Beiträge von Isimud

    Die Idee mit dem Lederfärben ist ja sowas von genial! Ich mag es sehr, wenn man jedes Zipfelchen seines Chars und der Ausrüstung individualisieren kann :)
    Auch gut, dass der Tran jetzt eine Verwendung hat (oder ich kannte bisher bloß keine).

    Der Winter hatte auf dem simekanischen Kontinent Einzug gehalten. Eine dicke Schneedecke dämpfte die Geräusche und tauchte das Land in eine zeitlose Stille. Dennoch blieben Ruhe und Frieden den Tieren des Waldes ebenso verwehrt wie dem geschäftigen Städtebürger.
    Im lichten Teil des Dämmerwaldes existierte noch immer eine intakte Nahrungskette: Reh, Wolf, Goblin, Isimud Urkhart.
    Dummerweise endete sie nicht mit dem Monsterjäger. Es fehlte noch der Goblinkrieger, der die Spitzenposition einnahm.
    Isimud bemerkte, dass er viel zu nah an den Ruinen gejagt hatte. Dies war das Revier der Goblins und er vermied es normalerweise, hier zu wildern. Zum einen besaß jedes Wesen besaß das Recht, sich seine Lebensgrundlage zu sichern. (Mit Sicherheit würden das die Goblins anders sehen und würden "jedes Wesen" durch sich selbst ersetzen...) Zum anderen wollte Isimud keinen Konflikt mit den kriegerischen Grünhäuten provozieren. Nicht, dass sie am Ende noch über die Stadt Trent herfielen.
    Doch an diesem Tag sah sich Isimud gezwungen, eine Ausnahme zu machen. Gerade wollte er sich aus der Gegend zurückziehen, als er Bewegungen hinter den kahlen, dürren Zweigen eines Gesträuchs wahrnahm. Der Jäger schlich sich näher heran. Ohne die Augen bemühen zu müssen, erkannt er bereits am Geruch, dass er sich einem Goblin näherte. Glücklicherweise wehte der Wind dessen Gestank zu dem jungen Monsterjäger und nicht etwas andersherum.
    Der Goblin hielt einen schweren Knüppel in seiner Hand und er machte sich bereit, diesen auf ein kleineres, sich vor ihm duckendes Wesen herabsausen zu lassen. Isimud sah genauer hin. Das kleine Wesen schien unschlüssig, in welche Richtung es ausweichen sollte. "Aiiiiiiieeeeeee!" kreischte es. Es handelte sich um ein Kind und der Stimmlage nach ein Mädchen! Viel mehr war nicht zu erkennen, so winterfest eingepackt, wie das Kleine war.
    "Hannah!" dachte Isimud. "Das war ja so klar, dass sowas eines Tages passiert!"
    Isimuds erster, hastiger Schuss mit dem Bogen ging daneben. Der Goblin sah den Pfeilschaft neben seinem Stiefel aus dem Schnee ragen, doch er ignorierte ihn nach einem kurzen Seitenblick darauf. Erneut hob das Monster seine Keule.
    Isimud begriff: Zeit, ein zweites Mal zu Zielen, würde ihm nicht bleiben. Aber vielleicht ließ sich die Kreatur ja erneut verunsichern?
    "Raaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhh!" Einen Kampfschrei aus voller Kehle brüllend rannte Isimud auf seinen Gegner zu. Als sich vor ihm eine kleine Schneewehe erhob, übersprang der Anthrone sie. Isimud meinte, zu schweben. Seine Füße blieben viel zu lange ohne Bodenkontakt. Viel weiter, als er jemals zuvor gesprungen war, berührten seine Zehen sachte den verschneiten Waldboden.
    Etwas Feuchtes, Warmes, rann seinen Rücken hinunter. Dann setzte der Schmerz ein.
    Isimud verzog seine Miene zu einem grimmigen Lächeln. Er ging in die Knie und sprang erneut.
    Inzwischen hatte sich der Goblin umgedreht und stand nun mit offenem Mund auf das blickend, was ihm da entgegenkam. Isimud merkte, dass ihn mächtige Schwingen voran trugen. Instinktiv wusste er, welche Muskeln es zu spannen galt und mit jedem Flügelschlag liesen die Schmerzen nach.
    Bei seinem Gegner angekommen, hielt er sich nicht damit auf, eine Nahkampfwaffe zu ziehen. Einige kräftige Flügelschläge genügten, das Monster zu betäuben.
    Isimud war selbst überrascht angesichts der Stärke, die er sich im vergangenen Jahr antrainiert hatte.
    Doch größer noch war die Überraschung, als er während des Kampfes seine Federn erkennen konnte. Sie waren weder weiß noch schwarz, sondern grau. Noch nie zuvor war es vorgekommen, dass ein Anthrone graue Flügel manifestiert hatte!
    Ich weiß, warum sie so aussehen. Weil ich anderen helfen möchte, aber aus selbstsüchtigen Motiven.
    Doch alles, was im Moment zählte, war Hannahs Sicherheit und nicht, ob Isimuds Flügelfarbe den Naturgesetzen entsprach oder nicht. Auch der Himmel war blau, obwohl Nudimud Urkhart seinen Kindern irgendwann einmal erklärt hatte, dass er den Regeln der Wahrscheinlichkeit nach orange aussehen müsste.
    "Hannah, komm her!"
    Keine Reaktion.
    Isimud sah sich um. Das Mädchen hockte zitternd an einen Baum gelehnt. Isimud blinzelte. Nun erst fiel ihm auf, dass die lumpige Kleidung des Kindes wie zusammengeraubt aussah. Zudem stank sie penetrant nach Goblin.
    Zaghaft näherte der Monsterjäger sich dem Kind. Mit jedem Schritt wurde zur Gewissheit, was all die kleinen Indizien andeuteten. Das war nicht Hannah, die Tochter von Almuth und Jim. Unter dem Baum saß ein Goblinmädchen!
    Goblins bedrohten die Flüchtlinge, die sich in Simkea eine neue Heimat aufbauten und Isimud konnte keine Kinder leiden. Er hätte dem Kleinen problemlos den Hals umdrehen können, brachte es aber nicht übers Herz, zuzudrücken.
    "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", flüsterte er.
    Das Goblinkind hob seinen Kopf. "Der hat aber einen langen Namen", mochte es wohl gerade denken.
    Isimud starrte in beinahe vollständig schwarze Augen, in denen die Pupillen nur zu erahnen waren. Hatte der ältere Goblin das Kind aufgrund dieser Auffälligkeit erschlagen wollen? Aber wieso erst jetzt?
    Verwirrt schüttelte Isimud seine Schwingen. Ein, zwei Federn, die sich während des kurzen Kampfes gelockert hatten, fielen in den Schnee.
    Erstaunt fixierte das Kind sie.
    Isimud bückte sich. Er hob eine der Federn auf und betrachtete sie ebenso versutzt wie das Mädchen.
    Das ist also jetzt ein Teil von mir. Die gehören mir nicht, die bin ich.
    Alles war mehr als verwirrend. Einem plötzlichen Impuls folgend, hielt Isimud die andere Feder dem Goblinkind hin.
    Das Mädchen griff zu. Es streichelte über die Gabe und gab dann einen Laut von sich: "Krutz!"
    "Okay, Krutz, wir haben keine Zeit", murmelte Isimud. "Bitte mach jetzt keinen Ärger!"
    Während er sprach, löste der Monsterjäger die Fibel seines Umhangs. Er wickelte das Kind in den Stoff und schleppte das Bündel durch den Wald. Das Goblinmädchen wehrte sich nicht. Es umklammerte die ganze Zeit über die taubengraue Feder.
    Isimud wusste nicht, wie lange seine Schwingen ihm erhalten bleiben würden. Der Legende nach verschwanden sie wieder, sobald die Gefahr vorrüber war.
    Erst, als es völlig dunkel war, und das Stadttor bereits geschlossen, überflog der Anthrone die Stadtmauer Trents. Von der Nordmauer bis zu seinem Haus waren es nur wenige Schritte. Isimud wagte kaum zu atmen, während er die kurze Strecke überwand.
    Erst, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und der den Schlüssel von innen herumdrehte, gestattete er sich ein längeres Luftholen.
    "Alles klar, wir sind da", flüsterte er.
    In dem Bündel rappelte es.
    Mit Schwung zog Isimud den Stoff zur Seite. Krutz - oder wie immer das kleine Wesen hieß - blickte sich neugierig um.
    Isimud krümmte sich unterdessen, als seine Schwingen begannen, sich wieder einzufalten und unter die Haut zurückzuziehen.
    "Üng... Uhhh..."
    Die Finger in das Holz des Bettrahmens gekrallt, lies der Geflügelte die neuerliche Verwandlung über sich ergehen.
    Wenig später reinigte er im Schutze der Nacht sein blutiges Hemd und flickte die Risse, wo sich die Flügel einen Weg durch den Stoff an die Luft erzwungen hatten.
    Liebe Güte! Wer hätte gedacht, dass Engelsabkömmlinge dieselben Probleme wie Werwölfe bekommen!
    Das Goblinmädchen verhielt sich die ganze Zeit über erstaunlich still für ein Kind seines Alters, regelrecht eingeschüchtert. Isimud dankte allen Göttern dafür.
    Niemand würde merken, was er versteckte.
    Hoffentlich.

