Yemayá blickt sorgenvoll über die Savanne. Die Luft flimmert unter der drückenden Hitze und erschafft Trugbilder am Horizont. Im Schatten der trockenen Baobabs liegen nur noch vereinzelt Löwenfamilien und wenn sie die Augen zusammenkneift sieht Yemayá am Horizont eine Elefantenherde die offenbar auf der Suche nach etwas essbarem ist.
„Sie ist noch nicht zurück?“ fragt eine Stimme hinter Yemayá.
„Nein.“ Sie kennt die Stimme und runzelt die Stirn.
„Kann mir nur recht sein.“ antwortet die Stimme und der bissige Unterton ist deutlich wahrzunehmen. Yemayá dreht sich langsam um und sieht die hochgewachsene Frau mit dem streitlustigen Blick etwas wütend an: „Oyá, die Trockenzeit mag noch nicht lange dauern, aber ohne Oshun wird das Wasser nie mehr zurückkehren. Das kann dir nicht recht sein!“ Ihre Stimme zittert kaum merklich aber Oyá's Blick wird ein wenig sanfter. „Sie kommt schon zurück. Sie kam immer zurück.“ Yemayá seufzt und will sich gerade wieder abwenden, als eine Kinderschar lachend und schreiend auf die beiden Frauen zu gerannt kommt. „Yemayá erzähl von Oshun!“ „Ja, eine Geschichte!“ Yemayá grinst bei dem Anblick der Kinder und Oyá rollt mit den Augen.
„Na dann kommt Kinder.“ Die beiden Frauen – Oyá mehr widerwillig - greifen sich ein paar Kinderhände und führen die Meute so in den Schatten eines großen Zachunbaumes. Während sich die Kinder lauthals um die besten Plätze streiten, lehnt sich Yemayá an den breiten Stamm und sieht Oyá dabei zu, wie sie einige Datteln vom Baum pflückt. „Selbst wenn sie weg ist, steht sie im Mittelpunkt.“ murmelte Oyá mit knirschenden Zähnen und erntet neben den Datteln gleich noch einen eisigen Blick von Yemayá.
„Also Kinder.“ sagt sie schließlich zu den Kindern gewandt, die sofort verstummen und die Frau mit dem milden Lächeln neugierig ansehen. „Ihr alle kennt Ogún nicht wahr?“ fragt Yemayá in die Runde während sie sich auf den Boden setzt und wieder an den Stamm lehnt. Die Kinder nicken vereinzelt und ein Junge ruft laut: „Ogún sieht man nur arbeiten!“ In den Ästen des Zachunbaumes hört man Oyá lachen. Yemayá schmunzelt und fährt fort: „Ogún arbeitet tatsächlich sehr viel. Er ist unser bester Krieger und..“ Oyá räuspert sich übertrieben laut und Yemayá kneift kurz die Augen zusammen. „Ogún ist unser bester Krieger und kennt sich auch als einziger mit den Metallen aus und wie man sie bearbeiten muss.“ Leises Gemurmel ist aus der Kindergruppe zu hören und Oyá unterbricht das allgemeine Staunen prompt mit ein paar Datteln. „Na los greift zu so lange sie noch frisch sind.“ ruft sie während sie zu den Kindern läuft. Nur zu gerne springen diese auf und greifen sich die leckeren Früchte von Oyá während diese auch Yemayá eine zuwirft.
Diese fängt die Frucht mit ihrer rechten Hand und beißt genüsslich hinein. Als sich die Kinder zufrieden kauend wieder auf den Boden setzen, fällt Yemayá eine muskulöse Gestalt zwischen den fast blattlosen Mopane ins Auge. Oyá, die sich gerade neben sie setzen will, folgt ihrem Blick und ihr Augen weiten sich vor erstaunen. „Logum Edé“ ruft sie laut. Die Gestalt löst sich aus dem Schatten der Bäume und eilt mit raschem Schritt den Frauen und Kindern entgegen. „Wird hier eine Geschichte erzählt?“ fragt der gutaussehende Jäger lachend. Während Oyá den Neuankömmling unverfroren und grinsend von oben bis unten mustert, bittet Yemayá ihn, sich zu den Kindern zu setzen. „Nun wo waren wir Kinder?“
„Bei Ogún, das ist der Krieger der nur arbeitet!“ ruft ein Mädchen mit langem, krausen Haar.
