Die Legenden von Noröm

  • Und tatsächlich war der König sehr glücklich, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Aber er war auch nervös, weil er die schwierigen Geburten von Aglirië noch in Erinnerung hatte. Er schenkte Beanita daraufhin sehr viel Aufmerksamkeit, die sie genoss. Endlich hatte sie das erreicht, was sie wollte.


    Doch schon bald musste sie feststellen, dass die älteren Hofdamen noch immer etwas an ihr auszusetzen hatten. Dieses solle sie lassen, denn das sei nicht gut für die Schwangerschaft und jenes gezieme sich nicht. Eines Tages waren die Ermahnungen derart aufdringlich, dass Beanita die Fassung verlor und anfing zu weinen als die Hofdamen das Zimmer verließen. So fand sie der König als er nach ihr suchte.


    Er fragte sie, was denn passiert sei und nach etwas Drägeln klagte die frustrierte Königin ihr Leid. Dowegor war erbost, aber er wusste, dass die Lösung nicht darin bestand, die Hofdamen öffentlich zu ermahnen. Stattdessen benötigte seine Frau eine treue Gefährtin. Sofort musste er an Estral denken.


    Estral und seine Tochter waren nun schon seit über einem Jahr in den fernen Wäldern. Ihre Briefe kamen regelmäßig und berichteten davon, dass es Nasadja mittlerweile deutlich besser ging. Vielleicht wäre es gut, wenn beide an den Hof zurückkommen würden. Er fragte Beanita nach ihrer Meinung und auch diese schöpfte Hoffnung aus der Idee, am Hof eine fast gleichalte Vertraute haben zu können. So schrieb der König noch an diesem Abend einen Brief, der Estral die Lage erklärte und die Rückkehr der beiden anordnete.


    Indes hatte sich der Bauch der Königin schon gut gerundet und als die Hebammen nach ihr schauten, da hatten sie eine Überraschung zu verkünden: Beanita würde nicht ein, sondern sogar zwei Kinder gebären.

  • Alle waren überrascht und erfreut von dieser Nachricht. Dowegor sorgte sich allerdings um seine Frau, denn er konnte sich noch gut an die schweren Geburten seiner zweiten Frau erinnern. Umso glücklicher war er deswegen, als Estral und Nasadja dann eintrafen. Das Mädchen war in der Zeit stark gewachsen. Aus dem lebhaften Kleinkind war ein eher schüchternes Mädchen geworden, das ihr vernarbtes Gesicht nicht gerne fremden Menschen zeigte, aber zumindest hatte man nicht mehr den Eindruck, dass der Tod ihrer Mutter sie erdrückte. Das machte den König froh, denn er wollte nicht, dass seine Tochter litt.


    Er machte Estral mit Beanita bekannt und die Königin war froh, nun eine Frau an ihrer Seite zu haben, die nicht viel älter als sie selbst war und der königlichen Familie gewogen. Tatsächlich war Estral eine angenehme Persönlichkeit. Die Hebammen hatten nach der Nachricht, dass sie Zwillinge erwarte, der König strenge Bettruhe verordnet. Auch wenn dieser das nicht recht gefiel, wollte sie keineswegs irgendetwas machen, dass die Kinder gefährden würde. Estral kam deswegen die Aufgabe zu, die Königin zu unterhalten. Sie musste die neusten Neuigkeiten erzählen oder aus Büchern vorlesen und das eine wie das andere machte sich so, dass es der Königin tatsächlich die Zeit verkürzte. Außerdem war sie weder belehrend oder anmaßend, wie es die meisten älteren Hofdame oft waren.


    Nasadja war auch oft anwesend, aber obwohl das Kind wohlerzogen war und oft nur still in einer Ecke saß, um Estral ebenso zu lauschen wie die Königin, war ihre Anwesenheit der Königin irgendwie unangenehm. Sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, welches aber durch die Narben ihrer Krankheit entsprechend entstellt war. Damit war sie das lebende Mahnmal für ihre Vorgängerin. Die Königin merkte, dass sie eine gewisse Eifersucht ihrer Vorgängerin empfand, denn niemand berichtete irgendetwas Schlechtes über sie. In den langen Stunden im Bett hatte sie manchmal darüber nachgedacht, wie oft ihr Mann wohl noch an seine zweite Frau dachte und da passte ihr dieses Kind nicht wirklich. Trotzdem sagte sie nichts, denn ihr war klar, dass ihre Gefühle Nasadja gegenüber im Grunde ungerecht waren.


    Neun Tage vor dem berechneten Termin setzten bei der Königin die Wehen ein und Estral ließ sofort die Hebammen kommen. Es war aber eigentlich eine schnelle und unkomplizierte Geburt. Noch am gleichen Tag konnte eine der Hebammen dem König verkünden, dass ihm zwei Söhne geboren worden wären. Der König, der heillos erleichtert war, lief zu seiner Königin, die mittlerweile eingeschlafen war. Bewundernd beugte er sich über seine Söhne, und er erkannte, dass sie sich nicht wirklich ähnelten, auch wenn sie Zwillinge waren. „Den älteren nenne ich Isedor und den jüngeren nenne ich Artemor, mögen sich diese beiden alle Zeit beistehen!“, sagte er zu den Hebammen, bevor er seine Frau im Schlaf sanft küsste.

  • Und so zog wieder große Zufriedenheit im Land Noröm ein. Der König war glücklich über seine neue Familie, die Königin hatte durch die Geburt der zwei Söhne und die Unterstützung von Estral einen ganz anderen Status auf der Burg erlangt und Nasadja war ganz vernarrt in ihre beiden Halbbrüder.


    Diese wuchsen und gediehen im nächsten Jahr prächtig, wobei Artemor der extrovertierte von den beiden war und mit seiner Energie den ganzen Hof verzauberte. Isedor hingegen war das ruhigere und etwas kleinere Kind. Während sich sehr viele darum kümmerten, Artemor in Schach zu halten, schlief Isedor in seinem Bettchen friedlich. Wenn er dann aufwachte, schrie er fast nie, sondern beobachtete seine Umgebung aufmerksam. Da Nasadja nicht gerne unter Leuten war, weil sie nicht wollte, dass andere ihre Narben sehen, verbrachte sie lieber Zeit in dem ruhigen Kinderzimmer von Isedor als mit den anderen Hofdamen um die Aufmerksamkeit von Artemor zu buhlen. Obwohl noch ein Baby, lauschte der kleine Prinz dem Gesang seiner Schwester andächtig.