    Isimud erwiderte Hanswalters Blick. Ungeübt im Lesen menschlicher Mimik (ooc: das liegt allerdings nicht an der Rasse, sondern am Char) glaubte er doch, dieselbe Scham im Gesicht des Schmiedes zu lesen, die auch er gerade empfand.
    Denn allmählich ebbte die Freude über das gelungene Ritual ab und lies eine vernünftige Betrachtung der Situation zu. Erst jetzt drangen Lady Sharinas Worte wirklich in Isimuds Bewustsein ein.
    Isimud hatte sich in seinen Monsterkämpfen mehr als eine Narbe zugezogen. Er riskierte viel, um die Zivilisten Simkeas zu schützen. Und nun hatte er bei etwas geholfen, das beinahe ganz Simkea zerstört - oder doch zumindest in große Gefahr gebracht - hätte?! Womöglich war es doch besser, sich in Zukunft wieder auf den Kessel und das Einkochen zu beschränken. Manche Tradition hatte eben ihren tieferen Sinn.
    Die zweite Fackel noch immer in der Hand, setzte sich auch Isimud in Richtung Stadt in Bewegung.

    An diese Stelle gehört chronologisch: Ein Gespenst kommt selten allein


    Unterdessen in Noröm in einer Zelle in der Festung Urkhart:


    Usumiya drehte die Rübe in seinen Händen. Sie schien frisch gepflückt zu sein, denn es klebten noch Erdbrocken daran und Häärchen kitzelten den Anthronen. Usumiya hob die Rübe an. Roch daran.


    Hm... der Geruch der Außenwelt. Freiheit...


