverletzten Schneebälle kamen dicht aneinandergedrängt auf Isimud zugeflogen. Vergeblich versuchte er auszuweichen und wurde mit voller Wucht ins Gesicht getroffen. Isimud hielt die Luft an. Nicht zum ersten Mal wurde er an diesem Abend von Schnee auf die Nase getroffen, jedoch erstmalig von Schnee, der dazu eine eigene Meinung besaß. Wieder lösten sich Eiskristalle vom Körper der Monster. Sie drangen in Isimuds Nase, Mund und Lunge ein, als dieser gezwungen war, wieder einzuatmen. Der Schütze hustete, torkelte, schlug wild um sich.
    Das Gezappel ihrer Beute schien die Schneebälle bestens zu unterhalten. Sie waren wohl doch mehr bösartig als jagdlustig. Oder tat diese Beschreibung der Spezies an sich Unrecht? Wie dem auch sei, diese drei Exemplare fanden ein diebisches Vergnügen daran, ihr Opfer zu quälen. In gewisser Weise war Isimud sogar dankbar dafür, ermöglichte es doch den Bergleuten, sich in die relative Sicherheit ihrer Zelte zurückzuziehen oder zuzsehen, dass sie davon kamen.
    Er tastete blind nach dem Trank, der stets griffbereit in seinem Gürtel steckte. Mit einer Hand fuchtelnd, um die Schneebälle abzuwehren, hob er das Fläschchen mit der anderen an seine Lippen, entkorkte es mit den Zähnen und stürzte den Inhalt hinunter. Sogleich fühlte sich der Kämpfer besser als die Lebensgeister in ihn zurückkehrten. Die angebrochene Phiole musste er zu Boden fallen lassen. Er konnte nur hoffen, dass der Inhalt mit etwas Glück nicht gänzlich ausliefe. Die Angreifer hatten offensichtlich noch nie zuvor Erfahrung mit Kämpfern gesammelt. Verwundert darüber, wie jemand mitten in einem Kampf eine Erfrischungspause einlegte, hielten sie in ihren Angriffen inne. Die drei Schneebälle schwebten völlig verwirrt um Isimud herum und wechselten dabei verständnislose Blicke. Was würde der dreiste Fremdling wohl als nächstes konsumieren? Blaubeersaft?! Eine Kartoffelsuppe?!
    Probweise flog eines der Monster auf Isimud zu. Dieser hatte inzwsichen seinen Bogen wieder schussbereit gemacht, so dass er das Wesen auf kürzeste Distanz durchbohrte. Der Pfeil durchschlug den kleinen Körper. Mit Befriedigung beobachtete Isimud, dass die Wunde sich nicht wieder komplett schloss.
    Die anderen beiden Schneebälle agierten angesichts ihres verletzten Kumpans nun noch zögerlicher. Isimud nutze seine Chance! Nun, da die drei Monster nicht mehr gleichzeitig angriffen, schöpfte er wieder Hoffnung und Zutrauen in seine Fähigkeiten. Pfeil um Pfeil jagte er in seine Feinde, bis einer von ihnen zerfetzt zu seinen Füßen lag und die anderen beiden das Weite suchten. Den Jubel der geretteten Bergleute lies er über sich ergehen wie eine Nowendigkeit, gleich der Versorgung seiner Wunden.


    Wie bekämpft man also nun einen Schneeball? Wie jedes andere Monster auch: Mit Glück, Ausdauer und einem starken Willen. Es kann auch nicht schaden, etwas dabeizuhaben, das man um jeden Preis beschützen möchte.

  • Einige Wochen später in Trent.


    Es hätte ein friedlicher Abend sein können. Isimud stand in der Küche in der Taverne und säuberte die Moderne Kochstelle. Er tat das gewohnheitsmäßig, nachdem er sie benutzt hatte, immerhin stellte Reto sie allen Bürgern kostenlos zur Verfügung.
    An diesem Abend fegte der Hobbykoch auch Tonscherben von zu Bruch gegangenem Kochzubehör auf, wischte Pfützen vom Fußboden und entfernte ekligen Mischmasch, bevor dieser Küchenschaben anlockte. Einige dieser Bescherungen hatte er selbst zu verantworten, wenngleich längst nicht mehr so viele wie in seinen Anfangszeiten.
    Plötzlich - Isimud warf gerade die Splitter eines zerbrochenen Kochlöffels ins Feuer - explodierte Reto förmlich! "Ich sehe mir das nicht mehr länger mit an!"
    "Was?" grinste Isimud. "Dass ich als Krieger hier die Küche schrubbe? Ja, so hab ich mal gedacht, dass das ehrenrührig sei und so, aber ich bin drüberweggekommen."
    Doch der Gastwirt war nicht zum Scherzen aufgelegt. Er seufzte hörbar, dann meinte er: "An dich war das ja auch nicht gerichtet, Isi. Geh mal für heute nach Hause. Wirst dann schon mitbekommen, was sich ändert."
    Isimuds siebter Sinn schrie Alarm...


    ...und ein paar Tage später schrie auch der Jüngling, nämlich vor Verzweiflung.
    Er saß im Garten seines torfgedeckten Holzhauses, vor sich auf einem Klapptisch das Kochbuch. Daneben standen Tintenfass und Federkiel - Objekte, die auf den bildungsphobischen Korporal in etwa den Bedrohungsgrad einer Mittelstreckenrateke ausübten. Die war zwar noch nicht erfunden, aber dafür existierte das Schreibzeug und füllte die entsprechende ökologische Nische bestens aus.
    Im Gras neben dem Anthronen saß Enpehzeh der Bauer und lies es sich gutgehen. Einen Becher Blaubeersaft in der Hand forderte er seinen Freund auf: "Also, wie machst du Blaubeerpfannis?"
    "Genau wie normale, nur eben mit ner Handvoll Blaubeeren", erwiderte Isimud.
    Enpehzeh schüttelte den Kopf. "Genauer! Wieviele Beeren?"
    Isimud sah den anderen verdutzt an. Nach einer längeren Denkpause antwortete er: "Na, je nach Appetit!"
    Doch der Bauer lies diese naheliegende Antwort nicht durchgehen. "Nein, nein, nein, nein, nein!" protestierte er. "Du musst schon das Grundrezept beherrschen. Sonst ist es für dich Sense mit dem Kochen in der Stadt."
    "Ja", seufzte Isimud. "Ich weiß ja..."
    Denn darin bestand Retos Idee: Damit ihm keine unfähigen Köche mehr den Laden ruinierten, würden in Zukunft nur noch diejenigen seine Küche benutzen dürfen, die vorweisen konnten, die Rezepte auch zu beherrschen. Die Entscheidung war nachvollziehbar und vernünftig, doch bestand der Menschenmann darauf, den Nachweis schriftlich vorgelegt zu bekommen.
    Und deswegen saß Isimud an diesem Tag trotz des schönen Wetters an dem Klapptisch und malte unbeholfen Buchstaben in sein Kochbuch. Die Ära der mündlichen Überlieferung neigte sich unaufhaltsam ihrem Ende zu.
    "Ich werde da nie wieder reingucken!" behauptete Isimud trotzig.
    "Musst du ja auch gar nicht", tröstete ihn der Bauer. "Nur für die Prüfung."
    "Was gibt es sonst so Neues in der Welt?" fragte Isimud, um von dem ungeliebten Thema abzulenken. Enpehzeh hätte weit ausholen können, von den geplanten Parzellen sprechen, die sich Trenter Bürger bald auf dem Gutshof zur eigenen Pflanzenzucht anlegen durften, oder von dem Plan der Stadtverwaltung, Reitwege einzurichten. Stattdessen meinte er leichthin: "Hanswalter war im Dungeon..."
    "Oha!" Mehr als nur gelindes Interesse schwang in Isimuds Ausruf mit. "Und weiter? Nun erzähl schon!"
    "Ach..." Der Bauer winkte ab. "Ist nicht mein Ding. Ich habe nicht weiter nachgefragt."
    "Oh. Schade."
    "Aber ich glaube, in der Zeitung steht ein Bericht... den er nach seiner Expedition eigenhändig verfasst hat oder so."
    Enpehzeh beobachtete mit einem Grinsen im Gesicht, wie sich sein Bekannter aufs Neue, diesmal mit Feuereifer, über seine Schreibarbeit beugte.
    Na, also, dachte der Bauer bei sich. Dich kriegen wir schon zum Lesen und Schreiben üben, mein Junge.
    Was hatte ihm Isimud einmal über das Angeln verraten? Dass es nur auf den richtigen Köder ankam? Stimmte auffallend. Wo das Niederschreiben von Kochrezepten als Lehrmittel versagte, mochten das Lesen und Verfassen von Abenteuergeschichten einen viel besseren Anreiz darstellen, sich näher mit diesen Künsten auseinanderzusetzen.


