Einige Tage waren vergangen. Auf ihrer Reise durch das Trenter Umland hatten Isimud und Krutz nun die Ausläufer des Adoragebirges erreicht. Die Pfade wurden schmaler, und führten immer öfter zwischen nebelverhangenen Abgründen auf der einen und steil aufragenden Felswänden auf der anderen Seite hindurch. Der Mischwald des Trenter Umlandes wich nach und nach einer reinen Nadelbaumkultur. Zudem war es hier oben merklich kühler - und gefühlt war es noch einmal ein wenig kälter. Da die hiesigen Bäume weniger dicht standen, fingen sie den Wind schlechter ab, so dass er scharf durch Krutz Lumpen und Isimuds Wanderkleidung fuhr.
Als die beiden eines Tages schlotternd erwachten, wusste Isimud, dass es an der Zeit war, die guten Pelzkleider herauszuholen. Sich selbst warf er einen Fellumhang um, zog einen Rock aus Schaffell über seine Leggins und presste eine Filzkappe auf den Kopf. Krutz steckte er in eine Fellweste, die angesichts der Größe des Kindes diesem eine vollwertige Kutte ersetzte. Aus einem zweiten Filzhut und zwei Lederhandschuhen hatte Isimud eine Mütze geschustert, die auch die Goblinohren der Kleinen wärmte, ohne dabei das Gehör allzusehr zu beeinträchtigen. Wie lange das gute Stück halten würde, war fraglich, doch fesch sah es allemal aus. Jedenfalls fand Krutz das, wie sie Isimud nach einem Blick in den Gebirgsbach, an dem die beiden gerastet hatten, mitteilte: “Schick!”
Wann sein Schützling dieses Wort aufgeschnappt hatte, wusste der Erwachsene nicht mehr zu sagen. Sicher war nur, dass Krutz sich das Simkeanische viel schneller aneignete als Isimud in der Lage gewesen wäre, Goblinisch zu erlernen. Simkeaner nutzten die unterschiedlichsten Worte, oftmals mehrere für sehr ähnliche oder gar denselben Sachverhalt. Goblins hingegen kamen mit weniger Vokabeln aus, da sie sehr viel über Betonung oder Körpersprache ausdrückten. Selbst wenn Isimud diese Kommunikationsform in ihrer Gänze verstanden hätte, so wäre seine Kehle noch lange nicht dafür ausgelegt gewesen, sich ihrer auch zu bedienen. Also lernte Krutz Simkeanisch - an diesem Tag bestand die Lektion aus einer ganzen Reihe von Flüchen und Schimpfwörtern. Nachdem die beiden nämlich weiter gewandert waren, stießen sie auf die Überreste eines Lagerplatzes. Wer immer hier gerastet hatte, schien es nicht eilig gehabt zu haben, aufzubrechen. Die Spuren deuteten auf einen geordneten Abzug in aller Ruhe hin. Dennoch lagen überall verstreut Fischgräten, Kirschkerne und sogar ein Tonbecher, durch den sich ein breiter Riss zog. „Lass liegen, tritt sich fest“ schien die Devise der Reisenden zu lauten.
“!§$%&/?+*!” entfuhr es Isimud. “Wenn das so weiter geht, haben wir hier in spätestens einem Jahr ein Pumaproblem. Ist ja direkt eine Einladung zum Büffet...”
Unter weiteren Flüchen erklärte der Monsterjäger, dass es sich bei Pumas um scheue Bergbewohner handelte. Normalerweise wichen sie den Zweibeinern aus, gab es bei ihnen ja nichts zu holen, für das man eines seiner neun Katzenleben aufs Spiel hätte setzen wollen. “Doch mit zunehmendem Reichtum und vor allem der Nachlässigkeit der Städter geschuldet”, erläuterte Isimud, “wird dieser Teil des Gebirges attraktiver für die Pumas. Dann legen sie ihre Scheu ab. Genauso ist es im Trenter Wald mit den Wahnsinnigen Würmern und den Ameisenspähern abgelaufen. Ich habe das selbst miterlebt!”
Er musste seine Rede noch mehrfach umformulieren, bis Krutz sie in ihrer Gänze verstand. Geduldig suchte der Kämpfer nach Worten und Vergleichen, die den Sachverhalt einem Angehörigen der Goblinkultur verständlich machten. Erst als er sicher war, dass das Kind alles begriffen hatte, forderte Isimud es zum Weiterwandern auf.
Doch sie hatten kaum die ersten zehn, zwölf Meter zurückgelegt, als Krutz die Ohren deutlich sichtbar spitzte. Auch Isimud meinte, etwas zu hören. Das Murmeln des Baches übertönte das Geräusch beinahe, doch waren da nicht Schritte zu ihrer Rechten?
“Wen hat uns Sir Camulos denn da geschickt?” ertönte da plötzlich eine Stimme. “Eine Furie und einen Osterhasen?”
Hinter einem Felsen rechter Hand traten zwei Männer hervor. Ihrem Aussehen nach handelte es sich um Bergleute aus dem Volk der Menschen. Isimud erkannte sie als zwei abenteuerlustige Gesellen, die sie sich hier am Bach als Goldsucher betätigten. Bisher waren die Versuche der beiden, aus dem Wasser des Baches Goldstaub zu waschen, nicht von Erfolg gekrönt gewesen.
Isimud lachte! “Unsinn! Der „Hase“ ist ein Waisenkind aus dem Dämmerwald und ich bin Isimud Urkhart aus Trent...”
“...abkommandiert, um die Steinmetze, Erzgräber und questenden Helden davor zu beschützen, die falschen Schneebälle aufzusammeln”, beendete der erste Goldsucher den Satz. “Die Sorte nämlich, die sich selber wirft!”
“Wir ha´m übrigens gleich gewusst, dass du´s bist”, ergänzte sein Kamerad. “So wie du vorhin, so zetert nur eine östlich von Trent!” Der Mann schlug Isimud kameradschaftlich auf die Schulter. Lachend fügte er hinzu: “Unsere Isi - immer so höflich, so zuvorkommend, darauf bedacht, dass ja kein böses Wort fällt. Haha! Aber kaum isse eine Tagesreise fort von der Stadt, da schimpft sie wie ein Rohrspatz, sobald sich nur mal ihr Schnürsenkel löst!”
“So sind wir wechselhaften Windgeister nun einmal”, erwiderte Isimud. Als die beiden Menschen daraufhin die Stirn runzelten, erklärte sie: “Das ist eine lange Geschichte für einen langen Abend mit viel Bier und...” bei den letzten Worten deutete sie mit dem Kopf auf ihre Begleiterin. “...Apfelsaft, der so lange geschüttelt wird, bis er schäumt wie Bier.”
“Klingt gut. Du kochst?”
“Na sicher!”
Die beiden Goldsucher tippten noch einmal zum Gruß an ihre Mützen, dann begaben sie sich zum Bachufer, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen.
“Aber Recht hat sie”, hörte Isimud den ersten noch murmeln, “die Städter verschandeln das ganze Gebirge mit ihrem Unrat!”
Isimud ergriff Krutzs Hand. “Komm, Krutz! Ich weiß, wo die beiden wohnen! Da gehen wir jetzt hin.”