    Der Gefangene in seiner Zelle zückte sein Essmesser. Mit vor Kälte steifen Fingern begann er, sie auszuhöhlen. Nicht sein Hunger, sondern die alte Tradition des Samhain oder auch der Nacht vor Allerseelen trieb den Jüngling dazu. In seine Kerkerzelle brachte das einen Hauch von Normalität.
    Wie bei jeder Tätigkeit schnitten die Handschellen in die Gelenke des Gefangenen. Längst waren sie wund, doch Usumiya hatte sich an den damit einhergehenden Dauerschmerz gewöhnt. Er schnitzte weiter. Nach einer Weile begannen seine Finger zu beben. Usumiya versuchte, sich zusammenzureißen, doch da war es bereits geschehen: Sein Messer glitt ab und schnitt tief in Usumiyas Handfläche! Sofort begann Blut aus der Wunde auszutreten.


    QUIETSCH!


    Die Tür zu Usumiyas Zelle öffnete sich. Jemand überbrückte hastigen Schritts die Entfernung und riss dem Gefangenen das Messer aus der Hand.
    "Her damit!"
    Usumiya blickte auf. Er erkannte seine Mutter, Nudimud, Herrin über die Festung und Oberhaupt der Urkhart-Sippe.
    Nudimud legte ihrem Kind die Hand auf die Schulter, auf der Seite der verletzten Hand. Sie murmelte ein paar Silben. Usumiya spürte, wie sich die Magie von Nudimuds Hand über seinen eigenen Arm bis zu der Wunde vorarbeitete. Es fühlte sich an, als würde sein gesunder Arm auch noch aufgerissen. Nudimud wiederholte die monotone Silbenfolge, bis sich Usumiyas Wunde wieder schloss.
    Mit dem Ende des Zaubers verflüchtigte sich der Schmerz aus Schulter, Arm und Hand. Selbst in seinem wunden Handgelenk fühlte Usumiya Erleichterung.


    "Das kann ich nicht jeden Tag tun!" schärfte die Zauberin ihrem Kind ein. "Deswegen behalte ich dein Messer ein! Das ist viel zu gefährlich für dich!"


    Ohne ein weiteres Wort, ohne auch nur eine Bekundung von Zuneigung, verlies die Burgherrin die Zelle wieder.
    Usumiya blieb ihm Dunkeln zurück. Zuerst saß er wie erstarrt. Dann kratzte er das Innere der Rübe mit den bloßen Fingernägeln heraus. Er arbeitete, bis seine Finger blutig waren. Zwischendurch schlang er das Innere der Rübe gierig hinunter.
    So gut er es vermochte, durchstieß Usumiya die dünnen Wände der Rübe mit seinem Federkiel, mit dem er Tagebuch führte. Ein krudes Gesicht entstand. Mit der Feder malte der Gefangene der Rübe noch eine Haartracht auf, die an Isimuds gewelltes Haar erinnerte.
    Am Ende seiner Arbeit wischte sich der Gefangene den Rübensaft vom Kinn und den Schmutz von den Fingern. Aus einer neben seinem Strohlager stehenden Schatulle entnahm er eine Kerze. Er besaß nichts, womit er sie hätte enzünden können, dennoch presste Usumiya die Kerze fest in die Rübe.
    Nudimud mochte sich noch auf dem Gang befinden, doch sie um ein Feuerzeug zu bitten, wäre sinnlos gewesen. Die Burgherrin achtete darauf, dass ihrem einzigen überlebenden Kind keine Gefahr drohte. Offenes Feuer kam nicht in Frage!
    Usumiya strich seine Finger an seinem zerschlissenen Seidenhemd sauber. Stinkend, verwahrlost und nun auch noch blutigen Kleidern trat der Gefangene soweit, wie es ihm seine Fußfesseln erlaubten, an das vergitterte Fenster. Er stellte sich vor, die Rübe dort hinein zu stellen, musste sich aber damit begnügen, sie auf dem Steinfußboden zu platzieren.
    Usumiya kniff die Augen zusammen. Nein, es gab keine Normalität, nicht für ihn und nicht hier.
    Am schlimmsten an seiner Lage war die Furcht: Wann würde die Mutter ihm nichts mehr zu Essen und zu Trinken bringen, weil er sich ja daran verschlucken konnte? Nudimuds "Schutz" hatte längst die Form von Besessenheit angenommen...
    "Schuld" daran war Isimud, Usumiyas Zwilling, der verwöhnte Lieblingssohn, der sich im vorletzten Sommer von Monsterfischen hatte fressen lassen.
    Es verging keine Nacht, in der der Usumiya nicht an den Zwilling gedacht hätte. Doch heute war eine besondere Nacht, heute, so hieß es, waren die Wände zwischen dem Diesseits und dem Jenseits dünner.
    Für den Zwilling hatte Usumiya die Rübe ins Fenster stellen wollen. In Noröm konnte man sich nie sicher sein, was einer Seele zustoßen konnte, bevor diese das Nachleben erreichte. Usumiya betete daher zum allumfassenden Licht, dem die Verehrung seines Volkes galt. Anthronen erkannten die Existenz der Götter an, doch wenn sie diesen huldigten, dann geschah eher auf einer "Du magst das und ich brauche gerade etwas von dir"-Basis. Das Licht stand so weit über den Göttern, dass es aus seiner Perspektive keinen Unterschied zwischen diesen und Sterblichen jeglicher Art wahrnahm.
    War Isimud ins Licht zurückgekehrt? Ob er ihn dort wohl hören konnte? Womöglich auf ihn wartete?


    "Verdammter Mist!" schrie Usumiya. "Wozu hat man eine Nekromantin zur Mutter, wenn die nicht mal den eigenen Bruder wiederbeleben kann?!"


    Nudimuds Partner, der Krieger Damkina, suchte überall nach Isimuds Körper. Doch was würde geschehen, wenn er gefunden würde? Zum Leben erweckt?