    Oder auch nicht ;)
    Denn dies stand in Isimuds Aufsatz zu lesen:


    Also ich mach die Beeren noch nich mit rein, sondern mach erstmal mit nem Löffel so, dass es Matsch wird, aber kein ekliger Mischmasch, sondern n Teig. Ein Pfannkuchenteig und der geht so...


    Enpehzeh spukte den Blaubeersaft in hohem Bogen über das Vergissmeinnicht-Beet.

  • Noröm


    "Ich mein´, das Mütter ihre Kinder nur ungern loslassen, das ist ja bekannt, ne? Soll sogar bei den Menschen so sein und das die nur zusammenhalten, wenns ihnen an den Kragen geht, weiß man ja. Aber meine... meine übertreibt. Und, nein, das ist überhaupt nicht witzig. Während ich das schreibe, reißen Eisen tief in meine Handgelenke. Jede Bewegung ist eine Qual, dennoch muss ich schreiben, muss mich ausdrücken, um nicht gänzlich den Verstand zu verlieren. Ich tue einfach so, als hörte mir jemand zu... Ich bin Usumiya Urkhart, einziges verbliebenes Kind von Nudimud und Damkina. Mein Zwilling ist auf einem Angelausflug ertrunken oder er würde von den Raubfischen gefressen, was weiß ich. Jedenfalls weg, für immer, außerhalb unserer Reichweite. Tot eben. Meine Mutter - Isis Vater - ist am Boden zerstört. Damit ihr das nicht noch einmal passiert, hat sie mich in unserer eigenen Burg in den Kerker gesperrt. Und angekettet. "Zu meiner Sicherheit", damit mir nichts zustößt.
    Wie ich sie dafür hasse! Wie ich mich hasse, nichts dagegen tun zu können, und Isimud, dafür, dass er so einfach gestorben ist! Ich plane... nein, ich schreibe nicht, wie, aber ich werde Nudimud beseitigen. Soll sie doch ihrem geliebten Isi im Nimmerleinsland Gesellschaft leisten! Hauptsache, ich bin wieder frei..."


    ...


    "Das habe ich gestern geschrieben. Ha! Nudimud war da. Einmal am Tag kommt sie und bringt mir etwas zu essen und leert den Eimer aus. Ich habe mir alles mögliche ausgemalt, was ich dann tun würde, aber letztendlich habe ich mich doch nur auf das Essen gestürzt und "Danke, Mutti", geflüstert. Und so wird es weitergehen, das weiß ich. Bis ich die Kraft finde, Hand nicht an sie, sondern an mich zu legen."


    Tränen fielen auf die gebundenen Seiten, Usumiyas Tagebuch. Die teure wasserfeste Tinte behielt ihre Form, in Lettern gebannte Verzweiflung.
    Dies war das Land der Dunkelheit und nun hatte diese Finsternis, die sich über das Land und die Seelen legte, auch die Festung der Urkharts eingeholt.


    Simkea


    Isimud lag am Waldstrand, ein wenig entfernt von der Baustelle, die er regelmäßig mit Nahrung und Baumaterial belieferte. Ein langfelliger Schiffskater, der mit dem Kapitän aus einem fernen Land gekommen war, leistete ihm Gesellschaft. Der Bauch der Jünglings hob und senkte sich und die Katze wurde im selben Rhythmus emporgehoben. Sie schlummerte sanft, sich durch die Bewegung getäuscht noch immer auf dem Meer wähnend.
    Ruhe und Frieden umgaben die beiden. Sie führten ein Leben ohne Angst und die einzigen Nöte, die sie kannten, waren selbstgemachte.

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  • Die Arbeiten an der Baustelle schritten in einem Tempo voran, das sich Isimud Urkhart niemals hätte träumen lassen. In den vergangenen Wochen hatte er beinahe ausschließlich für dieses Projekt Holz gefällt und gekocht. Dennoch nahm sich sein Beitrag läppisch gegenüber den Mengen aus, welche die alteingesessenen Simkeaner beizutragen hatten.
    Derzeit ruhte sich der Abenteurer aus. Für einen kleinen Tagebucheintrag reichte seine Kraft allerdings noch aus:


    Ich fahre demnächst auf die neuentdeckte Insel Gargantua, zusammen mit vielen anderen Entdeckern!
    Ich frage mich, was dort für Menschen leben. Dass ein Monarch herrschen soll und MasterX persönlich bereits mit diesem gesprochen haben soll, kam mir zu Ohren. Sind Captain Smith und seine Landsleute die Ureinwohner Simekas? Oder hat auch sie eine Fügung des Schicksals hierher verschlagen?
    Bald werde ich es erfahren...


    Gepäckliste:
    Altersnachweis 1 (Mindestens 10 Jahre alt) und 2 (15 Jahre alt)
    Waffen, Rüstungen, Kampftränke, 1 Heiltrank
    Sammelutensilien (Tonkrug, Weidenkorb, Schaufel, Hacke, Messer)
    Selbstzubereiteter Proviant im Esskorb mitsamt einem Becher
    Ein kompletter Satz neuwertiger Reservekleidung
    Soviel Bargeld wie in den Beutel passt
    Das Fernrohr
    Eine Küchenschabe (klebt am Innenfutter des Rucksack fest)
    Die neue Flöte (für die Überfahrt)
    Der Schiffskater


    Nicht mehr beschaffen konnte ich eine Kopfbedeckung und ein Selbstheilmittel: Erkältung.


    Der eifrige Schreiber Wollte schon umkehren und noch einmal den Marktständen in Trent einen Besuch abstatten, als er das Verkaufsschild sah. Was würde Cpt. Smith wohl verkaufen? Exotische Waren aus seiner Heimat?
    Neugierig schlenderte Isimud hinüber zu dem kleinen Stand. Viel mehr als ein Fass, auf dem eine kleine Kasse stand, war es nicht. Kleine Papierstreifen lagen zusammengerollt auf dem Fass. Isimuds Herz machte einen kleinen Sprung, als er entzifferte, was darauf stand:


    Ticket. Einfache Fahrt. Hin- und Zurück. Erwachsenentarif.


