Beiträge von Maeve

    Erwachen aus der Starre


    Jahre sind ins Land gezogen, wie viele es waren vermochte niemand im Nachhinein zu sagen. Die Zeit hatte Wandlungen mit sich gebracht. Aus dem einst friedlichen grünen Tal war eine fruchtbare Ebene geworden, die Berge zu sanften Hügeln geschrumpft, der Wasserfall schlängelte sich nunmehr als Fluss durch das Land.


    Schlaftrunken öffnen sich bernsteinfarbene Augen, blinzeln und versuchen sich zu orientieren. Ein Sonnenstrahl fällt durch einen Spalt ins Dunkel, kitzelt die Nase und ein feines Niesen erklingt. Das Wesen reckt sich, stößt mit Kopf und Armen an ein Hindernis, sich aufzurichten ist unmöglich. Die Hände tasten vorsichtig die Umgebung ab, fühlen zum Teil morsches Holz, es hat den Anschein, als sei es im Inneren eines Baumes gefangen. Doch warum ist es hier eingesperrt und wie kommt es hinaus?
    Vergeblich versucht das Wesen sich durch den Spalt zu zwängen. Mit den Händen wird versucht den Durchschlupf zu erweitern, morsches Holz herausgebrochen, mit Füßen dagegen getreten. Irgendwann sind die Finger blutig, Tränen rollen über das Gesicht, noch ein energischer Tritt, endlich scheint das Loch groß genug. Dem Kopf folgen die Schultern, dann der Oberkörper - die Freiheit ist greifbar nah – da bleibt das Wesen stecken. Es gibt kein vor und kein zurück. Je mehr es zappelt um so aussichtsloser erscheint die Lage. Die Füße im Inneren stemmen sich in den Boden, draußen vor dem Baum krallen die Hände sich in das Gras. Zorn lodert auf und setzt ungeahnte Kräfte frei. Ein Ruck geht durch den schmächtigen Körper und mit einem Aufschrei landet das Wesen der Länge nach im Gras – endlich frei.
    Erschöpft bleibt es liegen. Die Hand streicht bedächtig über das Grün, tief wird der Duft der Erde eingesogen. Die Sinne erwachen zum Leben und nehmen die Umgebung wahr. Ganz in der Nähe steht ein alter knorriger Apfelbaum. Wie gebannt starrt das Wesen auf ihn, dann erhebt es sich und geht hinüber. Behutsam fahren die Finger über die zerfurchte Rinde, der Blick wandert hinauf ins Geäst. Mit einem Mal schieben sich grüne Triebe aus dem Holz, Blätter entwickeln sich und rosa angehauchte weiße Blüten öffnen ihre Knospen.
    Das Herz wird so schwer, Tränen rinnen dem Wesen übers Gesicht und durch den Kopf zucken Erinnerungsfetzen, ähnlich kleiner Blitze. Kurz werden die Augen geschlossen um Ordnung in das Gedankenchaos zu bringen. Ein spitzer Schrei tief im Unterbewusstsein lässt sie die Augen öffnen und als sie zum Baum blickt, steht dieser wieder kahl und knorzig wie zuvor da. Erneut streichen die Finger über den Stamm, doch diesmal ändert sich nichts.
    War alles nur eine Täuschung der Sinne? Langsam entfernt sich das Wesen vom Baum, doch ging der Blick noch einige Male ungläubig zurück.


    Die Schritte werden zum Fluss gelenkt und sich am Ufer nieder gekniet. Vorsichtig berühren die Fingerspitzen die Wasseroberfläche und zucken zurück. Es ist eiskalt und genau diese Kälte sorgt dafür, dass ein Schauer über den Rücken läuft. Abermals flackern Erinnerungen auf, genauso undeutlich wie zuvor am Baum.
    Weit beugt sich das Wesen über das Wasser, so dass es sein Spiegelbild sehen kann. Das schmale Gesicht einer jungen Frau ist zu erkennen. Erschrocken patscht die Hand ins Wasser, das Abbild verzerrt und löst sich auf. Wer um alles in der Welt ist das?
    Nachdem die Wasserfläche zur Ruhe gekommen ist, blicken die Augen erneut aufs Wasser und wieder erscheint das Bildnis der Frau. Wenn sie dies ist, warum sind ihr dann die Gesichtszüge so fremd? Lediglich die Augen haben etwas bitter Vertrautes. Die Hand fährt über das Gesicht, schiebt die struppige Mähne zur Seite, gleitet am Hals hinab zu einer Kette und an den Anhänger. Das Metall ist mit einer glänzenden Schicht überzogen, welche in verschieden Lilatönen gehalten ist. Der Form nach ist es eine Blüte - eine Malvenblüte. Ein Name drängt sich ins Gedächtnis und setzt sich dort fest – Maeve.