Logum Edé grinst und setzt sich zwischen die Kinder während Yemayá die letzten Reste der Dattel im Mund verschwinden lässt. „Ogún ist wichtig für die Menschen.“ übernahm nun Oyá das Wort. „Durch ihn gibt es die heutige Zivilisation. Schmiedeware und Maschinen gäbe es nicht ohne ihn.“ Oyá machte ein Pause um den Kindern Zeit zu lassen die Wichtigkeit dieser Dinge zu begreifen. „Eines Tages verschwand Ogún.“ erzählt Oyá weiter. „Er war sauer weil er das Gefühl hatte, die Menschen wüssten ihn nicht zu schätzen. Er verschwand in die weit entfernten Wälder.“ Oyá blickt zu Yemayá und diese fährt fort. „Das Verschwinden von Ogún hatte schlimme Folgen für die ganze Welt. Sämtliche Maschinen blieben plötzlich stehen. Die Schmieden blieben kalt. Alles was Ogún einst positiv beeinflusst hatte verstummte und das normale Leben der Menschen brach zusammen.“ Die Kinder fangen an zu tuscheln. Für sie ist es unbegreiflich wie so etwas möglich war. Logum Edé ergreift das Wort: „Wir haben einige Leute ausgesandt um ihn zurückzuholen. Ich selbst streifte wochenlang durch die Wälder doch Ogún blieb meinem Blick verborgen.“ Die Kinder wenden sich zu ihm während er spricht und in ihren Gesichtern sieht man Verwunderung. Logum Edé ist ein bekannter Jäger und ein – vor allem bei der Damenwelt – beliebter Mann. Dass er jemanden nicht finden konnte war unglaublich. „Aber Oshun entkommt keiner.“ wirft Oyá grinsend ein was ein Stirnrunzeln von Logum Edé zur Folge hat. „Oshun sah, dass die Menschen litten und dass sie Ogún brauchten.“ sagt Yemayá und fährt fort: „Also zog sie los und erreichte nach einiger Zeit die Wälder. Den Flüssen entlockte sie, dass Ogún sich dort aufhielt und so fing sie an, liebreizend zu tanzen.“ Einige der Mädchen kichern und die Jungen werfen sich vielsagende Blicke zu. Oyá schüttelt augenrollend den Kopf während Yemayá die Stimme etwas senkt damit wieder etwas Ruhe einkehrt. „Oshun tanzte also durch den Wald und Ogún beobachtete sie stets. Natürlich war er neugierig und so kam er ihr immer näher.“ „Neugierig.“ zischt Oyá in einem abfälligen Ton und prompt hat sie Yemayá's Ellbogen in den Rippen. „Als Ogún nur noch eine Armlänge von Oshun entfernt war, zückte diese ihre Geheimwaffe.“
„Ihren Honig!“ ruft ein kahlgeschorener Junge begeistert. „Ja, den hat sie immer dabei.“ stimmt ein etwas älteres Mädchen ihm zu. „Das ist magischer Honig.“ flüstert die Jüngste und Logum Edè lacht: „Nur wenn er die Lippen berührt.“ Dafür erntet er neugierige Blicke von den Kindern und Oyá ergreift das Wort: „Das ist es was sie tat. Sie schmierte ihm Honig um den Mund.“ Sie kichert und Yemayá kneift die Augen zusammen. „Auf die Lippen, Oyá. Oshun benetzte seine Lippen mit ihrem Honig und daraufhin war Ogún ihr verfallen. Er tat was immer sie wollte.“ Logum Edé nickt zustimmend und erzählt den Kindern wie mit Ogún's Rückkehr die Maschinen wieder anfingen zu laufen, die Schmiede wieder an die Arbeit gingen und das Leben der Menschen wieder in gewohnten Bahnen verlief.
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Die Kinder verlangen nach mehr Geschichten aber Yemayá schickt sie in die Nachtlager. Auf dem Weg dorthin tänzeln einige Mädchen umher und lassen sich kichernd von den Jungen fangen. Oyá, Yemayá und Logum Edè setzen sich um ein frisch entfachtes Feuer welches sie in der kommenden Nacht warm halten wird. Kaum hat die Dämmerung eingesetzt wird es ruhig im Dorf und Logum Edè bringt es über die Lippen: „Oshun ist auf der Suche nach einem neuen Heim.“