    Beanita liebte ihre Söhne, aber sie war ebenso froh, wenn sie nur mit Estral alleine durch den Garten spazieren konnte. Ihre Söhne hatten ihr Freiräume geschaffen, die sie vorher nicht hatte. Während sie vorher von allen Hofdamen ständig beobachtet worden war, widmeten diese nun einen Teil ihrer Aufmerksamkeit der Entwicklung ihrer Söhne und das gefiel der Königin.


    Außerdem gab es weiterhin die Abende zusammen mit dem König und Soldomar. Sie liebte die ernsthafte Aufmerksamkeit, die der König ihr schenkte. Er fragte sie oft nach ihrer Meinung und fiel ihr nie ins Wort. Sie konnte nicht einschätzen, was er wirklich dachte, aber er zeigte ihr, wenn sie dann nur noch zu zweit waren, wie sehr er sie schätzte. Und Beanita genoss diese nächtliche Wertschätzung in vollen Zügen.


    So war es dann auch keine Überraschung, dass Beanita als die Zwillinge 1 ½ Jahre alt waren, merkte, dass sie erneut schwanger war.

  • Diesmal alles viel leichter als in der ersten Schwangerschaft. Beanita hatte kaum Beschwerden. Da der König seiner Frau eine Freude machen wollte, ließ er ein Sommerfest organisieren. Auf dem Fest beobachtete Beanita überrascht, wie Estral mit Soldomar flirtete. Eigentlich kannten die beiden sich ja schon einige Jahre, aber irgendwas hatte sich an diesem Sommertag bei Met und frohem Tanz verändert. Es knisterte zwischen den beiden und die Königin freute sich für die beiden. An den Tagen danach glühte Estral förmlich von innen heraus und da wusste die Königin, dass es mehr als der Sommermet war, der zu der Tändelei geführt hatte.


    So war es dann für sie auch keine Überraschung als eines Abends drauf der Magier das Königspaar nach Estral befragte. Er war betont beiläufig, aber Beanita wollte ihm das nicht durchgehen lassen. „Ihr solltet heiraten“ sagte sie schlicht.


    Der König schaute seine Frau verwundert an, aber Soldomar schmunzelte nur. „Ich sollte nicht versuchen, eine intelligente Frau mit Feingefühl hinters Licht führen zu wollen, Mylady. Es wäre tatsächlich mein Herzenswunsch, Estral zu ehelichen“.


    Da er aber auf die anstehende Geburt des Königskindes Rücksicht nehmen wollte, sollte die Hochzeit nach der Geburt im nächsten Frühjahr stattfinden. So vergingen die nächsten Wochen mit Planung und Freude.


    Die Einzige, die sich nicht so recht mitfreuen konnte, war Nasadja. Früher war Estral ihre engste Verbündete gewesen, aber jetzt hatte diese keine Zeit mehr für sie. Erst waren die Verpflichtungen für die Königin gekommen, dann die Prinzen. Und nun gab es auch noch den Zauberer. Sie wusste nicht, warum Estral in seiner Gegenwart immer kicherte und es ging ihr auch auf den Geist. Sie war jetzt 12 und kannte ihre Freundin überhaupt nicht so albern
    .
    Die Wochen vergingen und die Zeit der Niederkunft kam. Diesmal war es eine schnelle und unkomplizierte Geburt und alle freuten sich, dass eine kleine Prinzessin das Licht der Welt erblickte, welche man Lusita nannte.

  • Der Geburt Lusitas und der Hochzeit von Sodomar und Estral folgten ruhige Tage. Die Kinder wuchsen und gediehen. Die beiden Prinzen konnten mittlerweile sogar laufen. Artemor war etwas größer als sein Bruder, er hatte auch früher zu krabbeln angefangen und auch Laufen konnte er einige Wochen früher als sein Bruder. Er versuchte mehr zu reden und hatte immer noch sein sonniges Wesen, so dass er noch immer den Großteil der Aufmerksamkeit auf sich zog.


    Isedor war hingegen etwas ängstlich und manchmal quengelig. Das machte ihn zu dem unbeliebteren Zwilling. Interessanterweise war es dann Nasadja, die ihn meist schnell beruhigen konnte und nicht Beanita, die sich sowieso nicht sehr intensiv um die Kinderpflege kümmerte. Die beiden Halbgeschwister waren fast unzertrennlich geworden und da sie auf Isedor so gut aufpasste und sonst aber nicht viel Aufsehen machte, waren auch alle glücklich, sie im Kinderzimmer der Kleinen zu haben.


    Beanita hingegen genoss ihre gefestigte Stellung am Hof und kümmerte sich gerne um die Haushaltsführung der Burg. Natürlich ging sie auch ins Kinderzimmer, aber vor allem, um mit den Hofdamen zu reden und sich als Mutter der Prinzen und der Prinzessin bewundern zu lassen. Zu anderen Zeiten ließ sie sich von Estral vorlesen und abends saßen die beiden Ehepaare gemütlich zusammen, spielten Schach und redeten über die Dinge, die zur Regierung des Reiches notwendig waren.


    Rasim war noch immer das königliche Auge und Ohr im ganzen Land. Er reiste beständig durch alle Grafschaften und erfuhr was dort die Probleme waren. Da er zum König den direkten Kontakt hatte, konnten so schnell Maßnahmen ergriffen werden, um Missstände zu beheben. Allerdings war seine Rolle mittlerweile ein offenes Geheimnis, so dass er nicht mehr so unerkannt wie früher durch die Lande reisen konnte. Das war manchmal vorteilig, weil er direkt angesprochen wurde, wenn man die königliche Hilfe benötigte, aber manchmal auch nachteilig, weil ein Fürst, der etwas zu verbergen hatte, Dinge vertuschen konnte, bevor Rasim ankam. Manchmal bedauerte der König diesen Umstand, aber sie mussten sich wohlgedrungen mit dieser Lage abfinden.


    So vergingen ein paar ruhige Monate deren krönender Abschluss es war, dass die beiden Frauen eines Abends verkündeten, dass sie beide schwanger waren. Soldomar und Dowegor waren überglücklich, denn endlich wuchs und gedieh die königliche Familie.

  • Die Schwangerschaften verliefen ohne größere Komplikationen, allerdings war Estral verständlicherweise aufgeregter als die Königin, die ja bereits drei Kinder hatte. Die Zeit verging wie im Flug und als erstes wurde ein weiterer Prinz geboren, den der König Margor nannte. Einen Monat später war es dann auch bei Estral so weit.


