Ein Leben in einer fremden Welt

  • Der Anfang


    Erschöpft aber zufrieden mit seinem Tagewerk ließ Hanswalter sich auf einer Holzbank vor der Trenter Schmiede nieder. Die gefertigten Hämmer würden sicherlich bei Alrik, dem Auktionator am Markt, den gewohnt guten Absatz finden. Inzwischen hatte Hanswalter einige Übung im Bearbeiten des simkeanischen Eisens und verdiente mit seiner Arbeit ausreichend Geld, um sich alles Lebensnotwendige kaufen zu können.

    Als er damals in Simkea eingetroffen war, hatte er fast von vorne beginnen müssen, obwohl er ausgelernter Schmied war. Das Metall war viel widerspenstiger als er es gewohnt war. Schon allein der Abbau des Erzes hatte eine große Herausforderung dargestellt.

    Doch so ungewohnt wie das Eisen Simkeas, waren auch seine Bewohner. Zumindest anfangs. Mittlerweile war es für Hanswalter völlig normal, am Marktplatz auf sprechende Tiere in allen Größenordnungen zu treffen. Von pelzigen Wieseln, die lautstark ihren „Dunkelbohnentrank“ - ein einheimisches Heißgetränk - anpriesen, bis hin zu bedrohlich wirkenden Drachen, die aber keiner Fliege etwas zuleide tun würden, war praktisch alles dabei. Auch Zwergen, Wassermenschen und Elfen in diversen Variationen begegnete man hier ständig.

    Jedes dieser Wesen hatte eine eigene Geschichte, wie es in diese Lande gelangt war. Nicht alle von ihnen konnten sich daran erinnern. Einige wollten sie auch lieber für sich behalten. Doch was sie zu erzählen hatten, lohnte sich meistens des Zuhörens. Zwischen magischen Unfällen, missglückten Teleportationen oder auch bewussten Motiven, hörte man vor allem von der Flucht aus einer Welt Namens Noröm, die offenbar von bösen Dämonen befallen worden war.

    Wenn Hanswalter wieder zuhause war, hätte er sicherlich eine Menge zu erzählen.

    Zuhause. Die Uhren in Simkea gingen anders, aber wenn er die vergangenen Tage mit seinem altbekannten Zeitsystem maß - was mangels dazu geeigneter Gerätschaften eher eine Schätzung war -, musste es schon über ein Jahr her sein, dass Hanswalter seine Heimatwelt zuletzt gesehen hatte. Wie ging es wohl seinen Eltern und seinen Freunden? War es Präodor und den Erzmagiern gelungen die Servatoren zu befreien? Lebten sie überhaupt noch? Falls jemand versucht haben sollte, Hanswalter zu folgen, war er mit recht hoher Wahrscheinlichkeit ertrunken. Obwohl, wenn jemand mit plötzlich auftretenden Wassermassen fertig wurde, dann doch am ehesten die beiden Magier.

    Dennoch, keiner von ihnen war hier erschienen. Vielleicht dachten sie auch ihrerseits, dass Hanswalter ertrunken sei. Tatsächlich hatte er nur durch seine Kondition, eine Menge Glück und den Geistesblitz, die Luft anzuhalten, überlebt. Nach diesem unfreiwilligen Tauchgang war er auf einem kleinen Fleckchen Land gestrandet, das sich, wie er anschließend erfahren hatte, Portalinsel nannte.

    Hanswalter erinnerte sich noch gut an seine ersten Tage in Simkea, jene Zeit nach seiner letzten weltenübergreifenden Teleportation, die sein Leben maßgeblich verändert hatte.


    Er kam sich schon ein wenig blöd vor, als er dem Drang nachgab, diese merkwürdige Statue anzusprechen, die so einsam auf dem großen leeren Platz stand und ihn geradezu zu einem Gespräch herauszufordern schien. Er hatte nur ein paar Stunden geschlafen und irgendwie schien ihm diese Begegnung wie ein Traum. Noch immer hingen Müdigkeit und Erschöpfung schwer an seinen Gliedern. Doch sein Verstand sagte ihm, dass dies alles real war.

    Obwohl er es geahnt hatte, dass die Statue antworten würde, machte Hanswalter einen erschrockenen Schritt zurück, als sie es tatsächlich tat. Schnell jedoch stellte er fest, dass diese Steinfigur - oder was für ein Material das auch immer war - ihm nichts Böses wollte. Sie zeigte sich viel eher hilfsbereit und bot dem Neuling an, ihm eine Kurzeinweisung in die Eigenarten dieser Welt zu geben. Etwas misstrauisch stimmte Hanswalter zu.

