Buch 3 - Das Klohäuschen
In den Tagen nach Hannes‘ Auftauchen waren wir alle schwer beschäftigt. Broccolus und ich begannen damit, die Waffen für die Servatoren zu schmieden, während Corianda ihren Turm aufräumte. Die Zeit, die sie nicht dort war, verbrachte sie bei Kunibert, der einiger ihrer ärztlichen Behandlungen bedurfte. Er war in dem Krankenhaus von Nordeichenheim untergebracht worden, wo er sich erholen sollte.
Coccineo war mit einer Gruppe Servatoren aufgebrochen, um den dunklen Magier und die beiden Teleportersteine aufzuspüren. Bisher hatten sie sich nicht wieder gemeldet.
Corianda erklärte Alisa, Broccolus und mir, dass Hannes einer von Lycopersas Leuten sei. Da er höchstwahrscheinlich zu seinem Meister zurückgekehrt sei und auch an ihm die Signaturen der anderen beiden Welten hingen, könnten wir drei uns nun frei in Amoenor bewegen, wenn wir wollten. Sobald das Labor in ihrem Turm wieder nutzbar war, würde sie weiter nach einem Zauber suchen, der diese Welt vor der Bedrohung durch Lycopersas Wissen schützen konnte.
Auf ihren Vorschlag hin besuchten wir eines Abends mit ihr Kunibert. Mit beiden Beinen und dem linken Arm in Gips lag er in einem Krankenbett. Eine weißbekleidete Servatorendame, die er mit Termometa anredete, war gerade bei ihm, um die Reste seines Abendessens wegzuräumen.
Der Eingegipste freute sich, uns zu sehen, und war überaus dankbar für seine Rettung vor den Flammen.
Ich nutzte die gewonnene Vertrautheit zu diesem Servator, um mehr über seine Rasse herauszufinden. „Ich habe gehört, dass Servatoren von Natur aus eine Begabung für Magie haben. Können alle diese blauen Kugeln erzeugen, wie Ihr bei dem Kampf im Turm?“
„Nein, der Grad der magischen Begabung ist von Servator zu Servator stark unterschiedlich. Vielen gelingen nicht einmal die einfachsten telekinetischen Anwendungen. Andere vollbringen mit der Telekinese wahre Kunststücke. Aber nur einige wenige von uns können solche Energiekugeln erzeugen.“
Die Ausdrucksweise des Servators überraschte mich ein wenig. Corianda musste mir erst einmal erklären, dass Telekinese vereinfacht gesagt bedeutete, mit reiner Gedankenkraft mechanische Kräfte auf Gegenstände ausüben zu können. Diese Fähigkeit hatte es beispielsweise Hannes ermöglicht, die Überreste der Treppe umher zu schleudern, und Corianda, ihren unfreiwilligen Flug abzufangen. Aber auch die unsichtbaren Druckwellen, mit denen sich die Magier bekämpft hatten, beruhten auf dieser Art der Magie.
„Kann ein Servator schon gleich nach seiner Geburt Magie anwenden?“, fragte ich weiter.
„Nein, jeder Servator muss nach dem Schlüpfen diese Fähigkeit erst entwickeln. Um die Magie dann auch sinnvoll einsetzen zu können, bedarf es einer Menge Übung.“
„Ich nehme an Servatorenkinder lernen so etwas in der Schule?“, fragte Alisa.
„Das und noch vieles mehr. Aber nicht nur die Kinder gehen hier zu Schule. Die meisten der befreiten Sklaven haben erhebliche Bildungslücken. Die Menschen kümmert das nicht, solange die Arbeit erledigt wird. Auch ich hatte nach meiner Befreiung schultechnisch einiges nachzuholen. Ich konnte vorher nicht einmal Lesen und Schreiben.“
„Damals“, sagte Broccolus, „als wir Euch auf dem Hof trafen, hatten wir schon einen Einblick in das Leben versklavter Servatoren bekommen. Aber wie war eigentlich Euer Leben vor den Halterringen?“
„Ich bin in Gefangenschaft geboren worden“, sagte Kunibert. „Von den Servatoren, die hier im Dorf Leben, weiß ich aber, dass wir wohl einst friedlich mit den Menschen koexistiert haben. Beide Rassen hatten ihre eigenen Regionen in Amoenor und ließen sich gegenseitig in Ruhe.“
„Regionen wie Nordeichenheim?“
„Zum Beispiel. Zu Beginn der Rebellion der Servatoren ist diese Siedlung im nördlichen Teil der Überreste von Eichenheim errichtet worden. Die alte Siedlung war einige Jahre zuvor von dunklen Magiern auf der Jagd nach Sklaven niedergebrannt worden. Beim Neuaufbau hatte man nicht damit gerechnet, dass die neue Siedlung wieder die Fläche der alten einnehmen würde, was auch der Grund für die Namensgebung war. Nordeichenheim soll wohl, abgesehen von einigen bautechnischen Fortschritten, dem Eichenheim von früher gar nicht mal so unähnlich sein.“ Er grinste. „Gut, so einen Magierturm hatte es wohl früher nicht gegeben.“
„Und der Anführer war wohl auch keine menschliche Magierin“, sagte ich.
„Daran hat sich auch nichts geändert“, warf Corianda ein. „Der oberste Häuptling dieser Siedlung ist ein Servator. Seine Name ist Präodor.“
„Oh. Ich dachte Ihr wärt es. Ihr bewohnt hier doch das höchste Gebäude.“
Corianda schüttelte ihren Kopf. „Das bedeutet nichts. Der Magierturm in Tamalon ist auch höher als der Palast von König Optimus XVII. Mir wird hier nur ein Wohnrecht gewährt. Gelegentlich stehe ich Präodor in beratender Funktion zur Seite, aber politisch gesehen bin ich nicht einmal Bürger der Siedlung.“
„Und dennoch seid Ihr unverzichtbar“, sagte Kunibert.
„Naja, zumindest kann ich bei der einen oder anderen Kleinigkeit helfen.“
„Seid nicht so bescheiden. Ihr habt immerhin unser Gesundheitssystem revolutioniert und ohne Eure heilenden Hände wäre ich an meinen Verletzungen gestorben.“ Er wandte sich zu uns. „Sie bildet einige unserer Heiler aus. Auch unter den Menschen von Amoenor werdet Ihr keinen besseren Lehrer dieser Kunst finden.“