    Diese Geburt dauerte deutlich länger und die Hebammen schauten sorgenvoll, doch nach am Ende kam ein gesundes Mädchen zur Welt. Estral hatte viel Blut verloren und Soldomar war außer sich vor Sorge. Er braute seiner Frau stärkende Tränke, aber es dauerte fast zwei Monate bis Estral wieder das Bett verlassen konnte. In diesen Wochen vertauschten sich die Rollen der Königin und ihrer engsten Vertrauten, denn nun saß sie oft an Estral Bett und laß dieser vor oder erzählte den neusten Klatsch.


    Beanita hatte erkannt, wie wichtig es war, als Königin jemanden zu haben, dem man vertrauen kann und die schwere Geburt hatte ihr gezeigt, wie schnell ein solchem Mensch einem wieder genommen werden konnte. Sie verstand jetzt auch ihren Mann besser und wollte auch eine Annäherung mit Nasadja probieren. Bisher war sie dem Mädchen eher aus dem Weg gegangen, aber nun erkannte sie, dass auch diese sehr einsam war.


    Zum Glück erholte sich Estral durch die Pflege ihres Mannes und der Königin, aber am meisten muterte es sie auf, wenn sie ihre Tochter sah, die sie Margrett genannt hatte. Alle spaßten gerne herum, dass Margor und Margrett irgendwann heiraten könnten und tatsächlich schienen sich die Baby durchaus zu verstehen.


    Das Spielzimmer war mittlerweile voll geworden: Nasadja, die auf dem guten Weg war, eine Frau zu werden, Isedor, immer an ihrer Seite, Artemor, der alle gleichermaßen begeisterte und in Trapp hielt und die kleine Lusita, die mittlerweile laufen konnte und sich gerne mitten in den Trubel begab. Artemor war der inoffizielle Anführer der Kindergruppe. Wenn er etwas wollte, wurde es normalerweise gemacht und es gab auch selten einen Einspruch.


    Den König freute diese Eigenschaft seines Sohnes, der ja einmal Herrscher werden sollte. Um Isedor machte er sich hingegen etwas Sorgen. Er war eher schüchtern und das wollte sich weniger mit dem königlichen Dasein vertragen. Allerdings war er sehr interessiert und merkte sich immer alles, wenn sein Vater ihm etwas erklärte. Tatsächlich waren die Jungen mittlerweile fünf Jahre alt und so beschloss der König, Hauslehrer für die Jungen zu finden.

  • Ich weiß, es ist eine längere Pause in meiner Erzählung enstanden, deshalb hier noch einmal kurz die wichtigsten Personen des ersten Teils:


    Dowegor: König von Noröm


    Soldomar: Rechte Hand von König Dowegor, Schatzmeister und Hofzauberer


    Rasim: Bruder von Soldomar und telepathisch mit ihm verbunden


    Aglirië: Zweite Frau von Dowegor und Adoptivtochter von Baron von Nasadh


    Nasadja: Tochter von Dowegor und Aglirië


    Taligot: Fürst des Fürstentums Tas


    Beanita: Tochter Taligots und dritte Frau von Dowegor


    Estral: Hofdame von Königin Beanita


    Isedor: Ältester Sohn von Dowegor und Beanita und Zwilling von Artemor


    Artemor: Sohn von Dowegor und Beanita und Zwilling von Isedor

  • Doch bevor er den Plan umsetzen konnte, ritt eine Gruppe in die Hauptstadt, die in dieser Form schon lange keiner mehr gesehen hatte. Doch alle erkannten sie sofort, da es sehr viele Erzählungen von ihnen gab: Es war eine Gruppe Elfen.


    Tatsächlich hatte es zu den Zeiten von Dowegors Großvater die letzten diplomatischen Beziehungen zwischen Elfen und Menschen gegeben. Was genau passiert war, wusste keiner, aber Dowegors Großvater war ein aufbrausender Mensch gewesen und bei einer Verhandlung war es sehr laut geworden. Noch am selben Tag hatte die diplomatische Delegation der Elfen die Hauptstadt verlassen und seitdem wurde keine Elfen mehr gesichtet.


    Umso erstaunter war man deshalb, als di Elfen in die Stadt ritten. Es waren 12 Gestalten, groß und grazil, mit braunem Haar und fahler Haut. Es schienen alles Männer zu sein, allerdings einer, der direkt hinter dem Anführer ritt, deutlich jünger als der Rest. Die beiden vorderen waren prunkvoll gekleidet, mit goldenen Bordüren an ihren Gewändern. Die restlichen 10 waren einheitlich in Lederkleidung und mit dunkelgrünen Umhängen gewandet. Keiner der Ankömmlinge erschien bedrohlich, im Gegenteil, alle Reiter machten einen sehr entspannten Eindruck.


    Die Nachricht von ihrer Ankunft verbreitete sich schnell und schon während sie durch das Tor der Königsburg ritten, wurde gleichzeitig im Audienzsaal das Treffen der Gruppe mit dem König vorbereitet. Dowegor wollte dieses Mal alles richtig machen, damit die Elfen nach so langer Zeit den Kontakt nicht erneut abbrachen.


    So saß er dann auch, ebenfalls in prächtigen Gewändern und mit Beanita an seiner Seite, im Audienzsaal. Auch Soldomar war anwesend, aber er stand weiter hinten im Schatten und sollte vor allem als Beobachter dienen. Im Gang davor standen seine Wachen Spalier sowie sein Herold am Eingang.
    „Wen darf ich ankündigen, Edler?“ Der Herold wusste nicht genau, wie er den Anführer der Truppe anreden sollte und verbeugte sich nach seiner Frage tief, um zu zeigen, dass er der Gruppe mit großem Respekt begegnete.


    „Ich bin Fürst Nakau Akuma, Herrscher über die Wälder des Westens. Ich komme in einer persönlichen Angelegenheit und würde gerne mit Eurem König reden.“ Der Elf sprach gutes Noröm, allerdings mit einem fremdartigen Akzent.
    „Selbstverständlich Fürst, Ihr werdet bereits erwartet.“ Der Herold verbeugte sich erneut und zwei Wachen hinter ihm öffneten die Türen. Nakau Akuma und seine Gruppe betraten den Audienzsaal, während der Herold mit seinem schweren Stab auf den Boden stieß und den Namen des elfischen Fürsten wiederholte.

