Der blaugrüne Stein von Tamalon (Hanswalters Vorgeschichte)

  • Buch 3 - Das Klohäuschen


    In den Tagen nach Hannes‘ Auftauchen waren wir alle schwer beschäftigt. Broccolus und ich begannen damit, die Waffen für die Servatoren zu schmieden, während Corianda ihren Turm aufräumte. Die Zeit, die sie nicht dort war, verbrachte sie bei Kunibert, der einiger ihrer ärztlichen Behandlungen bedurfte. Er war in dem Krankenhaus von Nordeichenheim untergebracht worden, wo er sich erholen sollte.
    Coccineo war mit einer Gruppe Servatoren aufgebrochen, um den dunklen Magier und die beiden Teleportersteine aufzuspüren. Bisher hatten sie sich nicht wieder gemeldet.
    Corianda erklärte Alisa, Broccolus und mir, dass Hannes einer von Lycopersas Leuten sei. Da er höchstwahrscheinlich zu seinem Meister zurückgekehrt sei und auch an ihm die Signaturen der anderen beiden Welten hingen, könnten wir drei uns nun frei in Amoenor bewegen, wenn wir wollten. Sobald das Labor in ihrem Turm wieder nutzbar war, würde sie weiter nach einem Zauber suchen, der diese Welt vor der Bedrohung durch Lycopersas Wissen schützen konnte.
    Auf ihren Vorschlag hin besuchten wir eines Abends mit ihr Kunibert. Mit beiden Beinen und dem linken Arm in Gips lag er in einem Krankenbett. Eine weißbekleidete Servatorendame, die er mit Termometa anredete, war gerade bei ihm, um die Reste seines Abendessens wegzuräumen.
    Der Eingegipste freute sich, uns zu sehen, und war überaus dankbar für seine Rettung vor den Flammen.
    Ich nutzte die gewonnene Vertrautheit zu diesem Servator, um mehr über seine Rasse herauszufinden. „Ich habe gehört, dass Servatoren von Natur aus eine Begabung für Magie haben. Können alle diese blauen Kugeln erzeugen, wie Ihr bei dem Kampf im Turm?“
    „Nein, der Grad der magischen Begabung ist von Servator zu Servator stark unterschiedlich. Vielen gelingen nicht einmal die einfachsten telekinetischen Anwendungen. Andere vollbringen mit der Telekinese wahre Kunststücke. Aber nur einige wenige von uns können solche Energiekugeln erzeugen.“
    Die Ausdrucksweise des Servators überraschte mich ein wenig. Corianda musste mir erst einmal erklären, dass Telekinese vereinfacht gesagt bedeutete, mit reiner Gedankenkraft mechanische Kräfte auf Gegenstände ausüben zu können. Diese Fähigkeit hatte es beispielsweise Hannes ermöglicht, die Überreste der Treppe umher zu schleudern, und Corianda, ihren unfreiwilligen Flug abzufangen. Aber auch die unsichtbaren Druckwellen, mit denen sich die Magier bekämpft hatten, beruhten auf dieser Art der Magie.
    „Kann ein Servator schon gleich nach seiner Geburt Magie anwenden?“, fragte ich weiter.
    „Nein, jeder Servator muss nach dem Schlüpfen diese Fähigkeit erst entwickeln. Um die Magie dann auch sinnvoll einsetzen zu können, bedarf es einer Menge Übung.“
    „Ich nehme an Servatorenkinder lernen so etwas in der Schule?“, fragte Alisa.
    „Das und noch vieles mehr. Aber nicht nur die Kinder gehen hier zu Schule. Die meisten der befreiten Sklaven haben erhebliche Bildungslücken. Die Menschen kümmert das nicht, solange die Arbeit erledigt wird. Auch ich hatte nach meiner Befreiung schultechnisch einiges nachzuholen. Ich konnte vorher nicht einmal Lesen und Schreiben.“
    „Damals“, sagte Broccolus, „als wir Euch auf dem Hof trafen, hatten wir schon einen Einblick in das Leben versklavter Servatoren bekommen. Aber wie war eigentlich Euer Leben vor den Halterringen?“
    „Ich bin in Gefangenschaft geboren worden“, sagte Kunibert. „Von den Servatoren, die hier im Dorf Leben, weiß ich aber, dass wir wohl einst friedlich mit den Menschen koexistiert haben. Beide Rassen hatten ihre eigenen Regionen in Amoenor und ließen sich gegenseitig in Ruhe.“
    „Regionen wie Nordeichenheim?“
    „Zum Beispiel. Zu Beginn der Rebellion der Servatoren ist diese Siedlung im nördlichen Teil der Überreste von Eichenheim errichtet worden. Die alte Siedlung war einige Jahre zuvor von dunklen Magiern auf der Jagd nach Sklaven niedergebrannt worden. Beim Neuaufbau hatte man nicht damit gerechnet, dass die neue Siedlung wieder die Fläche der alten einnehmen würde, was auch der Grund für die Namensgebung war. Nordeichenheim soll wohl, abgesehen von einigen bautechnischen Fortschritten, dem Eichenheim von früher gar nicht mal so unähnlich sein.“ Er grinste. „Gut, so einen Magierturm hatte es wohl früher nicht gegeben.“
    „Und der Anführer war wohl auch keine menschliche Magierin“, sagte ich.
    „Daran hat sich auch nichts geändert“, warf Corianda ein. „Der oberste Häuptling dieser Siedlung ist ein Servator. Seine Name ist Präodor.“
    „Oh. Ich dachte Ihr wärt es. Ihr bewohnt hier doch das höchste Gebäude.“
    Corianda schüttelte ihren Kopf. „Das bedeutet nichts. Der Magierturm in Tamalon ist auch höher als der Palast von König Optimus XVII. Mir wird hier nur ein Wohnrecht gewährt. Gelegentlich stehe ich Präodor in beratender Funktion zur Seite, aber politisch gesehen bin ich nicht einmal Bürger der Siedlung.“
    „Und dennoch seid Ihr unverzichtbar“, sagte Kunibert.
    „Naja, zumindest kann ich bei der einen oder anderen Kleinigkeit helfen.“
    „Seid nicht so bescheiden. Ihr habt immerhin unser Gesundheitssystem revolutioniert und ohne Eure heilenden Hände wäre ich an meinen Verletzungen gestorben.“ Er wandte sich zu uns. „Sie bildet einige unserer Heiler aus. Auch unter den Menschen von Amoenor werdet Ihr keinen besseren Lehrer dieser Kunst finden.“

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

  • „Wisst Ihr eigentlich was aus Herman und seiner Familie geworden ist?“, fragte Broccolus Kunibert.
    „Sie haben den Angriff überlebt. Mir wurde gesagt, dass sie ihren Hof wieder aufgebaut haben und nun auf die Haltung von Servatorensklaven verzichten.“
    „Ich nehme mal an, dass sie stattdessen neue Knechte eingestellt haben.“
    „Vermutlich.“
    „Wieso haben die Sevatoren sie damals getötet und Alisa und mich entführt?“
    Kunibert schüttelte bedauernd den Kopf. „In kriegerischen Auseinandersetzungen gibt es fast immer Tote. Diese Menschen hätten nicht sterben müssen, wenn sie keinen Widerstand geleistet hätten. Ihr und Eure Frau wurden wegen der magischen Spuren entführt. Ich hatte sie gleich bei unserer ersten Begegnung an Euch gespürt. Als die freien Servatoren kamen und von einer menschlichen Magierin erzählten, die den Sklaven helfen würde, hielt ich es für angebracht, meine Befreier auf diese Spuren hinzuweisen. Wie sich dann ja herausstellte, waren es die Spuren von eben dieser Magierin.“
    „Ihr hattet sie an Euch haften, weil Ihr den blaugrünen Teleporterstein benutzt hattet“, erklärte Corianda. „Wie Ihr wisst, habe ich den Stein ja erschaffen. Die Spuren sind übrigens nicht mit den magischen Signaturen der Welten zu verwechseln. Diese können nur geübte Magier erkennen.“
    Ich musste an Hannes‘ Worte vor dem Kampf im Turm denken. Dabei fiel mir eine Unklarheit auf: „Wenn Ihr den Stein erschaffen habt, warum behauptet Hannes dann, dass das Gegenstück im Labor der dunklen Magier entstanden sei?“
    Weil er offenbar tatsächlich dort entstanden ist. Es lässt sich eine sehr schwache Spur von Lycopersa an dem Stein in dieser Welt nachweisen. In irgendeiner Weise muss er also an seiner Entstehung beteiligt gewesen sein. Jeder Teleporterstein braucht ein Gegenstück. Beide Teile entstehen gleichzeitig, wo das geschieht, kann man aber nur bei dem Stein beeinflussen, der in der Welt entsteht, in der sich der Schöpfer befindet. Der Entstehungsort in der anderen Welt ist nicht vorhersehbar. Wie sollte er es auch sein, wenn man die andere Welt noch nicht kennt. Ich vermute, dass es an der magischen Atmosphäre in Lycopersas Labors liegt, dass das Gegenstück zu meinem Stein ausgerechnet dort entstanden ist.“
    „Und wie ist das bei dem gelben Teleporterstein?“
    „Der gelbe Stein ist ein Experiment von Phaseolus und mir. Wir wollten bei seiner Entwicklung unter anderem herausfinden, wie das Gegenstück entsteht. Bisher tappen wir dabei aber noch im Dunklen. Was uns aber gelungen ist, ist seine Bedienung zu vereinfachen.“
    Von dem Erfolg in diesem Punkt hatte ich mich ja bereits überzeugen können.
    Die Magierin erklärte noch weitere Einzelheiten zu den Teleportersteinen, von denen aber keiner der Anwesenden ein Wort verstand, außer Kunibert.
    Nach unserem Besuch im Krankenhaus, kehrten Alisa, Broccolus und ich in die Schmiede zurück, wo wir seit dem Brand im Turm wohnten. Corianda arbeitete noch daran, den Ruß und den Rauchgestank aus ihrem Heim zu beseitigen. Zurzeit wohnte sie im obersten Zimmer des Turms, der Sternenwarte. Dorthin war der Rauch nicht gelangt.
    Erst eine Woche später war der Turm wieder hergerichtet und wir konnten wieder unsere alten Quartiere einnehmen.
    Etwa zu der Zeit tauchte auch Coccineo mit seinem Spähtrupp wieder in Nordeichenheim auf. Er berichtete, Hannes‘ Aufenthaltsort ausfindig gemacht zu haben. Seine Spur habe direkt zu Lycopersas Festung geführt. Corianda war wenig erfreut über diese Nachricht. Sie meinte, dass sich ein militärischer Schlag gegen die dunklen Magier nicht mehr viel länger hinauszögern ließe. Man müsse ihn zu Fall bringen, bevor seine Macht dies unmöglich machen würde und er die Weltherrschaft an sich reißen konnte.
    Häuptling Präodor ließ seine Krieger Tag und Nacht trainieren und seine Hordenführer - das servatorische Äquivalent zu Offizieren - suchten ständig neue Rekruten unter den Bewohnern des Dorfes. Broccolus und ich kamen mit dem Waffenschmieden kaum hinterher, sodass uns vier servatorische Schmiede als Unterstützung zur Seite gestellt wurden.
    Als ich einige von ihnen näher kennen lernte, erfuhr ich, dass die Namen der männlichen Servatoren für gewöhnlich auf „or“ endeten und die der der weiblichen auf „ta“, wenn sie nicht durch menschliche Sklavenhalter benannt worden waren. Die Betonung lag dabei immer auf der drittletzten Silbe, die nicht selten zugleich die erste war. Dass der Häuptling Präodor hieß, wusste ich bereits. Unsere vier Helfer hießen Ohvenror, Segelor, Nochaintor und Wentilator.
    Nachdem ich Broccolus von dieser Art der Namensgebung erzählt hatte, meinte er, dass er nun verstehe, warum die Servatorin auf der Feuerwache, die er bei dem Brand im Turm aufgesucht hatte, einen so merkwürdigen Namen trug. Er habe sich schon gefragt, wie man nur Tatütata heißen konnte.
    Auch Corianda und Coccineo waren schwer beschäftigt. Die meiste Zeit über arbeiteten sie an ihrem Zauber, der die Macht der weltfremden Magiewesenheiten bändigen sollte. Doch nach ihren Angaben war das gar nicht so einfach, da sie dafür erst einmal einiges über die Wesenheit der Magie dieser Welt lernen mussten. Wann immer sie einen Teil ihrer knappen Zeit übrig hatten, verbrachten sie ihn damit, sich neue Kampfzauber anzueignen und ihre Kampftechniken zu verbessern.

