Eine lange Fahrt später...
Achtung: Dieses Kapitel spielt auf der Insel und enthält kleinere Spoiler wie Orts- und Tiernamen (aber keine Questlösungen o.ä.).
Wer es es dennoch lesen möchte, muss den Text vorher mit der Maus markieren, damit er sichtbar wird.
Wieso kann man nicht mal irgendwo hinkommen und mit einem "Hallo, willkommen in meinem Land, pass auf folgendes auf, wenn du dich hier bewegst" hören! Und nicht das Äquivalent von "Blute mir den Teppich nicht voll, Mann, du siehst aus wie ne Lusche, wieso lass ich mich eigentlich dazu herab, mit dir zu reden!"?
Die Begrüßung auf der Insel stand in so krassem Gegensatz zu der warmherzigen, die mich vor einem Jahr in Simkea erwartet hatte, dass ich völlig vergaß, dass dieser Tonfall überall sonst auf der Welt ja ganz normal war.
Jedenfalls gegenüber Junghelden, ganz so, als wollten die Veteranen jeden entmutigen, ihnen nachzueifern. Man könne ja zu einer Konkurrenz heranwachsen...
Wie würden wohl die erfahrenen Helden Simeaks auf die Anrede "Grünschnabel" reagieren? Sicher gefasst und gelassen, jedenfalls nach außen hin. Nach außen hin schaffe das ja sogar ich, der halberwachsene Milizkorperal, nur im Inneren, da schmerzt es schon. Denn auch mein Vater hat mir nie wirklich etwas zugetraut...
Aber egal. Diese Leute haben Probleme mit Monstern, und ich bin hier, um diese Probleme lösen zu helfen. Offensichtlich begreifen die Garganturaner ebensowenig wie die Festländer, was es mit der Monsterplage auf sich hat.
Schon bald merkte ich, dass die einheimischen Spezimen nicht unbedingt stärker, aber sehr wohl aggresiver als diejenigen sind, ich vom Festland kenne. Vorbei sind die Zeiten, in denen ich in aller Ruhe in ein Brötchen beißen konnte, während ich mit der anderen Hand focht.
Gefährlich ist das, aber es fühlt sich auch verdammt gut an!
- Aus Isimud Urkharts Tagebuchaufzeichnungen
Doch die Neue Welt hatte nicht nur mit Gefahren aufzuwarten, sondern auch mit einer Isimud gar nicht einmal so unvertrauten Tierwelt.
Der Erkunder beugte sich hinab, als er ein reptilienähnliches Wesen unter einem Busch dösen sah. "Oh, wie süß, ein Sau...au au auuuuuuuuuuu!"
Sich die blutende Nase haltend und Schimpfworte in seiner Muttersprache ausstoßend, wanderte Isimud weiter durch die Steppe.
"Das erste, was ich in dieser Welt esse, wird frisch gefangener und gebratener Saurier sein", schwor er sich.
Doch nach und nach gewöhnte sich der Erkunder an seine neue Umgebung. Er verschaffte sich einen Überblick über die Region und lernte, mit dem Land zu leben.
Schließlich, mehrere Tage nach seiner Ankunft, machte er sich auf die Suche nach den Einwohnern.
Wie fast überall, wo Intelligenzwesen lebten, drehte sich das Leben auch hier auf der Insel um den Handel.
Ein wunderschöner Schild, der mehr zu sein schien, als nur grün bemaltes Holz, zog Isimud in seinen Bann. Obwohl er seinen Bogen bevorzugte, musste er diesen Schild einfach besitzen - und sei es nur als ein Erinnerungsstück.
"Was soll der kosten?" Der Verkäufer nannte den Preis, Isimud nickte und griff in seinen Geldbeutel. Doch ganz so einfach war es dann doch nicht.
"Tut mir leid, das sind Münzen aus deinem Land. Die gelten hier nicht."
"Aber Kupfer bleibt doch wohl Kupfer und Silber Silber, egal, was drauf geprägt ist?"
Kopfschütteln. Und gleich nochmal, als Isimud nur den Mund auftat, jedes weitere Argument abwürgend.
Grummelnd leerte Isimud seinen Rucksack. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf einen Tauschhandel einzulassen. Seine schwer verdienten Münzen waren hierzulande nur totes Gewicht.
