Im Zwielicht

  • Isimud verließ die Gasse, bog in die zum Stadttor führende Straße ein und spähte nach dem Blaupelz.
    Ja, da stand das Monster noch, sein Revier im Auge haltend. Eine massive blaue Wand, die jeden, der zum Tor wollte, zwang, einen Umweg durch die gesamte Stadt zu nehmen. Später würde die Tschätt-Bande sicher Wegezoll verlangen, doch derzeit begnügten sich der Blaupelz damit, die Städter zu schikanieren - für seine grünen und gelben Artgenossen gestaltete sich das überaus unterhaltsam, für die Trenter weniger.
    Isimud knurrte zornig. Er versuchte, sich auf leisen Sohlen so nah wie möglich an den Gegner heranzubringen, bevor er den Kampf eröffnete.
    In Vollrüstung mit Sammelkorb über der Schulter war das nicht ganz so leicht. Schritt für Schritt näherte sich Isimud seinem Ziel, presste sich in
    Hauseingänge, wenn der Tschätt in seine Richtung blickte und tappte vorsichtig näher auf ihn zu, wenn er sich durch das Anpöbeln von Passanten oder Pfeifen nach einer grünen Tschättin mit besonders krummen Säbelzähnen ablenken lies.
    Was dem Krieger an Leichtfüßigkeit abging, machte er durch Geduld und Aufmerksamkeit wett, Tugenden, die für einen Monsterjäger überlebensnotwendig waren. Lieber einmal zu oft verharrt, als einen Schritt zu viel getan...
    Isimuds Plan schien aufzugehen. Das leichte Klirren in seinem Rücken nahm das Monster zuerst kaum wahr. Erst, als es zu einem regelrechten Scheppern anwuchs und unmissverständlich Schritte zu hören waren, fuhr es herum. Doch da befand sich Isimud auch schon in Nahkampfreichweite!


    Er holte mit dem Schwert aus. Dass das Monster zuschlagen konnte, das seinem die Luft wegblieb, hatte Isimud bereits vorhin erfahren. Nun zeigte sich, dass der Blaupelz auch gekonnt parieren konnte: Mit dem bloßen Arm wehrte er Isimuds Angriff ab. Er wischte die Schwertklinge zur Seite, als
    bestünde sie aus Papier.
    Doch Isimud war ebenfalls kein Anfänger mehr. Dass die dicke Haut des Blauen Tschätts eine vortreffliche natürliche Rüstung abgab, war ihm von Anfang an klar gewesen. Und deshalb hielt er in der anderen Hand plötzlich seinen guten alten Eiszauberstab! Mit diesem erwischte Isimud den Tschätt, der mit einem weiteren sinnlosen Schwerthieb gerechnet hatte, kalt - im wahrsten Sinne des Wortes.
    Und während der Blaupelz sich noch die Eiskristalle aus dem Fell zupfte, huschte Isimud bereits an ihm vorbei,
    aufs Stadttor zur. Denn diesen ungleichen Kampf bis zum Ende auszutragen, wäre Wahnsinn gleichgekommen, soviel begriff Isimud.
    Entkommen zu sein, dem Gegner gar eine kleine Wunde zugefügt zu haben, durfte bereits als Sieg gewertet werden.


    Irgendwann würde Isimud auch wieder nach Trent hinein müssen und dann würde ein ziemlich wütender, in seiner Ehre gekränkter Tschätt auf ihn warten. Doch diesen Gedanken versuchte der Kämpfer vorerst weit von sich zu schieben.
    Er legte Schwert und Rüstung ab, bettete seine geschundenen Glieder auf ein weiches Moosbett und ruhte so eine Stunde oder auch etwas länger. Bunte Schmetterlinge umflatterten den Ausflügler, ein Wildpferd schubberte sich an der Rinde eines nahen Baumes und ein Ameisenspäher neigte neugierig seine Fühler über den dösenden Isimud.
    "Hm? Ah, klar, du willst was Süßes, stimmts?"
    In seinem Gepäck wühlend, förderte Isimud eine Handvoll Marshmellows zutage. Diese hielt er dem Waldbewohner hin.
    "Hier, nimm, und hau ab!"
    Eiligst machte sich der Späher davon. Er war noch jung, hatte aber schon begriffen, dass man Hiebe kassierte, gar sein Leben riskierte, wenn man sich der Stadt näherte.
    Genau in der Rolle eines kleinen Ameisenspähers fühlte sich allerdings auch Isimud Urkhart, wenn er an den Blauen Tschätt dachte.
    Aber er würde ganz sicher keine Marschmellows annehmen, und dann wegschauen, wenn der Blaupelz irgendwelche Schandtaten direkt
    vor seiner Haustür ausführte!


    Doch als er am Abend wieder heimkehrte, hatte Isimud noch immer keine bessere Idee, als erneut auf Überraschung und einen schnellen Durchbruch zu hoffen. Da würde ihm helfen, seine Ausbeute an Früchten sicher heimzubringen, aber auf lange Sicht nicht die Straße sicher machen.


    Schon von weitem erspähte Isimud seinen neuen Feind. Offenbar umgab der sich nun mit kleinen gelben Artgenossen.
    "Auch das noch", stöhnte Isimud. "Da hat sich ja die ganze Sippschaft versammelt..."
    Genaueres Hinsehen allerdings brachte ans Licht, dass es sich noch immer nur im ein einzelnes Monster handelte. Nur fehlte diesem nun an etlichen Stellen das Fell. Dort, wo jemand dem Tschätt übel mitgespielt hatte, schimmerte dessen gelber Unterpelz hervor. Für einen großen, bösen Blauen musste es enorm peinlich sein, mit gelben Flecken angetroffen zu werden...
    Und tatsächlich, kaum wurde der Tschätt Isimuds gewahr, versuchte er gar nicht erst, ihn einzuschüchtern, sondern zog sich in einen Hausflur zurück, wo er seine "Schande" zu verbergen suchte.
    Die Passanten konnten ungestört ihrer Wege gehen und so kehrte auch Isimud nach Hause zu seinen Fischen zurück.