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  • Nach einem Monat begann Präodor langsam zu drängeln, wann man denn endlich angreifen könne. Seine Krieger würden nur noch auf die beiden menschlichen Magier warten. Inzwischen waren unsere servatorischen Schmiedehelfer so gut eingearbeitet, dass Broccolus und mir tatsächlich wieder etwas Freizeit zur Verfügung stand. Wir nutzten sie, um an Präodors Kampftraining teilzunehmen.
    Broccolus ließ sich hauptsächlich an der Armbrust ausbilden, während man mir den Umgang mit Schwert und Streitaxt näher brachte. Schon sehr bald bemerkte ich meine Vorliebe für den Anderthalbhänder, auch Bastardschwert genannt. Offenbar hatte meine jahrelange Arbeit im Bereich des Schmiedehandwerks mir eine ausreichende Armmuskulatur eingebracht, um diese schwere Waffe problemlos mit einer Hand führen zu können wie ein Kurzschwert.
    Unser Kampftraining dauerte jedoch nur knappe drei Wochen, was uns gerade einmal einen Einblick in die Grundfertigkeiten ermöglichte. Dann kam der Tag, an dem die Servatoren in den Krieg zogen.
    Corianda und Coccineo hatten bei ihrer Arbeit für sie zufriedenstellende Ergebnisse erlangt und sahen keinen Grund mehr, die bevorstehende Auseinandersetzung mit Lycopersa weiter hinauszuzögern. Sie konnten nicht sagen, wie weit der dunkle Magier mit seinen Forschungen gekommen war, aber es schien ihnen besser, nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen.
    Am Morgen dieses Tages verluden Broccolus und ich mit Hilfe einiger Servatoren unsere Schmiedeausrüstung auf bereitstehende Wagen. Da man nicht wüsste, wie lange der Krieg dauern würde, befand man, dass eine mobile Schmiede an der Front gebraucht werden könnte. Broccolus und ich würden also die Schlacht damit verbringen, beschädigte Waffen zu reparieren und Pfeilspitzen zu Gießen.
    Wie die meisten weiblichen, zu jungen oder zu alten Servatoren blieb auch Alisa in der Siedlung, wo sie auf Norbert und den Magierturm aufpassen sollte. Mehrfach hatte sie versucht, Broccolus und mich ebenfalls zum bleiben zu bewegen. Doch wir konnten sie davon überzeugen, dass es für unsere Heimkehr notwendig war, uns den gelben Teleporterstein zurückzuholen. Falls uns das nicht gelingen würde, wären wir gezwungen den Rest unserer Tage in dieser Welt zu verbringen. In diesem Fall müssten wir zumindest die beiden Magier dabei unterstützen, Lycopersas Pläne zu vereiteln.
    Nach einer herzlichen Verabschiedung brachen wir auf. Wir schlossen uns mit unseren insgesamt vier Wagen und unseren servatorischen Schmiedehelfern dem Zug von Wagen und Kriegern an, der permanent aus der Siedlung strömte. Broccolus und ich saßen auf dem Wagen, der die Einzelteile eines Schmiedeofens und Teile des Kohlevorrats transportierte. Gezogen wurde das vierrädrige Gefährt von einem Zweiergespann kräftiger schwarzer Pferde.
    Wir Schmiede und unsere Wagen waren einer Horde zugeteilt worden, die uns Begleitschutz geben und eine bessere militärische Koordination ermöglichen sollte. Ihr Anführer Seckondflor saß auf einem der anderen Wagen, während seine sechzehn Untergebenen sich um uns herum verteilt hatten. Die beiden Magier marschierten irgendwo in weiter Ferne bei Häuptling Präodor an der Spitze des Zuges. Begleitet wurden sie von Kunibert, der sich inzwischen wieder von seinen Verletzungen erholt hatte.
    Unsere fünf Wagen waren nicht die einzigen im Zug. Neben vielen weiteren Transportern sah ich auch einige beräderte Holzkonstruktionen, deren Ausmaße etwa denen größerer Steinhütten entsprachen. Die Gespanne, die diese Monster zogen bestanden teilweise aus bis zu sechs Pferden. Auf meine Nachfrage hin erklärte Seckondflor mir, dass es sich bei diesen Fahrzeugen um demontierte Belagerungswaffen handelte, die später wieder zusammengebaut würden.
    Der Marsch führte westwärts. Er dauerte drei ganze Tage. In dieser Zeit wurden insgesamt nur acht Stunden Pause gemacht. Servatoren waren offenbar von Natur aus gut zu Fuß. Broccolus und ich hatten glücklicherweise die Möglichkeit in unserem Wagen zu schlafen, den dann Segelor steuerte.
    Auf unserer Reise passierten wir einige von Menschen bewohnte Gebiete. Aber auch Servatoren traf man dort an. Meistens waren sie schwer beschäftigt. Auf den Feldern und Weiden vor einer kleinen Siedlung hüteten sie das Vieh ihrer Herren und kümmerten sich um ihre Feldfrüchte. Menschen sah man nur selten unter den Arbeitenden. Ein Bauer hatte sogar einen Servator vor seinen Pflug gespannt und trieb ihn über seinen Acker, während er gemächlich hinter ihm her spazierte.
    „Sieh sich das einer an“, sagte Broccolus zu mir. „Die Menschen hier verlernen noch, für sich selbst zu sorgen. Ich glaube, dass viele von ihnen nicht mehr ohne ihre Sklaven zurechtkommen würden.“
    „Das werden sie aber bald müssen“, meinte Seckondflor. „Wenn wir mit Lycopersa fertig sind, wird es keine neuen Halterringe mehr geben und mit der Zeit werden wir die verbleibenden Sklaven befreien.“
    „Wie können die Menschen hier nur so etwas tun?“, fragte ich.
    „Für jemanden, der nicht von hier ist, scheint es unbegreiflich“, stimmte Broccolus zu, „aber für die Menschen, die hier Leben ist das völlig normal. Sie haben keine bösen Absichten. Sie tun nur das, was ihre Artgenossen auch tun, ohne sich Gedanken darüber zu machen. Die meisten von ihnen sind eben nur ungebildete Bauern.“
    „Die Sklaven der einfachen Bauern werden aber noch relativ gut behandelt“, erklärte Seckondflor. „Ein Bekannter von mir ist aus Lycopersas Eisenerzmine entkommen. Dort hatte er jeden Tag schuften müssen und hatte gerade nur genug zu essen bekommen, um nicht zu verhungern. Sein Nachtlager war eine kleine Zelle im dunklen Stollen gewesen, die er sich mit neun weiteren Sklaven hatte teilen müssen. Tageslicht hatte er so gut wie nie gesehen. Eines Tages gab es einen Aufstand der Sklaven, der gnadenlos von den Wächtern niedergeprügelt wurde. Doch in dem Chaos gelang es meinem Bekannten und zwei weiteren Servatoren, aus der Mine zu fliehen. Fast verhungert fand sie dann einer unserer Kundschafter einige Meilen von der Mine entfernt.“

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  • Als wir in die Siedlung kamen, war dort von Menschen und Servatoren nichts zu sehen. Die Straßen waren wie leer gefegt. Fenster und Türen waren verriegelt. Einige liegen gelassene Gegenstände, wie Körbe und Werkzeuge, verrieten aber, dass dieser Zustand noch nicht lange herrschte. Die Menschen waren offenbar vor den Kriegszug geflohen. Sie fürchteten wohl, dass es ihnen an den Kragen gehen sollte. Aber darauf würden sie noch etwas warten müssen. Jetzt war erst einmal Lycopersa an der Reihe.
    Am Morgen des vierten Tages erreichten wir eine hügelige Gegend. Vor einer größeren dieser natürlichen Beulen in der Landschaft hielt der Zug an. Präodor ließ hier das Hauptlager errichten. Demnach konnte es nicht mehr weit bis zu Lycopersas Festung sein. Die Schmiede bauten wir unter einem großen Zeltdach auf. Bis auf den Ofen. Den stellten wir davor. Wie von Seckondflor vorhergesagt bastelten einige Servatoren die zerlegten Belagerungswaffen wieder zusammen. Andere waren damit beschäftigt weitere Zelte für Lager und Unterkünfte zu errichten. Das Zelt der Magier wurde nicht weit von unserem aufgestellt. Corianda und Coccineo fanden die Gelegenheit, Broccolus und mich zu besuchen.
    „Ein nettes Plätzchen zum campieren“, scherzte Coccineo. „Der Grill wird auch schon aufgestellt.“
    Diese Bemerkung galt Ohvenror und Wentilator, die sich gerade am Schmiedeofen zu schaffen machten.
    „Nur leider fehlt das Bier“, meinte Broccolus.
    „Servatoren haben viele Talente, aber von der Braukunst verstehen sich nichts.“
    Beide lachten in Einigkeit.
    „Wo genau liegt jetzt eigentlich die Festung?“, fragte ich.
    Der Magier deutete auf den Hügel hinter dem Lager. „Von dort oben aus kann man sie sehen. Hinter dem Hügel befindet sich ein Stück Flachland, das an einen weiteren Hügel angrenzt. Auf diesem steht Lycopersas Domizil.“
    „Wie weit ist es bis dorthin?“
    „Ein paar hundert Meter werden es wohl sein.“
    „Gibt es schon einen Plan, wie die Schlacht ablaufen soll?“
    „Präodor hat uns gerade erst eingeweiht. Zunächst sollen wohl die Trebuchets auf dem Hügel aufgestellt und eingeschossen werden. Dann stürmt die erste Angriffswelle hinter Pfeilschutzwänden auf die Festung zu. Sie besteht zum größten Teil aus Bogenschützen, aber auch aus einigen Nahkämpfern, falls Lycopersa einen Ausfall in Erwägung ziehen sollte.“
    „Wahrscheinlich wird er aber die Angreifer von den Mauern aus unter Beschuss nehmen“, fügte Corianda hinzu.
    „Direkt hinter der ersten Welle folgen Belagerungswaffen für kürzere Strecken“, erzählte Coccineo weiter. „Mit ihnen können größere Geschosse gegen die Mauern geschleudert werden. Wenn die erste Welle das Gebiet gesichert hat, folgt die zweite Welle mit dem Hauptteil der Krieger. Darunter sollen auch einige Leiterträger sein, um die Mauer erklimmen zu können, falls sie länger als geplant den Geschossen standhalten sollten.“
    „Wird Lycopersa nicht versuchen, die Belagerungswaffen zu zerstören?“, fragte ich.
    „Davon geht Präodor aus. Er meint, dass Lycopersa früher oder später einen Ausfall wagen müsse. Für diesen Fall steht aber eine weitere Welle bereit, die von Süden her seitlich auf das Schlachtfeld treten soll. Es handelt sich dabei zum Teil um berittene Krieger, die wohl für einen Überraschungseffekt sorgen sollten. Wenn sie zwischen Vormittag und Nachmittag zum Einsatz kommen, haben sie sogar noch die Sonne im Rücken, was Lycopersas Leuten auf dem Feld den Kampf gegen sie erschweren könnte.“
    „Häuptling Präodor scheint ja an alles gedacht zu haben.“
    Coccineo nickte. „Er wird von seinen Beratern unterstützt.“
    „Eine Frage hätte ich da aber noch“, sagte Broccolus. „Was ist mit der Magie? Die Servatoren könnten sie doch einsetzen und Lycopersa wird sich sicherlich mit diesem Mittel verteidigen.“
    „Das ist alles mit einberechnet worden. Es werden wohl einige magische Geschosse während der Schlacht umherfliegen. Neben den Belagerungswaffen werden auch die servatorischen Energiekugeln gegen die Mauern eingesetzt werden. Aber es gibt tatsächlich noch ein Problem, dessen Tragweite weder Präodor mit seinen Beratern noch Corianda und ich vorhersagen können: Niemand weiß so richtig, wie mächtig Lycopersas magische Fähigkeiten sind.“
    Corianda stimmte zu. „Wenn es ihm bereits gelungen ist die magischen Wesenheiten der drei Welten zu kombinieren und sie sich zu Nutze zu machen, könnte die Schlacht unter Umständen sehr schnell vorbei sein.“
    „Aber auch seine konventionelle Magie könnte ein Problem sein“, erklärte Coccineo. „Er kennt bestimmt den einen oder anderen Schutzzauber, der uns das Eindringen in die Festung erschweren könnte.“
    „Aus diesem Grund werden Phaseolus und ich uns unter die erste Welle mischen, getarnt in Lederrüstungen. Wir müssen sehr schnell sehr viel über die gegnerische Magie herausfinden.“
    Mit besorgtem Gesichtsausdruck trat Corianda einen Schritt näher an uns heran. „Möglicherweise geht das Ganze nicht so aus, wie wir es geplant haben. Wenn Lycopersa auf dem Schlachtfeld siegen sollte, wird er anschließend dieses Lager überfallen. Haltet Euch bitte zwei fertig gesattelte Pferde bereit. Wenn sich eine Niederlage abzeichnet, lasst alles stehen und liegen, reitet zurück nach Nordeichenheim und warnt die Bewohner.“ Sie warf ihren Blick in Richtung Osten, wo sich knapp drei Tagesmärsche entfernt das Dorf befand. „Wenn Phaseolus und ich in der Schlacht fallen, gibt es niemanden mehr, der Lycopersa rechtzeitig aufhalten kann. Ihr müsst dann mit Alisa und Norbert aus dem Dorf verschwinden und irgendwo in Amoenor untertauchen.“