    Dann enden wir beide in dieser Zelle, schlussfolgerte Usumiya.


    Die künstliche Sonne der Urkhart-Ländereien warf die letzten Strahlen des Tages in die Kerkerzelle. Usumiyas Rübe wurde in ihr magisches Licht getaucht.
    Beinahe schien es, als wehten die gezeichneten Haare im Wind. Usumiya stellte sich seinen Zwilling vor, wie dieser an einem Herbsttag am Flußufer entlang wanderte. Doch seine eigene Phantasie wollte ihm nicht gehorchen. Ein Friedhof ersetzte das Flußufer. Es war Nacht, aber Fackeln erhellen die Umgebung.
    Dann blitzte etwas auf, ein Eisstrahl entlud sich gegen einen Gegner außerhalb von Usumiyas Sichtfeld. Kurz darauf grinste Isimud. Was immer es war, worauf er gezielt hatte, er schien es erlegt zu haben.


    "Is..."


    So unvermittelt, wie die Bilder erschienen waren, verschwanden sie auch wieder.
    Usumiya blinzelte. Woher kam diese Vision? Durfte er ihr ihr trauen? Spielte das überhaupt eine Rolle?


    "Isimud lebt!" schrie der Gefangene. "Hörst du, Mutter? Mein Zwilling ist am Leben!"


    Seine Worte verhallten in den Gewölben unter der Festung.

    (Nein, wieso denn? Ich habe einfach nur schreiben wollen, was ich getan habe, während du erscheinst. Also was parallel zu deinem Post passiert. Tut mir leid, wenn das missverständlich war, ich versuchs noch mal klarer zu editieren.


    Edit: So, erledigt. Und entschuldige bitte ;( )

    Als er plötzlich eine Bewegung außerhalb des Kreise wahrnahm, lies Isimud eine seiner Fackeln fallen und riss den Eiszauberstab so heftig aus seinem Gürtel, dass er knirschte. Die Reaktion war aus einem Reflex heraus erfolgt. Erst nachdem das mentale Kommando zum Feuern bereits an die Waffe ergangen war, erkannte der Monsterjäger, was da aus der Nacht heraus geplatzt war - oder besser: Wer. Lady Sharina aus Trent!
    In letzter Sekunde lenkte Isimud seine Hand zur Seite. Ein Eisstrahl löste sich aus der Spitze des Stabs und schlug harmlos in den Erdboden ein. Ein kleiner Krater und ein paar Eissplitter blieben zurück.
    Gleichzeitig ertönte ein lauter Knall. Lady Sharina hatte etwas ins Feuer gestreut, woraufhin das Portal sich zusammenzog und dann verschwand.
    Puh... Noch mal gut gegangen! Nicht auszudenken, wenn ich sie mit dem Eiszauber getroffen hätte...
    Erleichtert darüber, dass alles gut ausgegangen war - sowohl für die Geister als auch für die beteiligten Menschen - grinste Isimud die anderen an und hob die Fackel wieder auf. Er hörte zwar Lady Sharinas Standpauke und Hanswalters Reaktion darauf, doch im Allgemeinen überwog das Gefühl, dass wirklich alles wieder gut war.


    Und auf der anderen Seite der Ebenen, dort, wo sich bis soeben das Portal befunden hatte:


    Die Seele wusste längst nicht mehr, ob sie ein Er oder Sie war, aber ihr Ziel stand ihr noch deutlich vor "Augen". Dieses Ziel zu erfüllen war alles, was ihren Geist erfüllte, was ihrer Existenz einen Sinn verlieh. Dass ausgerechnet etwas derartig Grundlegendes wie die eigene Existenz einen Sinn benötigen sollte, hätte Außenstehenden bewiesen, wie nah die Seele sich noch an der Welt der Lebenden befand. Zu nah. Nah genug, um den kleinsten Riss im Kontinuum aufzuspüren.
    Nicht drei, sondern vier körperliche Wesen, hatten es auf der anderen Seite des Portals gewagt, lebendig zu sein, darunter ein Vampir und etwas sehr Ähnliches. Ein frisch erschaffener Vampir vielleicht? Jedenfalls ein Wesen, dass seine Lebenszeit auf magische Weise verlängert hatte. Als ob nicht schon die bloße Existenz der zwei lebendigen Kreaturen Affront genug gewesen wäre!
    Die Seele ohne Namen wollte das Leben der vier... beenden? Ja, vielleicht. Aber vielleicht würde ihr noch etwas Besseres einfallen. Wozu etwas zerstören, das man sich auch selbst nehmen konnte?
    Sie würde warten... und planen...

    Unterdessen auf der anderen Seite des Portals...
    (Bitte ignorieren, falls ihr beiden schon was anders geplant habt)


    Licht... zu hell, tut weh.
    Licht heißt willkommen, aber kann nicht hin, nein, kann nicht, Licht fremd, ANDERS, schmerzt, muss fort von Licht.
    MUSS? WILL! Will fort von Licht, fort von Anders-Schmerz.
    Fort, fort!
    Wohin?
    Kein Weg, nirgends.


    Die Seele wusste nicht, wie lange sie in der Finsternis geschwebt hatte oder was es mit dem merkwürdigen Licht auf sich hatte, das sie gleichzeitig faszinierte und abstieß.
    Sie erinnerte sich auch nicht mehr daran, was sie einmal gewesen war. Zwar spiegelte ihre Form noch die Gestalt wieder, als die sie über die Welt gewandelt war, doch die Seele konnte dieser Form keinen Begriff mehr zuordnen. Sie wusste nur, dass sie hatte leben wollen und es plötzlich... nicht mehr ging? Geendet hatte?