    Noch vor einem Jahr hätte es ihn gewurmt, einem anderen Kämpfer Dank schuldig zu sein. Diesmal war es anders. Diesmal spürte Isimud Erleichterung, Dankbarkeit und ein drittes, nicht in Worte zu fassendes Gefühl. Es war das Bedürfnis, nach seiner Flöte zu greifen, und
    dem unbekannten Helfer eine Melodie, oder auch ein paar Versen zu widmen.
    Wenn man nur wüsste, wie derjenige hieß...


    Am nächsten Morgen war der Blaupelz ganz verschwunden. Das grüne Tschättmädchen mit ihren so feminin gebogenen Hauern schmollte darüber. Als sie ihren Frust an Passanten auslassen wollte, wies Isimud sie mittels einiger gezielter Schwerthiebe in ihre Schranken und die Welt war wieder in Ordnung. ZWar, das Mädel schaute daraufhin überaus interessiert auf die Zähne des Menschenartigen,
    ob sich da eventuell etwas ergeben könnte, doch im Großen und Ganzen war alles gut. Es gab Helden in der Welt. Sie traten nicht ins Licht der Öffentlichkeit, um eine Kelleratte zu erschlagen, doch wenn wahrhaftige Not am Mann war, dann griffen sie ein.


    "In der Straße stand ein Tschätt,
    der war überhaupt nicht nett,
    doch nun hat er weg sein Fett!"
    ...sangen die die Kinder sowie ein gelber Tschätt, der ebenso erleichtert über das Ausbleiben des Blaupelzes wie Menschen zwischen den Kleinen herumsprang.
    Isimud nahm die Melodie auf und ging pfeifend seiner Wege.


    (OOC: Gelber Unterpelz = der Tschätt befand sich im gelben Zustand, als ich an ihm vorbei ging)

  • Tief in den Ruinen, Auge in Augenhöhle mit einem Wandelnden Knochenhaufen, focht Isimud Urkhart... nein, falsch! Völlig falsch! Von wegen Fechten! Der Jüngling stand da einfach nur herum, als habe er nichts Besseres zu tun. Was im Übrigen auch für das erwähnte Skelett galt, denn es war ja tot.
    Zuerst hatte sein Fund dem Abenteurer Furcht eingeflößt, weil er das Gerippe für die herumlaufende Variante gehalten hatte. Nachdem es sich auf den zweiten Blick als völlig natürlicher Überrest eines Abenteurerkollegen aus uralter Zeit herausgestellt hatte, standen das Gerippe und Isimud nun gleichermaßen gelangweilt gegen die Steinmauer gelehnt. Sie warteten darauf zu Staub zerfallen, oder dass ihr Kontaktmann auftauchte, je nachdem, was zuerst eintreffen würde.

    Eine gefühlte Ewigkeit später traf der Erwartete vor Ort ein. Eal´Adel lautete sein Name, er hauste in den Ruinen und hatte sich bereiterklärt, Isimud den Umgang mit einer schweren Waffen beizubringen, einer Waffe von solcher Durchschlagkraft, wie sie in Simkea nur selten benötigt wurde.
    „Für welche hast du dich entschieden?" forschte der Unterweiser.
    Isimud sagte es ihm. Es handelte sich um eine, die sich perfekt für den Kampf gegen Wesen von der Art Eal´Adels eignete. Zufall? Vielleicht. Möglicherweise wollte Isimud aber auch für den Fall Vorsorge treffen, dass der Unterweiser einmal sein Domizil verliese... oder von finsteren Mächten dazu getrieben würde.

    „Du bist dreist, Barde“, erklärte der Lehrer. Dann aber fügte er hinzu: „Wie es sein sollte!“
    Ein Kämpfer kämpfte, ein Zauberer zaubte, ein Priester pries die Götter, ein Dieb, ähm, diebte, und ein Barde versuchte sich an allem davon. Weil er jede einzelne Profession nur unvollständig nachzuahmen wusste, benötigte ein Barde zudem eine flinke Zunge und gehöriges Maß an Frechheit, um sich aus sämtlichen Fettnäpfchen (oder eher Fett-Tonnen) wieder herauszuziehen, in der er hineinfiel.
    Isimud blinzelte.
    „Was ist?“ forschte sein Lehrer. „Können wir anfangen?“
    Erneutes Blinzeln, gefolgt von ungläubigem Staunen.
    „Zu meiner Zeit konnten wir es kaum erwarten, mit einem neuen Spielzeug herumzufuchteln... obwohl wir die selten im Laden kauften. Meistens...“
    „Jaja, findet man sie in den Klauen von Schrecken aus den Tiefen von sonstwo!“ schnitt Isimud dem Unterweiser das Wort ab. „Daran arbeite ich noch."
    Etwas in der Körpersprache des anderen verriet Isimud, dass sich der Preis für die Lektion im Waffengang gerade um mindestens fünf Heller erhöht hatte. Allerdings hatte ihm der andere eine viel wertvollere Lektion erteilt, unabsichtlich und völlig kostenlos.

    Ein Kämpfer der zweiten Liga... der sich ein wenig mit Magie auskannte... Flöte und Laute beherrschte… ein Tagebuch führte... im Notfall auf ein bißchen himmlische Unterstützung in Form seiner Schwingen hoffen durfte... sich in der Natur wohlfühlte, sie aber niemals auf demselben Level wie ein Druide verstehen würde... der sowie die Monster als auch so manches Handwerk studierte, wenngleich nicht akademisch, sondern eher auf die praktische Anwendung bezogen…
    Natürlich, was anderes als ein Barde konnte ein solcher Abenteuer sein?