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  • Ich konnte die Sorgen der Magierin nachvollziehen. Als sie vor vielen Jahren nach Amoenor gekommen war, hatten Lycopersas Lakaien ihr die Möglichkeit genommen, wieder nach Hause zurückzukehren. In dieser Welt gefangen, verbrachte sie einen großen Teil ihres Lebens bei den Servatoren und half ihnen bei ihrem Kampf um die Freiheit. Als sie zwischenzeitlich die Möglichkeit erlangte, die Welt zu verlassen, entschied sie sich zu bleiben. Amoenor war ihre neue Heimat geworden. Es war im Grunde eine friedliche Welt. Der Grund für die Auseinandersetzungen zwischen Menschen und Servatoren war allein die Machtgier eines gewissen dunklen Magiers. Nun drohte dieser Magier sich die ganze Welt anzueignen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die vereinte Magie der drei Welten ihn unbezwingbar machen würde. Die bevorstehende Schlacht war die letzte Möglichkeit, ihn aufzuhalten.
    „Ich bin sicher, Ihr werdet einen Weg finden, Lycopersa zur Strecke zu bringen“, sagte ich.
    Corianda lächelte mich an. „Eure Zuversicht möchte ich haben.“
    „Es ist wahrscheinlich besser, wenn Ihr Euch Waffen geben lasst“, sagte Coccineo. „Wie heißt Euer Hordenführer?“
    „Seckondflor“, antwortete Broccolus, „aber der ist vorhin verschwunden.“
    Coccineo winkte einen Servatorenkrieger in einer bunt bemalten Lederrüstung herbei. „Wie ist Euer Name?“, fragt er ihn.
    „Elehwator“, kam die Antwort.
    „Wisst Ihr, wo sich Hordenführer Seckondflor aufhält?“
    „Ja, der ist gerade in einer Einsatzbesprechung.“
    „Elehwator, wärt Ihr so freundlich, diese beiden Menschen zu Seckondflor zu bringen? Er soll ihnen Waffen und Rüstungen geben.“
    „Kein Problem.“
    Für den Fall, dass wir sie vor der Schlacht nicht mehr sahen, verabschiedeten Broccolus und ich uns von den beiden Magiern und wünschten ihnen viel Erfolg. Dann folgten wir Elehwator zu einem olivgrünen Zelt, in dem wir neben einigen weiteren Hordenführern auch Sackondflor antrafen. Als wir ihn um die Aushändigung von Waffen und Rüstungen baten, schickte er uns mit Elehwator zum Zeugwart Armistor. Dieser händigte uns schließlich unsere Ausrüstung aus.
    Da uns zu schwere Rüstungen beim Schmieden nur behindert hätten, wählten Broccolus und ich eine leichte Lederrüstung. Als Waffe wählte Broccolus eine Armbrust. Dazu bekam er einen Gürtel mit Spannhaken, einen Köcher mit Bolzen und ein Falchion für mögliche Nahkämpfe.
    Ich fand im Waffenarsenal eines der Bastardschwerter wieder, die ich selbst geschmiedet hatte. Allein die Klinge war einen Meter lang. Die zugehörige Scheide, die an einem Gürtel befestigt war, reichte von meiner Hüfte hinunter bis zu meinen Stiefeln. Da ich das Schwert mit einer Hand führen konnte, hatte ich die zweite noch frei für einen Schild. Ich wählte einen eisenverstärkten Holzrundschild, den ich am Rücken meiner Rüstung befestigen konnte.
    Fertig ausgerüstet machten wir uns auf den Rückweg zur Schmiede. Dort sattelten wir die beiden Pferde die zuvor unseren Wagen gezogen hatten und banden sie an einem Holzpfahl neben der Schmiede an. Unsere Waffen befestigten wir an den Sätteln. Beim Schmieden wären sie nur hinderlich gewesen.
    Das Lager leerte sich allmählich. Die Krieger versammelten sich am Hang des Hügels. Da Broccolus und ich gerade nichts zu tun hatten, stellten wir uns dazu. Vier Trebuchets waren auf dem Hügelkamm aufgestellt worden. In regelmäßigen Abständen hoben sich ihre langen Wurfarme in die Luft und schleuderte schwere Steine davon. Ein Signalhorn ertönte, gefolgt von einigen weiteren. Auf diese Weise wurden Befehle schnell und effektiv übermittelt. Die Servatoren wussten genau, wie sie darauf reagieren mussten. Eine festgelegte Anzahl von ihnen begann in einer Linie über den Hügel zu stürmen. Vorneweg liefen die Krieger, die die Pfeilschutzwände schoben. In dem Getümmel konnte ich die beiden Magier erkennen. Sie steckten in Lederrüstungen und hatten Langbogen über ihren Rücken. Etwas weiter nördlich, wo der Hügel flacher war, wurden die Belagerungswaffen auf die andere Seite geschafft.
    Broccolus und ich stiegen ebenfalls den Hügel hinauf, blieben aber neben einem der Trebuchets stehen. Von hier oben hatte man einen guten Überblick über das baldige Schlachtfeld. Auf der gegenüberliegenden Seite stand Lycopersas Festung. Den Ausmaßen nach hätte es auch eine Stadt seine können. Hohe, sehr solide wirkende Mauern umgaben sie. Es würde einige Zeit dauern, sie zu durchbrechen.
    Neben mir vernahm ich das Knarren von Holz und das Surren, das ein langer schnell durch die Luft bewegter Gegenstand machte. Eine Steinkugel löste sich von dem Wurfarm des Trebuchets neben uns und flog im hohen Bogen Richtung Westen. Ich folgte ihr mit meinem Blick und sah, dass sie irgendwo in einem Waldstück rechts neben der Festung einschlug.
    Als ich mir das Trebuchet noch einmal ansah, stellte ich fest, dass es überhaupt nicht auf die Festung ausgerichtet war. Broccolus vermutete, dass man wohl zunächst nur Warnschüsse abgeben wollte oder dass man noch immer dabei war, die richtige Entfernung einzustellen.

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  • Hinter uns kam Elehwator den Hügel hinaufgeeilt.
    „Hier seid Ihr“, stellte er fest. „Armistor hat mir Fernrohre für euch gegeben, falls ihr das Geschehen beobachten wollt. Er sagte, wenn ihr sonst noch etwas braucht, sollt ihr einfach zu ihm gehen.“
    Dankend nahmen wir die Fernrohre entgegen und Elehwartor begab sich wieder den Hügel hinab.
    Sogleich hielt ich mir mein Fernrohr vor mein rechtes Auge und schaute hindurch. Die Krieger auf der Ebene hatten etwa einhundert Meter vor der Festung angehalten. Aus ihren Reihen trat ein Servator hervor, einen Pfahl mit einer weißen Flagge tragend. Dies war das Zeichen dafür, dass er verhandeln wollte. Seine Aufgabe war es Lycopersa ein Angebot für seine Kapitulation zu unterbreiten.
    Auf der Mauer über dem Haupttor der Festung erschien ein Mensch mit schwarzem Umhang. Er wechselte einige Worte mit dem Boten der Servatoren, der nun unter ihm am Tor stand. Dann, ohne Vorwarnung, schleuderte er eine weiß leuchtende Kugel auf den Servator hinab, der daraufhin leblos zusammensackte.
    Von überall her ertönten wieder die Signalhörner. Die Servatoren, die das Trebuchet neben uns bedienten, drehten dieses nun in eine neue Position. Mit dem bekannten Knarren und Surren erhob sich wieder eine Steinkugel in die Luft. Doch dieses Mal schlug sie irgendwo hinter den Mauern der Festung auf. Auch die anderen Trebuchets und die kleineren Katapulte unten auf der Ebene schleuderten ihre Geschosse nun auf die Festung.
    Obwohl die meisten dieser Geschosse die Mauer trafen, richteten sie an ihr keine nennenswerten Schäden an. Die Geschosse, die sich auf dem Weg über die Mauer befanden, prallten nun an einer unsichtbaren Wand ab und fielen hinunter, wo sie vor der Mauer liegen blieben. Nur gelegentlich kam der ein oder andere Stein hindurch.
    An der Brüstung waren einige Männer in dunklen Umhängen erschienen und warfen mit Kugelblitzen auf die Servatoren vor der Festung. Diese verschanzten sich hinter den Schutzwänden und schossen mit Pfeilen zurück, vereinzelt auch mit blauen Energiekugeln. Doch wie die Geschosse der Belagerungswaffen, richtete auch dies kaum Schaden an. Es dauerte eine ganze Weile, bis der erste Magier von einem Pfeil getroffen wurde. Aber das auch nur in den Arm. Die Energiekugeln kamen zwar durch die Schutzwand hindurch, waren aber so langsam, dass es den Magiern nicht schwer fiel, sich dagegen zu verteidigen.
    Die Ursache für die Schutzwand war schnell gefunden. Hinter der Mauer entdeckte ich einige Türme, auf denen je ein sich scheinbar schwer konzentrierender Magier stand. Sie mussten wohl diesen Schutzzauber aufrecht halten.
    Auch Coccineo hatte diese Magier offenbar entdeckt. Er stand etwas weiter hinten im Feld und hob beschwörend seine Arme. Plötzlich stand einer der dunklen Magier in Flammen. Er fuchtelte noch ein wenig panisch in der Luft herum, stolperte dann und fiel von seinem Turm herunter.
    Sein Zuständigkeitsbereich musste wohl ein Stück der Mauer in der Mitte gewesen sein. Die Geschosse der Belagerungswaffen, die diese Stelle trafen, richteten dort nun auch Schaden an. Für die Magier, die auf diesem Teil der Mauer standen, kam dies überraschend. Bevor sie reagieren konnten, wurde ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen, als die Mauer an der oberen Kante einbrach. Aber schon kurze Zeit später hatte ein anderer Magier den Platz auf dem Turm eingenommen und stopfte die Sicherheitslücke wieder. Coccineo versuchte auch ihn zu entzünden, aber scheinbar hatte er damit gerechnet und Vorkehrungen zur Verteidigung getroffen. Das Feuer blieb aus.
    Es ertönten wieder die Signalhörner. Dies war das Zeichen für die zweite Welle. Hinter uns stürmten die Krieger den Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Wie Coccineo gesagt hatte, hatten sie Leitern bei sich, mit denen sie die Mauer erklimmen konnten. Als sie die Pfeilschutzwände passiert hatten, sprinteten sie das letzte Stück zur Mauer. Nicht alle erreichten sie. Viele der Krieger fielen den Geschossen der Magier auf der Mauer zum Opfer.
    Plötzlich sah ich, dass Corianda ebenfalls zur Mauer rannte. Sie erzeugte einen magischen Schutzschild für einen Teil der Krieger, die bereits begannen, die Leitern aufzustellen.
    Dann kletterten die ersten von ihnen daran hoch. Doch oben angekommen mussten sie feststellen, dass der Schutzzauber der dunklen Magier sie am Überqueren der Brüstung hinderte. Die Magier auf dem Wehrgang konzentrierten sich nun auf diese neuen Angreifer. Coriandas Schutzzauber reichte nicht aus, um alle Servatoren auf den Leitern zu schützen. Viele von ihnen wurden getroffen und stürzten herunter.
    Am Boden diskutierte Corianda heftig mit einem Hordenführer. Offenbar lag dort wohl eine Meinungsverschiedenheit vor. Der Hordenführer schien nachzugeben. Er legte sein Signalhorn an und blies hinein. An anderen Mauerabschnitten wiederholten andere Hordenführer dieses Signal. Daraufhin kletterten alle auf den Leitern befindlichen Servatoren diese wieder herunter und entfernten sie zusammen mit ihren Kameraden wieder von der Mauer. Den Geschossen der dunklen Magier ausweichend zog sich die zweite Angriffswelle wieder hinter die Pfeilschutzwände zurück. Einige von ihnen, vor allem die Verletzten, setzten den Weg in Richtung Hauptlager fort. Viele mussten dabei gestützt oder getragen werden.
    Elehwator taucht wieder auf.
    „Es gibt Arbeit für Euch“, sagte er. „Es werden neue Pfeil- und Bolzenspitzen gebraucht.“
    „Kein Wunder bei dem Verbrauch“, meinte Broccolus.
    Ich warf einen letzten Blick durch das Fernrohr auf die Festung. Unter den Türmen entdeckte ich einen, der mir zuvor nicht aufgefallen war, obwohl er etwa in der Mitte der Festung stand. Er war höher und breiter als die anderen Türme und hatte sogar ein Spitzdach. Zwei Magier standen dort. Der eine war groß, hatte kurze schwarze Haare und ein vernarbtes Gesicht. Den anderen erkannte ich als Hannes wieder. Ich hätte sie gerne noch weiter beobachtet, aber Broccolus drängte mich, ihn zur Schmiede zu begleiten.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

  • Den Rest des Tages waren wir damit beschäftigt Munitionsnachschub herzustellen und gelegentlich die eine oder andere Waffe zu reparieren. Als es dunkel wurde kehrten die meisten der Krieger vom Schlachtfeld ins Lager zurück. Nur die Nachtwache blieb bei den Belagerungswaffen und behielt den Feind im Auge.
    Auch Corianda tauchte wieder im Lager auf.
    „Wie ist es gelaufen?“, fragte ich sie gleich als sie zur Schmiede kam.
    Sie wirkte nachdenklich und erschöpft. „Nicht so wie wir es geplant hatten“, sagte sie und setzte sich auf einen Hocker neben einem der Ambosse. „Lycopersas Magier sind sehr stark. Es scheint ihnen keine Mühe zu bereiten, die Geschosse unserer Belagerungswaffen aufzuhalten. Die zweite Angriffswelle mit den Leiterträgen blieb auch erfolglos. Nun will Präodor Lycopersas Leute aushungern lassen. Früher oder später gehen ihnen die Nahrungsvorräte aus. Dann müssen sie kapitulieren. Aber ich fürchte, dass die Zeit eher gegen uns arbeitet.“
    „Was werdet Ihr jetzt tun?“
    „Ehrlich gesagt, bin ich momentan ratlos. Wir werden wohl darauf hoffen müssen, dass Lycopersa kapituliert bevor er hinter das Rätsel der magischen Wesenheiten kommt. Wenn wir an den gelben Teleporterstein kommen würden, könnten wir Verstärkung aus Aliquandor kommen lassen, aber der müsste jetzt wohl in der Festung liegen. Der Detektor kann leider nur den blaugrünen Aufspüren.“
    Mir fiel meine Beobachtung vom Vormittag ein. „Ich habe Johannes Broth heute mit einem narbengesichtigen Magier auf einem der Türme gesehen“, berichtete ich. „Wenn er in der Festung ist, sind es die beiden Steine auch.“
    „Der mit den Narben ist Solanus Lycopersa. Es heißt, er habe sie einem missglückten Experiment zu verdanken.“
    „Das bedeutet immerhin, dass er verwundbar ist.“
    „Noch.“ Corianda erhob sich wieder von dem Hocker. „Ich werde mich dann mal wieder an die Arbeit machen. Vielleicht finde ich etwas gegen diese Schutzzauber.“
    Sie verabschiedete sich und ging zu ihrem Zelt. Da die meisten der Servatoren bereits ihre Nachtquartiere aufgesucht hatten, beschlossen Broccolus und ich, es ihnen gleich zu tun.
    Am nächsten Morgen wurde ich durch das Tröten der Signalhörner geweckt. Als ich aus dem Zelt trat, das ich mit Broccolus teilte, dämmerte es gerade erst, aber die Krieger waren schon alle auf den Beinen. Fertig ausgerüstet begaben sie sich über den Hügel zum Schlachtfeld. Nachdem ich mich gewaschen, meine Rüstung wieder angelegt und eilig etwas gegessen hatte, nahm ich mir mein Fernrohr und machte mich auf dem Weg zu der Stelle, von der aus ich auch am Vortag die Belagerung beobachtet hatte.
    An diesem Morgen war etwas anders. Auf dem Wehrgang der Mauer standen keine dunklen Magier mehr. Die Magier auf den Türmen waren aber anwesend und auch schon schwer damit beschäftigt die ersten anfliegenden Geschosse aufzuhalten. Der Turm, auf dem ich am Vortag Hannes und Lycopersa hatte stehen sehen, war ebenfalls leer. Die Servatorenkrieger, die vorher der ersten und zweiten Welle angehört hatten, hatten sich nun gemeinsam hinter den Pfeilschutzwänden versammelt. Da es aber nichts gab, was man bekämpfen konnte, standen sie einfach nur herum.
    Plötzlich bemerkte ich, wie hunderte dunkler Gestalten aus dem Waldstück nördlich der Festung strömten. Es waren Lycopersas Magier. Von der Seite her fielen sie auf das Schlachtfeld ein und überraschten die unvorbereiteten Servatoren mit ihren magischen Geschossen. Als diese zum Gegenangriff ansetzten, waren bereits viele von ihnen gefallen.
    Unten auf der Ebene tobte der Kampf, den Präodor vorausgesagt hatte, aber auf eine andere Weise als er geplant hatte. Er hatte angenommen, dass der Ausfall durch das Tor der Festung erfolgen würde. Sein Plan mit der dritten Welle, die mit der Sonne im Rücken angreifen sollte, war nun hinfällig, zumal die Sonne noch hinter dem Hügel stand. Dieser Teil der Streitmacht konnte jetzt nur noch einfach ins Feld ziehen und die dortigen Krieger unterstützen.
    Doch schon bald konnte ich feststellen, dass Präodor noch einen Trumpf im Ärmel hatte. Nachdem wieder einmal die Signalhörner ertönten, stürmte nur der nicht berittene Teil über den Hügel. Die Reiter ritten erst ein ganzes Stück nach Norden, von wo aus sie den Magiern in den Rücken fallen könnten. Bis dahin mussten die Kämpfer auf der Ebene aber noch eine Weile ohne sie auskommen.
    Auch Corianda und Coccineo wurden in Auseinandersetzungen mit Lycopersas Leuten verwickelt. Hier konnte ich sehen, wofür sie Wochenlang trainiert hatten. Sie stellten sich - gezwungenermaßen - einer Gruppe von sechs dunklen Magiern. Corianda erzeugte einen Schutzzauber, der die anfliegenden magischen Geschosse abfing. Egal ob Kugelblitze, Feuerbälle oder Eiszapfen, alles prallte wenige Meter vor ihnen gegen eine unsichtbare Wand. Bei sechs Angreifern wäre es nahezu unmöglich gewesen, all diesen Geschossen auszuweichen. Coccineo eröffnete unterdessen seinerseits das Feuer. Seine Feuerbälle waren deutlich größer geworden seit ich ihn das letzte Mal kämpfen gesehen hatte. Man hätte sie für brennende Wassermelonen halten können.