  • Vor dem Thron neigten die Begleiter des Fürsten ein Knie vor dem König, allein der Fürst selbst neigte nur sein Haupt, um Dowegor zu begrüßen. Spontan stand dieser auf und nahm Nakaus Hände in seine: „Willkommen auf meiner Burg, Fürst der Elfen. Ich freue mich, dass Ihr nach so langer Zeit zu uns gekommen seid und fühle mich geehrt.“


    „Fürwahr, es war eine längere Zeit, in der wir Elfen beschlossen hatten, den Kontakt mit den Menschen aus Noröm abzubrechen. Aber wir haben Euch weiterhin beobachtet. In den letzten Jahren haben wir nun sehr viele positive Nachrichten aus Eurem Land bekommen und nach intensiven Beratungen haben wir beschlossen, einen Neuanfang zu wagen, da Ihr Euch als weltoffener und gerechter König gezeigt habt.“
    Dowegor freute sich über diese Nachricht, aber so sehr sie ihm auch schmeichelte, war er doch weiterhin wachsam, weil er nicht genau wusste, was die Elfen von ihm wollten.


    Nakau machte eine kleine Handbewegung und der Jüngling an seiner Seite erhob sich. „Dies ist mein Sohn Konu. Er kennt die Welt noch nicht so gut und muss noch viel lernen. Ich dachte mir, dass es ein guter Start für einen Neuanfang sei, ihn hier bei Euch für einige Zeit in Obhut zu geben, damit er versteht, wie die Menschen in Noröm leben und regiert werden. Dies war in den alten Zeiten, in denen die Menschen und die Elfen eng zusammen gelebt haben, Sitte und ich möchte diese als Zeichen meines neuen Vertrauens wieder aufnehmen.“


    Der König schaute auf den jungen Elfen und nickte sofort mit dem Kopf. „Dies ist eine vortreffliche Idee, Fürst. Wenn unsere beiden Völker sich wieder näher gekommen sind, so werde ich im Gegenzug einen meiner Söhne eine Weile zu Euch senden, denn ich bin der festen Überzeugung, dass wir viel von einander lernen können.“


    Nakau lächelte. „Dann ist es abgemacht. Zu Mittsommer nächstes Jahr werde ich wieder kommen. Bis dahin wird mein Sohn Euch zur Seite stehen und der Grundpfeiler unserer neuen Zusammenarbeit sein. Ich habe außerdem ein kleines Geschenk für Eure Gemahlin, wenn Ihr es mir erlaubt.“


    Als Dowegor nickte, trat einer der Begleiter Nakaus vor und präsentierte ein rundes Diadem, welches vollständig mit winzigen bunten Edelsteinen besetzt war. Diese waren so angeordnet, dass man das Wappen Noröms erkennen konnte. Der Begleiter kniete sich erneut hin, diesmal direkt vor die Königin, die dieses Schmuckstück verzückt entgegennahm.

  • „Fürst Nakau Akuma, ich bin überwältigt und geehrt. Ich hoffe, ihr bleibt bis heute Abend, damit ich Euch auf einem Bankett für dieses großzügige Geschenk danken kann.“


    Aber der Fürst schüttelte den Kopf. „Leider nein, edle Königin. Wir müssen weiter, unaufschiebbare Aufgaben nötigen mich zur Weiterreise. Ich habe nur die Bitte, meinen Sohn wie einen der Euren zu behandeln, damit ihm die Ferne zu seiner eigenen Familie nicht zu schwer fällt.“


    Als die Königin lächlend nickte, drehte sich der Fürst zu seinem Sohn um: „Mach Deinem Volk alle Ehre und vergiss Deine Erziehung nicht, mein Sohn.“ Konu verbeugte sich vor seinem Vater und sagte etwas auf elfisch zu ihm. Dieser aber schüttelte seinen Kopf und fasste den Jüngling am Arm. „In Zukunft wirst Du Noröm sprechen müssen.“


    Danach verbeugte er sich vor dem Königspaar und verließ den Audienzsaal. Dowegor und Beanita waren ein wenig verdattert durch den abrupten Abgang des Fürsten, wollten sich aber in Anwesenheit des Sohnes ihre Überraschung nicht anmerken lassen. „Also dann kein Bankett heute Abend. Wie wäre es stattdessen mit einem privaterem Essen nur im Rahmen meiner Familie und der engsten Freunde, Konu?“


    Der junge Elf, Beanita schätzte ihn auf vielleicht 16 Jahre, verbeugte sich tief, „sehr gerne, mein König, ich freue mich Eure Familie kennen zu lernen.“ „Sie soll im nächsten Jahr wie die Deine sein, Konu“, sagte die Königin. „komm, ich zeige Dir Deine Räumlichkeiten.“


    Nachdem die Königin Konu hinausgeführt hatte, drehte sich der König zu Soldomar, um seine Meinung zu den Elfen zu hören. „Ich weiß es nicht, Herr. Das war eine sehr ungewöhnliche Audienz, aber sie war seit zwei Generationen auch die erste ihrer Art. Es scheint von großem Vertrauen zu sprechen, dass Nakau Euch seinen Sohn anvertraut. Ich habe versucht, die Elfen mit Magie abzutasten, aber sie waren gut abgeschirmt. Dies scheint mir allerdings nicht weiter verwunderlich, da er sich mit einer doch recht kleinen Gruppe auf Euer Hoheitsgebiet gewagt hat. Da ist Vorsicht durchaus angebracht, ich wäre wohl weit stärker beunruhigt, wären sie nicht entsprechend geschützt gewesen. Auch Konu umgibt so ein Schutzzauber. Ich muss gestehen, dass ich mich mit Elfenmagie nur sehr wenig auskenne. Die lange Abgeschiedenheit der Elfen hat das Wissen auf unserer Seite ausgedünnt.“

  • Der König nickte. „Guck, ob Du mehr heraus bekommen kannst, mein Freund. Derweil sieht es aber danach aus, dass das Anliegen der Elfen ehrenwert zu sein scheint. Ich bin gespannt, wie umgänglich Konu sein wird. Es wäre wirklich gut, wenn sich der Kontakt mit den Elfen, den mein Großvater so leichtfertig hat abbrechen lassen, wieder entstehen würde.“


    Am Abend stellte dann das Königspaar seiner Familie den neuen Gast vor. Neben den eigenen Kindern waren auch Soldomar und seine Familie anwesend. Artemor und Isedor waren beide begeistert. Auch Lusita, die manchmal fremdelte, hatte keine Berührungsängste mit dem jungen Elfen und kletterte ihm sofort auf den Schoß. Dann war es an der Reihe von Nasadja, Konu zu begrüßen. Als sie ihm in die Augen sah, wurde ihr schwindelig und die Sicht verschwamm.