    Weisere Personen hätten Isimud eingeschärft, dass es Seelenfrieden brächte, zu wissen WER man sei. Dem ganz normalem Mann auf der Straße hingegen, der in seiner Gesellschaft verwurzelt war, und sich dann auch noch in den letzten Zuckungen der Pubertät befand,
    dem war es viel wichtiger, zu wissen WAS er war, in welche Schublade er gehörte.

    Nachdem er den Umgang mit seiner neuen Waffen einigermaßen begriffen hatte, setzte sich Isimud mit verschränkten Beinen nieder. „Erzähl mir von den Barden aus deiner Zeit!“ bat er Eal’Adel.
    „Ger… moment mal! Du bist wie alt?“
    „Einundzwanzig.“
    „Und du möchtest jemand aus meiner Generation aus freien Stücken zuhören?“
    „Öhm… ja?“
    „Hast du gewettet?“
    „Nein.“
    Für einen Moment war der Unterweise sprachlos.

    „Dann weißt du eigentlich bereits alles über Barden“, behauptete Eal’Adel. „Sie sind neugierig auf noch das belangloseste Fetzchen Information, weil es ja irgendwann einmal von Nutzen sein könnte. Sie bewahren die Geschichte. Und sie reden mit einfach jedem, davon ausgehend, dass selbst ein Knochenhaufen zurückredet. Wie es in deiner Welt war, kann ich natürlich nicht sagen, aber in meiner galten sie zudem als der kämpfende Arm der Druiden sowie als die Mittler zwischen deren Weisheit und den von den Anforderungen des Alltags in Anspruch genommenen restlichen Menschen. Bisweilen scheint es, als seien sie überall daheim, doch das täuscht nur darüber hinweg, dass sie nie zu irgendetwas gehören werden.“

    Bis dahin hatte Isimud aufmerksam zugehört. Nun fragte er sehr leise: „Im Ernst? Aber ich… ich baue gerade mein Haus aus. Ich möchte meinen Keller voller Aquarien stellen. Ein nettes Zwillingspaar heiraten…“

    Beinahe schien es, als wolle Eal’Adel erneut in sein „Junger Einfallspinsel“, „Narr“ oder ähnliches ausbrechen, das er dem Abenteurer bei ihren ersten Begegnungen so oft um die Ohren gehauen hatte. Doch dann besann der Alte sich. War es nicht allein diese Selbsttäuschung, die es einem Barden überhaupt erst erträglich machte, er selbst zu sein?
    „Dann mach das mal schön“, erwiderte der Uralte. „Uralt wirst du werden in deinem Trent.“
    Isimud hätte schwören können, Amüsement in diesen Worten zu hören...

  • In jüngster Zeit fand man Isimud, wenn er denn überhaupt in seinem Hauptberuf tätig wurde, eher in der Eisenhütte anstatt in einem Stollen. Die vielfältigen Möglichkeiten, Stoffe in andere Stoffe umzuwandeln und fließenden Elementen Form zu verleihen, hatten es ihm angetan.
    Daheim hatte sein Vater sich vergebens bemüht, die Prinzipien der Hohen Alchemie in Isimuds Kopf zu verankern. Der Sprössling hatte sich zwar zuverlässig gemerkt, was er in welcher Weise zusammenkippen sollte, jedoch nie verstanden, weshalb diese oder jene Reaktion denn nun so vonstatten ging, wie sie es tat.
    In der praktischen Anwendung hingegen… Kleider und Schuhe zu färben, Sparschweine zu glasieren, überhaupt ersteinmal ein Gefäß aus einem klebrigen Rohling und diesen aus einem Haufen Matschpampe zu gestalten, das war etwas völlig anderes! Das war nicht nur faszinierend, darin wurde man auch durch Erfahrung besser ohne groß Theorie studieren zu müssen und anstelle hoher geistiger Begabung wurden allein geschickte Finger auf die Probe gestellt.

    Dumm nur, dass Mr. Tong das anders sah.
    Eines der Handwerke, in die Isimud hereinschnuppern wollte, war nämlich das des Glaskünstlers. Aus dem Steinbruch hatte Isimud schon eine schöne Flaschenform mitgebracht, ein Metallrohr hatte ihm ein Schmied aus seinen Eisenbarren angefertigt, und mit diesen beiden Objekten in den Händen stand Isi nun vor dem Haus der Raritäten. Er war lernwillig, brachte seine eigene Ausrüstung einschließlich Brennholz mit, ein Dach über dem Kopf besaß er schon, ja, was mehr verlangte dieser Mr. Tong denn noch?
    „Sand“, lautete die Antwort. „Viel Sand. Ein wenig Kalk kann auch nicht schaden, den stellst du aus den Muscheln her, die sich im geschaufelten Sand ansammeln.“
    „Ja, das lässt sich machen, ist ja ganz in der Näh… he, Moment mal!“
    Isimud fuhr auf!
    „Ich habe mich nicht als Lieferant beworben, sondern als Glaserlehrling!“
    Tongs Standard-Ausdruck, das unverbindliche Lächeln, wandelte sich zu einem ehrlich amüsierten. „Du standest noch nie in einem ordentlichen Ausbildungsverhältnis, nicht wahr?“ erkundigte er sich. „Und weißt nicht, was Lehrlinge im allgemeinen so zu tun haben?“