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  • Doch auch die dunklen Magier wussten, sich gegen solche Geschosse zu verteidigen. Mit einfachen Handbewegungen lenkten sie die Feuerbälle von ihren ursprünglichen Flugbahnen ab. Dabei kamen sie immer näher heran geschritten. Einem von ihnen gelang es, Coriandas Schutzschild an einer Stelle zu durchbrechen. Er ging einfach hindurch und näherte sich der Magierin.
    Diese bemerkte ihn noch rechtzeitig und ließ ihn mit einer unvorhersehbaren Handbewegung einige Meter davonfliegen. Ihren Schutzzauber musste sie während dieser Aktion jedoch unterbrechen, was es weiteren dunklen Magiern ermöglichte sich den Verteidigern zu nähern. Eine der Gestalten schleuderte einen ganzen Satz Eiszapfen auf sie. Corianda gelang es, die meisten von Coccineo und ihr fern zu halten. Einer schlug jedoch in den Brustpanzer ihrer Lederrüstung, woraufhin sie rücklings zu Boden fiel.
    Coccineo warf einen kurzen Blick auf seine verletzte Kollegin, dann ging mit entschlossenen Schritten auf den Verursacher zu und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Der Schlag reichte aus, um das Bewusstsein auszuschalten. Ich hätte nicht gedacht, dass der Erzmagier zu so etwas fähig war.
    Durch diese Aktion hatte er allerdings seine Deckung vernachlässigt und bekam nun ernsthafte Schwierigkeiten. In einer Linie kamen die anderen Magier auf ihn zu - auch der, den Corianda fortgeschleudert hatte - und warfen ihre Geschosse nach ihm. Eiszapfen waren aber nicht mehr darunter.
    Bis auf seine Ausweichbewegungen stellte Coccineo seine Kampfhandlungen ein und hob stattdessen die Arme als wolle er meditieren. Eine ganze Weile tat er nichts anderes. Die fünf dunklen Magier kamen ihm unterdessen bedrohlich nahe. Doch plötzlich streckte er beide Arme nach vorne und völlig überraschend standen die Angreifer in einem meterhohen Meer aus Flammen. Nach allen Seiten rannten sie davon, aber es gab kein Entkommen. Aus dem Feuer löste sich ein riesiges wurmartiges Gebilde, das nur aus Flammen bestand, und verfolgte die Flüchtigen. Nacheinander verbrannte es jeden von ihnen, bevor es sich wieder in das Flammenmeer zurück zog und sich mit ihm in Luft auflöste.
    Auch in diesem Fall, hätte ich nicht gedacht, dass Coccineo dazu fähig war. Der Erzmagier war einfach unschlagbar im Brände legen. Doch nach dieser Aktion wirkte er reichlich erschöpft. Scheinbar kostete dieser Zauber eine Menge Kraft. Sich mit den Händen auf seine Oberschenkel stützend stand der Feuerleger da und keuchte.
    Der Eiszapfen-Magier erwachte währenddessen aus seiner Bewusstlosigkeit. Er lag ein Stück hinter Coccineo, außerhalb seines Sichtbereichs. Er erhob sich langsam und rieb sich sein Gesicht. Dann entdeckte er den Verursacher seiner Schmerzen. Ein fieses Grinsen lag auf seinem Gesicht als er seine Arme hob.
    Doch sein Angriff blieb aus. Eine fußballgroße weißleuchtende Kugel mit einer Oberfläche aus unzähligen umhertanzenden Blitzbögen näherte sich von hinten und traf seinen Rücken. Die Blitzbögen ragten nun überall aus dem Körper des Magiers. Er fiel zu Boden und zappelte noch ein wenig bevor er leblos liegen blieb.
    Corianda machte einen großen Schritt über ihn hinweg und ging zu ihrem Kollegen. Sie baute wieder ihren Schildzauber auf, um ihn und sich vor weiteren Angreifern zu schützen. Dann drehten sie sich beide um und zogen sich ein Stück weit in die Reihen der kämpfenden Servatoren zurück.
    Als die Reiter endlich auf dem Schlachtfeld eintrafen, waren schon viele der Krieger Lycopersas Leuten zum Opfer gefallen und etwa die Hälfte der Belagerungswaffen war zerstört worden. Die Verluste der Magier waren hingegen überschaubar.
    Aber der Einsatz der Reiter wendete das Blatt. Sie waren schneller als die Fußsoldaten und mussten sich daher mit weniger der feindlichen Geschosse auseinandersetzen, bevor sie die Magier in Nahkämpfe verwickeln konnten. Gleichzeitig minderte der Angriff der Reiter die Attacken gegen die Fußsoldaten, die nun ebenfalls häufiger in den Nahkampf kamen. Von Nahkampf verstanden die dunklen Magier nicht viel. Gezwungen, an zwei Fronten zu kämpfen, zogen sie sich zurück, wobei den meisten von ihnen der Weg zurück in den Wald versperrt war und sie zum Tor der Festung laufen mussten.
    Mit meinem Fernrohr verfolgte ich die Magier, die in Richtung Wald liefen. Es musste einen guten Grund für sie geben, diesen Weg einzuschlagen. Der Wald barg ein Geheimnis und ich hatte das Gefühl, dass es uns noch von großem Nutzen sein würde. Jemand müsste ihnen folgen. Da man eine derartige Nachricht vermutlich nicht mit den Signalhörnern übermitteln konnte, blieb diese Aufgabe wohl an mir hängen. Zumindest musste ich dort hinunter und einen unserer Magier informieren.
    Schnell rannte ich zurück ins Lager. Angebunden an einem Pfahl neben der Schmiede standen die beiden schwarzen Zugpferde, die Broccolus und mich im Falle einer Niederlage zurück in das Servatorendorf bringen sollten. Ich hob Schwert und Schild auf, die neben dem Pfahl lagen, und legte sie eilig an. Als ich gerade eines der Pferde losband, tauchte Broccolus auf.
    „Was hast du vor? Verlieren wir die Schlacht?“, fragte er aufgebracht.
    „Nein“, beruhigte ich ihn, „aber ich muss herausfinden, was Lycopersas Leute in dem Wald machen.“
    „Du willst auf das Schlachtfeld reiten? Du musst lebensmüde sein.“ Er sah mich einen Moment an. „Okay, ich komme mit.“

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  • Bevor ich noch etwas sagen konnte, saß er fertig ausgerüstet auf dem zweiten Pferd. Gemeinsam ritten wir den Hügel hinauf und auf der anderen Seite hinab auf das Schlachtfeld. Von Lycopersas Magiern war dort nichts mehr zu sehen. Sie standen wieder auf dem Wehrgang der Festungsmauer. Die Servatorenkrieger hatten sich wieder hinter den Pfeilschutzwänden versammelt.
    Broccolus und ich ritten an ihnen vorbei direkt in den Wald neben der Burg. Auch hier gab es keine Spur von den Magiern. Eine ganze Weile durchkämmten wir das Gehölz, bis Broccolus mich auf Stimmen aufmerksam machte, die er gehört hatte. Wir hielten die Pferde an und lauschten in den Wald. Dann hörte ich sie auch. Zwei Stimmen, die offenbar ein Gespräch führten.
    Wir stiegen von den Pferden und banden sie an einen Ast. Vorsichtig schlichen wir den Stimmen entgegen. Broccolus nahm seine Armbrust vom Rücken, die er bereits im Lager gespannt hatte, und legte einen Bolzen ein. Die Stimmen wurden immer lauter, je näher wir ihnen kamen. Mit jedem Schritt wurde der Wald vor uns heller, bis wir den Rand einer Lichtung erreichten. Wir versteckten uns möglichst geräuscharm hinter einem Busch und schauten unauffällig durch das Blätterwerk.
    Zwei von Lycopersas Leuten standen auf der Lichtung, beide in den üblichen schwarzen Umhängen. Neben ihnen stand ein hölzernes Klohäuschen mit einem herzförmigen Loch in der Tür.
    „Wie funktioniert das denn jetzt?“, fragte der eine.
    „Es ist ganz einfach, Karl“, sagte der andere. „Siehst du das Rad dort neben der Hütte?“
    „Ja.“
    „Damit stellst du die Kombination ein.“
    „Welche Kombination?“
    „Die Zahlenkombination, die der Meister uns gegeben hat, natürlich.“
    „Und was machst du?“
    „Ich muss währenddessen den Schalter unter dem Dach der Hütte drücken, damit du das Rad überhaupt drehen kannst.“
    „Und dann geht die Klotür auf?“
    „Nein!“ Karls Gesprächspartner raufte sich die Haare, als hätte er diese Dinge bereits mehrfach erklären müssen. „Dann öffnet sich die Geheimtür in der Hütte.“
    „Aber wie öffnen wir dann die Klotür, Fred?“
    Fred verdrehte die Augen, packte den Knauf der Tür und öffnete sie einfach.
    „Achso“, sagte Karl und warf einen Blick in die Hütte. „Da ist aber keine Geheimtür, Fred.“
    Fred stöhnte auf und schlug sich mehrfach mit der flachen Hand an die Stirn. Dann atmete er tief durch und erklärte ruhig: „Sieh mal Karl, eine Geheimtür ist, wie der Name sagt, geheim. Natürlich kann man sie nicht einfach so sehen. Wie du dich vielleicht erinnerst - was ich jedoch stark bezweifle - sind wir vorhin durch diese Geheimtür hierhergekommen.“
    „Achso, du meinst die Falltür im Boden.“
    „Genau.“ Fred lächelte als würde mit einem Idioten reden und klopfte seinem Kollegen freundschaftlich auf die Schulter. „Du gehst jetzt also zu dem Rad und stellst die Kombination ein, während ich den Schalter drücke. Dann klettern wir beide in das Loch unter der Falltür um in den unterirdischen Gang zu gelangen, der zur Festung führt. Alles verstanden?“
    „Ich denke schon.“
    „Gut.“
    So begab Karl sich zu dem Rad neben der Hütte und Fred stellte sich hinein. Die Tür fiel wieder zu, aber man konnte Fred noch deutlich hören.
    „So, ich drücke den Schalter“, sagte er. „Du kannst jetzt die Kombination einstellen.“
    Doch Karl stand nur herum und kratzte sich am Kopf. „Wie war die Kombination nochmal?“
    „Muss man dir denn alles fünfmal sagen?“, fragte Fred reichlich genervt. „Zwei nach rechts, drei nach links und wieder eins nach rechts.“
    Karl fummelte an dem Rad herum. „Da tut sich nichts.“
    „Du weißt aber schon, wo rechts und wo links ist?“
    Ein Schimmer der Erkenntnis erschien auf Karls Gesicht, bevor er sich wieder dem Rad zuwandte.
    „Hast du mich gehört, Karl?“, fragte Fred.
    Aber Karl war zu beschäftigt zum antworten.
    „Bist du überhaupt noch da?“, fragte sein Kollege weiter. „Muss ich denn erst rauskommen und es dir aufmalen? Du bist wirklich zu nichts zu gebraaaaa...“
    Die Stimme wurde immer leiser.
    Eilig stürmte Karl zur Klotür und klopfte vorsichtig dagegen.
    Zwei weitere Magier kamen aus dem Wald auf die Lichtung getreten. Karl schenkte ihnen keine Beachtung.
    „Fred?“, fragte er, sein Ohr an die Tür gelegt.
    Aus dem Inneren kam nur ein leises stöhnen.
    „Fred? Drückst du noch?“
    „Nein, das Loch ist offen“, jammerte die Stimme.
    Die beiden hinzugekommenen Magier verfolgten das Gespräch mit leicht irritierten Gesichtern.
    „Geht es dir gut?“, fragte Karl weiter.
    „Diese Schmerzen.“
    „Was ist passiert?“
    „Ich glaube, ich habe mir den Rücken verrenkt.“
    „Warte, ich komme rein und helfe dir.“
    Neben mir biss sich Broccolus in die Hand, um nicht laut lachen zu müssen.
    „Wir wollen ja nicht drängen“, sagte einer der anderen Magier grinsend, „aber wenn ihr dann fertig seid, würden wir gerne die Falltür öffnen.“
    Broccolus und ich beschlossen, dass es Zeit war, Corianda und Coccineo von unserer Entdeckung zu berichten. Leise schlichen wir zurück zu unseren Pferden und ritten aus dem Wald hinaus.