    Nur langsam kehren die Erinnerungen zurück, bruchstückhaft und verschwommen manche davon nur und gerade das stellt sich zunächst als Vorteil heraus, zu schmerzlich sind die Bilder die im Kopf erscheinen.
    Friedlich erstreckt sich ein weites grünes Tal ins Land hinein. Von einem hohen Berg herab ergießt sich ein Wasserfall in einen kristallklaren See. Seerosen blühen darauf, kleine Fische schwimmen darin und auf einem flachen Stein in der Mitte des Sees sitzt ein Neck. Die Nixen zu seinen Füßen lauschen andächtig seinen Erzählungen.
    Am Ufer, dicht beim Schilf, hat ein eigenartiges Wesen und mit einer Flöte in der Hand Platz genommen. Nicht weit davon auf der Wiese tummelt sich eine Gruppe Leimoniaden. Kichernd blicken sie zu dem Faun herüber, fordern ihn auf ein Lied zu spielen damit sie tanzen können. Der Spitzbärtige lässt sich nicht lange bitte und spielt eine fröhliche Weise.
    Sich an den Händen haltend tanzen die Nymphen über die Wiese. Ein leichter Windhauch trägt ihre hellen Stimmen bist hin zum Waldrand wo eine Gruppe Dryaden, den Bogen geschultert, ihnen einen Moment zusieht eh sie im Waldesinneren verschwinden und eins werden mit den satten Farben vom Baum und Strauch.


    Aus dem Wipfel eines Apfelbaumes blickt ein leuchtend grünes Augenpaar auf die Umgebung. Die kleine rothaarige Dryade sitzt beinebaumelnd auf einem Ast und verspeist eine der herrlich duftenden Früchte. Aufmerksam hält sie Ausschau nach ihrer Spielgefährtin und als sie ihrer ansichtig wird lässt sie ihr fröhliches Lachen erklingen.
    Doch die um einige Jahre jüngere Wiesennymphe hat ihre Augen auf einen bunten Schmetterling gerichtet dem sie hinterherläuft bis sie einen Hasen entdeckt, der in einem hohlen Baumstamm verschwindet. Sogleich wird ihm gefolgt, sich ebenfalls in den Spalt gezwängt. Nur langsam gewöhnen sich die Augen ans Dunkel, unheimlich ist es und vom Häschen keine Spur. Und so wird der Kopf wieder aus dem Stamm gesteckt und nun entdeckt sie auch die Rothhaarige im Baum, der wild zugewunken wird.
    Just in dem Moment weht ein eisiger Hauch durch das Tal und überzieht das Land mit einer weißen glitzernden Schicht.
    Das Lachen der Nymphe im Apfelbaum erstirbt und weicht einem spitzen Schrei. Die kleine Leimoniade im Stamm zieht den Kopf ein und weicht zurück ins Innere. Die Augen sind vor Schreck weit aufgerissen, sie sieht mit an wie innerhalb weniger Herzschläge ein Chaos ausbricht. Die Wiesennymphen, die eben noch tanzend über die Wiese gezogen sind, versuchen den Wald zu erreichen. Einige von ihnen schaffen es, die anderen erstarren mitten in der Bewegung. Auch bei den Wasserwesen ist Panik ausgebrochen. Nicht alle haben es rechtzeitig unters Wasser geschafft, das nun plötzlich erhärtet zu sein scheint.
    Die kleine Nymphe im Stamm hält es vor Angst nicht mehr aus und läuft hinüber zum Apfelbaum. „Pomela ....“ Wild rüttelt sie den leblosen Körper der Freundin, doch diese antwortet nicht. Die sonst so strahlenden grünen Augen blicken ausdruckslos gen Himmel, die Haut ist mit einer glitzernden weißen Schicht bedeckt.
    Verwirrt kniet die Leimoniade neben der Freundin, bis jemand sie hochreißt. „Lauf um dein Leben!“, ruft eine Stimme und sie gehorcht. Zurück in den Baumstamm, ganz weit nach hinten kriecht sie, hält sich die Ohren zu und schließt die Augen und irgendwann umhüllt sie ein tiefer Schlaf.