    Isimud zuckte die Schultern. Bisher hatte er sich ja wirklich alles selbst angeeignet, zumeist durch Beobachtung der erfahreneren Simkeaner oder Versuch und Irrtum. Selbst Camulos hatte er erst aufgesucht, nachdem er bereits mit einem Nagelknüppel Wahnsinnige Würmer genervt hatte. Der Kriegerveteran hatte zuerst Isimuds Fehler korrigiert und ihm dann einfache Aufgaben erteilt, an denen der Jüngling weiter wachsen konnte, bevor das formelle Training begann.
    „Ach so!“ meinte Isimud zu verstehen. „Ich soll erst eine Queste machen! Na sicher hole ich dir deinen Sand, und auch den Kalk. Was du immer möchtest!“
    Erneut erhielt der angehende Lehrling eine aus einem Wort bestehende Antwort: „Dunkelbohnentrank.“
    „Auch den. Ist so gut wie erledigt!“

    Mr. Tong sah dem im Gewühl der Städter verschwindenden Isimud noch lange nach. Die Glaskunst wollte er also erlernen. Schön und gut. Seine Aufgaben in der Werkstatt würde er sicher bestens erfüllen, schien ja stark und ausdauernd zu sein, der Bursche. Doch etwas würde der hoffnungsvolle Lehrling noch mitbringen müssen, das sich nicht in Säcke abfüllen lies: Respekt vor seinem Meister.

  • Adoragebirge.
    Der Steinbruch.

    Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Simkea vor 4 Jahren hatte Isimud auf Auftrag gearbeitet. Geplant war das nicht gewesen, es hatte sich einfach so ergeben. Zuerst hatte Marry den nebenberuflichen Steinmetz an Aegidius Feist vermittelt, als andere etablierten Hauer ausgelastet waren, und anschließend hatte dieser Isimud an die Besitzerin des Spa Zum Honigtöpfchen in Trent, Oshun, weiterempfohlen. Ein Handwerksbursche, dem die Stadtoberen etwas zutrauten, dessen Name gar in einer Liste der kompetenter Gesellen zu finden war – wahrlich, einen weiten Weg hatte Isimud vom zerlumpten Flüchtling bis zu diesem Punkt zurückgelegt!

    Doch nun war der Auftrag erfüllt und durch Isimuds von der Arbeit mitgenommene Kleidung pfiff der eisige Bergwind. Nur noch eine Nacht durfte er die Freiheit hier im Gebirge auskosten. Freiheit von der Enge der Stadt, all den gesetzten und ungeschriebenen Vorschriften, aber auch frei von Erwartungen anderer und vor allem frei vom noröm´schen Feudalsystem. Ob nun in der Stadt oder hier draußen, in Simkea war der Rittersprössling frei, zu tun und zu lassen, was ihm gerade einfiel, verantwortlich eigentlich nur für sein eigenes Überleben.

    „Frei von Respekt und Selbstachtung…“
    „Waaaas?!“ Isimud öffnete die Augen. Hatte da jemand gesprochen?
    In Isimuds kleinem Zelt am Rande des Steinbruchs war es fast vollständig finster in dieser mondlosen Nacht. Lediglich das gemeinsame Lagerfeuer der Arbeiter flackerte in einigem Abstand, um Raubtiere fern zu halten.
    Als habe der unbekannte Sprecher Isimuds Gedanken an die örtliche Pumaplage in einem ätherischen Medium aufgefangen, knüpfte er daran an:
    „In allem, was du kannst, ist jemand anderer besser, du Möchtergernkrieger! Sieh dich an! Wolltest du nicht ein großer Kämpfer werden? Warst unter den besten zwanzig, im vergangenen Jahr. Dann plötzlich sollte es lieber die Musik sein. Für die Vorgruppe hat´s mal gereicht… Jetzt bist du was? Steinmetz? Hast du dich nicht noch neulich in der Glashütte herumgetrieben? Aber dann wurde es schwerer als erwartet und du konntest es kaum erwarten, ins Gebirge zu kommen.
    Wohin soll es morgen gehen? Fort von hier? Ha! Der junge Dorian wird es vor dir zum Meister bringen und als Baumeister bekannt werden. Während du…hrmpf. Eine Schande für den Clan bist du! Hast es zu nichts gebracht in deinem geretteten Leben!

    „Das stimmt nicht!“ ächzte Isimud. „Etwas erreicht… habe ich doch…“ Wieso ihm das Sprechen so schwer fiel, verstand der solcherart Angeklagte nicht. Eigentlich hatte er schreien wollen. Doch Isimuds Brust hob sich nur mühsam, als habe ihn eine Erkältung im Griff. „Ich bin glücklich!“ presste er hervor.

    „Hm, klar. Aber du wolltest uns mal aus den Klauen des Bösen befreien…“
    Befreien? Isimud stutzte.
    Mittlerweile hatten sich seine Augen auch ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt und er vermochte mehr von seiner Umgebung zu erkennen. Direkt neben ihm in dem winzigen Zelt hockte der fremde Sprecher – nur war es kein Fremder, sondern der eigene Zwilling. So war also auch Miya Noröm entkommen!
    Isimud wollte sich aufrichten und den wiedergefundenen Gefährten umarmen, doch etwas lastete schwer auf ihm. Dabei fühlte sich der Steinmetz gar nicht krank. Vermutlich hatte er sich einfach nur am gestrigen Tag bei der Arbeit übernommen. Eine Gelenksalbe und ein heißes Bad würden das schon wieder richten.
    Usumiya lachte verächtlich: „Du wälzt dich am Boden wie ein Mistkäfer, den man auf den Rücken gedreht hat! Sieht so ein Held aus?“