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  • Buch 4 - Die Macht der drei Welten

    Als Broccolus und ich auf das Schlachtfeld ritten, schossen die Servatoren noch immer Pfeile, Bolzen und Gesteinsbrocken auf die Festung. Offenbar setzten sie darauf, dass die Magier auf den Türmen irgendwann ermüden würden.
    Hinter einer der Pfeilschutzwände entdeckten wir Corianda und Coccineo. Sie waren gerade in ein Gespräch mit fünf Servatoren vertieft. Zwei von ihnen erkannte ich sofort. Es waren Kunibert und Elehwator.
    Ein weiterer musste allem Anschein nach Präodor sein. Er war mit einer metallenen goldverzierten Generalsrüstung bekleidet, während die anderen drei Servatoren - wie auch die beiden Magier - nur die üblichen Lederrüstungen trugen. An seiner Hüfte trug er ein edles Breitschwert, an dessen Fertigung ich mich nicht erinnern konnte. Es musste wohl aus einer anderen Schmiede stammen. Sein Gesicht strahlte Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit aus. Vermutlich war es nicht so einfach, ihn zum Lachen zu bringen.
    „Was macht Ihr denn hier?“, rief Corianda als wir auf die Gruppe zuritten.
    Wir stoppten die Pferde wenige Meter vor ihr.
    „Wir haben da etwas im Wald gefunden, das möglicherweise den Ausgang dieser Schlacht beeinflussen kann“, berichtete ich.
    „Das wäre?“, fragte der Servator mit der metallenen Rüstung interessiert.
    „Ein geheimer Zugang zu der Festung. Ich vermute, dass dort die Magier hergekommen sind, die heute in den frühen Morgenstunden angegriffen hatten.“
    „Das klingt interessant.“
    „Meister Präodor“, sprach ihn einer der Servatoren an, „wir sollten vielleicht eine Truppe zusammenstellen und diesen Zugang untersuchen.“
    „Das werden wir tun, Alhigator. Aber die Gruppe darf nicht zu groß sein, damit sie nicht auffällt. Du, Elehwator und Djuälcor werdet die beiden Menschen begleiten.“
    „Phaseolus und ich werden auch mitgehen“, sagte Corianda.
    „Das wollte ich gerade vorschlagen. Ihr wisst wohl am ehesten, was Euch in der Festung erwartet. Daher werdet Ihr das Kommando übernehmen.“
    „Ich gehe auch mit“, sagte Kunibert.
    „Gut, aber das sollte dann reichen. Wenn der Zugang Euch wirklich in die Festung führt, schaltet Ihr die Magier auf den Türmen aus und versucht das Tor zu öffnen, sofern sich die Möglichkeit bietet. Sollte Euch zufällig Lycopersa über den Weg laufen, kümmert Ihr Euch zuerst um ihn.“
    „Selbstverständlich“, stimmte Corianda zu. „Sein Fall ist ja unser Ziel in diesem Krieg.“
    „Meister Coccineo wird den ganzen Laden in Brand setzen“, sagte ich. „So, wie Lycopersas Leute vorhin.“
    Doch dieser schüttelte den Kopf. „So ein großer Zauber kostet eine Menge magische Kraft. Es wird Tage dauern bis ich ihn wieder ausführen kann. Eigentlich wollten Corianda und ich uns unsere Kraft für Lycopersa aufheben, aber es gab vorhin keine andere Möglichkeit mehr, uns zu verteidigen. Ich hoffe, dass Corianda weiter kommt als ich.“
    „Wenn Ihr es nicht schafft, das Tor zu öffnen, müssen wir wohl einen offenen Angriff über den Zugang im Wald wagen“, meinte Präodor. „Solange aber nicht geklärt ist, ob der Zugang wirklich in die Festung führt, können wir nicht von der Belagerung abrücken.“
    „Wir werden sehen, was wir tun können“, sagte Corianda.
    Die beiden Magier und die vier Servatoren kamen zu Broccolus und mir herüber. Ich stellte fest, dass sie sich waffentechnisch optimal ergänzten. Kunibert war mit Pfeil und Bogen bewaffnet, Alhigator mit einem Morgenstern. Elehwator trug eine schwere zweischneidige Streitaxt und Djuälcor zwei einhändige Schwerter. Die Magier hatten ihre Magie, dennoch trugen beide einen Dolch an ihrem Gürtel.
    Gemeinsam brachen wir auf. Broccolus und ich ritten voraus, während die Magier mit den Servatoren an den Händen im gleichen Tempo folgten. Kurz vor der Lichtung ließen wir die Pferde zurück und bewegten uns leise zu Fuß weiter.
    Die Lichtung war verlassen. Die dunklen Magier mussten schon durch die Falltür verschwunden sein. Corianda formte eine durchsichtige Kugel in ihren Händen, die kurz nach ihrer Entstehung geräuschlos zerplatzte. Dann horchte die Magierin einen Moment lang in den Wald hinein, während wir anderen sie interessiert beobachteten.
    „Es ist niemand in der Nähe“, sagte sie in normaler Gesprächslautstärke und stieg aus dem Gebüsch auf die Lichtung. Wir folgten ihr gutgläubig.
    „Dieser Donnerbalken soll der geheime Zugang sein?“, fragte Coccineo. „Sagt mir, dass wir jetzt nicht in die Grube klettern müssen.“
    „Ich glaube nicht“, beruhigte ich ihn. „So wie ich das verstanden habe, befindet sich der Zugang vor der Schüssel. Selbst wenn doch: ein Klo im Wald wird wohl eher selten besucht.“
    „Außer den Festungsbewohnern weiß vermutlich niemand von diesem stillen Örtchen“, stimmte Broccolus zu. „aber die werden ja wohl kaum ihren eigenen Geheimgang vollkacken.“
    „Lasst es uns herausfinden.“

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  • Broccolus ging hinüber zu dem Rad neben der Hütte, mit dem die Kombination eingestellt wurde, während ich die Tür der Hütte öffnete. Die Falltür im Boden war verschlossen. Anders als Fred, blieb ich vor dem Häuschen stehen und streckte meinen Arm durch die Tür, um den Schalter unter dem Dach zu drücken. Auch Broccolus stellte sich etwas geschickter an als Karl. Nach wenigen Sekunden hatten wir die Falltür geöffnet. Sie schwang nach unten auf und schlug polternd gegen die Seitenwand des darunter befindlichen vertikalen Tunnels. Eine Leiter führte drei Meter tief in einen schwach beleuchteten Gang. Von Exkrementen gab es keine Spur.
    Nacheinander kletterten wir alle die Leiter hinunter und folgten dem langen mit Fackeln ausgestatteten Gang, in dem wir gerade so aufrecht stehen konnten. Corianda ging voraus. Alle paar Meter prüfte sie mit ihrer durchsichtigen Kugel, ob unerfreulicher Gegenverkehr zu erwarten war.
    Nach einer Weile kamen wir zu einer eisernen Tür. Sie war verschlossen, aber Corianda legte nur ihre Hand an das Schlüsselloch und flüsterte ein paar unverständliche Worte, woraufhin sich die Tür problemlos öffnen ließ.
    „Bei so einer wichtigen Tür hätte ich eigentlich ein komplizierteres Schloss erwartet“, meinte sie.
    „Lycopersa hat wohl nicht damit gerechnet, dass jemand hinter das Geheimnis des Klohäuschens kommt“, sagte Broccolus.
    Langsam öffnete die Magierin die Tür, während die Servatoren, Broccolus und ich unsere Waffen zogen. Der Raum hinter der Tür war klein und leer. Eine steinerne Treppe führte ein Stockwerk nach oben und endete vor einer weiteren Tür. Auch sie war schnell geöffnet.
    Dahinter lag eine große runde Halle mit breiten Steinsäulen am Rand, die bis zur der gut zehn Meter hohen Decke reichten. Durch die hohen kunstvollen Buntglasfenster fiel das Tageslicht in den Raum und zeichnete farbige Muster auf den Steinboden. In der Wand links von uns befand sich eine geschlossen Holztür, rechts ein großes offenstehendes Tor, durch das man aus dem Gebäude hinaus auf einen staubigen Platz sehen konnte.
    „Wir sollten erst einmal versuchen, die Magier von den Türmen zu bekommen“, schlug Alhigator vor. „Dann könnten wir versuchen das Haupttor der Festung zu öffnen.“
    „Wir sollten aber nicht vergessen, dass wir wegen Lycopersa hier sind“, erinnerte Corianda. „Wenn wir jetzt dort hinausgehen und kämpfen verspielen wir unseren Vorteil der Überraschung für seine Lakaien.“
    „Andererseits könnte es auch von Vorteil sein, ein paar Schwerter mehr an unserer Seite zu haben, wenn wir gegen ihn antreten“, gab Coccineo zu bedenken.
    Corianda überlegte einen Moment. „Gut, lasst uns erst die Magier von den Türmen beseitigen.“ Sie wandte sich an Broccolus und mich. „Ihr beide wartet hier. Oder besser noch: geht zurück in den Wald. Dort ist es sicherer.“
    „Wir können helfen“, protestierte ich.
    „Ihr habt uns schon sehr geholfen. Ohne Euch wären wir jetzt nicht in der Festung.“
    „Aber...“
    „Es ist besser für Euch.“ Sie war freundlich, aber bestimmt. Ich sah ein, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde.
    Broccolus packte mich am Arm. „Lass uns gehen.“
    Wir wünschten den Anderen viel Glück und machten uns auf den Weg zurück in den Kellerraum. Doch in den unterirdischen Gang kamen wir nicht. Die Eisentür war wieder ins Schloss gefallen und dummerweise hatte sie von dieser Seite keine Türklinke, nur einen Knauf.
    „Wir brauchen wohl nochmal den magischen Schlüsseldienst“, meinte Broccolus. Aber als wir wieder in die Halle gingen waren die Anderen bereits verschwunden.
    „Was jetzt?“, fragte ich.
    Broccolus zuckte ratlos die Schultern. „Wir werden wohl in dem Kellerraum ausharren müssen.“
    So setzten wir uns auf die Treppe und warteten. Die Tür zur Halle ließen wir einen Spalt geöffnet, um sehen zu können, ob jemand kam.
    Es verging eine halbe Stunde, ohne dass etwas geschah. Doch dann hörten wir Stimmen. Einige Gestalten kamen eilig durch das Tor gelaufen. Es waren unsere Magier und die Servatoren. Sie wirkten aufgeregt. Alhigator gab seinen Kameraden Handzeichen, woraufhin sie sich zu beiden Seiten neben dem Tor postierten. Die beiden Magier und er stellten sich weiter in die Raummitte.
    Acht weitere Gestalten kamen in den Raum gelaufen. Scheinbar waren sie der Grund der Aufregung. Bevor sie die Servatoren am Tor bemerkten, waren sie auch schon an ihnen vorbeigelaufen. Ich begriff, dass dies ein Hinterhalt war. Den acht dunklen Magiern schien dies auch langsam zu dämmern, aber zu spät. Schon stürzten sich die Servatoren von allen Seiten auf sie. Der Kampf dauerte nicht einmal eine Minute.
    Die siegreichen Kämpfer kamen auf die Kellertür zu, Corianda voran. Als sie die Tür aufzog, stieß sie gleich auf Broccolus und mich.
    „Was macht Ihr denn noch hier?“, fragte sie überrascht.
    „Die Tür geht nicht mehr auf“, antwortete Broccolus.
    „Was ist passiert?“, wollte ich wissen. „Ist das Tor der Festung offen?“
    „Nein“, sagte Corianda. „Wir haben alle Magier auf den Türmen ausgeschaltet, aber der Schutzzauber ist nicht verschwunden. Auch das Torhaus wird durch so einen Zauber geschützt. Wir müssen zurück und mehr Krieger durch den Geheimgang holen.“
    „Und ich würde vorschlagen, dass wir uns ein wenig beeilen“, meinte Alhigator. „Die Magier wissen jetzt, dass wir hier sind. Sie werden bald darauf kommen, wie wir in die Festung gelangt sind.“
    Wir gingen zu der Eisentür im Keller und Corianda kümmerte sich ein weiteres Mal das Schloss. Als sie die Tür aufzog stand plötzlich eine Gestalt im schwarzen Umhang vor uns. Diejenigen von uns, die der Tür am nächsten standen, machten einen erschrockenen Schritt zurück.