    Statt der vertrauten Umgebung sah sie plötzlich den Nachthimmel über sich. Es war nicht der klare, freie Nachthimmel über der Königsburg, sondern der Nachthimmel im Wald, so dass die Sicht immer wieder von Blättern unterbrochen wurde. Ihr war kalt und sie lag in einem Korb, der von irgendwem getragen wurde. Diese Person rannte, erkannte Nasadja und sie hatte Angst. Angst vor dem, was sie verfolgte. Ihr war nicht klar, woher sie das wusste, aber sie wurde definitiv verfolgt. Alles war so furchtbar und der Wald schien sie zu erdrücken.


    Riechsalz weckte Nasadja. Sie lag auf dem Boden, Estral hockte neben ihr. „Was ist ist mit Dir? Geht es Dir nicht gut? Komm ich bringe Dich ins Bett.“ Nasadja ließ sich von ihr aufhelfen. Sie schaute sich benommen um. Alle anderen schienen ein wenig besorgt, aber der neue Gast war zu spannend, als sich wirklich von Nasadjas Schwäche ablenken zu lassen. Konu scherzte mit Artemor und blickte sie nicht an. Das Mädchen seufzte und ließ sich von Estral in ihre Gemächer führen.

  • In den nächsten Monaten lebte sich Konu sehr gut auf der Burg ein. Er brachte den jungen Prinzen Reiten und Bogenschießen bei. Er erklärte ihnen, wie man sich orientiert, wenn man sich verlaufen hat, und wie man die Spuren der Tiere liest. Tatsächlich war Konu der erste, der Artemors Wildheit bändigen und umgekehrt Isedor aus seiner Schüchternheit locken konnte. Abends erzählte der junge Elf die alten Geschichten seines Volkes. Viele dieser Geschichten waren auch für die Erwachsenen neu und so erfreuten sie sich auch bei diesen großer Beliebtheit.


    Ganz besonders interessant fanden die jungen Hofdamen Konu. Sie waren fasziniert von seiner Exotik und seiner zuvorkommenden Art. Und so gab es mehr als eine, die sich für ihn besonders hübsch machte, und es sicher nicht unangenehm gefunden hätte, wenn er ihnen einen Kuss oder auch mehr gestohlen hätte. Allein zur Enttäuschung aller Hofdamen blieb der junge Elf zwar weiterhin sehr galant, nahm sich aber bei keiner mehr heraus, als schicklich war. Beanita und Estral hingegen waren darüber alles andere als enttäuscht, denn sie fürchteten diplomatische Probleme, wenn es sich anders verhalten hätte.


    Die einzige, die Konus Anwesenheit nicht genoss, war Nasadja. Wenn er ihre Hand nahm, stellten sich die Härchen auf ihrer Haut auf. Sie merkte, dass er sie heimlich beobachtete. So versuchte sie, sich so gut wie möglich abzugrenzen. Da sie schon zuvor eher zurückgezogen gelebt hatte, fiel ihre Abwesenheit häufig auch nicht auf. Allerdings gab es Gelegenheiten, bei denen sie erscheinen musste, um keine neugierigen Fragen zu provozieren. Denn außer der ersten Begegnung hatte sie keine konkreten Ereignisse, die gegen Konu sprachen, und so wollte sie nicht als unhöflich oder ungastlich gelten.


    In der darauf folgenden Woche war der Geburtstag der kleinen Lusita. Da das Wetter frühlingshaft angenehm war, wurde im Garten ein großes Buffet aufgebaut, bei dem es allerlei Köstlichkeiten gab. Als alle satt waren, lief Lusita zu Konu und rief „Schichte!“. Der junge Elf hob das Mädchen hoch und warf es in die Luft. Da quietschte die Kleine, wiederholte aber den „Schichte“-Ruf.


    „Na gut, dann setzt Euch alle hin, damit ich Euch eine Geschichte aus dem Anfang der Elfenvölker erzählen kann“. Alle suchten sich einen Platz, Nasadja setzte sich in die letzte Reihe, auch wenn sie am liebsten die Feier verlassen hätte. Als Ruhe eingekehrt war, fuhr Konu fort.

  • „Vor langer, langer Zeit, da gab es noch keinen Tag und keine Nacht und auch keine Menschen. Nur die Elfen gab es schon und ganz Noröm war mit unendlichen Wäldern bewachsen. Es gab die Stämme des Ostens und es gab die Stämme des Westens und die Elfen wurden direkt von den Göttern regiert. Die im Osten von der großen Mutter und die im Westen vom erhabenen Krieger. Es gab nicht viele Gesetze, nur das eine: Die Elfen aus dem Westen dürften sich nicht mit denen des Ostens mischen, denn die beiden wichtigsten Götter wollten nicht miteinander über die vermischten Völker streiten. So lebte man eine lange Zeit friedlich nebeneinander her.


    Eines Tages allerdings gab es eine abenteuerlustige Elfin aus dem Osten mit dem Namen Lim und sie wollte die Wälder weiter entdecken. Dabei verlief sie sich aber und irrte halb verhungert durch die Gegend und geriet sehr weit nach Westen. Dort war der junge Jäger Môr auf der Suche nach Wild. Er sah eine Bewegung im Gebüsch und legte sofort einen Pfeil an. Er war sehr überrascht, als statt eines Rehs die Elfin auftauchte. Sie freute sich, den Elf zu sehen, und fiel ihm erschöpft in die Arme. Môr kümmerte sich um Lim. Er war meist allein als Jäger unterwegs und die schöne Lim vernebelte seine Sinne. Nachdem diese sich ausreichend erholt hatte, erzählte Lim ihre Geschichte. Als Môr hörte, dass Lim aus dem Osten kam, war er sehr erschrocken, aber er konnte Lim kaum im Wald allein lassen, weil das ihren sicheren Tod bedeutet hätte. So entschloss er sich, die Elfin zurück zu ihrem Volk zu bringen. Lim hingegen war von der Vorstellung, dass sie einen Westelfen getroffen hat, erregt, denn sie liebte alles Unbekannte.