    Sieht so… ein Held… sieht so… so… Ja, wie sah denn ein Held aus? Und wie sah Usumiya aus?! Isimud blinzelte. Nun hieß es zwar, dass sich Zwillinge wie ein Ei dem anderen glichen, doch zum einen waren die beiden Urkhart´schen Sprösslinge aus zwei verschiedenen Eiern bzw. Kokons geschlüpft und zum anderen galt das nur für Außenstehende. Zwillinge selbst nahmen all die winzigen Unterschiede im Gesicht des jeweils anderen wahr, die sie unverwechselbar machten.
    In Usumiyas Antlitz fehlten diese Details. Den „Zwilling“ anzuschauen, war, als blicke Isimud in einen Spiegel.
    Ein zweites Mal falle ich nicht auf die gleiche Illusion herein!* sagte sich Isimud.
    In der Firnisonhöhle war es sein eigenes Unterbewusstsein gewesen, das ihm einen Streich gespielt hatte. Und diesmal? Erneut blinzelte Isimud. In dem Maße, in dem er begann, das Trugbild anzuzweifeln, verwandelte sich dieses zurück in seine eigentliche Gestalt.
    Giftgrüne Haut… spitze Zähne… und ein schmaler Kamm auf dem Kopf… die Kreatur glich einem aufrechtgehenden Gecko. Kein Zweifel, auf der Brust des Steinmetzes hockte ein Nachtalp, was auch das drückende Gefühl erklärte, dass er die ganze Zeit über schon verspürte!

    „Wenn ich jetzt etwas total weises sage“, begann Isimud, während er nach seiner Waffe tastete, „verpuffst du dann beeindruckt in einer Schwefelwolke?“
    Das Monster feixte nur.
    Isimuds Finger schlossen sich um den Griff seines Streitflegels, den ihm Ava Dove gebaut hatte. Die Waffe war nicht nur schwerer als herkömmliche simkeanische Waffen, sie war, da auf Bestellung angefertigt, auch perfekt an die Maße des Kunden angepasst.
    Beinahe tat der Nachtalp Isimud leid, als diesen nun der eiserne Kopf des Fleges an seinem eigenen Monsterköpfchen traf. Und obwohl der Krieger wusste, dass solcherart vertriebene Alpdrücke ohne Rückstand einfach verschwanden, kniff er in Erwartung von Blutspritzern die Augen zusammen.
    Puff!
    Der Nachtalp verpuffte und die Last wich von Isimud.
    „Tut mir leid wegen dem Flegel… bißchen heftig, kann ich mir vorstellen… war aber die erste greifbare Waffe… ja, und: Auf Nimmerwiedersehen!“

    Obwohl die Begegnung glücklich überstanden war, fühlte sich Isimud nicht danach, die Augen wieder zu schließen. Stattdessen starrte er unverwandt in Richtung des Lagerfeuers, bis er sicher war, dass die Kreatur nicht zurückkehren würde.

    Am nächsten Morgen, als der Schläfer seinen Schlafsack ausschüttelte, fand er auf dem Zeltboden eine Phiole. Eine bräunliche, zähflüssige Substanz befand sich darinnen: die kondensierte Furcht des Opfers eines Nachtalps.
    Nun, damit ließ sich etwas anfangen. Wenn man zu verdrängen vermochte, worum es sich handelte und wie man daran gelangt war, so ließ sich die Masse weiterverarbeiten oder ähnlich wie Tran als Brennmaterial in einer Lampe verwenden. Dem Gedanken, just mit diesem aus der Schwärze der Nacht geborenen Zeugs Licht zu erzeugen, gefiel Isimud.

    *siehe „Krutz und der Windgeist“

  • Zurück in Trent genoss Isimud ein ausgiebiges Bad im Waschzuber, den er für die Sommermonate in den Garten geräumt hatte. Die erhoffte Entspannung wollte sich jedoch nicht einstellen, denn Eal’Adels in der Ruine gesprochene Worte ließen dem Jüngling keine Ruhe. Von wegen der Abenteurer würde „nie zu etwas gehören“ und nirgendwo Wurzeln schlagen!
    Na gut, so hielt sich Isimud eben öfter von anderen Bürgern fern, als dass er deren Gesellschaft suchte. Eigenbrötler hatte es schon immer gegeben. Und natürlich reiste er oft umher - das Erz wanderte schließlich nicht von allein nach Trent wie ein Myrkonid aus dem Wald direkt auf den Teller in der elterlichen Burg in Noröm.
    Als seine Gedanken an diesem Punkt angekommen waren, tauchte Isimud den Kopf tief in den Zuber, um die Erinnerung zu verscheuchen. So lustig es für das kleine Burgfräulein ausgesehen hatte, wenn die Speisepilze auf Dutzenden kurzen Beinchen in die Küche gewackelt kamen, dem erwachsenen Isimud wurde übel bei dem Gedanken an die Versklavung empfindungsfähiger Lebewesen wie eben der Myrkoniden – und dann noch mit dem Ziel sie zu verspeisen!

    Wie nun Isimud die Welt aus der Perspektive eines Fisches sah, erinnerte er sich daran, dass er seinen Lieblingen ja ein paar Leckerlis aus dem Adoragebirge mitgebracht hatte. Die Wasserflöhe aus dem Gebirgsbach mundeten Isimuds Zierfischen weitaus besser als die aus dem Schlingsee gefischten, mit denen sie üblicherweise Vorlieb nehmen mussten.
    „Menschenskinder, meine Fische!“ stieß Isimud hervor, nachdem er wieder aufgetaucht war. Er ergänzte den Ausruf um etwas Unanständiges, das Eal’ Adel mit seinem skelettierten Knie tun sollte und lachte laut. Allein schon Isimuds Süßwasserblaustreiflinge sorgten doch zuverlässig dafür, dass er immer wieder nach Trent zurückkehrte! Denn die Tierchen waren ja auch regelmäßige Fütterung und Pflege angewiesen.