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  • Die Gestalt trat in den Raum. Es war Solanus Lycopersa.
    „Ihr wollt schon gehen?“, fragte er. „Das wäre aber schade. Die Party hat doch gerade erst begonnen.“
    Er sah uns alle der Reihe nach an. Neben den vielen Narben in seinem Gesicht, fielen mir vor allem seine kleinen stechenden Augen auf. Mit seinen finsteren, groben Gesichtszügen und seiner überdurchschnittlichen Körpergröße machte er einen sehr furchteinflößenden Gesamteindruck. Um seinen Hals trug er eine Kette mit einem geschliffenen roten Edelstein - oder Glaskristall.
    „Corianda Sativis“, sagte er, als sein Blick auf die Magierin fiel. „Wollt Ihr Euch etwa den blaugrünen Stein holen? Glaubt Ihr, dass Ihr erfolgreicher sein werdet als Eurer Wolf oder Eure Dienerschaft?“
    „Meine Dienerschaft?“, fragte Corianda.
    „Euer Dienstmädchen, das hier aufgetaucht ist und den Stein mitgenommen hat kurz nachdem wir ihn von Euch zurückgeholt hatten. Sie ist nicht weit gekommen. Wenige Tage später haben wir sie und ihren Gatten aufgespürt. Dummerweise haben wir erst nach ihrem Tod festgestellt, dass sie den Stein nicht mehr bei sich hatten.“
    „Ihr habt Giselle und Horst getötet?“, fragte Broccolus.
    „Giselle und Horst, das waren ihre Namen“, erinnerte sich Lycopersa. „Tja, hätten sie sich mal besser nicht an meinem Eigentum vergriffen.“
    Broccolus wirkte recht ungehalten über diese Information.
    „Der blaugrüne Stein ist nicht Euer Eigentum“, sagte Corianda, bevor er etwas sagen konnte.
    „Ich hatte zwei Jahre lang an Teleportationsmöglichkeiten in andere Welten geforscht. Dieser Stein ist das Ergebnis dieser Arbeit. Wie kommt Ihr dazu, in Frage zu stellen, dass er mein Eigentum ist?“
    „Weil er das Gegenstück zu meinem Stein ist.“
    „Ihr habt auch so einen Stein entwickelt? Hochinteressant. Dann könnte man Euren Stein also auch als Gegenstück zu meinem bezeichnen.“
    Ein Schimmer der Erkenntnis legte sich auf Coriandas Gesicht. Offenbar hatten die beiden Magier ihre Steine etwa zur gleichen Zeit entwickelt, woraufhin sie sich mehr oder weniger unbeabsichtigt miteinander verbunden hatten. Lycopersas Stein könnte möglicherweise auch der Grund dafür sein, dass Coriandas Stein nicht das geworden ist, was er eigentlich hatte werden sollen: ein einfacher Düngemittelersatz.
    „Wärt Ihr denn nun so freundlich, die Tür freizugeben?“, fragte Coccineo. „Eure Party, wie Ihr es nennt, ist nicht so ganz das, was ich mir unter diesem Wort vorstelle.“
    „Es ist bedauerlich, zu hören, dass meine Anstrengungen Euren Erwartungen nicht genügen“, meinte Lycopersa. „Aber sagt mir, auf welche Tür bezog sich Eure Anfrage?“
    Grinsend machte er einen Schritt zur Seite und fuhr mit der offenen Handfläche über die Wand hinter sich. Daraufhin fiel die Tür ins Schloss und fing an, eigenartig zu flimmern. Ihre Konturen verschwammen, das Eisen nahm immer mehr die Gestalt des umliegenden Mauerwerks an bis es davon nicht mehr zu unterscheiden war. Die Tür war verschwunden.
    „Darf ich die Herrschaften nun bitten, mich nach oben zu begleiten?“, sagte er immer noch grinsend. „Die anderen Gäste warten.“ Von einem Moment auf den anderen stand er plötzlich oben in der Kellertür. „Ihr könnt natürlich auch gerne dort unten verweilen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Mauersteine beißen.“
    „Der hat doch wohl ‘ne Delle im Helm“, meinte Broccolus kopfschüttelnd.
    Doch dann mussten wir feststellen, dass einige der Mauersteine sich aus den Wänden lösten und auf uns zu hüpften. Auf einer Seite war ihnen ein Maul mit messerscharfen Zähnen gewachsen.
    Wir beschlossen, dass es besser war, den Keller zu verlassen.
    Oben in der Halle begegneten wir dann auch den anderen Gästen, die unser freundlicher Gastgeber erwähnt hatte. Zwölf Servatoren standen dort nebeneinander in einer Reihe und versperrten den Weg zum Tor. Sie waren mit schwarzen Gewändern bekleidet und trugen glänzende Schwerter an ihren Hüften. Ihre Gesichter waren ausdruckslos. Keiner von ihnen bewegte sich. Sie sahen nicht einmal zu uns, als wir den Raum betraten. Vor der kleinen Tür links von uns sah ich ein bekanntes Gesicht. Hannes stand dort und grinste überlegen.
    Lycopersa schloss die Kellertür hinter uns und streckte seine Arme zum Hallendach. Über Hannes erschien eine große schwarze Fläche.
    „Ich nehme an, die Magier unter Euch sind mit den magischen Wesenheiten der Welten vertraut“, sagte Lycopersa. „Wisst Ihr denn auch, was passiert, wenn man Teile der Signaturen mehrerer Welten extrahiert und in einem Medium vereint?“ Er wedelte mit dem Stein seiner Halskette. „Bis vor Kurzem kannte ich nur zwei Welten, aber dann brachte mir Hannes den gelben Stein. Die Macht der drei Welten steckt nun in diesem unscheinbaren Glaskristall. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was man damit alles anstellen kann. Ein simples Fingerschnippen genügt, um eine ganze Festung vor schweren Geschossen zu schützen. Ich kann die Welt im Alleingang erobern, oder vielleicht auch alle drei. Nichts kann sich mir in den Weg stellen.“ Er lachte finster. „Ursprünglich sollten mir die Servatorensklaven dies ermöglichen. Seit Jahrzehnten verteilen die gutgläubigen Bauern schon die Halterringe unter den Servatoren. Sie glauben, dass sie ihre Sklaven ihnen dienen, doch tatsächlich erweitern sie nur meine Armee. Nun aber brauche ich die Servatoren nicht mehr. Sie sind nur noch ein Schandfleck in meinem neuen Reich, den man schnellstmöglich entfernen muss. Ich werde gleich mit Euren Freunden vor der Festung beginnen.“ Er deute auf die schwarze Fläche. „Dort könnt Ihr beobachten, wie ich sie meine neu gewonnene Macht spüren lasse. Während ich oben auf dem Turm bin, werden Hannes und die Servatoren sicherstellen, dass Ihr inzwischen keine Dummheiten macht.“
    Er ging auf die Tür hinter Hannes zu, blieb dann aber wieder stehen. „Da wäre ich doch beinahe zu Fuß gegangen.“ Dann hatte er sich plötzlich in Luft aufgelöst.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

  • Die Fläche über Hannes wandelte sich zu einem Bild. Man sah die Außenwelt, offenbar von dem genannten Turm der Festung aus. Draußen vor der Mauer stand die Servatorenstreitmacht aus Nordeichenheim und wartete darauf, dass Lycopersa wegen Lebensmittelknappheit kapitulieren musste. Eine Hand kam von unten ins Bild und wurde nach vorne gerichtet. Völlig unvermittelt explodierte ein Katapult der Servatoren. Holzteile in allen Größen flogen umher und regneten auf die umstehenden Krieger nieder. Die Hand zeigte auf ein weiteres Katapult, das kurz darauf das gleiche Schicksal erlitt. Nacheinander zerstörte Lycopersa sämtliche Belagerungswaffen, auch die Trebuchets ganz weit hinten auf dem Hügel vor dem Lager der Servatoren.
    Dann wurde der Himmel dunkel. Schwarze Wolken drängten sich ins Bild und schienen die Sonne zu verschlucken. An den Pflanzen in der Umgebung konnte man erkennen, dass die Windstärke zunahm. In den Wolken zuckten in unregelmäßigen Abständen Blitze, deren begleitender Donner deutlich in Lycopersas Halle zu hören war.
    Die Wolken am Himmel begannen, sich um einen Punkt in ihrer Mitte zu drehen und die Servatoren auf dem Feld wurden noch unruhiger als sie es ohnehin schon waren. Einige der Krieger suchten hinter den Pfeilschutzwänden Schutz, doch der Wind war inzwischen so stark, dass keines dieser Holzgestelle stehen blieb. Wie Spielzeuge kippten sie um oder wurden fortgeschoben. Sie festzuhalten war unmöglich, wie eine kleine Gruppe von Kriegern demonstrierte. Ihnen wurde die Pfeilschutzwand, an die sie sich klammerten, einfach aus den Händen gerissen. Einer von ihnen hielt sich noch immer daran fest und wurde mit ihr davon geweht.
    Im Zentrum des Wolkenwirbels bildete sich eine deutliche Wölbung. Eine unsichtbare Kraft dehnte sie immer weiter nach unten, bis sie schließlich den Boden berührte. Wie ein riesiger grauer Rüssel hing die Windhose vom Himmel herab und tanzte durch die Reihen der Servatoren. Sand wirbelte auf und drehte sich in hoch aufragenden Wolken um das Zentrum der Windhose. Es folgten entwurzelte Pflanzen und Trümmerteile der zerstörten Belagerungswaffen. Die Kraft des Sturms nahm stetig zu und reichte für immer schwerere Gegenstände. Bald waren auch schon die ersten Servatoren darunter.
    Der graue Rüssel wuchs zu einem breiten schwarzen Ungetüm heran, das nichts mehr stehen ließ, was ihm zu nahe kam. Die Servatoren, die noch in der Lage dazu waren, flohen von dem Schlachtfeld und rannten in Richtung Lager. Doch die meisten von ihnen erreichten nicht einmal den Hügel. Aus den Wolken schlugen Blitze auf die Flüchtigen herab und dezimierten sie erheblich.
    „Wir müssen das beenden“, sagte Corianda entschieden.
    Hannes hatte sie gehört. „Das liegt wohl kaum in Eurer Macht.“
    „Werden wir sehen.“
    Die Magierin riss ihre Arme in die Höhe, woraufhin ein greller Lichtblitz den Raum erhellte. Ich kniff reflexartig die Augen zu, aber zu spät, um nicht geblendet zu werden. Als ich sie wieder öffnete, sah ich nichts als bunte Flecken. Ich hörte die Geräusche hastiger Schritte, konnte sie aber nicht ihren Verursachern zuordnen. Aus der Überlegung heraus, dass jemand in dieser Situation von einer Waffe Gebrauch machen könnte, eilte ich in geduckter Haltung in die Richtung, in der ich eine der Steinsäulen vermutete. Auf halbem Wege stieß ich mit jemand zusammen.
    „Hanswalter?“, sagte diese Person mit der Stimme von Broccolus.
    „Zur Säule“, antwortete ich nur und setzte meinen Weg ins Ungewisse fort. Ich spürte, dass der Andere neben mir lief.
    Als wir die Säule tatsächlich erreichten, gingen wir dahinter in Deckung. Mein Sehvermögen kehrte allmählich zurück und ich vergewisserte mich erst einmal, dass die Person neben mir wirklich Broccolus war. Dann sah ich vorsichtig aus der Deckung heraus in den Raum.
    Coccineo und die Servatoren unserer Gruppe hatten sich ebenfalls an die Seiten des Raumes zurückgezogen. Hannes stand noch immer vor der Tür und sah sich verwirrt um. Corianda entdeckte ich hinter Lycopersas Servatoren. Ihr zufriedenes Lächeln sagte mir, dass ihre Aktion wie geplant verlaufen war - was auch immer sie gerade getan hatte.
    Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass sich auch die Stimmung der zwölf Servatorensklaven erhellt hatte. Einer von ihnen bewegte sich sogar. Dann sah ich auch den Grund dafür. Corianda ließ nacheinander zwölf metallene Ringe aus ihrer Hand gleiten und zu Boden fallen, während sie wieder in die Raummitte ging. Auch der Rest von uns trat wieder hervor.
    Hannes‘ Grinsen war verschwunden. Er rief nach seinem Meister, der sich sogleich wieder von seinem Turm herunter teleportierte.
    „Was gibt es?“, fragte er. Dann fiel sein Blick aber gleich auf seine Sklaven. „Oh, Ihr habt sie befreit.“ Gleichgültigkeit lag in seiner Stimme, obwohl er Hannes einen Moment verärgert ansah. „Alle zwölf, vor den Augen meines Mitarbeiters.“
    Hannes rang nach Worten. „Meister... es ging so schnell. Ich...“
    Doch Lycopersa beachtete ihn nicht weiter. „Aber das ist nicht weiter tragisch“, erklärte er uns. „Ich werde das Verhältnis einfach mit ein paar neuen Untergebenen ausgleichen. Während Eure Freunde draußen durch eine Gewalt von oben sterben, werdet Ihr es durch die Mächte der Tiefe tun.“
    Corianda wurde unruhig. Sie neigte sich ein wenig zu Coccineo hinüber und raunte im unauffällig ein paar Worte zu. Dieser ging sogleich einige Schritte nach vorn.