    Rot. Rote Scheibe. Sonne? Blutende Sonne. Blut? Ja, Blut!


    Mitten in der Finsternis war unverhofft eine Scheibe erschienen. Auf der anderen Seite der roten Scheibe spürte die verwirrte Seele Leben. Wieso sollte dieses Leben fortexistieren dürfen, obwohl sie selbst ihres verloren hatte?!


    Neid! Zorn! Raserei!


    Die Seele hatte alles verloren, sogar sich selbst. Doch nun war ihr von den Mächten der Finsternis etwas geschenkt worden: Ein Ziel.

    Isimud sah wie die Gespenster Hanswalter umschwirren und hörte dessen Bitte. Er ahnte, dass bei den kleinen Kerlchen mit Vernunft nicht viel zu erreichen war. Der Instinkt eines Geistes zog ihn in die nächste Welt, nur Gespenster wurden von geistigen Fesseln, die ihnen oft gar nicht selbst bewusst war, zurückgehalten: Schuld, Liebe, Gier, Eifersucht...
    Nun zu beobachten, wie ihr Ausweg aus ihrer Gefangenschaft Gestalt annahm, musste auf die Gespenster wirken, wie ein noch warmer Kuchen frisch aus dem Backofen, den die Haussklaven gebacken hatten und an dem sich ein kleiner Junge NICHT vergreifen durfte. Erinnerungen an seine erst wenige Jahre zurückliegende Kindheit wurden in dem Monsterjäger wach...
    Anstatt zu argumentieren, Hanswalter doch nicht zu stören, griff Isimud auf die Ablenkungstaktik zurück, bei der eine andere Tätigkeit interessanter gestaltet wurde.
    "Ho!" rief er. "Das Ritual hat begonnen, merkt ihr Gespenster das nicht? Jetzt ist es an der Zeit, dass ihr euren Teil des Zauber wirkt!"
    Isimud besann sich kurz, dann gab er den Gespenstern die Anweisung, sich in einem Ring um das Pentagramm herum zu formieren. Er wies ihnen exakte Positionen zu: "Abstand zum Boden fünfzig Zentimeter! Abstand zum Nachbarn... äh, egal. Verteilt euch nur möglichst gleichmäßig. Ganz leicht auf uns ab schweben, immer im Wechsel, die einen hoch, die anderen runter... Ja, gut so! Und leise bitte!"
    Es war ihm selbst bewusst, dass er Quatsch redete, doch vielleicht würde es ja funktionieren.
    "Hoffentlich glauben die anderen nicht, dass das echt ist", schoss es ihm durch den Kopf, doch da waren die Worte bereits ausgesprochen.

    Isimud hielt eine Fackel in jeder Hand. Die Flammen brannten gleichmäßig und erhellten zumindest die nähere Umgebung. Ab und zu löste sich ein Span und fiel als kleiner Funke zu Boden. Die Schatten der Zweibeiner fielen auf den Steinboden, ihre Gestalten grotesk verzerrt.
    Isimud nahm jedes Geräusch überdeutlich wahr, eine Folge seiner angespannten Nerven.
    In der Ferne heulte ein Wolf. Sein Rudel nahm den Ruf auf und trug ihn weiter...
    Das Rascheln im Unterholz mochte von einem kleinen Nagetier oder einem Nachvogel stammen...
    Das vertraute Schrapp-Flatsch eines Wahnsinnigen Wurms, der sich über den Waldboden ringelte und seinen massiven Leib dabei tief in die Erde eingrub, war in einiger Entfernung zu hören. Auch diese Kreatur gehörte mittlerweile zur normalen Fauna des Trenter Umlandes...
    Ob die Tiere des Waldes wohl ahnten, dass heute eine besondere Nacht war?
    Isimud ärgerte sich, keine richtige Rüstung angelegt zu haben. Er trug lediglich ein verstärktes Lederwams, ein Jagdmesser und einen dünnen Eiszauberstab bei sich. Dummerweise war Kälte exakt das Element, gegen das Untote immun waren. Galt das auch für Dämonen?
    Nicht ablenken lassen...
    Selbst die neugierigsten und unruhigsten Geister waren mittlerweile verstummt. Sie hielten sich nah aneinander und bei Hanswalter. Die einzelnen Gespenster rückten so nah aneinander, dass die Grenzen ihrer Leiber verschwammen. Wie ein großer grauer Klumpen hing das Geisterheer in der Luft.

    "Ja, würde ich gern. Und wenn es nur ist, um Eulen zu verscheuchen, damit sie euch beide nicht beim Ritual stören. Ich denke, es ist immens wichtig, sich nicht ablenken zu lassen."
    Vielleicht war ja einfach nur das mit dem "rücksichtslosen Willen" gemeint: sich nicht ablenken zu lassen.

    "Darf ich mal?" Isimud griff nach dem Stein. Er erinnerte ihn ein wenig an Graphiterz.
    Was hatte ihm der Vater über dieses Metall erklärt? Ach ja, genau: "Man schreibt damit Zauberkreise, deswegen der vom Wortstamm graph abgeleitete Name."
    "Das ist magisch behandeltes Graphiterz", erklärte der Bergmann. "Und ich habe das tatsächlich schon einmal gesehen."
    Dann wiederholte er die Beschreibung, die Hanswalter bereits von der Dame Schattenhand erhalten hatte. Anstatt eines Steins hatte der Norömer Nekromant allerdings einen aus dem Metall geformten Stab benutzt. Doch ob nun Stein, Stab oder Griffel, schien lediglich eine Frage des persönlichen Stils zu sein.
    "Der Zauberer hat damals den Geist eines Kriegers in den Zauberkreis gerufen, um ihn verhören", wusste Isimud weiter zu berichten.
    Wenige Stunden vorher hatte dieser Krieger im Kerker den Freitod gewählt, um zu verhindern, etwas auszuplaudern... Umsonst. Es hatte ihm nichts genützt.
    Isimud reichte den Stein zurück.
    "Ich dachte, das sei ein Ritual, das Geister ruft, nicht, sie verbannt!"
    Die Pforte ins Jenseits schien eher eine Drehtür zu sein...