    Isimud zog sich ein Sitzkissen heran und schaute seinen Steiflingen beim Balgen um ihr Futter zu. Die meisten Simkeaner würden nur deren im Meer lebende Verwandte kennen, die als Köder beim Tintenfischfang dienten. Die Tintis wiederum lebten weit draußen im Meer, so dass der durchschnittliche Bürger Trents sie allenfalls in ihrem erbärmlichen Zustand in der Kiepe eines Marktstandes zu Gesicht bekam, wenn er sie nicht ausschließlich in Form panierter Tintenfischringe kannte. So viele Wunder blieben dem hart arbeitenden Städter verschlossen. So vieles, was Simkeas Natur zu bieten hatte, hatte auch Isimud selbst in seinen vier Jahren hier noch nicht gesehen. Austern beispielsweise.
    Und mal ehrlich, wer, außer einem verantwortungslosen Herumtreiber, würde schon den weiten Weg in die Nordschneisse auf sich nehmen, nur, um sich einmal eine Auster in ihrem natürlichen Umfeld anzuschauen? Oder sich aufs Meer wagen, um sagen zu können, er habe einmal einen Kraken gesehen? Sicher wäre das lehrreich, doch der geistige Gewinn stand in keinem Verhältnis zu dem Verlust, den man durch Fernbleiben vom Arbeitsplatz während des Ausflugs einfahren würde. Tummelte sich das Getier hingegen keine drei Gassen entfernt von der eigenen Hütte, dann sähe das Ganze sicherlich anders aus…

    Und so wurde eine Idee geboren: ein Aquarienhaus sollte entstehen, das Neubürgern und Alteingesessenen gleichermaßen die Vielfalt der Simkeanischen Unterwasserwelt vorführen würde. Und zwar hier in der Stadt, genaugenommen in Isimuds leer stehenden Keller.

    So mancher Trenter merkte gar nicht, in Isimuds Sammelaktion einbezogen zu werden. Einen grasgrünen Teppich erstand er bei Maeve im Marktstand, eine Reihe Schlösser in Baertys Eisenwarenhandlung und auch ein Blick zu Alrik lohnte sich trotz der etwas höheren Preise.
    Dinge, die Isimud vorher überhaupt nicht wahrgenommen hatte, traten ihm nun ins Bewusstsein – wie etwa, als er Xanthy nach Schilfkolben fragte und diese ihn einfach mit einem Grinsen im Gesicht in Blickrichtung ihres Marktstandes drehte, wo die gewünschte Ware in großer Menge vorhanden war.
    Oder die Tatsache, dass Mararay, der er bisweilen Eisenbarren geliefert hatte, sich auch als Tischlerin betätigte. Bei ihr bestellte Isimud mehrere wasserdichten Vitrinen, die als Aquarien dienen sollten.
    Isimuds selbstauferlegte Queste sprach sich herum und es begab sich, dass so mancher Trenter ihm das Gewünschte einfach so in die Hand drückte. So stiftete Ava Dove dem im Aufbau befindlichen Aquarienhaus eine Handvoll Algen und Krebschen sowie einen interessant gefärbten antiken Tonkrug. Von Calisto erhielt Isimud gar drei Austern, die in Blueface Lagerhaus auf Eisbrocken gelegen hatten. Nach kurzer Eingewöhnungsphase in ihrem neuen Becken erwachten sie wieder zum Leben. Allerdings hatten die Tierchen es doch recht eilig, sich dort in den Sand einzubuddeln. Ihr neuer Besitzer schien zwar nicht an Perlen interessiert, doch wusste man nie, ob er nicht gleich den Zitronensaft auspacken würde… immerhin hatte Isimud vor kurzem Oshuns Brieftaube verspeist.

    Nachdem sämtliche Bewohner ihre neuen Becken bezogen und ihre anfängliche Scheu überwunden hatten, öffnete das Aquarienhaus seine Pforten.
    Als einer der ersten Besucher fand sich Bob ein, seines Zeichens Baumeister und Meisterarchitekt Trents. Dummerweise allerdings auch als derjenige bekannt, dem Isimud vor zwei Jahren versehentlich eine volle Ladung aus seinem Eiszauberstab in den Körper gejagt hatte*. So war es verständlich, dass der frischgebackene Hausmeister mehr als nur ein klein wenig nervös vor dem Besucher herlief. Dieser jedoch schien den Vorfall zwar nicht vergessen, aber sehr wohl verziehen zu haben, denn er behandelte Isimud nicht anders als jeden anderen bauwilligen Trenter Bürger.
    Bob hatte vor allem Augen für das Gewölbe, weniger für die schuppigen Austellungsstücke. Ordentlich gebaut hätte Isimud den Kellerraum, fand der Baumeister. Das Erdgeschoss müsse er auch noch in dieser Weise ausbauen. Zum einen könne man den Besuchern nicht zumuten, auf dem Weg zu den Fischbecken an Isimuds Schlafstätte vorbei zu laufen und zum anderen müsse ein quasi öffentliches Gebäude auch etwas hermachen. Ein Steinhaus mit mindestens einem weiteren Raum sei unverzichtbar!

    So schien es, als habe Isimud Urkhart tatsächlich Wurzeln in Trent geschlagen.
    Abends, wenn keine Besucher mehr zu erwarten waren, saß er auf dem Teppich und versenkte sich in das Lichterspiel im Zenbecken, oder beobachtete all die Tierchen, die nun nicht in der Suppe oder Bratpfanne enden würden, sondern in einer Art Schutzhaft ihre Kreise in den Fischbecken zogen.
    All die zusammen mit Zwiebeln und Grünkraut in die Pilzpfanne gewanderten Myrkoniden aus Noröm machte das nicht wieder lebendig. Die Existenz des Aquarienhauses änderte auch nichts daran, dass Isimud in Zukunft weiterhin herzhaft in Fischbrötchen beißen würde.
    Aber sie half, die Vergangenheit ein Stück weiter loszulassen und einen Ruhepunkt zu finden.