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  • „Wie genau stellt Ihr Euch eigentlich Euer neues Reich vor?“, fragte er Lycopersa.
    Während der dunkle Magier zu einer Antwort ansetzte wandte Corianda sich an Broccolus und mich.
    „Gut, dass Hannes und Lycopersa so gerne reden“, meinte sie mit gedämpfter Stimme. „Wenn ich die Andeutungen richtig verstehe, werden wir es gleich mit Dämonen zu tun bekommen. Diese Viecher lassen sich nicht mit gewöhnlichen Waffen bekämpfen. Ihr gebt mir besser Eure Waffen, damit ich sie mit der Kraft des magischen Lichts versehen kann. Nur so habt Ihr bei den bevorstehenden Kämpfen eine Aussicht auf Erfolg.“
    „Könnt Ihr diese Dämonen nicht einfach direkt mit einem Lichtzauber bekämpfen?“, fragte ich, händigte ihr aber schon einmal mein Schwert aus.
    „Schon, aber Lycopersa würde anschließend einfach weitere Kreaturen beschwören.“ Die gesamte Klinge meines Schwertes leuchtete kurz auf, als Corianda ihre Hand darauf legte. „Ich werde gleich meine ganze Kraft und Konzentration brauchen, um die Macht von Lycopersas Amulett zu blockieren. Ihr müsst mich in der Zeit decken. Phaseolus wird die Magier direkt angreifen, um sie abzulenken.“
    Nacheinander verzauberte Corianda auch noch das Falchion von Broccolus und den Morgenstern von Alhigator. Als sie sich gerade mit den Pfeilen in Kuniberts Köcher beschäftigte, wurde Lycopersa auf sie aufmerksam.
    „Was macht Ihr denn da hinten?“, fragte er. „Ihr könnt es wohl kaum abwarten, zu sterben, wie?“
    Er schwenkte seinen Arm durch die Luft, woraufhin die Wände der Halle glutrot zu leuchten begannen. Sämtliche Fenster und Türen verschwanden und wurden durch glühendes Mauerwerk ersetzt. Ein tiefes Grollen ließ den Boden erbeben, Risse taten sich auf. Ringsherum, die Wände entlang, bröckelte der Boden zwischen den Säulen nach unten weg und verschwand in der darunterliegenden Dunkelheit.
    Das Grollen erstarb wieder und mit ihm das Beben. Einen Moment lang herrschte völlige Stille in der Halle. Bis auf Lycopersa schienen alle Anwesenden meine Nervosität und Anspannung zu teilen, sogar Hannes.
    Ich sah mich vorsichtig um. Ein ringförmiger Graben war um uns herum entstanden, unterbrochen durch die Säulen. Er führte steil in die Tiefe. Wie tief, wollte ich lieber nicht herausfinden. Ich bemerkte ein schwaches rotes Leuchten, das von unten her die Ränder des Abgrunds erhellte. Dann schossen plötzlich meterhohe Flammen aus den Spalten bei den Säulen, begleitet von einem ohrenbetäubenden Kreischen. In den Flammen zeichneten sich die Silhouetten irgendwelcher Gestalten ab.
    Als die Flammen erloschen und das Kreischen endlich endete, waren wir von einer Horde zweieinhalb Meter hoher humanoider Kreaturen umzingelt, etwa dreißig an der Zahl. Ihre Haut war feuerrot - obwohl das aufgrund der rötlichen Raumbeleuchtung auch täuschen konnte - und statt Haaren trugen sie je ein Paar Hörner am Kopf, wie die Rinder auf dem Hof meiner Eltern. Sie waren sehr muskulös, hatten krallenbewehrte Finger und schauten äußerst zornig drein. Überhaupt machten sie keinen freundlichen Eindruck.
    Und die sollten wir nun alle plattmachen? Mit nur vier dazu geeigneten Waffen? Uns blieb wohl nichts weiter, als es zu versuchen.
    Ich sah mich noch einmal kurz um. Coccineo ging bereits auf die beiden dunklen Magier los, während Corianda mit geschlossenen Augen einfach nur da stand und zu meditieren schien. Broccolus stand rechts neben mir. Zusammen mit den Servatoren - Lycopersas ehemalige Sklaven eingeschlossen - bildeten wir einen Ring um die Magierin herum.
    Die Höllenwesen warteten nicht darauf, dass jemand von uns zu ihnen kam. Einige von ihnen brüllten lautstark wie Bären, bevor sie alle zugleich in die Raummitte stürmten.
    Mit der rechten Hand umfasste ich fest den Griff meines Schwertes, mein linker Arm steckte in der Haltevorrichtung meines Schildes. Nun würde sich zeigen, was ich während meines Kampftrainings gelernt hatte.
    Dann stand mir auch schon das erste Ungeheuer gegenüber. Es hob einen Arm und schlug nach mir. Schnell machte ich einen Satz nach hinten. Die Klauen schlugen vor mir in den Boden. Ich sah die andere Pranke direkt auf mich zukommen und hob meinen Schild. Doch die Wucht des Schlages konnte ich damit kaum verringern. Mein Arm wurde gegen meine Brust gedrückt, der obere Rand des Schildes schlug mir ins Gesicht. Ich fiel rücklings zu Boden. Warmes Blut lief aus der Platzwunde an meiner Stirn, wo mich der Schild getroffen hatte.
    Wieder kam ein Arm auf mich zu, doch bevor er mich erreichte stieß die runde Klinge einer großen Streitaxt von links in den Ellenbogen, verschwand darin und trat auf der anderen Seite wieder aus. Mit einem dumpfen Poltern fiel der Unterarm kurz vor meinen Füßen zu Boden.
    Elehwator stand neben mir, seine Streitaxt noch immer auf das Ungeheuer gerichtet. Dieses brüllte ihn wutschnaubend an, schien sich aber um seinen abgetrennten Arm keine Gedanken zu machen. Statt Blut stießen einige Flammen aus seinem Armstumpf hervor. Sie wurden immer länger und drehten sich spiralförmig umeinander. Dann lösten sie sich wieder auf und rote Haut kam zum Vorschein. Der abgetrennte Arm war einfach nachgewachsen.
    Wie Corianda gesagt hatte, waren diese Viecher offenbar nicht mit normalen Waffen zu bekämpfen. Meine Waffe hingegen sollte nach der Verzauberung etwas effektiver sein. Bevor dieser Unterweltler Elehwator angreifen konnte, sprang ich auf, machte einen Schritt auf ihn zu und stieß mit meinem Schwert nach ihm. Er hatte meinen Angriff nicht kommen sehen. Bis zur Parierstange steckte die Klinge in seiner Brust. Ich zog sie wieder heraus und wartete ab, was passieren würde. Bei einem irdischen Wesen wäre dieser Stoß tödlich gewesen. Wenn Coriandas Verzauberung etwas bewirkte, würde es sich in den nächsten Sekunden zeigen.

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  • Zunächst sah der Dämon noch ganz gesund aus, doch dann bildeten sich feine Risse um die Wunde herum. Aus ihnen heraus strahlte ein helles weißes Licht. Immer weiter breiteten sie sich aus, bis die gesamte Brust voll davon war. Das Licht erlosch wieder und der Körper fing an zu zerbröckeln. Am Ende blieb von ihm nur noch ein großer grauer Aschehaufen.
    Erstaunt starrte ich auf mein Schwert. Corianda hatte ganze Arbeit geleistet.
    Ich sah mich im Raum nach meinem nächsten Gegner um. Jetzt, wo ich die Fähigkeiten meiner verzauberten Waffe kannte, wirkten die verbleibenden Höllenwesen gleich viel weniger bedrohlich. Schnell wischte ich mir das meiner Platzwunde entstammende Blut aus dem Gesicht und eilte den Servatoren links von mir zu Hilfe. Broccolus, der noch immer rechts von mir kämpfte hatte ebenfalls gerade mit der Wirkung seiner Waffe Bekanntschaft gemacht und würde meine Hilfe wohl erst einmal nicht benötigen. Die meisten der Servatoren mussten hingegen mit ihren gewöhnlichen Waffen gegen die Dämonen antreten.
    Nach wenigen Schritten stand mir schon das nächste dieser Untiere gegenüber. Es schlug nach mir und ich schlug mit dem Schwert zurück. Doch offenbar hatte sich die Kenntnis von der Wirkung meiner Waffe schon unter ihnen verbreitet. Der Dämon vor mir zuckte bei jedem meiner Schwertschwinger zurück, sodass ich ihn kein einziges Mal traf. Immerhin konnte ich ihn auf diese Weise zurücktreiben.
    Schwingend und zuckend kamen wir an einem weiteren Dämon vorbei, der sich gerade an einem vom Lycopersas ehemaligen Sklaven vergriff. Da ich von meinem Gegner nicht viel zu befürchten hatte, wollte ich meinem Mitstreiter behilflich sein. Doch bevor ich etwas tun konnte, packte der Dämon den Servator mit einer Hand am Oberkörper, mit der anderen am Kopf und trennte beides mit einem kurzen Ruck voneinander. Es machte ein widerliches knackendes Geräusch, Blut spritzte herum. Für einen Moment dachte ich, mich übergeben zu müssen. Aber ich fing mich wieder. Für so etwas war jetzt keine Zeit.
    Ich hob mein Schwert und ließ es auf den Dämon herabfahren. Es traf ihn am Hinterkopf. Sofort begann die Stelle weiß zu leuchten. Das Höllenwesen lies den zweigeteilten Servator fallen und sackte zusammen, bevor er sich in einen Aschehaufen verwandelte.
    Der Dämon, den ich zuvor zurückgetrieben hatte, kam nun mit zwei seiner Kollegen auf mich zu. Sie meinten wohl, zu dritt eine bessere Chance gegen mein Schwert zu haben. Dummerweise lagen sie damit gar nicht so falsch. Ich konnte mich immer nur auf einen konzentrieren. Wenn die anderen beiden dann hinter mich gelangen würden, könnte ich sehr bald dem enthaupteten Servator Gesellschaft leisten. Dazu kam noch, dass ich langsam die Anstrengungen des Kampfes spürte. Das Schwert war vielleicht doch zu schwer, um es dauerhaft mit einer Hand zu führen. Auf der anderen Seite bot mir mein Schild keinen wirklichen Schutz. Die Wunde an meiner Stirn bewies, dass es bei diesen Gegnern wohl besser war, ihren Schlägen auszuweichen, statt sie abzublocken.
    Also entschied ich mich, auf den Schild zu verzichten und meinen Anderthalbhänder zweihändig zu führen. Langsam ließ ich den Schild von meinem Arm gleiten. Doch bevor ich mich endgültig von ihm trennte, kam mir eine Idee, wie er mir noch nützlich sein konnte. Ich packte ihn mit der linken Hand am Rand und warf ihn wie einen Diskus dem mittleren der drei Dämonen gegen die Beine. Dieser latschte so ungünstig darauf, dass er unmittelbar stolperte und sich lang legte.
    Die anderen beiden hielt das nicht auf. Wenige Schritte später standen sie vor mir. Ich versuchte, beide zugleich zu bekämpfen, was wie erwartet nicht so einfach war. Nach kurzer Zeit hatten sie sich schon um mich herum verteilt. Auch der dritte von ihnen war wieder hinzugestoßen.
    Meine Hiebe waren kurz. Nach jedem Schlag drehte ich mich um und wandte mich einem der anderen Gegner zu. Auf diese Weise konnte ich sie alle einigermaßen gleichzeitig im Blick behalten. Ich hatte keine Erfahrung im Kampf gegen mehrere Feinde, fand aber, dass ich meine Sache recht gut machte, auch wenn Broccolus mir später erzählte, dass ich wohl eher nur wie ein Irrer wild mit dem Schwert herumgefuchtelt hätte. Es ließ sich aber nicht abstreiten, dass meine Vorgehensweise wirksam war. Sonst hätte ich das wohl kaum überlebt.
    Nach einigen Drehungen landete ich den ersten Treffer. Mein Schwert trennte die Finger von einer der roten Pranken, die gerade nach mir greifen wollte. Kaum auf dem Boden aufgeschlagen, verwandelten sie sich gleich in Staub.
    Die nachfolgende Pranke sah ich jedoch nicht kommen. Ich spürte, wie sich die Krallen in den Rückenteil meiner Lederrüstung bohrten. Ein ratschendes Geräusch und die darauffolgenden Schmerzen verrieten mir, dass die Rüstung an der Stelle wohl aufgerissen war. Die Wucht des Schlages ließ mich zur Seite taumeln, einen Sturz konnte ich aber verhindern. Doch durch die unfreiwilligen Schritte stand ich nun näher an einem der Dämonen als mir recht war.

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  • Er holte aus und wollte gerade nach mir schlagen, als ich die positive Seite an dieser Nähe erkannte. Mit einem kräftigen Stoß rammte ich ihm die Spitze meiner Klinge in die Kehle. Er gab noch ein gurgelndes Geräusch von sich, bevor das gewohnte weiße Licht aus seiner Wunde strahlte und er zu einem Aschehaufen zerbröselte.
    Ich drehte mich wieder um und widmete mich den beiden verbleibenden Dämonen. Gleich der erste Hieb traf einen von ihnen an der Schulter, was aber nicht genügte, um ihn auszuschalten. Der andere schlug nach mir. Ein schneller Sprung zur Seite rettete mich vor seinen Klauen. Er schlug erneut zu, doch diesmal streckte ich mein Schwert seiner Pranke entgegen. Die Klinge stach in den Handrücken und trat auf der Innenfläche wieder heraus. Brüllend zog der Dämon seine Hand zurück. Dabei drehte er sie so ungünstig, dass sich mein Schwert zwischen den Handknochen verklemmte. Seine ruckartige Bewegung riss es mir aus den Händen.
    So stand ich da ohne Waffe, zwei wutschnaubende Dämonen vor mir. Was außer weglaufen konnte ich jetzt noch tun? Also drehte ich den beiden den Rücken zu und rannte zurück zu Broccolus. Doch der war gerade ebenfalls mit zwei von den Höllenviechern beschäftigt. Er wirkte leicht ungehalten darüber, dass ich noch zwei weitere anschleppte.
    Mit seinem Fuß schob er mir hastig ein am Boden liegendes Schwert herüber. Es stammte wohl von einem der Servatoren. Ich hob es auf, in dem Wissen, dass es nicht die Wirkung meines Schwertes auf die Dämonen hatte. Aber es war besser als nichts. Die Hand meines Gegners, in der mein Schwert gesteckt hatte, hatte sich inzwischen aufgelöst, das Schwert war verschwunden. Ich versuchte es auszumachen, während ich mich wieder den beiden Dämonen entgegen stellte, aber es musste wohl irgendwo in einem der vielen grauen Aschehaufen liegen. Dieser mickrige Einhänder, den ich nun stattdessen fest in meiner Rechten hielt, musste erst einmal genügen.
    Ich hob dieses bessere Brotmesser über meine Schulter und machte mich auf den Angriff meiner Kontrahenten gefasst, als sie plötzlich beide unmittelbar vor mir explodierten und mich in dichte Ascheschwaden hüllten. Die graue Wolke nahm mir die Sicht und legte sich überall auf meine Kleidung. Einige Partikel gerieten mir in die Augen. Ich wollte sie fortwischen, doch als ich meine staubigen Hände betrachtete, musste ich einsehen, dass ich es damit nur noch schlimmer machen würde.
    Als die Aschewolke sich ein wenig lichtete und ich meine Augen wieder freigeblinzelt hatte, wurde ich auf Corianda aufmerksam. Sie leuchtete strahlend weiß am ganzen Körper und schritt durch den Raum in Richtung Lycopersa. Im Vorbeigehen richtete sie eine Hand auf die beiden Dämonen, mit den sich Broccolus noch immer beschäftigte, woraufhin sie in gleicher Weise zerplatzten wie meine beiden und der Meisterschmied in einer grauen Wolke verschwand.
    Ich sah mich um. Auch die übrigen Dämonen waren verschwunden. Der Boden war übersät mit Aschehaufen. Leider musste ich feststellen, dass auch einige Servatoren dazwischen lagen, nicht alle am Stück. Scheinbar hatten nur fünf von ihnen überlebt. Ich sah Kunibert, Alhigator und drei von Lycopersas ehemaligen Sklaven. Sie schlossen sich Corianda an und gingen auf die beiden dunklen Magier zu.
    Hannes lag am Boden. Er hatte einige Brandwunden am Körper und sein Umhang war stellenweise zerrissen und angesengt. Coccineo stand neben ihm. Auch er hatte schon einmal besser ausgesehen. Mit erschöpfter Miene wachte er darüber, dass Hannes erst einmal keinen Schaden mehr anrichtete.
    Lycopersa sah hingegen unversehrt aus. Sein verunsicherter Gesichtsausdruck verriet aber, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Ich bemerkte, dass die Kette mit dem Kristall von seinem Hals verschwunden war. Sie lag einige Schritte vor ihm in der Asche am Boden. Angesichts Coriandas auf ihn gerichteter Hand, wagte er es aber nicht, sein Amulett wieder an sich zu nehmen.
    „Hört zu“, sagte er mit ungewohnt ängstlicher Stimme, „wir können gemeinsam über die Welt herrschen. Was haltet ihr davon?“
    Corianda reagierte nicht.
    Lycopersa machte einen Schritt zurück, als sie weiter auf ihn zukam. „Überlasst mir einfach das Amulett und ich werde alle versklavten Servatoren befreien.“
    Die Magierin reagierte auch diesmal nicht. Sie stand nun direkt vor dem Amulett. Langsam ging sie in die Knie und hob es auf. Bis sie sich wieder erhoben hatte, ließ sie den dunklen Magier nicht aus den Augen. Das Leuchten ihres Körpers verschwand, als sie den Kristall begutachtete. Ein verschwörerisches Lächeln legte sich auf ihr Gesicht.