    Als sie einige Stunden unterwegs nach Osten gezogen waren, wurde Lim müde und sie legten sich ins Moos, um ein paar Stunden zu schlafen. Lim wachte vor Môr wieder auf und wie sie ihn da so liegen sah, verliebte sie sich in ihn und küsste ihn. Durch den Kuss wachte Môr auf und war von Lim verzaubert. Die Pläne, sie zu ihrer Familie zurück zu bringen, waren wie weggeblasen. Stattdessen baute er für die beiden einen Unterstand mitten im Wald, damit sie ein kleines Reich für sich zu zweit hatten.


    Der starke Kriegergott merkte aber nach einigen Tagen, dass einer seiner Elfen fehlte. Da ging er zur großen Mutter und bezichtigte sie, dass sie ihm einen Jäger gestohlen hatte. Die große Mutter wusste von nichts und zählte daraufhin ihre eigenen Elfen. Auch hier fehlte eine. Sofort schwante ihr, was passiert sein könnte, und daraufhin suchten die beiden Götter den Wald ab. Natürlich konnten Môr und Lim den beiden Göttern nicht lange verborgen bleiben und diese entdeckten die beiden, als sie sich gerade innig küssten.


    Der Kriegergott war sehr erbost und wollte die beiden Rechtsbrecher sofort töten, aber die große Mutter hielt ihn zurück. Sie war für eine Strafe, die für alle Elfen ein Zeichen setzen würde, wie wichtig es war, ihre Regeln einzuhalten. Mit der Macht ihres Atems teilte sie die Zeit in Tag und Nacht. Dann nahm sie Lim und setzte sie an den Taghimmel, damit sie dort scheine und Môr an den Nachthimmel, damit er die diese erleuchte. So wurden die beiden, die die göttlichen Regeln nicht an erkennen wollten, für alle Ewigkeit von einander und von ihren Stämmen getrennt. Fortan wurden die Ostelfen Hel-lim und die Westelfen Môr-ben genannt. Und wenn sie in den Himmel schauen, dann wissen die Elfen, dass es wichtig ist, die göttlichen Gesetze einzuhalten und niemand seiner gerechten Strafe entgehen kann.“

  • Alle hatten Konu mit angehaltenem Atem zugehört, auch Nasadja war von der Geschichte gefangen. Doch als er die letzten Worte sprach, schaute er auf und ihr direkt in die Augen. Dieser Blick traf sie bis ins Mark und ihr Herz fing an zu rasen. Wie in Panik sprang sie auf und lief von der Feier davon. Sie lief nicht in ihre Gemächer, sondern kletterte auf den höchsten Turm der Burg. Dort oben angekommen und allein, weinte sie bitterlich und wusste noch nicht einmal warum.


    Am nächsten Tag kam Estral zu Nasadja und fragte sie, was denn losgewesen sei. „Ich weiß nicht, es ist so komisch mit Konu…. Er… ich meine ich….“. Estral zog aus dem Gestammel des Mädchens die falschen Schlüsse, verdrehte innerlich die Augen und nahm sie in den Arm. „Ach Nasadja, das ist eine dumme Idee. Schlag ihn Dir einfach aus dem Kopf. Seien wir doch mal ehrlich, so nett wie er ist, aber er ist dann doch nicht unbedingt der geeignete Schwiegersohn für den König, meinst Du nicht?“


    Die Prinzessin schaute verwirrt zu Estral hoch. „Nein, nein, das ist nicht das, was ich meinte…“ Diese seufzte. „Na dann ist ja gut. Trotzdem bist Du mittlerweile im heiratsfähigen Alter, und da sollten wir dann schon mal schauen, dass wir einen guten Mann für Dich finden, meine Liebe. Ich werde mit der Königin über dieses Thema reden, damit Du nicht glaubst, Du müsstest das selbst in die Hand nehmen.“ Estral streichelte dem jungen Mädchen noch einmal über den Kopf und ging dann wieder hinaus, um die völlig überraschte Nasadja alleine zurück zu lassen.

  • Einige Tage später kam ein Bote aus dem Norden mit schlechten Nachrichten für die Königin: Ihre Mutter war gestorben. Diese war wieder schwanger gewesen und eine Fehlgeburt hatte ihr zu viel Kraft geraubt. Obwohl Beanita kein wirklich inniges Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt hatte, war sie doch traurig, denn sie wusste, dass ihre Mutter kein erfülltes Leben gehabt hatte.


    Beanita trug aus Anstand einige Wochen lang schwarz und schrieb ihrem Vater einen langen Brief über ihr Leben der letzten Zeit, denn ihr war mit dieser traurigen Nachricht aufgefallen, dass sie mit ihrem Elternhaus nur wenig Kontakt gehabt hatte, seitdem sie die Königin des Landes geworden war. Sie lud ihren Vater dazu ein, einmal die Königsburg zu besuchen und vielleicht auch die älteren Schwestern mitzubringen. Sie könne sicher dafür sorgen, schrieb sie, dass diese einflussreiche Ehemänner bekommen könnten. Sie glaubte, dass ein solcher Vorschlag bei ihrem Vater gut ankommen würde, weil ihr sein Machtstreben nicht unbekannt war. Dass sie selbst neben dem Einfluss auch noch auf andere Qualitäten bei den potentiellen Ehemännern achten würde, schrieb sie besser nicht, da solche Überlegungen aus der Sicht ihres Vaters eher abwegig erschienen wären.


    Nach einigen Wochen erhielt die Königin dann auch eine Antwort, dass Fürst Taligot die Einladung sehr gerne annehmen würde und sie freute sich darauf, ihre Familie wiederzusehen.

    Soldomar war etwas weniger vorfreudig, da er den Putschversuch des Fürsten nicht vergessen hatte, und so bat er Rasim, sich wieder in den Norden zu begeben, um die Reisegruppe als Eskorte zu begleiten. Aber Taligot schien tatsächlich nur eine Reise zu seiner Tochter zu planen, da er neben zwei Töchtern nur ein dutzend Ritter mitnahm. Er machte einen erfreuten Eindruck, in Rasim einen eloquenten Begleiter zu bekommen, und unterhielt sich während der Reise mit ihm über die Ereignisse des Reiches. Natürlich interessierte ihn auch das Wiedertauftauchen der Elfen, wobei Rasim darüber nur spekulieren konnte. Außerdem fragte er nach den privaten Verhältnissen von Beanita und ganz und gar der interessierte Vater.


