[RP] Nicht meine Geschichte von Elvira (Geschichtswettbewerb)

  • Nicht meine Geschichte von Elvira


    Nein. Dies ist nicht meine Geschichte. Es gibt zu mir keine Geschichte. Also auf jeden Fall keine, die ich hier erzählen werde. Es wäre ja noch schöner, wenn hier jeder wüsste, wie ich damals ... Nein. Das geht niemanden etwas an. Basta!


    Meine Oma mütterlicherseits, na ja eigentlich war es ja die Schwester des Vaters meiner Mutter, aber egal. Sie jedenfalls hat mir gesagt, dass es mit mir noch mal ein böses Ende nehmen würde. Komisch. Wieso hatte sie dabei immer so verschmitzt gegrinst? Ich glaube, da spielt mir meine Erinnerung einen Streich. Meine Mutter jedenfalls hat viel von ihr erzählt. Und von dem, was sie über mich erzählt hat. Komisch. Dabei war ich doch damals noch total unauffällig. Na ja, finde ich jedenfalls. Aber meine Mutter ... Auch sie hat dieses verschmitzte Grinsen gehabt. Da bin ich mir aber ganz sicher! Ob sie wohl noch lebt?


    Ich habe mich eigentlich nie richtig verabschiedet. Ich wollte ja auch nie gehen. Durch dieses Portal meine ich. Obwohl ... Na ja, es vermutlich das Beste. Auch wenn ich jetzt Elvira vermutlich nie wieder sehen werde. Das ist schlimm. Ganz schlimm. Denn ich habe viel von ihr gelernt. Sie war meine ... hm, wie soll ich sagen? ... Sie war meine Lehrerin. ... Entschuldigt, dass ich jetzt lachen muss. Lehrerin klingt gut.


    Ich werde hier nicht sagen, wer sie war. Manches sagt man besser nicht. Und manches schon gar nicht. Das jedenfalls auf keinen Fall. Auch wenn sie wohl nie nach Simkea kommen wird. Aber manches sollte man auch über die Personen nicht sagen, die ... nun, wie soll ich sagen ... die besonders sind. Und Elvira war besonders! Sie war so besonders, dass ... nun ja, sie war eine gute Lehrerin. Auch wenn sie alles andere als eine Lehrerin war. Den meisten Frauen gefiel nicht, was sie besonderes konnte und was sie lehrte. Den Männern schon.


    Nun ja. Ich war nicht irgendeiner dieser Männer. Sie hat es mir immer gesagt. Aber vor allem hat sie es mir immer gezeigt. Und ich habe eifrig gelernt. Heutzutage sagt man ja skillen. Skillen ist gut. Skillen reimt sich auf chillen. Und Elvira konnte das eine gut mit dem anderen verknüpfen.


    Ob sie wirklich Elvira hieß? Ich war noch nie besonders gut darin, mir Namen zu merken. Und ich bin mir sicher, sie hat das nie groß gestört. Später habe ich ja angefangen, Namen in meine Talentbank zu ritzen. So wurde ich Schnitzer und Schreiner. Und später Schreiber. Eigentlich habe ich meine Berufswahl also auch ihr zu verdanken. So habe ich mir das noch nie überlegt.


    Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei Elvira. Oh ja. Bei ihr bin ich schon immer gerne stehen geblieben. Oder sitzen. Oder liegen. Sie war immer so ... Wie soll ich sagen? Ja, umwerfend. Das passt. Sie hat mich mehr als nur einmal umgeworfen. Und ich habe mich auch gerne umwerfen lassen ...


    Das fing eigentlich ganz harmlos an. Bei der Hochzeit von Onkel John. John der Siedler. Nie gehört? Das kann ja wohl nicht sein! Er war der berühmteste Herzensbrecher von Noröm! Sagt man jedenfalls. Na ja. Ich glaube nicht, dass das so falsch war. Er hatte auch eine gute Lehrerin. Und wenn Ihr jetzt meint … Stimmt. Ihr habt recht. Also muss ich das gar nicht weiter ausführen. Aber das bleibt unter uns. Klar? Ein großes Geheimnis war das ja nie. Aber es gibt Sachen, die pfeifen die Spatzen von den Dächern. Und über die redet man trotzdem nicht. Basta!


    Natürlich wusste auch meine Tante von der Geschichte. Komisch. Ich glaube, sie hat sich nie groß daran gestört. Sonst hätte sie ihn ja auch nicht geheiratet. Irgendwie glaube ich sogar, sie war Elvira dankbar. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die Elvira dankbar waren. Und ich könnte sogar verstehen, warum. Also nicht, warum die anderen Frauen nicht dankbar waren. Das ist … na ja, das ist halt so.


