Emsiges Hämmern hallt von den Wänden der Schlucht wider. Graue Wesen mit Steinhaut schlagen mit eisernen Spitzhacken auf die riesigen Steinbrocken ein, welche den weiteren Durchgang in die Schlucht versperren. Drei Magier der Akademie sowie eines der grauen Wesen diskutieren etwas abseits miteinander – es sind Hochmeister Sandsturm von der Akademie, der Leiter der Expedition Graupelz, ein Geistmagier sowie die Sprecherin der Grea.
„Der Einsturz ist jetzt über einen kleinen Mondlauf her, Hochmeister. Es ist praktisch unmöglich, dass sie noch am Leben sind, also lasst uns diese Farce hier beenden und die Trauerzeremonien beginnen“, verkündet Graupelz seine Meinung. Sein pelziger Schwanz zuckt heftig umher, zu aufgeregt ist er für seine sonst so würdevolle und gelassene Haltung.
„Die Grea lassen niemanden zurück. Im Leben nicht und erst recht nicht im Tod. Wir werden nicht hinter ihnen zurückstehen und wir werden nicht aufgeben. Das ist mein letztes Wort dazu“, erwidert Hochmeister Sandsturm, eine schlanke Menschliche in der Robe der Sturmmagier. „Die Teleportmagier sollen fortfahren mit der Beseitigung der zerkleinerten Felsen. Wir können Eisflackern und Gua nicht einfach unter freiem Himmel liegen lassen.“
Es dauert fast einen weiteren kleinen Mondlauf, bis die steinerne Barriere endlich beseitigt ist und die ersten mutigen Magier den dahinterliegenden Pfad betreten. Zahlreiche Spuren im Staub zeugen von der Anwesenheit der vermissten Erkundungsmission – allein, die Schlucht ist abgesehen von einem in Leder gebundenen Buch mit dem Zeichen der Eismagier leer, daneben eine Botschaft in den Staub geschrieben:
„Lest und versteht!“
Hochmeister Sandsturm nimmt das Buch erstaunt entgegen – es handelt sich um das Tagebuch der Eishexe Eisflackern. Die Sprecherin der Grea berührt den Ledereinband andächtig und knirscht eine Frage. „Ob wir hier Hinweise finden werden, was geschehen ist?“, wird sie vom Geistmagier übersetzt. Sandsturm blättert zum ersten Eintrag und beginnt laut zu lesen.
14, Sonnenstein, 4Ä36
Mein erster Tag an der Akademie der Eismagier. Es ist alles so aufregend, so anders als daheim in der Fortgeschrittenengruppe. Hier lebe ich nicht mit allen Gleichaltrigen zusammen, sondern mit jenen, die zeitgleich als Novize aufgenommen wurden. Einige hier sind echt ALT! Bärenstein zum Beispiel – er hat mit Sicherheit schon graue Haare im Bart und den Schmerzteufel in den Knochen, so langsam wie er sich bewegt. Die einzige in meinem Alter scheint Nachtlicht zu sein, aber ich glaube, sie mag mich nicht besonders. Aber ich bin mir sicher, dass jetzt alles besser wird. Ich habe die alten Seiten mit den langweiligen Erlebnissen im Dorf herausgerissen, das interessiert jetzt eh niemanden mehr.
39, Sonnenstein, 4Ä36
Der Alltag an der Akademie ist anstrengender, als ich ihn mir vorgestellt hätte. Bisher kann noch keiner das Wasser auch nur annähernd bändigen, aber dennoch müssen wir täglich 14 Zyklen unseren Willen auf Eis fokussieren. Ich hätte nie gedacht, dass simples Nachdenken so anstrengend sein kann. Weitere 8 Zyklen erlernen wir theoretische Grundlagen der Magie, vorwiegend die Namen alter Männer mit langen Bärten, die durch Unfälle irgendwas Neues entdeckten und/oder starben. Das Auswendiglernen ist öde und zeitraubend, aber ich hoffe, dass es mir zu einem tieferen Verständnis der Magie verhilft. Nachtlicht redet nicht mit mir, aber damit kann ich leben – Braunnase und Staubglocke sind viel netter und hilfsbereiter. Ich werde versuchen, wieder regelmäßiger zu schreiben.
Unwillig überblättert Sandsturm einige Seiten. So interessant Eisflackerns Beobachtungen der Akademie auch sein mögen, sie werden wohl keine Einblicke in die aktuellen Geschehnisse bringen.
5, Blumenmond, 4Ä39
Die letzten sechs Sonnenwenden waren eine aufregende, anstrengende, wundervolle Zeit und in mir steigt die Wehmut auf, dass sie vorbei ist. Morgen ist meine Initiation als Eismagier und dann werde ich die Akademie verlassen. Natürlich freue ich mich über die Gelegenheit, meine Fähigkeiten zeigen zu dürfen und allen, die an mir zweifelten, ihre Fehler klar vor Augen zu führen. Und doch – ich werde diesen Ort, die Unterweisungsleiter, selbst Nachtlicht vermissen. Es wird langsam Zeit, alles zusammen zu räumen. Ich hoffe, dass ich eine spannende Gegend als erste Erkundungsmission erhalte. Die Eiswüsten hinter dem großen Meer sollen sehr interessant und vor allem unerforscht sein. Als zukünftige Eismagier wäre ich natürlich die Idealbesetzung, zumal meine Fähigkeiten – ohne mich allzu sehr selber loben zu wollen – etwas über Durchschnitt liegen. Ich hoffe, die Älteren sehen das genauso und ich muss mich nicht mit einer Steinebene oder Ähnlichem begnügen. Und wenn doch, dann hoffe ich, dass Nachtlicht eine Mission auf einem toten Berg oder so bekommt. Verdient hätte sie es.