    Konnte das wahr sein? Der Steg war doch noch gar nicht fertig gebaut?
    Isimuds Blick wanderte zu der Baustelle. Er schmunzelte, als er die Wahrheit begriff: Die wenigen Handgriffe, die noch zu tun waren, fielen nichts ins Gewicht. Natürlich würden reguläre Reisende die Nase rümpfen, wenn sie über Stellen springen mussten, wo noch Bretter fehlten, oder den fehlenden Anstrich beklagen. Aber wer sich nicht scheute, sich auch mal einen Splitter einzuziehen, ein echter Abenteurer eben, der erkannte einen durchaus funktionsfähigen Anlegesteg.
    Und die Blue Pearl lies gerade eine Planke herunter!
    Über sein Geschreibsel hatte Isimud die Anlegeprozedur völlig verpasst...
    Jeder Gedanke an die Vervollständigung seiner Ausrüstung war wie weggeblasen. Isimud wollte nur noch eins: Möglichst schnell in diese fremde Welt, und sei es nur, um darin spazieren zu gehen! Er musste niemand mehr etwas beweisen, jedenfalls nicht sich selbst. Welche Rolle spielte es, ob er als großer Held, als Entdecker oder einfach nur als Tourist nach Trent zurückkehrte? Wichtig war nur eins: Dass er dann die Insel Gargantua mit seinen eigenen Augen gesehen haben würde!
    Voller Vorfreude kaufte Isimud sich eine Fahrkarte. Er ging sofort an Bord und rollte sich dann im Zwischendeck zusammen, um ausgeschlafen zu sein, wenn die Pearl wieder ablegte.

  • Eine lange Fahrt später...


    Achtung: Dieses Kapitel spielt auf der Insel und enthält kleinere Spoiler wie Orts- und Tiernamen (aber keine Questlösungen o.ä.).
    Wer es es dennoch lesen möchte, muss den Text vorher mit der Maus markieren, damit er sichtbar wird.



    Wieso kann man nicht mal irgendwo hinkommen und mit einem "Hallo, willkommen in meinem Land, pass auf folgendes auf, wenn du dich hier bewegst" hören! Und nicht das Äquivalent von "Blute mir den Teppich nicht voll, Mann, du siehst aus wie ne Lusche, wieso lass ich mich eigentlich dazu herab, mit dir zu reden!"?
    Die Begrüßung auf der Insel stand in so krassem Gegensatz zu der warmherzigen, die mich vor einem Jahr in Simkea erwartet hatte, dass ich völlig vergaß, dass dieser Tonfall überall sonst auf der Welt ja ganz normal war.
    Jedenfalls gegenüber Junghelden, ganz so, als wollten die Veteranen jeden entmutigen, ihnen nachzueifern. Man könne ja zu einer Konkurrenz heranwachsen...
    Wie würden wohl die erfahrenen Helden Simeaks auf die Anrede "Grünschnabel" reagieren? Sicher gefasst und gelassen, jedenfalls nach außen hin. Nach außen hin schaffe das ja sogar ich, der halberwachsene Milizkorperal, nur im Inneren, da schmerzt es schon. Denn auch mein Vater hat mir nie wirklich etwas zugetraut...
    Aber egal. Diese Leute haben Probleme mit Monstern, und ich bin hier, um diese Probleme lösen zu helfen. Offensichtlich begreifen die Garganturaner ebensowenig wie die Festländer, was es mit der Monsterplage auf sich hat.
    Schon bald merkte ich, dass die einheimischen Spezimen nicht unbedingt stärker, aber sehr wohl aggresiver als diejenigen sind, ich vom Festland kenne. Vorbei sind die Zeiten, in denen ich in aller Ruhe in ein Brötchen beißen konnte, während ich mit der anderen Hand focht.
    Gefährlich ist das, aber es fühlt sich auch verdammt gut an!

    - Aus Isimud Urkharts Tagebuchaufzeichnungen


    Doch die Neue Welt hatte nicht nur mit Gefahren aufzuwarten, sondern auch mit einer Isimud gar nicht einmal so unvertrauten Tierwelt.
    Der Erkunder beugte sich hinab, als er ein reptilienähnliches Wesen unter einem Busch dösen sah. "Oh, wie süß, ein Sau...au au auuuuuuuuuuu!"
    Sich die blutende Nase haltend und Schimpfworte in seiner Muttersprache ausstoßend, wanderte Isimud weiter durch die Steppe.
    "Das erste, was ich in dieser Welt esse, wird frisch gefangener und gebratener Saurier sein", schwor er sich.


    Doch nach und nach gewöhnte sich der Erkunder an seine neue Umgebung. Er verschaffte sich einen Überblick über die Region und lernte, mit dem Land zu leben.
    Schließlich, mehrere Tage nach seiner Ankunft, machte er sich auf die Suche nach den Einwohnern.
    Wie fast überall, wo Intelligenzwesen lebten, drehte sich das Leben auch hier auf der Insel um den Handel.
    Ein wunderschöner Schild, der mehr zu sein schien, als nur grün bemaltes Holz, zog Isimud in seinen Bann. Obwohl er seinen Bogen bevorzugte, musste er diesen Schild einfach besitzen - und sei es nur als ein Erinnerungsstück.
    "Was soll der kosten?" Der Verkäufer nannte den Preis, Isimud nickte und griff in seinen Geldbeutel. Doch ganz so einfach war es dann doch nicht.
    "Tut mir leid, das sind Münzen aus deinem Land. Die gelten hier nicht."
    "Aber Kupfer bleibt doch wohl Kupfer und Silber Silber, egal, was drauf geprägt ist?"
    Kopfschütteln. Und gleich nochmal, als Isimud nur den Mund auftat, jedes weitere Argument abwürgend.
    Grummelnd leerte Isimud seinen Rucksack. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf einen Tauschhandel einzulassen. Seine schwer verdienten Münzen waren hierzulande nur totes Gewicht.


    Noch einige Tage später:


    Eine Melodie, nicht von dieser Welt, ertönte in der Steppe, verlor sich um Dschungel und stieg von den höchsten Gipfeln des Sichelgebirges auf. In Isimuds Fall bedeutete das: nicht nur von einem Angehörigen einer anderen Kultur als dem Inselvolk erzeugte Musik, sondern buchstäblich aus einer anderen Dimension stammend. Denn der Abenteuer vom simkeanischen Festland stammte ja ursprünglich aus Noröm. Doch wenn er jetzt an Daheim dachte, dann stand ihm das kleine Häuschen in der Straße zum Küchenmeister vor Augen, und nicht mehr väterliche Burg.
    Nur das alte anthronische Liedgut, das der Jüngling auf seiner Flöte spielte, erinnerte noch daran, woher er ursprünglich gekommen war.
    Die Melodie hallte auch von den Wänden eines Kerkers wieder. Eine Verkettung unglücklicher Umstände hatte dazu geführt, dass Isimud Urkhart sich einer Zwangsarbeiterkolonne in einem in den Fels gehauenen Verließ wiedergefunden hatte.
    "Dir werde ich die Flötentöne beibringen!" brüllte einer der Wärter.
    Isimud verzog das Gesicht. Sooo schlecht spielte er nun auch wieder nicht, fand er!
    Die Peitsche sauste auf seinen Rücken herab. "Weiterarbeiten!" Isimud tauschte seine Flöte notgedrungen wieder gegen die Schaufel.
    "Es ist eine Redewendung", klärte später ein Mithäftling auf, als beide wieder in ihrer Zelle hockten. "So wie Beine machen. Verstehst du? Du hast die Pause überzogen, da gibt es immer zur Strafe die Hucke voll."
    Isimud zuckte die Schultern. Doch sogleich bereute er es! "Au..." Isimud hob die Hand und rieb sich die vom Muskelkater verkrampften Gelenke. Die Zwangsarbeit unter der Knute eines Aufsehers war etwas völlig anderes als seine Tätigkeit im Bergwerk daheim. Zum einen fand sie, wie der Name schon sagte, unter Zwang statt anstatt aus Freude am Handwerk und zum anderen nahm der Zeitplan des Gefängnisses keine Rücksicht auf Isimuds Befindlichkeiten.
    "Du kommst wohl von weit her, was, Mädchen?" fragte Isis neuer Bekannter.
    "Mädchen?!"
    "Haha! Glaub nicht, ich hätte das nicht erkannt! Kleidest dich wie ein Jüngling, aber darunter steckt ein Weib, das ist klar!"
    "Ist überhaupt nicht klar!" protestierte Isimud. Der andere lachte! "Lass mal, Kleine. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Vorausgesetzt, du hast noch ein paar dieser leckeren Käfer bei dir..."
    Isimud murrte: "Die sind nicht lecker. Nur nahrhaft. Und du kannst gern alle haben, denn morgen haue ich von hier ab!"
    "Na klar." Der andere gähnte. Wozu dem Mädchen ihre Illusionen rauben? Sollte sie doch ruhig von Flucht träumen! Was immer der Kleinen half, diese Hölle hier durchzustehen! Der Gefangene rollte sich zusammen und kuschelte sich in seine fadenscheinige Decke. "Spielst du noch was auf deiner Flöte, bis ich eingeschlafen bin?" bat er seine Zellengenossin.
    "Klar."
    Die junge Frau spielte ein Schlaflied. Sie lächelte dabei. Mochte sie der Garganturaner ruhig ein Mädchen nennen! Es entsprach ja ebensowenig der Wahrheit wie die Anrede mit dem männlichen Pronom. Ja, auf dieser Insel wollte der-die Anthrone zur Abwechslung einmal eine Sie sein.