    Erfreut nickte Isimud auf die Einladung des Schmiedes hin, nicht jedoch, ohne einen Seitenblick auf Artemis zu werfen. Immerhin konnte eine Vampirin ihren Gatten viel besser beschützen.


    "Nein, das tue ich nicht", antwortete der Monsterjäger auf Hanswalters Frage nach seinen nekromantischen Kenntnissen.


    Es war keine Lüge, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Alles, was ihn sein Vater der Nekromant diesbezüglich hatte lehren wollen, war zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus gegangen, ohne dazwischen auf nennenswerten Widerstand zu stoßen.
    Der Heranwachsende hatte einfach jedes Mal aufs Neue auswendig gelernt, wann und in welcher Weise er den Hahn (oder den Gefangenen) aufschlitzen musste, ohne die Bedeutung der Handlung im Gesamtzusammenhang des Rituals zu verstehen.
    Mit der Zeit waren Nudimmud Urkharts Kinder geübt darin geworden, zu erkennen, wann sich eine wiederbelebte oder beschworene Kreatur nicht den Wünschen ihres Vaters unterwerfen mochte und hatten gelernt, den Fehlschlag rechtzeitig mit einem raschen Schwertstreich auf den Abfallhaufen zu befördern.


    "Aber ich habe in Noröm schon einige solcher Rituale... beobachtet", gestand Isimud. "Schwarze Magie zu wirken bedeutet, den eigenen Willen über alles andere zu stellen", wiederholte er die Worte seines Vaters. "Sie erfordert einen rücksichtslosen Geist, dem keine Grenzen heilig sind. Die kleinste Unsicherheit, das winzigste Zögern, kann den Zauberer zum Spielball der Mächte machen, die er da entfesselt."
    Isimud schluckte hart.
    "Das macht die Schwarzmagie aber nicht per se böse."


    Fing es so an? Indem man sich Rechtfertigungen ausdachte? Sich sagte, es diene ja alles einem edlen Zweck? Hatte er nicht selbst gesehen, wie es endete, nur, um nun denselben Weg zu beschreiten?

    "Ja, gleich..."


    Ich sollte ihnen nicht nachlaufen. Vor allem nicht in dieser Situation. Aber vielleicht brauchen die beiden ja Hilfe, einen Wächter für den Ritualplatz oder so. Wäre ja nicht das erste nekromantische Ritual, bei dem ich assistiere... Nur eben das erste, das einem guten Zweck dient.


    Unschlüssig folgte Isimud der Vampirin und dem Schmied in einigem Abstand.


    Fakt ist, dass die zwei keinen Möchtgernhelden nötig haben. Sonst hätten sie ja etwas gesagt. Haben sie aber nicht.


    Seine Schritte wurden langsamer.

    Isimud verfolgte das Gespräch der drei mit ein wenig Wehmut. Gern hätte er eine kleine Ehekrise in seinem Leben in Kauf genommen, hätte es doch bedeutet, überhaupt ersteinmal einen Partner zu besitzen. Nur war das eben nicht sehr wahrscheinlich, wenn man der einzige Angehörige der eigenen Spezies auf zwei Kontinenten war.
    Was sage ich denn jetzt? Und was tue ich? Verflixt, ist das eine peinliche Situation... Am Besten erstmal gar nichts. Hoffentlich macht es das nicht noch schlimmer...

    Wieso sich ausgerechnet Jim Rat in dieser Hinsicht holte, leuchtete Isimud zuerst nicht ein. Erst nach eine Weile machte es "Klick" und der Monsterjäger verstand, dass Jim eben nicht so direkt nach der Zauberin fragen wollte. Leuchtete ja auch ein.
    Ihm jedenfalls, den Geistern weniger.
    Obgleich alle Gespenster mehr oder weniger identisch aussahen und nur die wenigsten auch nur eine leise Ahnung ihres irdischen Lebens zurückbehalten hatten, gab es unter ihnen gesetztere und impulsivere Charaktere. Ein Dutzend von der ungeduldigen Sorte sausten um die Gruppe herum. Sie knufften Jim und piesackten Isimud, die ihrer Meinung nach alles unnötig auffhielten.
    Die Berührung durch die feinstofflichen Wesen tat nicht weh, aber sie löste ein eisiges Schaudern aus und noch minutenlang danach fühlte sich die berührte Körperstelle irgendwie taub an.
    Ein dreizehntes Gespenst umschwirrte Hanswalter heulend. Seine Klagelaute formten sich zu einem Singsang:
    "Weitergehen!
    Lass sie stehen!
    Das Portal, das Portal!
    wir haben nur die eine Nacht
    fürs Ritual, fürs Ritual.
    Es liegt in deiner Macht!"
    Es stand zu vermuten, dass es sich bei diesem Individuum um einen erfolglosen Spielmann handelte, den sein Publikum während einer Aufführung schlicht und einfach erschlagen hatte...
    "Portal? Ritual?" Isimud horchte auf. "Bedeutet das, ihr beiden wart erfolgreich?"