    Sondern warum sie dankbar war. Onkel John hat viel von Elvira gelernt, aber das sagte ich ja schon. Aber er hat auch viel von dem, was er gelernt hat, meiner Tante weitergegeben. Er hatte viele Talente geskillt. Ja, er war talentiert. Und er konnte chillen. Mann, konnte der chillen! Der chilligste Onkel, den ein Neffe nur haben kann! Und wohl auch der chilligste Mann, den eine Frau nur haben kann.


    Nicht faul. Nein. Denn dann hätte er ja seine Talente umsonst geskillt. Aber habt Ihr schon mal einen Onkel gesehen, der gleichzeitig einen Drachen steigen lassen und in der Nase bohren konnte? Nicht, dass er das häufig getan hätte. Meine Tante mag es sowieso nicht gerne, wenn man in der Nase bohrt. Ich glaube also nicht, dass er das je gemacht hat, wenn sie in der Nähe war. Ich vermute mal, er hat ihr andere Kunststücke gezeigt. Kunststücke, die er seinem Neffen nie gezeigt hätte.


    Na ja, manche Sachen muss man einfach selbst ausprobieren. Und da war er mir ein großes Vorbild. Also nicht im Nasebohren! Sondern mit den Kunststücken, die er mir nie gezeigt hat. Ein junger Mann hat seine eigene Phantasie. Und auch im Alter habe ich damit keine Probleme. Während ich schon lange nicht mehr in der Nase gebohrt habe. Aber gut, dass will ja auch keiner wissen. Außer vielleicht meinen Neffen.


    Und meinen Nichten, Kindern, Enkeln, Urenkeln … Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so viele Kinder in Simkea haben würde. Leider habe ich den Überblick verloren. Wen wundert's? Damals in Noröm hatte ich den Überblick noch. Aber da hatte ich ja auch noch Elvira.


    Also wo war ich? Ach ja, bei der Hochzeit meines Onkels. Mann, war das eine Feier! Andererseits … typisch Onkel John! Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, so eine Hochzeit zu feiern wie Onkel John! Das war noch Jahre später Grund für die bösesten Gerüchte, die ich je gehört habe. Manche davon sind sogar wahr. Die wilderen davon. Die echt guten Sachen hat eh keiner wirklich mitbekommen. Glaub ich. Sicher bin ich nicht!

  • Aber ich möchte jetzt keine neuen Gerüchte in die Welt setzen. Die würde eh keiner glauben. Während das mit Elvira ... Gut. Zum einen ist das kein neues Gerücht. Zum andern glaubt es jeder. Die Männer erzählen nur im Wirtshaus davon, wenn keine Frau in der Nähe ist. Boah, ist das dann immer ein Gegröle! Während ich bei den Frauen immer noch ihre verbissenen Mienen sehe, wenn das Gespräch auf die Hochzeit kommt. Nur meine Tante ist da anders. Sie bekommt dann immer – selbst heute noch! - einen knallroten Kopf und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Übrigens, ich mag meine Tante!


    Es war nicht das erste Mal, dass ich von Elvira hörte. Obwohl meine Eltern eigentlich erst von ihr sprachen, wenn wir Kinder im Bett waren. Aber bei der Hochzeit habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Na ja, gesehen … Erlebt wäre der bessere Ausdruck! Leider habe ich von der ganzen Geschichte nur einen Teil mitbekommen. Immer wenn es spannend wird, müssen die Kinder ins Bett … in diesem Fall, weil es eine Hochzeit war, mussten wir nur zum Spielplatz. Dabei war ich damals schon kein Kind mehr! Aber wenn ich damals den Aufstand geprobt hätte, wäre die Hochzeit für mich gelaufen gewesen. Und das wollte ich nicht.


    Als wir wieder zurück durften, war Elvira schon wieder weg. Alle Frauen hatten einen hochroten Kopf und die Männer auch. Ich glaube die Männer hatten so einen roten Kopf, weil es ihnen so schwer fiel, sich zusammen zu reißen und sich nichts anmerken zu lassen. Es hatte dann wirklich geraume Zeit gedauert, bis die Feier wieder einen halbwegs normalen Verlauf nahm. Ich werde diese Feier nie vergessen.


    Wann habe ich eigentlich Elvira zum zweiten Mal wiedergesehen? Das war, glaube ich, nicht viel später. Ich sollte für Onkel John eine Besorgung machen. Eigentlich hat mich Onkel John nie groß durch die Gegend geschickt wie manche anderen Erwachsenen. Aber wenn er es tat, hatte es sich immer gelohnt. Diesmal gab es keinen extra Kreuzer oder ein Fischbrötchen oder so. Diesmal sah ich Elvira wieder. Ich weiß nicht mehr. Ich sollte ihr von Onkel John irgendeine Ware abliefern und die Bezahlung mitnehmen. Hab ich auch gemacht. Ich habe immer gemacht, was Onkel John mir aufgetragen hat. Meine Mutter war da irgendwie neidisch auf ihn.


