Mitten im Meer ragt der gewaltige Vulkan Mauna Kea mit seinem mächtigen, schneebedeckten Gipfel zum Himmel hinauf. Beinahe berührt er die Wolken und lässt diese auch wie Watte aussehen. An klaren, sonnigen Tagen kann man an einer hohen Stelle hinaus aufs Meer schauen. Eine unendliche Weite erstreckt sich in alle vier Himmelsrichtungen.
Und auf einer
Klippe am Rand von dieser Insel steht sie. Sie stammt von den sogenannten Quis Felis ab, auch Katzenmenschen genannt. Ungewisse Menschen, die von ihnen hören, denken, dass es um Wesen handelt, die wie eine Katze aussehen und doch wie Menschen sich bewegen. Man muss sagen, zum Teil stimmt es auch, aber nur zum Teil. Ja, sie sind zum Teil Mensch. Leben wie Menschen, verhalten sich wie sie. Sogar das Liebesleben von ihnen ist den Menschen ähnlich. Sie haben Füße mit fünf Zehen und Hände mit fünf Fingern. Und doch sind sie anders. Wie Katzen. Anstatt Ohren wie Menschen haben die von Katzen, sogar einen Schwanz besitzen sie. Die Ohren und der Schwanz sind meistens in derselben Farbe wie die Haare. Aber manchmal, ja das kommt auch vor, haben manche Quis Felis eine andere Haarfarbe als die Ohren und der Schwanz. Doch das kommt eher selten vor. Gängige Haarfarben sind meistens Braun, Schwarz und Weiß. Aber auch die Farbe Dunkelrot kommt vor. Nur ist dieses Rot wirklich selten geworden, da meistens das Erbgut dazu viel zu schwach ist. Und doch gibt es zurzeit auf der ganzen Insel nur zwei der Quis Felis, die dieses seltene Erbgut in sich tragen.
Das Mädchen auf der Klippe ist eine der beiden Bewohner auf der Insel, die dieses seltene Gen in sich tragen. Ihre langen, dunkelroten Haare wehen sanft im Wind, während sie den Sonnenaufgang beobachtet. Ihr schlanker, zierlicher Körper wird von einem grünen Kleid verdeckt, und obwohl sie keine Sandalen trägt, wirkt sie wie ein ganz normales Mädchen. Und doch ist sie das nicht. Ihr Schicksal, das kennt sie nicht.
In Gedanken versunken beobachtet Alexa den Sonnenaufgang, nicht wissend das es der letzte Sonnenaufgang sein wird, den sie auf dieser Insel beobachten wird. Erst der Singsang eines Vogel holt sie aus ihren Gedanken.
„Na du“, sie streckt ihren Arm aus und auf ihrer Hand landet ein kleiner, roter Vogel.
„Warst du wieder unartig und hast deine Kameraden geärgert? Das sollst du doch nicht machen. Wie oft muss ich dir das noch sagen?“, spricht sie zu dem kleinen Vogel. Diesem kleinen, roten Vogel ist ein Vestiaria coccinea oder einfacher gesagt, ein Liwi und gehört zur Unterfamilie Kleidervögel. Natürlich sind sie auch Singvögel, wie dieser kleiner Kerl es eben bestätigt hat.
„Du weißt doch, dass hin und wieder mal Sachen angeschwemmt werden. Letztens war es eine große Truhe mit vielen Büchern drinnen. Da mein Großvater und ich die Einzigen bei uns sind, die lesen können, haben wir die ganze Truhe bekommen. Und da drin war auch ein Buch über Vögel. Vögel wie du, kleiner Liwi. In diesem Buch stand, das du ein Singvogel bist, doch das wissen wir ja schon. Dann gibt es noch eine Ordnung, keine Ahnung was die mit Ordnung meinen, aber da steht, dass du zu den Sperlingsvögel gehörst. Deine Familie sind die Finken und deine Unterfamilie Kleidervögel. Aber was am interessantesten war, das dein wissenschaftlicher Name der ´Drepanidinae´ ist. Ich frage mich, weshalb die Menschen jenseits des Meeres so viele Namen für eine einzige Tierart haben. Das kann sich doch keiner merken und einfach ist es doch auch, wenn es nur einen Namen gibt“, gibt sie ihr Wissen dem kleinen Vogel preis.
„Du bist der Einzige, der mir zuhört, wenn ich etwas von den Büchern erzähle. Keiner vom Clan, mit Ausnahme meines Großvaters, interessiert sich für die Bücher“, traurig blickt sie hinaus auf
das Meer.
„Obwohl dort wunderbare Geschichten stehen. Riesen, Drachen, Meerjungfrauen, Zauberei, aber auch von den verschiedensten Ländern, Kulturen und Religionen. Die Welt da draußen ist so interessant“, jetzt schaut sie wieder auf den kleinen Vogel in ihrer Hand.
„Aber auf der Insel gibt es noch viel zu entdecken. Unzählige Höhlen, die ich noch nicht kenne. Oder geheimnisvolle Buchten, wo man nur vom Meer aus dorthin kommt. Zufluchten, die außer mir sonst keiner kennt und du, kleiner Liwi, begleitest mich immer, wenn du gerade nicht dabei bist, deine Kameraden zu ärgern“, kichert sie zum Schluss, während der Vogel empört zwitschert.
„So, aber jetzt muss ich zurück. Großvater macht sich bestimmt schon Sorgen. Er mag es nicht, wenn ich immer so früh aus dem Haus verschwinde und er weiß ja, dass ich den Sonnenaufgang mag. Und du flieg zurück zu deiner Familie“, scheucht sie den Vogel in den Wald. Sie wirft noch mal einen Blick auf das in der Sonne glitzernde Meer und folgt ihrem kleinen Freund in den Wald.