    Am nächsten Morgen erwachte der Gefangene. Die Flötenmelodie hatte ausgesetzt und Isimud war verschwunden. Zurück war nur ein Kessel mit dampfender Sauriersuppe geblieben. Die hatte der Flüchtling noch vorher zubereitet, denn immerhin war sie an diesem Tag für den Küchendienst eingeteilt gewesen. Nur, dass Isimud nach dem Kochen den gleichen Weg wie die Küchenabfälle genommen hatte: Ab nach draußen!
    "Ein dreister Bursche", brummte der Oberaufseher, jedoch nicht ohne eine gewisse Portion Anerkennung für das gelungene Bubenstück.
    Isimuds Zellengenosse hingegen löffelte seine lauwarme Suppe und dachte bei sich: "Eindeutig ein Mädel. Wer so gut kochen kann, kann kein Kerl sein!"


    Über die Gipfel des Sichelgebirges tanzte erneut die Melodie. Ihr Unbeschwertheit täuschte gekonnt darüber hinweg, dass jede Sehne in Isimuds Körper schmerzte und die Abenteurerin mehr humpelte als wanderte.

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  • In diesem Kapitel habe ich mich mal an einer innerweltlichen Erklärung der Voting-Pins versucht. Wie alle anderen Kapitel handelt es sich natürlich um reine Fanfiction, ich behaupte also nicht, dass es sich wirklich so verhält, wie ich es beschreibe.


    "Da reist man um die halbe Welt, kommt heim und wird prompt mit etwas Neuem überrascht", schmunzelte Isimud vor sich hin. Eine neue Art Fährte war immer häufiger im Trenter Umland zu sehen: Der Hufabdruck beschlagener Pferde. Die Trenter Bürger hatten begonnen, die allgegenwärtigen Wildpferde einzufangen. Die Tiere waren schon immer dagewesen, doch erst in jüngster Zeit hatten einige ihre Scheu abgelegt und liesen sich in nächster Nähe blicken. Eines Tages wollte auch Isimud so ein Pferdchen haben, doch zuerst verlangte der Alltag nach seinem Recht. Da musste Proviant gekocht und Holz für den neuen Stollen geschlagen werden, die Kleidung geflickt (oder besser gleich ersetzt), die Waffen gründlich gereinigt und der so lange vernachlässigte Garten auf Vordermann gebracht werden.
    Und noch etwas hatte sich verändert: Das beständige Rauschen der Wellen, die den Reisenden auf der Blue Pearl jeden Abend in den Schlaf gewiegt hatten, war verstummt. Wie bereits kurz nach der Reise zur Insel fiel es Isimud auch in den ersten Nächten nach der Rückfahrt schwer, in den Schlaf zu finden. Er wälzte sich unruhig in seinem Bett herum und war er einmal eingeschlafen, verfolgten ihn Alpträume. Isimud sah seinen Zwilling, wie dieser angekettet in einer Kerkerzelle schmachtete. Das war natürlich völliger Unsinn, lebte Usumiya doch als Alleinerbe der Urkhart-Dynastie in großem Wohlstand!
    Dennoch hielt sich das verstörende Bild beharrlich.
    "Bruderschwester..." ächzte Isimud im Schlaf. Er versuchte, nach Usumiyas Hand zu greifen, an dessen Fesseln zu zerren, doch da wechselte das Traumbild. Ineinander verschlungene Kreise ersetzten die Kerkervision. Stellten sie Handschellen dar? Isimud betrachtete die Gebilde. Eines davon schien ihm zerbrochen zu sein. Einem plötzlichen Impuls folgend berührte er es.
    Der Traum zerstob und der Schlafende erwachte erholter als man hätte denken sollen.
    Doch damit war die Angelegenheit nicht ausgestanden. Die Muster und Symbole verfolgten Isimud auch in den Wachzustand. Beim Bäumefällen sah er plötzlich eine Schiefertafel vor sich, wie sie im Schulzimmer der Zwillinge gehangen hatte. Jemand hatte mit weißer Kreide Kombinationen aus Zahlen und Buchstaben darauf hinterlassen.
    "B4, Z7, o3", las Isimud laut. Er vermochte sich keinen Reim darauf zu machen, was hier geschah, doch das Trugbild löste sich auf, sobald die Worte ausgesprochen waren, als habe es sich um einen Zauberspruch gehandelt. Mit neu gewonnener Kraft konnte Isimud die Axt weiterschwingen.
    Dann waren da die Portale... natürlich neigte jeder irgendwann zu Tagträumen, wenn man sich auf dem sicheren Waldweg zwischen dem Holzfällerlager und Trent bewegte. Isimud phantasierte eine Reihe von Portalen, die sich durch die Farben ihres Rahmens unterschieden. Ein grelles rotes Portal lies sich jederzeit problemlos durchschreiten, von einem hellgrünen hingegen ging eine seltsame Anziehungskraft aus. Immer wieder wählte Isimud die grünen Tore und jedesmal beschlich ihn das Gefühl, einen Teil von sich fortgegeben zu haben. Wieso fühlte er sich dann so leicht an? Warum kam er schneller voran als ohne diesen Tagtraum? Und woher kam diese verrückte Vorstellung eigentlich?


    Wenig später auf dem Trenter Markt:
    "Selbstheilmittel: Wahnsinn", wiederholte Isimud immer wieder, doch eine solche Ware schien es nicht zu geben. Weder wurde sie aktuell im Auktionshaus angeboten, noch fand sie sich in den Warenkatalogen. Der benötigte Trank war keinem Alchemisten Simkeas bekannt.
    Alrik danach zu fragen, traute Isimud sich nicht. Nicht mehr, seit er damals nach einem Trank verlangt hatte, der "macht, dass ich schlechter sehe, damit ich besser Stoffe färben kann!"...
    Natürlich hatte das wie Hohn geklungen, doch Isimud war nicht der hellste Kopf und konnte sich nicht so viele Lektionen merken, wie es zu lernen gab. Jedes Talent, in das er sich hineinkniete, bedeutete geringere Kapazität für Fortschritte in einem anderen. Erst, als er den Bergbau "aus dem eff-eff" beherrschte, war sein Kopf wieder für ein anderes Fachgebiet frei geworden.
    Da ihm also weder Alrik noch Johnny oder sonstwer weiterhelfen konnte, zog sich Isimud in die Trainingsräume im Monument zurück.