    So traf die Reisegruppe nach einer angenehmen Reise auf der Königsburg ein. Beanita umarmte erfreut ihre beiden Schwestern. Da man durch Rasim und Soldomar über den Reisefortschritt informiert war, war bereits ein Bankett vorbereitet. Auf Grund des Todes der Königsmutter waren keine Spielleute oder ähnlicher Zeitvertreib eingeladen worden, und auch die Anzahl der Gäste hielt sich in Grenzen. Demgegenüber hatte man allerdings nur erlesene Speisen ausgewählt.

  • Dieses Bankett war wieder eine der Gelegenheiten, bei der Nasadja nicht in ihrem Zimmer bleiben konnte, sondern teilnehmen musste. Tatsächlich war sie sogar für den Fürsten als Tischdame ausgewählt worden. Das machte sie extrem verlegen, so dass sie sich gar nicht auf ihre Vorsicht vor Konu konzentrieren konnte. Dieser saß nur einige Plätze entfernt von ihr auf der anderen Seite des Tisches. Sie hielt ihr Gesicht gesenkt, da sie ihre Narben nur ungern gegenüber Fremden zeigte. Der Fürst war aber extrem galant und schien an ihrem Aussehen keine Anstoß zu nehmen. Dadurch konnte sie langsam ihre Scheu überwinden und schaute ihm dann auch ab und an in die Augen.


    Nasadja wusste aber nicht, dass der Fürst mit einer eigenen Agenda in die Hauptstadt gekommen war. Die Einladung seiner Tochter war ein guter Vorwand gewesen, um in die Hauptstadt zu kommen. Jetzt, wo seine Frau tot war, stand der Weg zu einer neuen Hochzeit offen. Nasadja erschien ihm dabei eine überaus gute Kandidatin. Wenn er die älteste Prinzessin heiratete, würde das seinen Einfluss im Reich erheblich stärken. Ein etwas entstelltes Gesicht wäre nicht wirklich hinderlich, so lange sie sonst gesund war und ihm vielleicht endlich nach den vielen Töchtern den ersehnten Stammhalter würde schenken können. Gerade durch die Narben des Mädchens war sie noch nicht verlobt. Da sie selten am Hof zu sehen war, gab es auch noch keine Freier, wenn er bei den Gesprächen mit Rasim richtig zwischen den Zeilen gelesen hatte.


    Wenn sie nicht zu ihm aufschaute, ließ er seinen Blick abschätzend über den Rest ihres Körpers schweifen. Er konnte unter dem Kleid durchaus sehr ansprechende Formen erkennen. Auch wenn sie recht zierlich war, fing sie an, an den richtigen Stellen Rundungen zu bekommen.


    Er schenkte dem Mädchen also seine ganze Aufmerksamkeit, was dazu führte, dass sich diese sich tatsächlich entspannte und den Elfen Konu für eine Zeit vergaß. So einen angenehmen Abend hatte Nasadja schon lange nicht mehr verbracht. Der Fürst umgekehrt war ebenfalls von der bescheidenen Art des Mädchens angetan. Er konnte keine Frau gebrauchen, die ihren Platz nicht kannte oder freche Widerreden führte.


    Als das Dienstmädchen zum Abschluss des Banketts die Gläser für den Dessertwein brachte, stolperte sie, als sie an Konu vorbei ging. Die Gläser flogen vom Tablett und in Richtung des Fürsten. Dieser hob reflexartig seine Hände, um sie aufzufangen. Er bekam auch eines zu fassen, aber das filigrane Glas zerbrach in seinen Händen und die Scherben schnitten in seinen Handballen. Sofort waren alle in Aufregung.


    Beanita schimpfte wild mit dem Dienstmädchen und Taligot stieß einen Fluch aus. Konu war aufgesprungen, um bei Aufräumen zu helfen und drückte dem Fürsten ein Taschentuch in die Hand, um das Blut abzuwischen. Nasadja war auf der anderen Seite des Tisches ebenfalls aufgestanden, konnte aber nicht wirklich helfen. Sie starrte Konu an, denn sie hatte das ungute Gefühl dass er an dem Stolpern des Mädchens nicht ganz unschuldig war. Der Elf aber ignorierte sie und sprach einige Worte mit dem Fürsten, bevor er von diesem sein Taschentuch wieder entgegenahm.


    Langsam beruhigten sich alle wieder und es wurden neue Gläser gebracht. Man trank zusammen auf den schönen Abend und als alle einige Zeit später müde auseinander gingen, war der Zwischenfall fast schon wieder vergessen.

  • Später in dieser Nacht erwachte Nasadja davon, dass eine Hand auf ihren Mund gedrückt wurde. Voller Panik öffnete sie die Augen und blickte direkt in andere blass-blaue Augen, es waren die von Konu. Sie war so von diesem Blick eingenommen, dass sie sich nicht rühren konnte, auch wenn sie sich gerade nichts sehnlicher wünschte.

    Er legte seine zweite Hand an ihre Schläfe und sagte einige Worte in einer Sprache, die sie noch nie gehört hatte und dennoch seltsam vertraut vorkam. Sie merkte, wie diese Worte ihren eigenen Willen lähmten und ihr Herz fing an, wie wild zu schlagen. Was wollte Konu von ihr in dieser nächtlichen Stunde?


    „Jetzt werde nicht hysterisch.... Wenn ich Beischlaf von Dir wollte, dann wärst Du schon längst zu mir gekommen und ich nicht zu Dir. Stattdessen habe ich Dir gezeigt, was die richtige Haltung mir gegenüber ist: Demut vor dem Überlegenen. Das ist das, was alle Menschen den Elfen gegenüber zeigen sollten, aber sie sind so minderbemittelt, dass sie ihren Platz auf dieser Welt nicht kennen. Das wird sich aber mit der Zeit ändern, das verspreche ich Dir.


    So ein schändliches Halbwesen wie Du es bist, steht selbstverständlich noch viel tiefer in der Hierarchie der Wesen. Du hast es eigentlich nicht verdient, aber der Wille der Göttlichen hat Dich dazu auserkoren, mir als Werkzeug zu dienen. Es spielt im Grunde keine Rolle, aber ich werde Dir jetzt die Geschichte Deiner Verdammnis erzählen, damit Du den Rest Deines armseeligen Lebens weißt, welche Schuld Du abtragen musst.“


    Die Worte des Elfen hatten Nasadja keineswegs beruhigt. Alles Freundliche war aus Konus Wesen gewichen. Stattdessen war sein Tonfall schneidend, seine Stimme arrogant herablassend und seine Wortwahl bewusst grob und verletzend. Das alles hatte nichts Gutes zu bedeuten.

