Im Dunkel der Ruinen – Teil 1

  • Die Geschichte hatte ich eigentlich für den Boten geschrieben. Die Oktoberausgabe fällt aber aus, weil Amalthea seit einiger Zeit offlne ist.
    Während ich mich entschlossen habe, den Text dann hier zu publizieren (in bunt mit Bildern! Huiiiiii), hoffe ich mit Euch, dass der Hintergrund für Amaltheas Absenz ein lapidarer ist.
    Alles Gute, liebe Amalthea. Sei bald wieder da!



    Was hat uns nur an diesen Ort geführt?


    Welcher Wahn ließ uns den Weg durch das Umland nehmen, über die sanften Hügel der Nordschneise steigen, nur um jetzt vor diesem Gemäuer zu stehen? Vor dem Gemäuer, das Gefahr und qualvollen Tod verheißt. Vor den grobbehauenen verwitterten Steinen, die zu atmen und zu lauern scheinen.


    Wollen wir, liebe Leser, mit kühnem Schritt aus dem freundlichen Spiel der Sonnenstrahlen in die Dunkelheit der Ruinen schreiten?


    Dieses feine, panische Stimmchen in eurem Kopf, das jetzt "Neiiiiiiiin" schreit – es gehört eurer Vernunft. Wollt ihr nicht auf sie hören?

    Doch ruhig, uns droht keine Gefahr. Wir reisen sicher auf diesen Zeilen und nichts kann uns mehr Schaden zufügen, als vielleicht eine ungeschickte Formulierung, die unser Sprachgefühl verletzt.


    So gleiten wir gefaßt vorbei an den zahlreichen Kränzen und Kerzenstummeln, die von Besuchen mit unglücklichem Ausgang erzählen, hinein in die Wohnstätte des Bösen.


    Wir werden umfaßt vom Dunkel, nein das ist nicht der richtige Begriff, es ist nicht stockdunkel, mehr grauschattiert, konturlos. Undefiniert. Wir taumeln, weil unsere Sinne keinen Halt finden, Boden und Wände und Decke verschwimmen ineinander, grau in grau in grau. Langsam schälen sich dunklere Fugen und Unebenheiten aus dem staubigen Nebel. Unsere Augen beginnen sich anzupassen.


    In unseren Ohren dröhnt ein dumpfes Trommeln, aber das ist nur unser Blut, getrieben von unserem hämmernden Herzen. Fast hätte es dieses andere Geräusch übertönt, das klingt wie …? Wie Flügelschlag? WAAAAAAA. Es hat uns fast gestreift, dies Ding, dieser huschende Fleck, etwas grauer als das Grau der Umgebung, eine Ahnung von kratzigem Fell und Zähnen wie Nadeln. Ein Fledergrausi!


    Wären wir körperlich an diesem Ort, Oh meine tapfere Leserschaft, hätten wir schon von der Schärfe der Krallen berichten können, von dem heißen, nach Verfall und Moder stinkendem Atem des Geschöpfes und dem schrecklichen Gefühl, wenn die Halsschagader von den Stiletten seiner Reißzähne perforiert wird.


    Wir hätten noch kurz Zeit, uns über unsere Torheit zu ärgern, mit ungeeigneter Ausrüstung diesen Tempel des Todes zu entweihen – warum nur erschien uns ein Pfannenwender als gute Waffenwahl und welcher Narr riet uns zu einem Muschelbikini als Rüstung –, dann hätte das Gift der Fledergrausi schon unser Herz erreicht und während unsere Seele der Segnung gegenüberstände, bliebe unser Körper als grausiger Schmaus für die Bewohner dieser staubigen Kammern zurück.


    Zum Glück bleibt uns dies unerfreuliche Geschick erspart, denn wir befinden uns ja nur Kraft unserer Imagination hier in den Ruinen. Doch – ist das auch wahr? Oder ist dieser Ort ein Ort zwischen den Orten und können uns seine Geschöpfe auch wittern und attackieren, wenn wir sie uns nur vorstellen? Erzählt man sich nicht Geschichten am Markt von verschwundenen Bürgerinnen und Bürgern, deren leere Kleider man auf dem Pflaster fand, vor den ausgestreckten Ärmeln eine aufgeschlagene Ausgabe des Trenter Boten? Beunruhigt schlagen wir den Kragen hoch.


    Wir sind jetzt tiefer hinabgestiegen ins Maul der steinernen Bestie. Das heißt, nein, nicht ins Maul. Unsere Karte zeigt verschlungene Gänge, plötzliche Kavernen – wir befinden uns schon weiter, viel weiter – im Gedärm des Ungeheuers. Die gute Nachricht ist, dass ein Darm einen Ausgang hat, die schlechte, dass wir nicht wissen in welchem Zustand wir ihn erreichen werden.


    Denn eines haben die Ruinenbewohner allen anderen wilden Wesen Simkeas voraus: Sie sind keine willfährigen Opfer. Ungleich dem Wildschwein, das der Pfeile des Jägers geduldig harrt, ungleich dem Puma, der den ersten Schlag abwartet, bevor er daran denkt, die Krallen auszufahren, sind diesen Schattengeschöpfen sehen und angreifen eins. Nicht dem erfahrensten Ruinenkämpfer noch der wendigsten Kämpferin gelingt es je, den ersten Schlag zu führen. "Sie werden Dich sehen, sie werden Dich stellen, sie werden Dich attackieren. Und Du kannst es nicht verhindern". So hat es uns eine narbenreiche Veteranin in der Schänke zugeraunt.


    In seinem Standardwerk "Simkea für dämliche Blödis" schreibt der Privatgelehrte Zwurrf: "Ich rate Euch allen zu einem Besuch der Ruine. Da bekommt ihr, was ihr braucht: eins aufs Maul."


    In einer Umfrage des Professor-Bloom-Institutes bei den Besuchern der Taverne lagen die Ruinen bei der Frage nach den beliebtesten Ausflugszielen auf dem letzten Platz, noch weit hinter der Option "in Gesellschaft von Zwurrf am Seelendreherstein mitten im Mückenschwarm" {Umgekehrt gaben Erstbesucher der Ruinen auf die Frage, wo sie in diesem Moment lieber wären, die Taverne am dritthäufigsten an. Vor ihr lagen nur auf Platz 2 "Zuhause im Bett" und auf Platz 1 "Irgendwo anders").


    Jetzt sind wir vorsichtig um eine Ecke gebogen, haben einen unordentlichen Haufen schimmliger Knochen überstiegen und stehen unvermutet einer schemenhaften Gestalt gegenüber. Aus einer faustgroßen Kugel knapp unter der Decke durchdringt ein schwaches grünes Glimmen die Düsternis.


    Ein Höhlenzyklop, ist unser erster panischer Gedanke. Womöglich ein einäugiger Untoter, der zweite. Ein untoter, einäugiger Höhlenzyklopzombietrollmörderghoulvampir, will ein dritter, besonders wirrer Gedanke seinen Teil beisteuern, da tritt die Gestalt näher und wir erkennen, dass es sich bei dem vermeintlichen Zyklopenauge um den magischen Kugelkristall auf der Spitze eines langen Zauberstabs handelt und weit unter diesem erkennen wir eine kleine, junge Frau mit einer wild wallenden, rotbraunen Mähne, die sich gerade eine Spinnwebe von der sommersprossigen Nase pustet.


    Petra Fakt. Wir wollen ihr und ihren Erlebnissen ein wenig folgen.


    … Fortsetzung folgt