    Hier fand ihn eine Stunde später Camulos von Noröm. Angetan von Isimuds Fortschritten, nun auch mit einem Schild umgehen zu können, lies der Krieger sich auf ein Gespräch ein. Die beiden sprachen über die Insel, über die Veränderungen in Trent, die Möglichkeit, von einem Pferdrücken herab zu kämpfen und schließlich, nach einigem Räuspern und Herumdrucksen, auch über Isimuds Problem.
    Beinahe kläglich schloss der Anthrone seine Ausführungen mit einem: "Es fühlt sich immer so gut an, hinterher. Deswegen komme ich nicht los von diesen Visionen. Ich will das weiter tun. So ist das bei Verrückten, nicht wahr?"
    Camulos antwortete, als überrasche ihn die Eröffnung nicht im Mindesten, mit einer Frage:
    "Was unterscheidet dich grundsätzlich von Menschen wie Enpehzeh oder mir?"
    Isimud wusste keine Antwort darauf. Die Kombination war ja auch seltsam gewählt! Camulos war ein erfahrener Kriegerveteran, ein Held, Enpehzeh dagegen ein Bauer, der sich erst noch in Simkea einleben musste. Sich selbst schätzte der Abenteurer irgendwo dazwischen stehend ein. Jeder der drei diente auf seiner Weise der Gemeinschaft, doch war Isimud auch nach all seinen Erfahrungen der jüngsten Zeit noch immer der Selbstsüchtigste unter ihnen. Weder war ihm das bewusst, noch hätte er das laut ausgeprochen.
    Schließlich versuchte er sich an einer halbherzigen Antwort: "Ihr beide reist weniger rum?"
    Camulos musterte den jungen Mann/die junge Frau eindringlich.
    "Das hätte eine sehr weise Antwort sein können, verstündest du bereits, was du da gerade gesagt hast", eröffnete er Isimud. "Noch weißt du gar nicht, wie weit du zu reisen in der Lage bist."
    "Doch: Bis in den Sumpf nördlich des Sichelgebirges" schien nicht ganz die richtige Antwort zu sein. Isimud verstand das instinktiv und schwieg.
    "Die meisten von uns sind an das Land Simkea gebunden, wie es den Naturgesetzen - manche sagen denen der Götter - entspricht", erklärte der Krieger. "Für einige Personen, nicht mehr als ein paar hundert, gilt das nur für ihren Körper. Ihr Geist vermag die Grenzen zwischen den Welten zu durchdringen, um Kontakt zu anderen aufzunehmen. Ihnen eine Vision von Simkea zu übermitteln."
    Isimud nickte heftig. "Ja, davon weiß ich! MasterX spürt auf diese Weise unsere Verwandten in Noröm auf und lotst sie zur Portalinsel! Man hat mir das erzählt, und ich habe es selbst erlebt, als ich noch ein kleiner Junge war!"
    Camulos setzte eine ungläubige Miene auf. "So lange lebst du schon in Simkea? Ich stand unter dem Eindruck, dass du erst vor ein oder höchstens zwei Jahren in Trent aufgetaucht seist. Wo hast du vorher gelebt?"
    "Ich... das stimmt mit dem einen Jahr. Ich konnte dem Ruf nicht gleich folgen, als ich ihn damals das erste Mal hörte", murmelte Isimud gesenkten Hauptes.
    "Das mag eine Erklärung sein, wieso gerade du nun zu jenen gehörst, die ihrerseits die Einladung aussprechen können", überlegte Camulos laut. "Unterschwellige Schuldgefühle."
    "Jaaaaa", meinte Isimud gedehnt. "Ich hatte das lange Zeit verdrängt."
    "Doch nun bist du daran gewachsen." Camulos packte Isimud bei dessen Schultern. "Du kannst es! Du kannst als eine Stimme von vielen den Ruf aussenden, anderen die Vision von Simkea senden."
    "Als ob mir jemand folgen würde", nuschelte der Anthrone. Doch noch während er das sagte, begriff er, dass er völlig falsch dachte: Die Menschen würden nicht ihm persönlich folgen, würden nicht einmal erfahren, dass er hinter der Einladung stand, den sie empfingen. Sie würden Simkeas Ruf folgen.

  • An diese Stelle gehört chronologisch: Ein Gespenst kommt selten allein


    Unterdessen in Noröm in einer Zelle in der Festung Urkhart:


    Usumiya drehte die Rübe in seinen Händen. Sie schien frisch gepflückt zu sein, denn es klebten noch Erdbrocken daran und Häärchen kitzelten den Anthronen. Usumiya hob die Rübe an. Roch daran.


    Hm... der Geruch der Außenwelt. Freiheit...


    Der Gefangene in seiner Zelle zückte sein Essmesser. Mit vor Kälte steifen Fingern begann er, sie auszuhöhlen. Nicht sein Hunger, sondern die alte Tradition des Samhain oder auch der Nacht vor Allerseelen trieb den Jüngling dazu. In seine Kerkerzelle brachte das einen Hauch von Normalität.
    Wie bei jeder Tätigkeit schnitten die Handschellen in die Gelenke des Gefangenen. Längst waren sie wund, doch Usumiya hatte sich an den damit einhergehenden Dauerschmerz gewöhnt. Er schnitzte weiter. Nach einer Weile begannen seine Finger zu beben. Usumiya versuchte, sich zusammenzureißen, doch da war es bereits geschehen: Sein Messer glitt ab und schnitt tief in Usumiyas Handfläche! Sofort begann Blut aus der Wunde auszutreten.


    QUIETSCH!


    Die Tür zu Usumiyas Zelle öffnete sich. Jemand überbrückte hastigen Schritts die Entfernung und riss dem Gefangenen das Messer aus der Hand.
    "Her damit!"
    Usumiya blickte auf. Er erkannte seine Mutter, Nudimud, Herrin über die Festung und Oberhaupt der Urkhart-Sippe.
    Nudimud legte ihrem Kind die Hand auf die Schulter, auf der Seite der verletzten Hand. Sie murmelte ein paar Silben. Usumiya spürte, wie sich die Magie von Nudimuds Hand über seinen eigenen Arm bis zu der Wunde vorarbeitete. Es fühlte sich an, als würde sein gesunder Arm auch noch aufgerissen. Nudimud wiederholte die monotone Silbenfolge, bis sich Usumiyas Wunde wieder schloss.
    Mit dem Ende des Zaubers verflüchtigte sich der Schmerz aus Schulter, Arm und Hand. Selbst in seinem wunden Handgelenk fühlte Usumiya Erleichterung.


    "Das kann ich nicht jeden Tag tun!" schärfte die Zauberin ihrem Kind ein. "Deswegen behalte ich dein Messer ein! Das ist viel zu gefährlich für dich!"