    Ich werde mir einen neuen Helm zulegen müssen, überlegte Isimud, als er Jims geflüsterte Botschaft hörte.
    Kein Wunder, dass Almuths Angetrauter ihr DAS nicht persönlich sagen wollte.
    Die Zeiten, in denen der Bote für die Nachricht hingerichtet wird, sind aber hoffentlich vorbei.
    "Oooo-kay, das werde ich ihr ausrichten", erklärte Isimud.
    Auf dem Weg in die Stadt meinte er, Schritte in seinem Rücken zu hören. Doch nachdem der Monsterjäger vorhin schon deutliche Schritte vollständig überhört hatte, gab er nichts mehr auf seine Eindrücke.
    Sicher habe ich mir das nur eingebildet.

    Genaugenommen hatte Isimud schon etwas gesagt, doch seine Äußerungen erschöpften sich in einem "Huch, wie jetzt, wo, was?", also nichts, was in irgendeiner Weise hilfreich gewesen wäre.
    Was hätte er auch zu seiner Rechtfertigung vorbringen sollen? Vielleicht: Entschuldige, Jim, ich bin nur deswegen so erschrocken, weil ich eigentlich mit einem Lynchmob gerechnet habe, der mich in Sirup kochen will wie ein Halloween-Gespenst?
    Nein, dann lieber gar nichts sagen und sich im Stillen vornehmen, an der Sinnenschärfe zu arbeiten, um nicht noch einmal so überrascht zu werden.


    "He, Jim, warte mal!"
    Isimud setzte sich in Bewegung. Bevor der andere das Stadttor erreichen konnte, holte er ihn noch ein.
    "Wäre es in Ordnung für dich, wenn wir zusammen reingingen? Ist jetzt ein bißchen kompliziert zu erklären, aber ich brauch gerade ein Alibi. Es wäre ganz praktisch, wenn die Leute denken, dass ich heute für dich gearbeitet habe, Holz gefällt, oder so. Dass sie gar nicht erst auf die Idee kommen, ich könne in der Stadt gewesen sein."

    "Iiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeeehhhhhhhhhhhk!"
    Der Entsetzensschrei der Dame mit der Pelzstola tönte durch die Gassen. Wie erwartet fiel gleichzeitig das Päckchen, das sie vom Bäcker mitgebracht hatte, zu Boden. Noch bevor all die guten Sachen auf dem Pflaster zermatschen konnten, hatte der verkleidete Isimud bereits zugegriffen. Nun riss er das Packpapier auf und begann, die Windbeutel laut schmatzend zu verspeisen. Sein Saurierkostüm behinderte den Räuber dabei nur marginal.
    Zufrieden mit seinem erneuten Raubzug genoss Isimud seine neuerliche Beute. Doch diesmal war etwas anders. Diesmal lief es ganz und gar nicht nach Plan...
    Von links... und von rechts... und von vorn und auch von hinten näherten sich Männer und Frauen dem Ort des Geschehens.
    "Da, da, da! Das geht jetzt schon eine ganze Weile so!" krähte ein kleines Kind unter seinem Gespensterkostüm. "Das ist ein ganz, ganz böser Saurier!"
    Aufgeregt erklärte die Kleine den Umstehenden, was sich an diesem Abend zugetragen hatte. Der eine oder andere Zuhörer war selbst zum Opfer des Stirnlappenbasilisken geworden und konnte den Bericht des kleinen Mädchens aus seinem Erfahrungsschatz heraus ergänzen.
    Rechtschaffene empörung ergriff die Trenter. Leute zu erschrecken und Süßigkeiten erbetteln, das gehörte zu Halloween. Aber der Spaß hörte auf, wenn es um echte Wertgegenstände oder Nahrungsmittel ging!
    Die Pelzstola-Dame schürzte die Lippen. Ihre Hände über der Brust gefaltet fragte sie in die Runde:
    "Wo ist diese.. ich habe ihren Namen vergessen. Ich meine diese Milizionärin, die sich immer als Mann verkleidet."
    "Isi-irgendwas", half ein anderer Städter aus. "Ja, der oder die gäbe sicher ne gute Stadtgardistin ab." Er ballte seine Rechte zur Faust und wedelte dem Stirnlappenbasilisken damit vor dessen Schnauze herum. "Isimud würde dir den Marsch schon blasen, wenn er hier wäre!"
    Eine andere Bürgerin winkte ab. "Brauchen wir denn neuerdings schon Monstertöter, um in unserer eigenen Stadt für Ordnung zu sorgen? Ich sage, wir nehmen das selbst in die Hand!"
    "Ja!" stimmten mehrere andere zu. "Holt Sirup und Federn!"
    Isimud lief es abwechselnd heiß und kalt den Rücken herunter. In zunehmender Panik sah er sich nach einem Fluchtweg um.
    Den aufgebrachten Bürgern entging das natürlich nicht. Sie zogen ihren Kreis enger, schuppsten und knufften den verkleideten "Helden" und ehe er es sich versah, fand sich Isimud bereits in Richtung Stadttor getrieben. Der Mob schien den Teil über das Teeren und Federn entweder überhört oder bereits wieder vergessen zu haben.
    Wenig später schloss sich das Stadttor krachend hinter dem räuberischen Stirnlappenbasilisken.
    "Lass dich nie wieder in Trent blicken!" schrie ihm noch jemand hinterher.
    "Hm, das Konzept eines Raubtiers scheint man in der Stadt wohl nicht mehr zu verstehen", sprach Isimud zu sich selbst. Da die Angelegenheit noch einmal glimpflich ausgegangen war, konnte er sich über seinen Streich freuen und in sich hinein grinsen.
    Er warf einen Blick über die Schulter. In der Stadt schien alles wieder ruhig, im Norden lag der Wald ebenfalls friedlich und auch auf dem Friedhof weiter östlich schien es noch zu früh für übernatürliche Aktivitäten zu sein.
    "In ein paar Stunden kann ich es riskieren, hier ganz offiziell einzumarschieren" überlegte Isimud. "Muss nur die Verkleidung loswerden."
    Isimud entledigte sich des Kostüms und lies es in einer Buschgruppe verschwinden. "So. Ohne das Ding kann ich mich wieder offen zeigen."
    Erneut scannte der Monsterjäger die nähere Umgebung. Ob wohl um diese Uhrzeit noch jemand außerhalb der Stadtmauern unterwegs war?