  • „Ich habe die Geschichte der Trennung der elfischen Stämme nicht umsonst erzählt, damit Du weißt, wie die Götter über solcherlei Dinge denken. Noch viel schlimmer als eine Vermischung der Stämme ist allerdings die Vermischung der Elfen mit den anderen, niederen Wesen. Wir Môrben sind die Krone der Schöpfung und jegliche Verdünnung unseres Blutes ist ein Sakrileg.


    Dies ist die Geschichte meiner Tante Tariawen. Sie war in früheren Jahren ein extrem verwöhntes Kind. Mein Vater hatte es seinem Vater immer wieder gesagt, dass Frauen mit harter Hand erzogen werden müssen. Aber dieser hatte an seiner jüngsten Tochter Tariawen einen Narren gefressen und ihr alles durchgehen lassen. Dieses Verhalten war im Grunde unentschuldbar. Als sie dann in das heiratsfähige Alter kam, hat sie jeden angemessenen Elfen, der um ihre Hand anhielt, abgewiesen. Mein Vater schäumte vor Wut, doch mein Großvater hatte immer nur ein verständnisvolles Lächeln auf dem Gesicht und ließ sie gewähren.


    Tariawen stieg dieser Erfolg zu Kopf und als sie eines Tages in einem abgelegenen Waldstück auf einen menschlichen Förster traf, reizte sie die verbotene Frucht so sehr, dass sie diesen verzauberte und es dort auf dem Waldboden verführte.

    Nicht der Förster, sondern das Wissen, die ehernen Regeln ihres Stammes zu brechen und zu besudeln, brachte ihr Blut in Wallungen. Und das Pochen ihres Blutes hörte nicht damit auf, dass der Förster den Wald wieder verließ, sondern dröhnte in ihrem Kopf so laut, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte.
    So ging Tariawen zu ihrem Vater und erzählte ihm davon, dass die Götter sie berührt und ihr gesagt hätten, sie solle eine Einsiedelei im Wald bauen und dort alleine wohnen. Und was soll man sagen, wieder ließ mein Großvater ihr ihren Willen. Und so zog sie mehrere Tagesmärsche von den Elfensiedlungen entfernt in den Wald.


    Aber da sie ja keineswegs wirklich nach den Göttern suchte, baute sie ihre kleine Hütte in die Nähe einer Handelsstraße der Menschen. Denn ihr Plan war keine Einsiedelei, sondern eigentlich das Gegenteil: Sie lockte regelmäßig menschliche Männer mit ihren Gesängen zu ihrer Hütte, wo sie diese dann verführte.


    Das sprach sich herum, so dass bald einige einen Umweg durch diesen Wald nahmen, nur in der Hoffnung, die Gesänge meiner Tante zu hören. So war es dann auch zwangsläufig, dass meine Tante irgendwann von einem Zwitterwesen schwanger war und sie genierte sich nicht, auch in diesem Zustand mit ihrem Treiben weiter zu machen.


    Kein Regelbruch war für sie schlimm genug. Deswegen trug sie das Kind, von dem sie wissen musste, dass es die Götter erzürnen würde, auch aus. Es war ein Mädchen und auch die Geburt stoppte sie nicht, etwas an ihrem Verhalten zu verändert."

  • „Da sie sich bei den Elfen hingegen nicht mehr hatte sehen lassen, war ihr Vater in Sorge geraten und hatte meinen Vater geschickt, um nach dem Rechten zu sehen. Und natürlich traf er sie nicht alleine an, sondern mit einem ihrer regelmäßigen Freier in einer eindeutigen Situation.

    Der Mensch war ein Ritter und stellte sich sofort zwischen Tariawen und meinen Vater, so dass er sich erst einmal mit dem Ritter beschäftigen musste. Nicht, dass ein nackter Mensch eine wirkliche Herausforderung für einen Môrben dargestellt hätte, aber der Kampf verschaffte meiner Tante Zeit mit ihrer Bastardtochter zu fliehen.


    Sie rannte so schnell sie konnte, aber nachdem der Ritter in seinem eigenen Blut starb, konnte mein Vater ihre Spur aufnehmen. Es war eine wilde nächtliche Hatz durch den Wald. Und auch wenn es Stunden dauerte, konnte er sie am Ende stellen, aber Tariawen hatte das Körbchen mit dem Kind nicht mehr dabei.


    Mein Vater war versucht, seine Schwester dort vor Ort ihrer Gerechtigkeit zuzuführen, aber er wusste, das ein schneller Tod ihren Taten nicht angemessen war. Deswegen brachte er sie zurück in unser Elfendorf. Hier musste dann auch mein Großvater erkennen, welche Natter er großgezogen hatte und Tariawen hatte auch jetzt noch kein Gefühl für ihre Schande, sondern trug den Kopf stolz erhoben. Ihr Ende war schnell beschlossen, aber ihr Tod war angemessen langsam. Es war eine gute Demonstration, dass das Gesetz der Götter nicht gebrochen werden dürfen.


    Mein Vater ging wieder mit einigen anderen Elfen in den Wald, um nach dem Balg seiner Schwester zu suchen. Die Spuren führten zu einer Burg. Dreimal darfst Du raten, welche Burg das wohl war.“


    Nasadja hatte der Geschichte mit zunehmendem Entsetzen gelauscht und ihr war schon mittendrin aufgegangen, wohin dies führen würde. Konu sah mit großer Befriedigung, dass sie sich bereits vor dem graute, was nun kommen würde.
    „Es war die Burg der Baronie Nasadh und das Kind war im Innern, es war deine Mutter Aglirië. Die Elfengruppe brach ihre Suche ab, weil man zu dem Zeitpunkt keine Auseinandersetzung mit den Menschen wollte.


    So wuchs Aglirië bei Menschen auf, die von ihrem Erbe nichts wussten. Als sie aber erwachsen geworden war, nutze sie ihre verruchte Veranlagung, um den König zu verzaubern, denn weniger durfte es wohl nicht sein. Du musst wissen, alle Halbelfen sind verrucht und verderbt und ein Greuel in den Augen der Götter. Aber diese lassen nicht zu, dass jemand Sterbliches seinem Schicksal entgeht und so schicken sie Euch die Krankheit, an dem sie und Dein Bruder starben.“