    Ohne ein weiteres Wort, ohne auch nur eine Bekundung von Zuneigung, verlies die Burgherrin die Zelle wieder.
    Usumiya blieb ihm Dunkeln zurück. Zuerst saß er wie erstarrt. Dann kratzte er das Innere der Rübe mit den bloßen Fingernägeln heraus. Er arbeitete, bis seine Finger blutig waren. Zwischendurch schlang er das Innere der Rübe gierig hinunter.
    So gut er es vermochte, durchstieß Usumiya die dünnen Wände der Rübe mit seinem Federkiel, mit dem er Tagebuch führte. Ein krudes Gesicht entstand. Mit der Feder malte der Gefangene der Rübe noch eine Haartracht auf, die an Isimuds gewelltes Haar erinnerte.
    Am Ende seiner Arbeit wischte sich der Gefangene den Rübensaft vom Kinn und den Schmutz von den Fingern. Aus einer neben seinem Strohlager stehenden Schatulle entnahm er eine Kerze. Er besaß nichts, womit er sie hätte enzünden können, dennoch presste Usumiya die Kerze fest in die Rübe.
    Nudimud mochte sich noch auf dem Gang befinden, doch sie um ein Feuerzeug zu bitten, wäre sinnlos gewesen. Die Burgherrin achtete darauf, dass ihrem einzigen überlebenden Kind keine Gefahr drohte. Offenes Feuer kam nicht in Frage!
    Usumiya strich seine Finger an seinem zerschlissenen Seidenhemd sauber. Stinkend, verwahrlost und nun auch noch blutigen Kleidern trat der Gefangene soweit, wie es ihm seine Fußfesseln erlaubten, an das vergitterte Fenster. Er stellte sich vor, die Rübe dort hinein zu stellen, musste sich aber damit begnügen, sie auf dem Steinfußboden zu platzieren.
    Usumiya kniff die Augen zusammen. Nein, es gab keine Normalität, nicht für ihn und nicht hier.
    Am schlimmsten an seiner Lage war die Furcht: Wann würde die Mutter ihm nichts mehr zu Essen und zu Trinken bringen, weil er sich ja daran verschlucken konnte? Nudimuds "Schutz" hatte längst die Form von Besessenheit angenommen...
    "Schuld" daran war Isimud, Usumiyas Zwilling, der verwöhnte Lieblingssohn, der sich im vorletzten Sommer von Monsterfischen hatte fressen lassen.
    Es verging keine Nacht, in der der Usumiya nicht an den Zwilling gedacht hätte. Doch heute war eine besondere Nacht, heute, so hieß es, waren die Wände zwischen dem Diesseits und dem Jenseits dünner.
    Für den Zwilling hatte Usumiya die Rübe ins Fenster stellen wollen. In Noröm konnte man sich nie sicher sein, was einer Seele zustoßen konnte, bevor diese das Nachleben erreichte. Usumiya betete daher zum allumfassenden Licht, dem die Verehrung seines Volkes galt. Anthronen erkannten die Existenz der Götter an, doch wenn sie diesen huldigten, dann geschah eher auf einer "Du magst das und ich brauche gerade etwas von dir"-Basis. Das Licht stand so weit über den Göttern, dass es aus seiner Perspektive keinen Unterschied zwischen diesen und Sterblichen jeglicher Art wahrnahm.
    War Isimud ins Licht zurückgekehrt? Ob er ihn dort wohl hören konnte? Womöglich auf ihn wartete?


    "Verdammter Mist!" schrie Usumiya. "Wozu hat man eine Nekromantin zur Mutter, wenn die nicht mal den eigenen Bruder wiederbeleben kann?!"


    Nudimuds Partner, der Krieger Damkina, suchte überall nach Isimuds Körper. Doch was würde geschehen, wenn er gefunden würde? Zum Leben erweckt?


    Dann enden wir beide in dieser Zelle, schlussfolgerte Usumiya.


    Die künstliche Sonne der Urkhart-Ländereien warf die letzten Strahlen des Tages in die Kerkerzelle. Usumiyas Rübe wurde in ihr magisches Licht getaucht.
    Beinahe schien es, als wehten die gezeichneten Haare im Wind. Usumiya stellte sich seinen Zwilling vor, wie dieser an einem Herbsttag am Flußufer entlang wanderte. Doch seine eigene Phantasie wollte ihm nicht gehorchen. Ein Friedhof ersetzte das Flußufer. Es war Nacht, aber Fackeln erhellen die Umgebung.
    Dann blitzte etwas auf, ein Eisstrahl entlud sich gegen einen Gegner außerhalb von Usumiyas Sichtfeld. Kurz darauf grinste Isimud. Was immer es war, worauf er gezielt hatte, er schien es erlegt zu haben.


    "Is..."


    So unvermittelt, wie die Bilder erschienen waren, verschwanden sie auch wieder.
    Usumiya blinzelte. Woher kam diese Vision? Durfte er ihr ihr trauen? Spielte das überhaupt eine Rolle?


    "Isimud lebt!" schrie der Gefangene. "Hörst du, Mutter? Mein Zwilling ist am Leben!"


    Seine Worte verhallten in den Gewölben unter der Festung.