    Ein Stirnlappenbasilisk mit einer Zuckerstange im Maul wirkte... nun ja, niedlich. Dasselbe galt für eine Mumie, die in jeder Hand einen kandierten Apfel hielt.
    Stilecht verkleidet hatten sich Isimud und Enpehzeh ins Getümmel gesürzt.
    Doch wann immer Enpehzeh aus einem Versteck heraus auf einen der Städter zusprang, erschrak dieser kurz, dann aber lächelte er und überreichte dem Bauern eine Süßigkeit. Weil das eben Tradition so war.
    Isimud hingegen hatte es nicht nötig, sich zu verstecken. Allein seine Art, sich in dem Kostüm zu bewegen, lies die Bürger Trents die Straßenseite wechseln. Zu realistisch und raubtierhaft wirkten die Schritte, um noch zum Anlass zu passen. Mal ehrlich, "gruslige" Elemente schön und gut, aber die meisten Leute wollten keine Angstzustände erleben, sondern sich amüsieren! Das schloss einen kurzen Schrecken ein, klar.
    Von einem Stirnlappenbasilisken regelrecht angefallen zu werden, begleitet von einem urtümlichen Schrei, brachte dem Simkeaner unter der Maske keine Geschenke ein. Stattdessen suchten die Trenter Bürger das Weite. Dabei liesen sie fallen, was immer sie gerade trugen: Zuckerstangen, Skelettlutscher, Hühner, Spazierstöcke und Eisenbarren.
    Isimud klaubte alles auf.
    "Sag mal, wo hast du denn das gelernt?" ächzte Enpehzeh.
    Isimud grinste. "Hab ich mir auf der Abenteuerinsel abgeschaut. Da gibt´s Viecher, sag ich dir...!"
    "Und den Rest?"
    "Welchen Rest?"
    Der Bauer rollte die Augen, was natürlich niemand sehen konnte, denn er trug ja seine Mumienverkleidung. "Das Überfallen unschuldiger Personen!"
    "Hm?"
    Erneut seufzte der Bauer. "Was du hier tust, ehrlich gesagt, ist Straßenräubertum, entschuldige bitte."
    Isimud tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Schnauze. "Ist entschuldigt!" erwiderte er. "Und jetzt guck mal die Dame da drüben, die mit dem Pelzmantel! Sie hat gerade frische Windbeutel gekauft." Isimud leckte sich die Lippen.
    "Mit etwas Glück ist sie eine Hexe, die dich in einen Frosch verwandelt", murmelte Enpehzeh. Dass der junge Krieger aber auch immer so übertreiben musste!
    Mit wiegendem Schritt näherte sich der Stirnlappenbasilisk der Trenterin...

    Schon von weitem sahen Isimud und Enpehzeh den Schmied mit seinen Begleitern sich nähern.
    Das unerwartete Auftauchen der Geisterkompanie kurierte den armen Enpehzeh schlagartig von seinem Vorhaben, einige Exemplare mit einer Laterne einzufangen. Allein die Vorstellung, sich den feinstofflichen Wesen zu nähern, die da in so großer Zahl aufmarschierten, zu nähern, lies den Bauern erschaudern.
    Nie zuvor hatte er auch nur ein einziges Gespenst gesehen, so dass der Anblick überaus verstörend und einschüchternd wirkte.
    "Isimud! Das sind Geister!" ächzte der Landmann, bereit, Fersengeld zu geben.
    "Bleib hier!" Isimud packte seinen Begleiter an dessen Oberarm. "Das sind nur die Halloween-Gespenster. Sieh´s doch mal so: vor ihrem Tod waren das ganz normale Menschen wie du. Einer war vielleicht der Dorfschmied, der andere der Wirt und die dritte die Bürgermeisterin."
    "Danke!" zischte Enpehzeh. "Vielen herzlichen Dank auch! Das macht es NICHT einfacher!"
    Isimud nickte. Er fand es zwar in sich nicht wieder, andererseits war er aber auch nicht blind, sondern sah ja, wie seinen Begleiter der Anblick mitnahm.
    Einen einzigen Trost hatte er noch zu bieten: "Denen geht´s noch schlechter als dir..."
    Enpehzeh antwortete mit einem Schimpfwort, gefolgt von einem: "Ja. Du hast Recht."
    In diesem Moment war Hanswalter auch schon bei den beiden angelangt und grüßte den alten Bekannten.
    Während der Bauer seinen Blick trotz seiner Angst noch immer nicht von den Geistern lösen konnte, erwiderte Isimud ersteinmal den Gruß.
    Hin- und hergerissen zwischen einerseits seiner Vorfreude auf das Verkleiden und den angekündigten Spukeielerlauf sowie andererseits dem Wunsch, Hanswalter auf seine Queste anzusprechen und ihn dabei zu unterstützen, lies Isimud die Gespenster und ihren Beschützer passieren, ohne ein weiteres Wort zu sagen.