Zurück in Trent genoss Isimud ein ausgiebiges Bad im Waschzuber, den er für die Sommermonate in den Garten geräumt hatte. Die erhoffte Entspannung wollte sich jedoch nicht einstellen, denn Eal’Adels in der Ruine gesprochene Worte ließen dem Jüngling keine Ruhe. Von wegen der Abenteurer würde „nie zu etwas gehören“ und nirgendwo Wurzeln schlagen!
Na gut, so hielt sich Isimud eben öfter von anderen Bürgern fern, als dass er deren Gesellschaft suchte. Eigenbrötler hatte es schon immer gegeben. Und natürlich reiste er oft umher - das Erz wanderte schließlich nicht von allein nach Trent wie ein Myrkonid aus dem Wald direkt auf den Teller in der elterlichen Burg in Noröm.
Als seine Gedanken an diesem Punkt angekommen waren, tauchte Isimud den Kopf tief in den Zuber, um die Erinnerung zu verscheuchen. So lustig es für das kleine Burgfräulein ausgesehen hatte, wenn die Speisepilze auf Dutzenden kurzen Beinchen in die Küche gewackelt kamen, dem erwachsenen Isimud wurde übel bei dem Gedanken an die Versklavung empfindungsfähiger Lebewesen wie eben der Myrkoniden – und dann noch mit dem Ziel sie zu verspeisen!
Wie nun Isimud die Welt aus der Perspektive eines Fisches sah, erinnerte er sich daran, dass er seinen Lieblingen ja ein paar Leckerlis aus dem Adoragebirge mitgebracht hatte. Die Wasserflöhe aus dem Gebirgsbach mundeten Isimuds Zierfischen weitaus besser als die aus dem Schlingsee gefischten, mit denen sie üblicherweise Vorlieb nehmen mussten.
„Menschenskinder, meine Fische!“ stieß Isimud hervor, nachdem er wieder aufgetaucht war. Er ergänzte den Ausruf um etwas Unanständiges, das Eal’ Adel mit seinem skelettierten Knie tun sollte und lachte laut. Allein schon Isimuds Süßwasserblaustreiflinge sorgten doch zuverlässig dafür, dass er immer wieder nach Trent zurückkehrte! Denn die Tierchen waren ja auch regelmäßige Fütterung und Pflege angewiesen.
Isimud zog sich ein Sitzkissen heran und schaute seinen Steiflingen beim Balgen um ihr Futter zu. Die meisten Simkeaner würden nur deren im Meer lebende Verwandte kennen, die als Köder beim Tintenfischfang dienten. Die Tintis wiederum lebten weit draußen im Meer, so dass der durchschnittliche Bürger Trents sie allenfalls in ihrem erbärmlichen Zustand in der Kiepe eines Marktstandes zu Gesicht bekam, wenn er sie nicht ausschließlich in Form panierter Tintenfischringe kannte. So viele Wunder blieben dem hart arbeitenden Städter verschlossen. So vieles, was Simkeas Natur zu bieten hatte, hatte auch Isimud selbst in seinen vier Jahren hier noch nicht gesehen. Austern beispielsweise.
Und mal ehrlich, wer, außer einem verantwortungslosen Herumtreiber, würde schon den weiten Weg in die Nordschneisse auf sich nehmen, nur, um sich einmal eine Auster in ihrem natürlichen Umfeld anzuschauen? Oder sich aufs Meer wagen, um sagen zu können, er habe einmal einen Kraken gesehen? Sicher wäre das lehrreich, doch der geistige Gewinn stand in keinem Verhältnis zu dem Verlust, den man durch Fernbleiben vom Arbeitsplatz während des Ausflugs einfahren würde. Tummelte sich das Getier hingegen keine drei Gassen entfernt von der eigenen Hütte, dann sähe das Ganze sicherlich anders aus…
Und so wurde eine Idee geboren: ein Aquarienhaus sollte entstehen, das Neubürgern und Alteingesessenen gleichermaßen die Vielfalt der Simkeanischen Unterwasserwelt vorführen würde. Und zwar hier in der Stadt, genaugenommen in Isimuds leer stehenden Keller.