Noch einige Tage später:
Eine Melodie, nicht von dieser Welt, ertönte in der Steppe, verlor sich um Dschungel und stieg von den höchsten Gipfeln des Sichelgebirges auf. In Isimuds Fall bedeutete das: nicht nur von einem Angehörigen einer anderen Kultur als dem Inselvolk erzeugte Musik, sondern buchstäblich aus einer anderen Dimension stammend. Denn der Abenteuer vom simkeanischen Festland stammte ja ursprünglich aus Noröm. Doch wenn er jetzt an Daheim dachte, dann stand ihm das kleine Häuschen in der Straße zum Küchenmeister vor Augen, und nicht mehr väterliche Burg.
Nur das alte anthronische Liedgut, das der Jüngling auf seiner Flöte spielte, erinnerte noch daran, woher er ursprünglich gekommen war.
Die Melodie hallte auch von den Wänden eines Kerkers wieder. Eine Verkettung unglücklicher Umstände hatte dazu geführt, dass Isimud Urkhart sich einer Zwangsarbeiterkolonne in einem in den Fels gehauenen Verließ wiedergefunden hatte.
"Dir werde ich die Flötentöne beibringen!" brüllte einer der Wärter.
Isimud verzog das Gesicht. Sooo schlecht spielte er nun auch wieder nicht, fand er!
Die Peitsche sauste auf seinen Rücken herab. "Weiterarbeiten!" Isimud tauschte seine Flöte notgedrungen wieder gegen die Schaufel.
"Es ist eine Redewendung", klärte später ein Mithäftling auf, als beide wieder in ihrer Zelle hockten. "So wie Beine machen. Verstehst du? Du hast die Pause überzogen, da gibt es immer zur Strafe die Hucke voll."
Isimud zuckte die Schultern. Doch sogleich bereute er es! "Au..." Isimud hob die Hand und rieb sich die vom Muskelkater verkrampften Gelenke. Die Zwangsarbeit unter der Knute eines Aufsehers war etwas völlig anderes als seine Tätigkeit im Bergwerk daheim. Zum einen fand sie, wie der Name schon sagte, unter Zwang statt anstatt aus Freude am Handwerk und zum anderen nahm der Zeitplan des Gefängnisses keine Rücksicht auf Isimuds Befindlichkeiten.
"Du kommst wohl von weit her, was, Mädchen?" fragte Isis neuer Bekannter.
"Mädchen?!"
"Haha! Glaub nicht, ich hätte das nicht erkannt! Kleidest dich wie ein Jüngling, aber darunter steckt ein Weib, das ist klar!"
"Ist überhaupt nicht klar!" protestierte Isimud. Der andere lachte! "Lass mal, Kleine. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Vorausgesetzt, du hast noch ein paar dieser leckeren Käfer bei dir..."
Isimud murrte: "Die sind nicht lecker. Nur nahrhaft. Und du kannst gern alle haben, denn morgen haue ich von hier ab!"
"Na klar." Der andere gähnte. Wozu dem Mädchen ihre Illusionen rauben? Sollte sie doch ruhig von Flucht träumen! Was immer der Kleinen half, diese Hölle hier durchzustehen! Der Gefangene rollte sich zusammen und kuschelte sich in seine fadenscheinige Decke. "Spielst du noch was auf deiner Flöte, bis ich eingeschlafen bin?" bat er seine Zellengenossin.
"Klar."
Die junge Frau spielte ein Schlaflied. Sie lächelte dabei. Mochte sie der Garganturaner ruhig ein Mädchen nennen! Es entsprach ja ebensowenig der Wahrheit wie die Anrede mit dem männlichen Pronom. Ja, auf dieser Insel wollte der-die Anthrone zur Abwechslung einmal eine Sie sein.
Am nächsten Morgen erwachte der Gefangene. Die Flötenmelodie hatte ausgesetzt und Isimud war verschwunden. Zurück war nur ein Kessel mit dampfender Sauriersuppe geblieben. Die hatte der Flüchtling noch vorher zubereitet, denn immerhin war sie an diesem Tag für den Küchendienst eingeteilt gewesen. Nur, dass Isimud nach dem Kochen den gleichen Weg wie die Küchenabfälle genommen hatte: Ab nach draußen!
"Ein dreister Bursche", brummte der Oberaufseher, jedoch nicht ohne eine gewisse Portion Anerkennung für das gelungene Bubenstück.
Isimuds Zellengenosse hingegen löffelte seine lauwarme Suppe und dachte bei sich: "Eindeutig ein Mädel. Wer so gut kochen kann, kann kein Kerl sein!"
Über die Gipfel des Sichelgebirges tanzte erneut die Melodie. Ihr Unbeschwertheit täuschte gekonnt darüber hinweg, dass jede Sehne in Isimuds Körper schmerzte und die Abenteurerin mehr humpelte als wanderte.