Kapitel 20
Fremdes Territorium
Eine kühle Brise weht durch die Äste des bereits fernen Waldes. Mehrere Wochen ist der Fremde Wanderer querfeldein unterwegs, doch zum ersten Mal mit einem Ziel. Vermummt unter einem dunklen Umhang und versteckt unter einer Kapuze ist nur ein langer grauer Bart zu erkennen. Auf dem breiten Rücken trägt er eine Große Tasche, dick befüllt. Unmittelbar neben ihm geht ein muskulöses und robust gebautes graues Pferd, das bereits einige Narben aufweist, umher. Der Sattel ist in kümmerlichem Zustand aber die Taschen daran sind ebenfalls breit gefüllt.
Ein einzelner Rabe fliegt in den Lüften umher. Die Landschaft ist karg und Hügelig mit seltenen Flüssen und Seen. Grüne Bäume ragen vereinzelt aus dem Boden heraus und zieren die triste Umgebung. Einzelne Pflanzen erblühen zwischen dem gebleichten Gras der beinahe Steppen ähnlichen Gegend.
“Sunvaar, hast du was entdeckt?” Der Rabe fliegt im Sturzflug auf den Wanderer zu, landet nach einem abbremsenden Flügelschlag auf dessen Schulter und krächzt etwas beinahe flüsternd daher. “Weit und breit nichts, hmm? Das habe ich mir bereits gedacht. Bei diesem Wetter halten unsere Vorräte nicht mehr lange. Ich erwarte keine Städte mit befüllten Märkten, allerdings würde ich gerne etwas anderes Essen als Beeren.”
Der Rabe Sunvaar krächzt weiter. Ein prächtiger und überdurchschnittlich großer Rabe mit einzelnen weiß-grauen Federn die im sonst so tiefschwarzen Federkleid versteckt sind. Sein Schnabel reflektiert das Intensive Sonnenlicht.
“Du hast ein paar Rehe im Norden gesehen? Gute Neuigkeiten. Auch falls sie bereits über alle Berge sind, bleibt mir nichts anderes übrig. Flieg du zurück gen Wald, komme erst zurück, wenn du etwas Nahrung gefunden hast, ich vertraue auf dich, hole mich wieder Richtung Westen ein!”
Mit einem starken Flügelschlag erhebt sich Sunvaar in die Lüfte und fliegt in Richtung Osten zurück auf den Wald zu.
Der Wanderer wechselt seine Richtung nach Norden auf die Hügelige Landschaft zu. Die Hügel sind einige Meter hoch, so dass man am Fuße dieser nicht hinüber zu sehen vermag. Der Wanderer wirft die Zügel des Grauen Hengstes über einen Ast der aus einem Baumstamm am Rande des ersten Hügels ragt. Ohne weiter zu zögern macht sich der Wanderer nun alleine auf den Weg hinter die Hügel. Hinauf gelangt er in wenigen Minuten jedoch ist weit und breit nicht zu sehen außer weitere Hügel. Keine Bäume, nur wenige Felsen die aus den grünen Höhen herausragen und die Umgebung schmücken. Auf den Spitzen der Anhöhe stehen anmutig einige Gänseblümchen in Gesellschaft einiger wohlriechender Fliederbüsche.
Der Wanderer hält kurz inne und atmet die frische Luft tief durch seine Nasenhöhlen ehe er sich wieder in Bewegung setzt um die erste Höhe auf der Nordseite wieder herunter zu laufen, um daraufhin eine weitere herauf zuwandern. Nach einigen Minuten, die sich Kräfte zerrend wie Stunden für den Wanderer anfühlten gelang er an die Spitze des Hochlandes. Sein Blick schweift langsam und erschöpft von links nach rechts über ein etwa hundert Meter breites Tal.
Einige Apfel- und Haselnuss Bäume sowie Lavendel - Büsche zieren das minimalistische Tiefland. Ein einziger voll blühender Blutpflaumen Baum fügt einen herrlichen Kontrast der Umgebung hinzu. Inmitten des Tals liegt ein kleiner See, eine Handvoll Libellen schweben zwischen Mücken und Schmetterlingen darüber. Die Sonne über dem Tal wird von dicken Wolken abgeschwächt.
“Hab ich dich!”
Die Ohren angespitzt schlürft ein Rehkitz sichtlich abgekämpft aber genüsslich das Wasser des Sees. Der Wanderer starrt auf das kleine Jungtier und zückt seinen Bogen von seinem Rücken. Während er die Sehne spannt konzentriert er sich auf die Umgebung und versucht zu hören ob in naher Ferne weitere Rehe umher spazieren.
Kratzen – der Füße einiger Insekten unter des Wanderers Schuhe.
Summen – der Mücken und Libellen über dem See.