19, Blumenmond, 4Ä39
War ja klar. Eine Steinwüste UND Nachtlicht. Irgendjemand hasst mich.
Die Schrift ist hier sehr unsauber, wie in großer Eile geschrieben, sodass Sandsturm einige Zeit braucht, die Worte zu entziffern.
20, Blumenmond, 4Ä39
Ich überlege, den letzten Eintrag zu streichen – man kann es eh kaum lesen und im ersten Affekt klang alles viel schlimmer als es eigentlich wirklich ist. Meine erste Mission wird mich in die Salz- und Geröllwüste von Akr'il führen. Sie wurde vor drei Sonnenwenden vom Teleportmagier Gründonner sowie der Ersterkundungstruppe um General Hochfels entdeckt. Sie fanden dort einige Stämme grauhäutiger, steinartiger Wesen, welche in stabilen Hütten leben und sich offenkundig vorwiegend mit Viehzucht beschäftigen. Sie waren freundlich und offen, sodass nun unsere Aufgabe die Festigung des Kontaktes sein wird – wir werden eine Zeitlang mit ihnen leben und versuchen, so viele Informationen wie nur irgendwie möglich zu sammeln. Der uns begleitende Teleportmagier wird Graupelz sein, er kennt die Entfernung gut und soll einer der sichersten Teleporter sein.
Ich habe auf einer der aktuellsten Karten nachgesehen, die Akr'il-Wüste ist auf drei Seiten von Bergen umgeben, was auch erklärt, dass wir Jahrhunderte nach dem ersten Kontakt mit den pelzigen Orar tatsächlich außer den schuppigen Hiskaa sowie uns humanoiden Menschen noch eine weitere Art gefunden haben. Eigentlich fehlt jetzt nur noch eine fliegende Art und wir haben alle Grundformen des intelligenten Lebens vertreten. Der Orar Graupelz meint zwar, das ist unmöglich, doch das dachten wir auch von schuppigem Leben, bis wir den Hiskaa begegneten.
Außer Graupelz und mir werden noch Felsensprenger und Kaltklaue mitkommen. Beide sind schon etwas älter und sollen Nachtlicht und mich in die Aufklärung einführen. Ich bin sicher, wir können von ihrer Erfahrung profitieren. Nachtlicht werde ich aus dem Weg gehen – ich habe versprochen, mich nicht mehr von ihr provozieren zu lassen. Ich weiß, dass ich stärker bin als sie – aber sie ist bei Weitem hinterhältiger. Allein wie sie diesen Blick aus riesigen grünen Augen einsetzt, um sich als unschuldig zu präsentieren. Dazu noch weißes Fell und alle sind hingerissen von ihr. Kaltklaue ist zum Glück meiner Bitte, einen anderen Familienverband als sie erforschen zur dürfen, nachgekommen. Vielleicht besteht ja doch die Möglichkeit, dass alles friedlich bleibt.
31, Blumenmond, 4Ä39
Die Reise nach Akr'il war abgesehen von den akuten Orientierungsschwierigkeiten während des Teleportes problemlos. Um ehrlich zu sein, mir war noch nie so übel wie in den zehn Minuten nach der Ankunft. Zum Glück wurde mir das Düngen des Marktplatzbaumes mit meinem Mageninhalt nicht verübelt. Nachtlicht dagegen hat sich direkt auf Felsensprengers Schuppen übergeben. Das Verhältnis zwischen den beiden ist seitdem etwas angespannt. Mit Ruhm haben wir uns bei unserem ersten Auftritt als Repräsentanten der Akademie jedenfalls nicht bekleckert. Dennoch wurde ich sehr herzlich von den Grea, wie sie sich selber nennen, aufgenommen. Zum Glück arbeitet der Übersetzungszauber der Geistmagier nach wie vor zuverlässig. Beim Gedanken, ihre rollende und knirschende Sprache lernen zu müssen, bekomme ich Halsschmerzen. Zusammen mit Kaltklaue teile ich mir ein kleines Zimmer im Haus der Krr, wie wir diese Familie genannt haben im hilflosen Versuch, das kratzende Geräusch nach zu ahmen. Übersetzt scheint es soviel wie Blume zu bedeuten – ein sehr schöner Name wie ich finde.
Zahlreiche Einträge zeugen von Eisflackerns Erkenntnissen zum Leben der Grea. Im Laufe der Zeit mehren sich die Einträge mit Notizen in Grea-Schrift, um nicht übersetzbare Eigenheiten der Steinwesen festzuhalten. Nachtlicht und Eisflackern nähern sich langsam an und arbeiten regelmäßig zusammen. Sandsturm überfliegt die folgenden Einträge lediglich, bis das aktuelle Datum nahezu erreicht ist.