  • Der Winter hatte auf dem simekanischen Kontinent Einzug gehalten. Eine dicke Schneedecke dämpfte die Geräusche und tauchte das Land in eine zeitlose Stille. Dennoch blieben Ruhe und Frieden den Tieren des Waldes ebenso verwehrt wie dem geschäftigen Städtebürger.
    Im lichten Teil des Dämmerwaldes existierte noch immer eine intakte Nahrungskette: Reh, Wolf, Goblin, Isimud Urkhart.
    Dummerweise endete sie nicht mit dem Monsterjäger. Es fehlte noch der Goblinkrieger, der die Spitzenposition einnahm.
    Isimud bemerkte, dass er viel zu nah an den Ruinen gejagt hatte. Dies war das Revier der Goblins und er vermied es normalerweise, hier zu wildern. Zum einen besaß jedes Wesen besaß das Recht, sich seine Lebensgrundlage zu sichern. (Mit Sicherheit würden das die Goblins anders sehen und würden "jedes Wesen" durch sich selbst ersetzen...) Zum anderen wollte Isimud keinen Konflikt mit den kriegerischen Grünhäuten provozieren. Nicht, dass sie am Ende noch über die Stadt Trent herfielen.
    Doch an diesem Tag sah sich Isimud gezwungen, eine Ausnahme zu machen. Gerade wollte er sich aus der Gegend zurückziehen, als er Bewegungen hinter den kahlen, dürren Zweigen eines Gesträuchs wahrnahm. Der Jäger schlich sich näher heran. Ohne die Augen bemühen zu müssen, erkannt er bereits am Geruch, dass er sich einem Goblin näherte. Glücklicherweise wehte der Wind dessen Gestank zu dem jungen Monsterjäger und nicht etwas andersherum.
    Der Goblin hielt einen schweren Knüppel in seiner Hand und er machte sich bereit, diesen auf ein kleineres, sich vor ihm duckendes Wesen herabsausen zu lassen. Isimud sah genauer hin. Das kleine Wesen schien unschlüssig, in welche Richtung es ausweichen sollte. "Aiiiiiiieeeeeee!" kreischte es. Es handelte sich um ein Kind und der Stimmlage nach ein Mädchen! Viel mehr war nicht zu erkennen, so winterfest eingepackt, wie das Kleine war.
    "Hannah!" dachte Isimud. "Das war ja so klar, dass sowas eines Tages passiert!"
    Isimuds erster, hastiger Schuss mit dem Bogen ging daneben. Der Goblin sah den Pfeilschaft neben seinem Stiefel aus dem Schnee ragen, doch er ignorierte ihn nach einem kurzen Seitenblick darauf. Erneut hob das Monster seine Keule.
    Isimud begriff: Zeit, ein zweites Mal zu Zielen, würde ihm nicht bleiben. Aber vielleicht ließ sich die Kreatur ja erneut verunsichern?
    "Raaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhh!" Einen Kampfschrei aus voller Kehle brüllend rannte Isimud auf seinen Gegner zu. Als sich vor ihm eine kleine Schneewehe erhob, übersprang der Anthrone sie. Isimud meinte, zu schweben. Seine Füße blieben viel zu lange ohne Bodenkontakt. Viel weiter, als er jemals zuvor gesprungen war, berührten seine Zehen sachte den verschneiten Waldboden.
    Etwas Feuchtes, Warmes, rann seinen Rücken hinunter. Dann setzte der Schmerz ein.
    Isimud verzog seine Miene zu einem grimmigen Lächeln. Er ging in die Knie und sprang erneut.
    Inzwischen hatte sich der Goblin umgedreht und stand nun mit offenem Mund auf das blickend, was ihm da entgegenkam. Isimud merkte, dass ihn mächtige Schwingen voran trugen. Instinktiv wusste er, welche Muskeln es zu spannen galt und mit jedem Flügelschlag liesen die Schmerzen nach.
    Bei seinem Gegner angekommen, hielt er sich nicht damit auf, eine Nahkampfwaffe zu ziehen. Einige kräftige Flügelschläge genügten, das Monster zu betäuben.
    Isimud war selbst überrascht angesichts der Stärke, die er sich im vergangenen Jahr antrainiert hatte.
    Doch größer noch war die Überraschung, als er während des Kampfes seine Federn erkennen konnte. Sie waren weder weiß noch schwarz, sondern grau. Noch nie zuvor war es vorgekommen, dass ein Anthrone graue Flügel manifestiert hatte!
    Ich weiß, warum sie so aussehen. Weil ich anderen helfen möchte, aber aus selbstsüchtigen Motiven.
    Doch alles, was im Moment zählte, war Hannahs Sicherheit und nicht, ob Isimuds Flügelfarbe den Naturgesetzen entsprach oder nicht. Auch der Himmel war blau, obwohl Nudimud Urkhart seinen Kindern irgendwann einmal erklärt hatte, dass er den Regeln der Wahrscheinlichkeit nach orange aussehen müsste.
    "Hannah, komm her!"
    Keine Reaktion.
    Isimud sah sich um. Das Mädchen hockte zitternd an einen Baum gelehnt. Isimud blinzelte. Nun erst fiel ihm auf, dass die lumpige Kleidung des Kindes wie zusammengeraubt aussah. Zudem stank sie penetrant nach Goblin.
    Zaghaft näherte der Monsterjäger sich dem Kind. Mit jedem Schritt wurde zur Gewissheit, was all die kleinen Indizien andeuteten. Das war nicht Hannah, die Tochter von Almuth und Jim. Unter dem Baum saß ein Goblinmädchen!
    Goblins bedrohten die Flüchtlinge, die sich in Simkea eine neue Heimat aufbauten und Isimud konnte keine Kinder leiden. Er hätte dem Kleinen problemlos den Hals umdrehen können, brachte es aber nicht übers Herz, zuzudrücken.
    "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", flüsterte er.
    Das Goblinkind hob seinen Kopf. "Der hat aber einen langen Namen", mochte es wohl gerade denken.
    Isimud starrte in beinahe vollständig schwarze Augen, in denen die Pupillen nur zu erahnen waren. Hatte der ältere Goblin das Kind aufgrund dieser Auffälligkeit erschlagen wollen? Aber wieso erst jetzt?
    Verwirrt schüttelte Isimud seine Schwingen. Ein, zwei Federn, die sich während des kurzen Kampfes gelockert hatten, fielen in den Schnee.
    Erstaunt fixierte das Kind sie.
    Isimud bückte sich. Er hob eine der Federn auf und betrachtete sie ebenso versutzt wie das Mädchen.
    Das ist also jetzt ein Teil von mir. Die gehören mir nicht, die bin ich.
    Alles war mehr als verwirrend. Einem plötzlichen Impuls folgend, hielt Isimud die andere Feder dem Goblinkind hin.
    Das Mädchen griff zu. Es streichelte über die Gabe und gab dann einen Laut von sich: "Krutz!"
    "Okay, Krutz, wir haben keine Zeit", murmelte Isimud. "Bitte mach jetzt keinen Ärger!"
    Während er sprach, löste der Monsterjäger die Fibel seines Umhangs. Er wickelte das Kind in den Stoff und schleppte das Bündel durch den Wald. Das Goblinmädchen wehrte sich nicht. Es umklammerte die ganze Zeit über die taubengraue Feder.
    Isimud wusste nicht, wie lange seine Schwingen ihm erhalten bleiben würden. Der Legende nach verschwanden sie wieder, sobald die Gefahr vorrüber war.
    Erst, als es völlig dunkel war, und das Stadttor bereits geschlossen, überflog der Anthrone die Stadtmauer Trents. Von der Nordmauer bis zu seinem Haus waren es nur wenige Schritte. Isimud wagte kaum zu atmen, während er die kurze Strecke überwand.
    Erst, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und der den Schlüssel von innen herumdrehte, gestattete er sich ein längeres Luftholen.
    "Alles klar, wir sind da", flüsterte er.
    In dem Bündel rappelte es.
    Mit Schwung zog Isimud den Stoff zur Seite. Krutz - oder wie immer das kleine Wesen hieß - blickte sich neugierig um.
    Isimud krümmte sich unterdessen, als seine Schwingen begannen, sich wieder einzufalten und unter die Haut zurückzuziehen.
    "Üng... Uhhh..."
    Die Finger in das Holz des Bettrahmens gekrallt, lies der Geflügelte die neuerliche Verwandlung über sich ergehen.
    Wenig später reinigte er im Schutze der Nacht sein blutiges Hemd und flickte die Risse, wo sich die Flügel einen Weg durch den Stoff an die Luft erzwungen hatten.
    Liebe Güte! Wer hätte gedacht, dass Engelsabkömmlinge dieselben Probleme wie Werwölfe bekommen!
    Das Goblinmädchen verhielt sich die ganze Zeit über erstaunlich still für ein Kind seines Alters, regelrecht eingeschüchtert. Isimud dankte allen Göttern dafür.
    Niemand würde merken, was er versteckte.
    Hoffentlich.

  • Hier gehört chronologisch rein: Krutz und der Windgeist


    Die Person, die den Pfad von den höchsten Gipfeln hinunter ins Adoragebirge, stapfte, war eine andere als die, die Trent vor einem Dreivierteljahr im Schutz der Nacht verlassen hatte. Die Leute hätten sie als älter und reifer bezeichnet, was im Endeffekt bedeutete, dass der solcherart Charakterisierte eine Menge Scheiße durchgemacht hatte, die man selbst nicht in seinem Leben haben wollte.
    Rein äußerlich hatte sich nicht viel an Isimud verändert, selbst die Kleidung wirkte allenfalls ein wenig ausgebleicht, aber nicht wesentlich abgenutzter als im vergangenen Winter. Nur eine Ausnahme gab es: Um Isimuds Stirn wand sich nun ein Lederband, von dem ein aus grauen Federn gefertigtes Ornament baumelte...
    "So", murmelte der Bergmann. "Bin ich also zurück im Flachland." Jemandem, der die meiste Zeit seines Lebens auf den kaum zugänglichen Höhen des Plateaubergs verbrachte, musste das Adoragebirge tatsächlich sehr flach und einfach zu bereisen vorkommen.


    Isimud erreichte den Steinbruch, wo er begann, sich aus herumliegenden Steinbrocken neue Gussformen zu schlagen. Wenn er sich richtig erinnerte, wartete in Trent noch ein kleiner Berg unverhüttetes Roherz auf ihn.
    Die Arbeit mit Hammer und Meißel ging Isimud langsam von der Hand, weil er als Steinmetz kaum Erfahrung besaß. Die präzise Auge-Hand-Koordination, die für die Aufgabe nötig war, wollte sich einfach nicht einstellen. Im Normalfall machte es Isimud allerdings großen Spaß, auf Dinge zu klopfen, seien es nun Erzadern oder Monster, so dass ihm das Erlernen der Steinmetzkunst viel Freude bereitete ;)