Rauschen – der Blätter des Gebüschs und der Bäume die im Wind wehen.
Atmen – des jungen Rehs das gerade den Moment der Ruhe genießt.
Die Sehne des Bogens bereits voll gespannt und bereit zum Feuern. Das Tier muss wohl von seinen Eltern getrennt worden sein, den dem Wanderer fallen keine anderen Herzschläge auf... die zu einem Reh passen. Er hört einige Schritte in der Nähe, als seine Konzentration von einem Aufschrei des Rehs unterbrochen wird. Es fällt unter sichtlichen Schmerzen zu Boden, aus seinem Hals ragt ein rostiger und verbogener Pfeil. Des Wanderers Blick fällt auf den Hügel gegenüber. Eine gekrümmte Gestalt in metallener Rüstung mit gezogenem Bogen ragt aus der Anhöhe heraus. Dem leisen Gurgelnden kichern zu urteilen handelt es sich um einen Ork.
Der Wanderer seufzt leise in sich hinein und korrigiert seine Bogenausrichtung auf den Hügel. Er lässt die Sehne los und der Pfeil fliegt durch die Lüfte. Es dauert eine gute Sekunde bis der gezielte Schuss des Wanderers das Monster gegenüber trifft und in mit Schwung die andere Seite des Hügels herunterrollen lässt.
“Dann gibt es halt Menschenfleisch” wird in unmittelbarer Nähe hinter dem Wanderer geflüstert. Dieser dreht sich um und wird von zwei bereits auf ihn zu schwingenden rostigen Klingen empfangen. Ebenfalls Orks. Ein gurgelndes Geräusch kommt aus ihren schwarz unterlaufenen entstellten Mündern. Zähne fehlen und einige Narben verlaufen quer über ihre Gesichter. Die Augen sind farblos und kalt aber weit aufgerissen und gefüllt mit Hunger und Hass. Einer der beiden hat eine verdrehte Nase, während dem anderen das rechte Ohr fehlt und durch eine Metall Apparatur ersetzt wurde. Der Wanderer zückt im selben Moment sein Schwert aus der Scheide. Der Griff, glänzend lackiert, bestehend aus dunklem braunen Holz, geschmückt von einem kleinen weißen Totenkopf als Knauf. Die Parierstange aus Stahl verläuft in einer geraden Linie auf der Klingen - Seite und geschwungen auf der Heft - Seite. Eine Schwarze metallene Klinge ragt aus dem Heft heraus, jedoch nur wenige Zentimeter, denn die Klinge ist zerbrochen.
Das zerbrochene Schwert reicht aber aus, um die Angriffe der Orks zu parieren und diese kurz zurück zu schlagen. Plötzlich fängt die kaputte Klinge an zu beben und zu leuchten. Die Orks starren auf das Schwert, während sich ein weißer Wirbel darum bildet der eine Art Geisterklinge erzeugt und das Schwert wieder vervollständigt. Die Klinge leuchtet weiß und ist leicht transparent, dennoch wirkt sie mächtig und gefährlich. In einem Schwung enthauptet der Wanderer beide Orks. Die Köpfe fallen zu Boden und deren Körper auf die Knie um schließlich beinahe Synchron auf die Seite weg zu kippen. Regungslos bleiben sie liegen, während ihre Köpfe die Anhöhe herunterrollen.
Die weiße Klinge verschwindet wieder im Wind und hinterlässt das zerbrochene Schwert, das vom Wanderer wieder eingesteckt wird. Er packt sein Bogen über die Schulter und läuft den Hügel hinunter Richtung See. Die Wolken lichten sich, die Sonne trifft auf die immer noch so idyllische Umgebung. Er zieht den Pfeil aus dem Kitz und wirft ihn zur Seite. Das junge Reh keucht und quält sich noch krümmend vor Schmerz auf dem Boden, als der Wanderer sein Messer zückt, um es von seinen Qualen zu erlösen. “Orks... so weit draußen auf dem Land... was ist das für ein verrückter Ort?” Der Wanderer setzt seine Klinge an die Wunde, welche das Reh zuvor erlöst hatte, und fängt an fein säuberlich die Haut vom Fleisch zu trennen. “Tut mir leid, dass du leiden musstest kleines, ich hätte es schmerzlos beendet. Jetzt wirst du deine Eltern wieder sehen... “. Er seufzt wieder in sich hinein und schaut kurz in Richtung Himmel.
“Wenn das ein Omen ist, auf das, was mich in Ferdok und danach erwarten wird, bin ich gespannt, wer sich solchen Bedrohungen in den Weg stellt und ob es diesem Klamdor bewusst ist wie ernst die Lage bereits ist. Ich muss mich beeilen, die Vorräte reichen jetzt bis nach Ferdok.
Es ist nicht mehr weit...!”