    *siehe wieder mal „Krutz und der Windgeist“

  • Ich war so geschockt vom Anblick meines Kontostandes, dass ich das in einem Tagebucheintrag "verarbeiten" muss :D

    Ihr Name lautete Cassandra und sie war ein Tintenfisch. Nun, auf diese Weise hätte die Geschichte vieler Simkeaner beginnen können. Cassandra jedoch war keine normale Simkeanerin. Jedenfalls keine, wie sie täglich geschäftig durch die Gassen Trents zum Markt oder Stadttor eilte. Sie war, wie bereits erwähnt, ein Tintenfisch. Keine aufrechtgehende, sprechende oder auch nur denkende Kreatur, sondern wirklich ein ganz einfacher, stinknormaler Tinti, wie er zu Dutzenden in den Körben und Käfigen der Marktstände angeboten wurde.Wie es danach mit den bedauernswerten Kreaturen weiterging, hatte Cassandra bereits mehrfach beobachten „dürfen“: Man schnitt ihnen die Tintenbeutel heraus, trennte die Fangarme ab und briet diese in Öl. Der Rest landete auf dem Abfall, wo die Möwen daran herumpickten.

    Doch bevor all dies Cassandra zustoßen konnte, hatte ein Zweibeiner sie erstanden. Von einem Ohr des Zweibeiners baumelte, beinahe verdeckt durch zwei graue Federn irgendeines großen Vogels, ein Anhänger in Form eines springenden Fisches. Doch davon abgesehen unterschied ihn in Cassandras Augen nichts von allen anderen seiner Bauart.
    Aus allen mit kläglich herabhängenden Tentakeln in Käfigen übereinandergestapelten Tintenfischen hatte dieser Kunde Cassandra erworben, zu sich nach Hause getragen und in ein mit Steinen ausgekleidetes Becken gesetzt. Weiter hinten im selben Raum blubberte mindestens ein weiteres Becken mit überaus appetitlich umherschwärmenden Blaustreiflingen. Mit einem Wort: die Zukunft sah vielversprechend aus!

    Dass es für Cassandra überhaupt eine solche geben sollte, ließ das Wesen nicht los. In ihren Hirnen wurden Prozesse in Gang gesetzt, wie sie in Tintenfischgehirnen sonst nicht abliefen. Über ihre Instinkte hinausgehende Planung oder Beurteilung ihrer Umgebung war dem Tier noch immer nicht gegeben, doch es fühlte sich nun in unerklärlicher Weise von allem angezogen, was mit Schicksal in Zusammenhang stand. Die Wege von Zufall und Bestimmung wurden Cassandras Spielwiese. Sie folgte den verschlungenen Pfaden bis zum Ende und darüber hinaus bis zurück zu deren Anfang. Eines Tages fühlte sich der bis dato unauffällige Tintenfisch in der Lage, selbst Orakel zu geben.
    Es dauerte eine Weile, bis der Zweibeiner mit dem Fischerohring das begriff, denn obwohl er sehr wohl in der Lage war zu denken, so muss hier festgehalten werden, dass er nicht gerade das hellste Licht am Intelligenzhimmel darstellte.

    „Cassandra“, flüsterte Isimud. „Schau mal hier!“
    In seinen zu Schalen geformten Händen hielt der Aquaristiker einen Haufen Münzen. Vier Dukaten waren ins insgesamt, fein säuberlich in Kupferstücke gewechselt. Das war mehr Geld, als Isimud jemals besessen hatte. Zugegeben, in seinem Haus steckte eine noch viel höhere Summe, doch niemals hatte sich so viel Bargeld in seinem Besitz ansammeln können.
    „Ich bin jetzt odentlicher Lehrling der Glaserzunft“, fügte der Zweibeiner hinzu. „Habe ein Haus und Ersparnisse. Geht das jetzt so weiter?“
    Cassandra ihrerseits verstand kein Wort der kurzen Rede. Sie spürte jedoch, dass sie dazu aufgefordert wurde, ihr besonderes Talent einzusetzen. Münze für Münze warf Isimud dem Tier die Geldstücke zu. Erst eins, dann zwei, dann drei. Und dann nochmal drei. Und nochmal, solange, bis Cassandra abwinkte, es läge nun mehr als genug Altmetall in ihrer Heimstatt. Die Formation, in der die Münzen auf dem Grund lagen, schien allerdings noch nicht vollständig, jedenfalls fühlte sich Cassandra genötigt, einige der Reihen abzuräumen und die Geldstücke, aus denen sie bestanden hatten, nun ihrerseits zu „werfen“ – soweit das im Wasser überhaupt möglich war. Ganz langsam taumelten die Münzen wieder zum Grund des Beckens.
    „Und?“ erkundigte sich der Ratsuchende gespannt. „Was siehst du?“

  • (Nur so aus Spaß, gehört nicht zum offiziellen Tagebuch und ihr werdet gleich sehen, weshalb nicht)


    Ich fühlte mich, als hätte ich Monate geschlafen. Ja, und dementsprechend hungrig war ich natürlich auch. Daher rollte ich mich aus meinem Bett, lies die Decke achtlos irgendwohin gleiten und zerrte meinen Reiserucksack aus seiner Ecke am Kopfende. Irgendwo in den Tiefen mussten sich
    noch ein paar Beutelchen mit getrockneter Fischsuppe befinden. Ein wenig heißes Wasser dazu und der erste Hunger wäre gestillt!


    He! Lass das!