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  • „Ja“, sagte Lycopersa, nun etwas mutiger, „diese Macht ist einfach unwiderstehlich.“
    Corianda ignorierte seine Worte noch immer. Sie drehte den Stein in ihrer Hand und begutachtete ihn von allen Seiten. Ihr Lächeln verschwand, als sie dem dunklen Magier wieder in die Augen sah.
    „In der Tat“, sagte sie ruhig. „Ein geistig schwaches Wesen könnte tatsächlich der Versuchung erliegen, sich die Macht des Kristalls zunutze zu machen. Aber davon sind nicht allzu viele hier im Raum. Ich werde es vorziehen, mich weiterhin auf meine eigenen Fähigkeiten zu verlassen.“ Ohne den Blick von Lycopersa zu wenden, warf sie das Amulett zu Coccineo hinüber, der es geschickt mit einer Hand auffing. „Phaseolus, Ihr habt die größeren Erfahrungen mit destruktiven Zaubern. Wärt Ihr freundlich?“
    „Wie Ihr wünscht, Corianda“, sagte der Magier grinsend.
    „Nein, wartet!“, rief Lycopersa. „Das könnt Ihr nicht tun. Ihr wisst gar nicht was Ihr da in den Händen haltet.“
    „Ich nehme an, eine widernatürliche Machtquelle, die die Gesetze der Magie verletzt und eine Gefahr für alle drei Welten darstellt“, sagte Coccineo völlig unbeeindruckt.
    Dann streckte er seinen Arm aus und schloss die Hand um den Kristall. Flammen schossen nach allen Seiten aus seiner Faust, die Kette des Amuletts fiel zu Boden. Als er die Hand wieder öffnete war von dem Kristall nichts als Staub geblieben. Er wendete seine offene Handfläche und ließ die Überreste von Lycopersas Machtquelle auf den Boden rieseln.
    Sofort begann der Raum sich in seinen ursprünglichen Zustand zurück zu verwandeln. Die Wände nahmen ihre gewohnte Farbe an und gaben Fenster und Türen wieder frei. Die Löcher und Risse im Boden schlossen sich. Auf dem großen Bild, über das wir Lycopersas Machtdemonstration beobachtet hatten, verschwand der Sturm so plötzlich, wie er entstanden war. Dann löste sich auch die Bildfläche auf.
    „Würdet Ihr uns nun Eure Halterringe und die beiden Teleportersteine aushändigen?“, fragte Corianda höflich.
    „Ich denke gar nicht daran“, sagte Lycopersa entschieden.
    „Fangen wir mit den Ringen Eurer Haussklaven an. Die tragt Ihr doch sicherlich bei Euch.“
    Sie nickte Alhigator zu, der daraufhin zu dem dunklen Magier hinüber ging.
    „Wagt es nicht, mich anzufassen“, drohte dieser dem Servator mit erhobenem Finger.
    „Wagt es nicht, Euch zur Wehr zu setzen“, entgegnete Alhigator mit erhobenem Morgenstern.
    Ein kurzer Griff in die Manteltasche des sprachlosen Magiers förderte einen großen Metallring zu Tage, an dem unzählige Halterringe aufgereiht waren. In einem Beutel an seinem Gürtel fanden sich auch die beiden Teleportersteine, die Alhigator gleich an Corianda weiterreichte. Die Halterringe behielt er.
    „Ihr habt sicherlich mit großer Freude einige Erfahrungen darin gesammelt, Servatoren zu versklaven und zu beherrschen“, sagte er und wedelte mit den Ringen vor Lycopersas Nase herum. „Es wird Zeit, dass Ihr auch die andere Seite kennenlernt.“
    Wie aufs Stichwort standen plötzlich die anderen vier Servatoren neben ihm. Einer von ihnen übergab ihm einen der Ringe, die zuvor noch in den Körpern von Lycopersas Sklaven gesteckt hatten.
    Der dunkle Magier ahnte, was auf ihn zukam. Er wollte gerade eine dieser Kampfzauber-Handbewegungen machen, doch Corianda kam ihm zuvor.
    Sie musste wohl einen Lähmungszauber angewandt haben, denn Lycopersa sackte bewegungsunfähig zusammen. Nur seine Pupillen zuckten noch umher, als er schon fast panisch von einem Servator zum anderen Blickte.
    Alhigator kniete sich hin und beugte sich über ihn, während zwei seiner Artgenossen die Kleidung über der Brust des Magiers aufrissen. Er legte den Ring auf die behaarte Haut des Menschen und murmelte ein paar unverständliche Worte. Der Ring blitzte kurz auf. Dann legte Alhigator seine Hand darüber und presste ihn in Lycopersas Körper.
    Coriandas Zauber verlor scheinbar seine Wirkung, denn der dunkle Magier fing an zu zappeln und zu schreien. Aber die Servatoren hielten ihn fest.
    „Tut weh, nicht wahr?“, fragte Alhigator höhnend. „Ich habe damals genauso geschrien.“
    Es dauerte eine Weile, bis Lycopersa sich wieder beruhigte. Von seiner ehemaligen Erhabenheit war nicht viel geblieben. Mit zerrissenen Klamotten saß er auf dem Boden und wimmerte vor sich hin.
    „Nun zu dem anderen Magier“, sagte Alhigator.
    Doch Corianda hielt ihn auf. „Nein, in seinem Zustand würde er es nicht überleben.“
    „Gut, dann später.“
    „Auch dann nicht. Ich denke, es ist unnötig, dass wir uns auf deren Niveau herablassen und wehrlose Kreaturen versklaven.“
    „Warum habt Ihr es dann bei dem da zugelassen?“ Er zeigte auf Lycopersa.
    „Nur so wird er uns seine Geheimnisse verraten. Wenn wir alles nötige erfahren haben, werde ich den Ring wieder entfernen. Aber zunächst werdet Ihr Euch von ihm die Halterringe für die restlichen Sklaven aushändigen lassen. Er muss sie hier irgendwo in der Festung aufbewahren.“
    Alhigator wirkte unzufrieden. „Letztendlich wird Präodor entscheiden, was mit den Magiern geschieht.“ Dann wandte er sich ab und stellte sich vor Lycopersa. „Na los, kleiner Magier, führ uns durch die Festung und zeig uns deine Geheimnisse.“
    Widerwillig erhob sich der dunkle Magier und ging durch das Tor der Halle nach draußen. Die Servatoren, einschließlich Kunibert, folgten ihm.

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  • „Und wie geht es nun weiter?“, fragte Broccolus.
    „Wenn die Servatoren zurückgekehrt sind, werden wir uns um ihre gefallenen Kameraden kümmern“, sagte Corianda. „Dann sollten wir erst einmal Präodor aufsuchen.“
    „Falls er noch lebt.“
    „Hoffen wir es. Inzwischen könnte einer von uns die Teleportersteine wieder an ihre alten Plätze bringen.“
    „Ich mach das“, sagte ich ohne zu zögern.
    Wenn ich gewusst hätte, wie folgenschwer diese Worte sein sollten, hätte ich vielleicht doch einen Moment länger überlegt.
    „Gut“, sagte Corianda und streckte mir die beiden Steine entgegen. „Ihr beginnt mit dem gelben Stein. Um ihn in seine Welt zurück zu bringen, müsst Ihr Euch über den blaugrünen Stein teleportieren. Wenn Ihr in der Welt ankommt, werdet Ihr dessen Gegenstück, den blaugrünen Stein von Tamalon, in den Händen halten. Den nehmt Ihr mit.“
    „Erinnert Ihr Euch an die große Wiese, wo ich gegen diesen Magier gekämpft habe?“, warf Coccineo ein und deutete dabei auf Hannes. „Dort ist irgendwo ein Steinkreis mit einem kleinen Podest. Legt den gelben Stein einfach zurück in seine Halterung und teleportiert euch anschließend darüber nach Aliquandor.“
    „Ihr werdet im Magierturm von Tamalon landen“, fuhr Corianda fort. „Haltet dort den blaugrünen Stein über sein Podest, wenn ihr ihn benutzt. Er sollte dann in seine Halterung fallen, während Ihr wieder hierher zu uns teleportiert werdet.“
    „Alles soweit verstanden?“
    „Ich denke schon“, sagte ich, warf mein servatorisches Ersatzschwert weg und nahm die beiden Steine entgegen. Dann verabschiedete ich mich und begann mit der Bewegungsprozedur an dem blaugrünen Stein.
    Die letzten Worte, die ich in dieser Welt vernahm, stammten von Hannes: „Ich hoffe, du kannst schwimmen.“
    Bevor ich mir nähere Gedanken dazu machen konnte, hatte ich die Bewegungsfolge abgeschlossen. Während sich die blaugrüne Blase um mich herum bildete, sah ich in die entsetzten Gesichter meiner Freunde. Nur einen Augenblick später begriff ich, was los war.
    Um mich herum war plötzlich alles dunkel. Ein unangenehmer Druck lastete auf meinem Körper. Mit dem nächsten Atemzug, den ich tat, strömte kaltes salziges Wasser in meine Lungen. Sofort hielt ich den Atem an und unterdrückte den Hustenreiz. Ich befand mich irgendwo in irgendeinem Meer und musste so schnell wie möglich auftauchen. Ohne groß darüber nachzudenken ließ ich die beiden Teleportersteine in meinen Händen fallen und machte hastige Schwimmbewegungen in Richtung Wasseroberfläche.
    Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich sie durchbrach und mein Kopf endlich wieder von Luft umgeben war. Ich hustete und spuckte Salzwasser. Erst jetzt merkte ich, wie das Salz in meiner Kopfwunde brannte. Aber auch die Stelle am Rücken, wo der Dämon meine Rüstung zerrissen hatte, schmerzte stärker als zuvor. Wenn ich wieder in Amoenor war, würde ich erst einmal einen Heiler und einen Schneider aufsuchen. Aber zunächst musste ich aus dem Wasser raus.
    Ich sah mich um. Überall war Wasser. Die Mittagssonne schien in gewohnter Weise auf mich herab, als wäre alles in bester Ordnung.
    Hannes, dieser Penner. Er hatte den blaugrünen Stein von Tamalon als letzter benutzt. Offenbar war er zuvor damit hier aufs Meer hinausgefahren und hatte ihn bei der Teleportation über das Wasser gehalten. Das meinte er also mit „Ich hoffe, du kannst schwimmen.“ Ich würde mich wohl mal seiner annehmen müssen, wenn ich wieder in Amoenor war. Es blieb nur zu hoffen, dass die Anderen nicht versuchten, mir zu folgen, denn dass ich noch lebte, grenzte an ein Wunder. Aber wahrscheinlich hatte Hannes bereits ausgepackt und sie hielten mich für tot.
    Eine etwas größere Welle rollte heran und hob mich einige Meter empor. In diesem kurzen Moment entdeckte ich eine unregelmäßige Struktur am Horizont. Land. Von dem folgenden Wellental aus konnte ich es nicht mehr sehen, aber ich wusste jetzt, in welche Richtung ich schwimmen musste.
    So strampelte ich los. Je weiter ich kam, desto deutlicher wurde das Bild am Horizont. Schon bald konnte ich es auch von den Wellentälern aus sehen. Dennoch dauerte es eine ganze Weile, bis ich es erreichte.
    Endlich spürte ich wieder Boden unter meinen Füßen. Erschöpft schritt ich aus dem Wasser auf einen Strand zu. Mit sinkendem Wasserstand um mich herum wurde mein Körper schwerer und schwerer. Es kam mir schon fast unnatürlich vor. Ich musste mich erst einmal hinsetzten. Einige Meter vom Wasser entfernt zog ich meine Lederrüstung aus, die nun unangenehm scheuerte, und warf mich in den Sand.
    Als ich wieder aufwachte, war die Sonne gerade dabei im Meer zu versinken. Der ganze Himmel war in einem Orange-Rot gefärbt. Dazu der weiße Sand und das Rauschen des Meeres, das war wohl der Traum vieler Urlauber.
    Ich jedoch war nicht hier, um Urlaub zu machen. Also löste ich mich von dem Anblick und beschloss, die Gegend zu erkunden.
    Schon nach wenigen Schritten ins Landesinnere stieß ich auf gepflasterte Wege. Erleichtert erkannte ich diesen Hinweis auf eine Zivilisation. Doch Menschen traf ich hier nicht an, was aber an der Uhrzeit liegen konnte.
    Es war schon fast dunkel, als mich mein Weg zu einer großen Statue führte. Aus mir unerfindlichen Gründen war ich einem Moment lang versucht, sie anzusprechen, hielt es dann aber doch für unangemessen. Es war wichtiger, erst einmal Trinkwasser und etwas Essbares aufzutreiben.
    Wenn ich mich von den Strapazen und meinen Verletzungen erholt hatte, würde ich versuchen, die beiden Teleportersteine aus dem Meer zu fischen. Ich trug noch immer den Kompass bei mir, den ich vor mittlerweile schon recht langer Zeit von meinem Vater bekommen hatte. Dieser Kompass, der ja eigentlich ein Portalsteindetektor war, würde mich zu dem blaugrünen Stein von Tamalon führen und damit zurück in meine Heimat, zu meiner Familie und meinen Freunden.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

  • HA! Die Statue kenn ich ! *glaubt* Dann is die Geschichte wohl am Ende angelangt?
    Oder am Anfang!!!!! Willkommen in Simkea HW. Und danke für die schöne Erzählung.