So mancher Trenter merkte gar nicht, in Isimuds Sammelaktion einbezogen zu werden. Einen grasgrünen Teppich erstand er bei Maeve im Marktstand, eine Reihe Schlösser in Baertys Eisenwarenhandlung und auch ein Blick zu Alrik lohnte sich trotz der etwas höheren Preise.
Dinge, die Isimud vorher überhaupt nicht wahrgenommen hatte, traten ihm nun ins Bewusstsein – wie etwa, als er Xanthy nach Schilfkolben fragte und diese ihn einfach mit einem Grinsen im Gesicht in Blickrichtung ihres Marktstandes drehte, wo die gewünschte Ware in großer Menge vorhanden war.
Oder die Tatsache, dass Mararay, der er bisweilen Eisenbarren geliefert hatte, sich auch als Tischlerin betätigte. Bei ihr bestellte Isimud mehrere wasserdichten Vitrinen, die als Aquarien dienen sollten.
Isimuds selbstauferlegte Queste sprach sich herum und es begab sich, dass so mancher Trenter ihm das Gewünschte einfach so in die Hand drückte. So stiftete Ava Dove dem im Aufbau befindlichen Aquarienhaus eine Handvoll Algen und Krebschen sowie einen interessant gefärbten antiken Tonkrug. Von Calisto erhielt Isimud gar drei Austern, die in Blueface Lagerhaus auf Eisbrocken gelegen hatten. Nach kurzer Eingewöhnungsphase in ihrem neuen Becken erwachten sie wieder zum Leben. Allerdings hatten die Tierchen es doch recht eilig, sich dort in den Sand einzubuddeln. Ihr neuer Besitzer schien zwar nicht an Perlen interessiert, doch wusste man nie, ob er nicht gleich den Zitronensaft auspacken würde… immerhin hatte Isimud vor kurzem Oshuns Brieftaube verspeist.
Nachdem sämtliche Bewohner ihre neuen Becken bezogen und ihre anfängliche Scheu überwunden hatten, öffnete das Aquarienhaus seine Pforten.
Als einer der ersten Besucher fand sich Bob ein, seines Zeichens Baumeister und Meisterarchitekt Trents. Dummerweise allerdings auch als derjenige bekannt, dem Isimud vor zwei Jahren versehentlich eine volle Ladung aus seinem Eiszauberstab in den Körper gejagt hatte*. So war es verständlich, dass der frischgebackene Hausmeister mehr als nur ein klein wenig nervös vor dem Besucher herlief. Dieser jedoch schien den Vorfall zwar nicht vergessen, aber sehr wohl verziehen zu haben, denn er behandelte Isimud nicht anders als jeden anderen bauwilligen Trenter Bürger.
Bob hatte vor allem Augen für das Gewölbe, weniger für die schuppigen Austellungsstücke. Ordentlich gebaut hätte Isimud den Kellerraum, fand der Baumeister. Das Erdgeschoss müsse er auch noch in dieser Weise ausbauen. Zum einen könne man den Besuchern nicht zumuten, auf dem Weg zu den Fischbecken an Isimuds Schlafstätte vorbei zu laufen und zum anderen müsse ein quasi öffentliches Gebäude auch etwas hermachen. Ein Steinhaus mit mindestens einem weiteren Raum sei unverzichtbar!
So schien es, als habe Isimud Urkhart tatsächlich Wurzeln in Trent geschlagen.
Abends, wenn keine Besucher mehr zu erwarten waren, saß er auf dem Teppich und versenkte sich in das Lichterspiel im Zenbecken, oder beobachtete all die Tierchen, die nun nicht in der Suppe oder Bratpfanne enden würden, sondern in einer Art Schutzhaft ihre Kreise in den Fischbecken zogen.
All die zusammen mit Zwiebeln und Grünkraut in die Pilzpfanne gewanderten Myrkoniden aus Noröm machte das nicht wieder lebendig. Die Existenz des Aquarienhauses änderte auch nichts daran, dass Isimud in Zukunft weiterhin herzhaft in Fischbrötchen beißen würde.
Aber sie half, die Vergangenheit ein Stück weiter loszulassen und einen Ruhepunkt zu finden.
*siehe wieder mal „Krutz und der Windgeist“