    Ich stutzte kurz. Wer sprach da? Hörte ich mein Unterbewusstsein vor Hunger bereits als eigenständige Stimme in meinem Kopf? Aber das dumme Ding hatte ja Recht, so ein wenig aufgewärmte Suppe war jetzt nicht wirklich das Wahre. Also wühlte ich noch einmal, wobei ich diesmal ein paar Schrippen und kalte Steaks sowie eine gut verschlossene Feldflasche mit Apfelsaft zu Tage förderte. Noch ein Salatblatt aus dem Garten gezupft und fertig wäre das Sandwich! Dazu musste ich mich natürlich ankleiden, was schnell erledigt war. Waschen? Nö, kein Bedarf, die Nachbarn sollen ja bloß nicht "erschrecken", wenn sie mich im Adams- und Evaskostüm durch den Garten robben sehen. Der Gestank wird schon nicht bis zu ihnen hinüber treiben.


    Soweit, sogut. Wie ich jedoch meine Schritte in Richtung Gartenpforte lenkte, bog mein Köper auf einmal wie von allein nach links ab. Ehe ich mich versah, hatte ich die Klinke der Haustür heruntergedrückt.


    "Nein, halt, was soll das? Ich hab doch Hunger!"


    Wir gehen an den Strand.


    "Ich habe aber keine Lust auf Fisch. Jedenfalls nicht auf welchen, den ich erst fangen, abschuppen, ausnehmen und braten muss!"


    Wir gehen ja auch nicht angeln.


    "Ah, gut. Ey, Moment mal, was wollen wir denn dann am Strand? Und wer ist das überhaupt, wir?"
    Irgendwie glaubte ich nicht mehr so richtig an die Erklärung mit dem Unterbewusstsein. Und tatsächlich, die Stimme stellte sich als zu einer Person gehörig heraus.


    Ich bin dein Spieler.


    "Ah, wie schön. Nett, dass wir uns mal kennenlernen. Alles weitere dann beim Essen, ja?
    Ich habe einen furchtbaren Hunger!"


    Das kann ich sehen. 0% Sättigung bei Hunger und Durst.


    "Dann gehen wir jetzt also essen!"

    Nein.


    "Aber...!"


    Wir gehen an den Strand. Habe ich doch schon gesagt.


    Ja, richtig, da waren wir stehengeblieben. Und das wäre ich auch gern nicht nur im Gespräch, sondern in echt. Stattdessen latschte ich unwillig durch die Gassen Trents.


    Wir schippen heute Sand.


    Wir taten was?! Mein Magen knurrte, meine Zunge klebte am Gaumen und über das Stadium der Bauchschmerzen war ich längst hinaus. Mittlerweile hatte sich die Unterversorgung in rasenden Kopfschmerzen niedergeschlagen und mir war kotzspeiübel. Aber essen musste ich und zwar bald!
    Wie konnte dieser Kerl davon ausgehen, dass jemand in meinem Zustand Sand zu schaufeln in der Lage sei?
    Ich hasste mich selbst für den kläglichen Tonfall, den ich anschlug, doch ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen, als den Fremden anzuflehen:


    "Bitte lass mich was essen!"


    Das wäre Verschwendung. Deine Ausdauer ist voll, die müssen wir erst ein wenig runtertreiben.

    "Die müssen wir erst bitte was? Sag mal, gehts dir noch gut?!"


    Ich sah rot, oder eher grün. Und zwei grünpelzige Tschättmonster, die an der nächsten Straßenecke herumlungerten, bekamen das zu spüren.
    Bekanntermaßen tritt ein simkeanischer Tschätt zurück, wenn man ihn latscht, das ist ein Instinkt, da können die gar nicht anders. Also rannte ich auf die beiden Gammler zu und sprang ihnen direkt auf die Zehen. Einen meiner Füße auf jeweils einen der Tschätts. Deren Vergeltung erfolgte auf dem Fuße oder genauer gesagt mit dem Fuße und schon war die schönste Keilerei im Gange. Zerfleddert und erschöpft, aber siegreich, stand ich schließlich über meinen beiden Gegnern.
    "Das iss Willkür, Isi, damit kommste nich durch!" ächzte der eine.
    "Ja, wir ha'm niemand nich was getan!" meinte der andere.
    "Sir Camulos wird davon erfahren und dann nimmter dir die Waffen weg!" drohte der erste Sprecher.
    Mir aber war das alles egal. Wichtig war nur eines: Meine Ausdauer musste gehörig gefallen sein, was bedeutete, dass ich jetzt Futtern konnte!


    ...
    ...
    ...


    Nur schien das irgendwie an meinem Spieler vorbeigegangen zu sein.
    Vorbei an den Apfelbäumen mit ihren herrlich vollen Ästen ging es gnadenlos runter zum Strand. Natürlich ohne vorher etwas gefuttert zu haben.


    Dort begann ich mit der Arbeit. Schaufel um Schaufel füllten sich die Säcke, ohne dass der Strand wesentlich an Volumen verloren hätte. Wäre es wenigstens ein Haufen gewesen, man hätte ein Ende gesehen und sich ausrechnen können, wann man den ungefähr abgetragen hatte. So aber zog sich meine Qual ohne Hoffnung auf Erlösung ins Endlose. Noch nicht mal im Gefängnis auf der Abenteuerrinsel hatten uns die Wärter dermaßen geschunden. Jene entbehrungsreichen Tage kamen mir nun verklärt vor. Wie krank war denn das?!


    "Gibts jetzt Essen?" brachte ich am Ende der Schufterei mit trockenem Mund hervor.
    "Aber bitte keinen Sandkuchen", dachte ich insgeheim.


    Nö. Ich spiele eher selten. Wenn ich wiederkomme, ist deine Au bestimmt auch so voll.


    Okay. Das eine ist mal klar:
    Den greife ich mir.
    Sobald der wieder kommt, wird er sein blaues Wunder erleb...


    Logout.