    So fand Hanswalter den Zurückgekehrten vor, den er dann auch gleich freundlich begrüßte. Isimud erwiderte den Gruß. Während er fortfuhr, Steine zu bearbeiten, begann der Schmied, ihn über die aktuellen Ereignisse in Simkea aufzuklären. Zehn Jahre war es nun her, dass die Flüchtlinge aus Noröm die Stadt Trent gegründet hatten.
    Verständlicherweise hatten sie das groß gefeiert und - hier horchte der abenteuerlustige Bergmann auf - besondere Spiele veranstaltet. Möglicherweise liesen diese sich noch immer bestreiten und eines befände sich ganz in der Nähe, meinte Hanswalter.
    Zweifelnd schaute Isimud auf seine neue Gussform. Vernüftiger wäre es, sich erst einmal eine Existenzgrundlage zu erwirtschaften, Essen und Kleidung auf Vorrat einzukaufen, um gut über den Winter zu kommen. Doch je länger Hanswalter erzählte, umso mehr begeisterte sich Isimud für dieses Abenteuer, das ihm da vorgeschlagen wurde.
    "Äh, ich kann ja mal ganz unverbindlich nachsehen, ob ich so ein Spiel finde, während ich Monster jage", meinte er. "Wie ist es dir eigentlich im letzten Jahr so ergangen?"
    Erstaunliches hatte der Schmied zu berichten, wie sich herausstellte. In eine Katze war er verwandelt worden und hatte in dieser Gestalt um seine große Liebe kämpfen müssen. Ab und zu lachte Isimud, obwohl die Geschichte für die Beteiligten ganz und gar nicht lustig gewesen war. Aber der Schmied konnte gut erzählen und da er lebendig, definitiv ohne Katzenpelz aber dafür mit einem Trauring am Finger vor ihm saß, wusste der Zuhörer ja bereits, dass alles am Ende gut ausgehen musste.
    Als Hanswalter schließlich an der Stelle angeklangt war, an dem der Vampirgoldfisch in einem Glas um seine Zahnprothese Kreise drehte, fiel Isimud voller Erleichterung in sein Lachen ein.


    Tags darauf fand Isimud einen Hau-den-Lukas, bei dem es sich um das versprochene Spiel handeln musste. Optimistisch ergriff er den Hammer, lies ihn heruntersausen und folgte dem kleinen Schiffchen mit dem Blick. Es blieb auf halber Höhe der Sklala stehen. "Halbstark" stand an der Markierung zu lesen.
    "Nun", meinte Isimud ruhig, "das stimmt ja. Ich bin ein Halbstarker (eine Bezeichnung für Jugendliche in seiner Kultur), daran gibt es nichts zu rütteln." Der junge Mann (der genaugenommen auch eine junge Frau war) nickte noch einmal weise. Doch dann, ohne Vorankündigung, holte er aus, indem er in die Luft sprang und schlug den Hammer erneut mit voller Wucht auf den Schlagpunkt. Dabei zappelten seine Füße in der Luft und er rief voller Empörung: "Aber deswegen muss man das noch lange nicht hinschreiben, wo´s jeder lesen kann!!!"
    Mit einem vernehmlichen "Pling" schlug das Schiffchen ganz oben an. Isimud tätschelte seinen Hammer. "Na also, geht doch."


    Mit einer Sammelkarte und einem kleinen Vorrat Schneebällen (die nicht beißende Variante) im Gepäck gelangte Isimud wenige Tage darauf nach Trent, wo ihm eine weitere Bekannte über den Weg lief. Diodon ritt gerade auf ihrem Pferd Klapperhuf ein, eine Benennung, die, wenn man genauer darüber nachdachte, nicht gerade ein Kompliment für den Hufschmied darstellte.
    Als Diodon die letzten hartnäckigen Schneeflocken auf Isimuds Umhang bemerkte, reichte sie ihm einen Becher mit heißem Kräutertee. "Danke, aber da fehlt noch was", grinste der Bergmann. Vorsichtig lies er eine kleine grün-gelbe Kugel in Diodons Becher fallen. Es handelte sich um Apfeleis. Nun war es nicht mehr ganz die Jahreszeit für kühlen Eistee, doch dieses Eis war etwas Besonderes: Isimuds allererstes selbst hergestelltes überhaupt, ja, und deswegen musste es natürlich geteilt werden!


    Da saß er nun, plauderte und überlegte, in welches Abenteuer er sich als nächstes stürzen sollte.
    Wie anders gestaltete sich dieses Rückkehr als Isimuds erste Tage in Simkea, als zerlumpter, verängstigter Flüchtling! Ja, er erinnerte sich noch genau an jene Zeit. Doch davon beim nächsten Mal mehr.

    Fairness ist nicht, allen die gleichen Chancen auf Zieleinlauf zu geben, sondern dafür zu sorgen, dass jeder ankommt.


    Mein Geschichtenblog freut sich über Besucher!
    Und das Simsblog auch.

    Einmal editiert, zuletzt von Isimud ()

  • Aus Isimud Urkharts Erinnerungen:


    Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Tage in Simkea - und jene Zeit davor.


    Aus dem Ei geschlüpft bin ich in Noröm in besseren Tagen, wenn auch weit entfernt von der Glanzzeit dieses Reiches. Aufwachsen musste ich bereits unter der Herrschaft des Bösen, doch für uns Kinder war es die Normalität. Ich fragte meine Mutter gelangweilt, ob sie meinem Bruder und mir vor dem Zubettgehen "schon wieder die Geschichte vom Reich Taar und König Isedor, der nicht richtig auf sein Schwert aufpassen konnte" erzählen wolle, ohne zu realisieren, wovon ich da eigentlich sprach und wieviel die Erinnerung daran unseren Eltern bedeutete. Auch wusste ich nicht, was Tag und Nacht waren, da eine künstliche Sonne über unseren Ländereien die ansonsten ewige Finsternis einigermaßen erhellte. Die machte mein Vater an und aus, wie es ihm gefiel, denn er war ein Zauberer von erheblicher Macht.
    Ich wuchs also in die schlimmsten Verhältnisse, die man sich vorstellen konnte, hinein, und erlebte dennoch familiäre Geborgenheit. Zuerst begriff ich nicht, dass wir bösen Herren dienten und unser Wohlstand auf der Versklavung der Menschen beruhte, und später war es mir irgendwie egal geworden.
    Als kleiner Junge hörte ich zum ersten Mal den leisen Ruf MasterX aus Simkea, doch verhinderte meine innere Finsternis, dass ich ihm bereits damals Folge leistete.


    Es kam der Tag, an dem unsere Eltern von meinem Zwilling und mir verlangten, uns zu entscheiden, welchen Weg wir in unserem Erwachsenenleben einmal einschlagen wollten.
    Einer von uns sollte wohl das Rittergut übernehmen und wie Mutter Krieger werden, der andere von Vater in die höheren Mysterien der Magie eingewiesen werden. Mir war das alles egal, zumindest dachte ich das. In Wirklichkeit aber, tief in mir drin, wurde mir einfach übel von dem Gedanken, entweder Zombies beim Arbeiten auf den Feldern zu bewachen oder selbst welche zu erschaffen.
    So packte ich meine Angelrute und wanderte den großen Strom entlang, bis ich zum Delta kam. Hier, wo die Wasser des Meeres und des Flusses sich zu einer brackigen Brühe vermischten, ließen sich die leckersten Fische fangen. Ich warf meine Angel aus. Während ich mit meinen verstärkten Lederstiefeln im flachen Wasser stand, malte ich mir aus, dass mich ein Piratenschiff aufläse, wie das jungen Edelleuten eben so zustößt. Aufgrund meiner Kraft und Ausdauer würde ich mir natürlich einen Platz in der Mannschaft erkämpfen!
    Über meine Tagträumerei war mir allerdings völlig entgangen, dass etwas angebissen hatte. Etwas, das nun mit Macht an der Leine zog! Ehe ich es mich versah, verloren meine Füße Bodenkontakt und ich wurde ins Wasser gezogen. Mir blieb noch Zeit für einen erschrockenen Schrei und ein letztes, verzweifeltes Atemholen, dann umfing mich die finstere See. Der Fisch - oder was immer es war - schlug einen Haken, als er merkte, mich so schnell nicht loszuwerden. Ich stieß mit dem Kopf gegen einen Felsen um Wasser und verlor das Bewusstsein...