    Ja, und da stand ich also vor Elvira. Genau genommen vor ihrer Haustür. Heute als Schreiner verkaufe ich ja viele Türen. Aber so eine Tür wie bei Elvira habe ich nie wieder gesehen. Es war keine Holztür. Es war eine Glastür. Als Haustür! Kein normales Glas, wie man es heutzutage bei Alrik bekommen kann. Es war dickes rotes Glas, durch das man zwar nichts direkt sehen konnte. Aber man konnte Schemen dahinter erkennen. Und es gab auch keine Möglichkeit, bei ihr zu klingeln … Ich weiß immer noch nicht, wie das Ding heißt, auf das man bei ihrer Haustür drücken musste. Aber dabei entstand ein Summen, das einem durch Mark und Bein fuhr. Oder soll ich es Säuseln nennen? Jedenfalls waren meine Sinne schon durcheinander, bevor sie überhaupt erst die Tür aufmachte.


    Während ich sonst gewohnt bin, Geschäfte an der Haustür abzuwickeln, führte mich Elvira in die Küche. Gut, heute weiß ich, warum sie mich nicht ins Wohnzimmer oder ins Schlafzimmer führte. Selbst die Küche sah nicht aus, wie ich es bei meiner Mutter gewohnt war. Sanft rosa Kacheln an den Wänden und ein breiter Esstisch, der so leer war wie bei meiner Mutter nach dem Frühlingsputz. Man konnte da ganz gut ein Geschäft abwickeln. Heute weiß ich, dass man in der Küche auch noch mehr machen kann. Ach, wie unschuldig ich damals noch war!


    Also unschuldig bin ich eigentlich immer noch. Auch wenn die Damenwelt Simkeas sich darüber inzwischen ein eigenes Bild gemacht hat. Damals haben sich vor allem die Männer Noröms ein Bild gemacht. Und das fiel nach einiger Zeit nicht mehr zu meinen Gunsten aus.


    Es war kein sehr langer Weg von der Küche übers Wohnzimmer ins Schlafzimmer. Dieser Weg war in Noröm nicht unbekannt. Auch wenn keine offiziellen Schilder hingen. Es gab Hauptstraßen in der Hauptstadt, die waren weniger bekannt. Viel schwieriger war der Weg in Elviras Herz, den nicht ganz so viele fanden.


    Ich war dort auch nur zufällig hinein gestolpert. Weder Elvira noch ich hatten diesen Schritt geplant. Es half, dass Onkel John mich geschickt hatte, der sich auf den Straßen der Hauptstadt schon immer gut auskannte. Es half, dass ich mich nicht von dem Gerede der vielen Frauen so beeindrucken hatte lassen. Aber was Elvira letztlich an mir fand, werde ich wohl nie erfahren.


    Warum sich andere Männer deswegen so aufregten, habe ich bis heute nicht kapiert. Elvira war doch wie immer. Nur dass sie scheinbar einen Narren an mir gefressen hatte. Und sie für mich sowieso mein ein und alles war. Nie hätte ich zugelassen, dass ihr wegen mir etwas zustößt. Und das wäre passiert, wenn sie sich vor mich gestellt hätte. Also musste ich, der noch ein junger unerfahrener Mann war – nun ja unerfahren im Kampf zumindest – mich den Männern stellen, die mich aus dem Weg räumen wollten. Damals konnte ich noch nicht so gut kämpfen wie heute.


    Sonst wäre das alles anders gekommen. Ich hätte gezeigt, was ich inzwischen im Kampf gegen Kellerratten, Schneebälle, Ameisen und gefrässigen Chats alles gelernt habe. Ich hätte mit meinem Zauberstab um Elvira gekämpft und es allen gezeigt. Aber nie hätte ich zugelassen, dass ihr jemand auch nur eines ihren wunderschönen langen Haare krümmt!


    Ich wäre nie freiwillig durchs Portal gegangen ... Freiwillig? Dass ich nicht lache! Ich hätte mich nie freiwillig von Elvira getrennt! Nie! ... Ich wäre nie auf die Idee gekommen ... Aber ich glaube, meine Mutter und meine Großmutter mütterlicherseits ... also die Schwester des Vaters meiner Mutter ... die hatten schon so etwas geahnt.


    Aber wie ich schon sagte. Ich erzähle meine Geschichte nicht. Hier nicht und auch später nicht. Aber Elvira ... Die werde ich nie vergessen! Das schwöre ich! Beim Grinsen meiner Mutter! Und beim Grinsen meiner Großmutter mütterlicherseits ... also der Schwester des Vaters meiner Mutter.