    Die Einweisung bestand zum größten Teil darin, eine gewisse Anzahl kleinerer Aufgaben zu erledigen. Hanswalter bemühte sich, sie alle zur Zufriedenheit der Figur zu erledigen. Scheinbar mit Erfolg, denn am Ende wurde er mit einem merkwürdigen Zahlungsmittel entlohnt, dass ihm später noch von großem Nutzen war. Ebenfalls zeigte ihm die Statue, wie er diese kleine Insel verlassen konnte. Ein magisches Portal brachte den gestrandeten Schmied dann in das Trenter Umland.

    Dort wurde er gleich von einem freundlichen Mann in kariertem Hemd erwartet, der ihn zu dem Rathaus der Stadt Trent schickte, wo man sich als Bürger Simkeas eintragen lassen müsse.

    So machte Hanswalter sich auf den Weg in die besagte Stadt. Als er die Tore passierte, traf er auf eine riesige, aber relativ dünn bebaute Fläche. Es gab ganze Abschnitte, auf denen kein einziges Gebäude stand. Dafür gab es aber einen recht stattlichen Park direkt im Zentrum. Das Rathaus befand sich auf der anderen Seite dieser Grünfläche.

    Es dauerte nicht lang, bis Hanswalter darin die für das Bürgerbuch zuständige junge Dame fand. Außer ihr befand sich dort nur ein älterer Herr - wohl ein Gelehrter -, der zwischen den Regalen der Stadtbibliothek umherlief. Er schien irgendetwas zu suchen.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

  • Der Anfang (Fortsetzung)


    Nachdem Hanswalter sich in das Bürgerbuch hatte eintragen lassen, sprach er den Mann an. Es stellte sich heraus, dass er - tatsächlich ein Professor - auf der Suche nach seinem Zwicker war, den er offenbar irgendwo in Simkea verloren hatte. Der frische Neubürger bot ihm an, auf seinen Wegen Ausschau nach der Sehhilfe zu halten, konnte aber keinen Erfolg versprechen, umfasste die Gebietseingrenzung doch etliche Quadratmeilen.

    Nach dem Besuch des Rathauses führte Hanswalters Weg ihn zum Trenter Markt. Hier traf er erstmals auf die bereits erwähnte Vielfalt der Bewohner. In all dem Gedränge war es schwer, sich als Neuling zurechtzufinden, zumal er überhaupt keine Vorstellung davon hatte, was er nun tun sollte. Zum Glück fand sich bald der eine oder andere hilfsbereite Einheimische, der seine Fragen beantworten konnte.

    Bei der weiteren Erkundung der Stadt stieß Hanswalter auf eine weiß fassadierte Halle gewaltigen Ausmaßes. Das laute Klirren von Hämmern und der Geruch von Ruß drangen aus ihr hervor. Dies war zweifelsohne eine Schmiede. Viele Arbeiter zugleich konnten hier ihrem Handwerk nachgehen. Die Türen waren rund um die Uhr geöffnet. Scheinbar konnte hier jeder interessierte Bürger kommen und gehen, wie es ihm beliebte, und an Schmelzöfen und Ambossen arbeiten bis ihm die Ausdauer ausging.

    Hanswalter wollte zwar nur solange in Simkea bleiben, bis er einen Weg gefunden hatte, seinen Auftrag zu beenden und nach Amoenor zurückzukehren, aber irgendwie musste er dazu hier ja eine Weile überleben. Diese Schmiede war ideal, um sein erlerntes Handwerk des Schmiedens auszuüben und damit ein wenig Geld zu verdienen. Doch ohne Eisen lief hier nichts. Deshalb musste er zunächst einer weiteren gelernten Tätigkeit, dem Bergbau, nachgehen.

    Von einem vorbeiziehenden Bürger erfuhr er, dass man Eisenerz und Kohle auf den Plateaubergen des östlich gelegenen Adoragebirges finden konnte. Zurück am Markt erwarb er daher eine Hacke, einen Wurfanker mit Seil, einen Rucksack und einen Grundvorrat an Nahrungsmitteln und Kleidung. Er wusste, dass man eine Reise in die Berge nicht unvorbereitet antreten sollte.

    Am nächsten Morgen, als er alles benötigte zusammen hatte, verließ Hanswalter schließlich die Stadt und machte sich auf den Weg Richtung Osten. Es war ein langer Weg, kein Vergleich zu den paar Meilen, die die Mine des Meisters von dessen Haus entfernt war. Auch hatte er damals nicht klettern brauchen. Doch als er schließlich im Adoragebirge eintraf, fand er keine andere Möglichkeit, die rohstoffreichen Plateaus zu erreichen, als an einem geeigneten Steilhang von seinem Wurfanker Gebrauch zu machen. Wie erwartet gingen die ersten Wurfversuche in die Hose. Der dumme Anker wollte sich einfach nirgendwo festhaken und fiel immer wieder herunter. Als sich nach etlichen Würfen dann doch endlich das Seil straffte, wenn er daran zog, begann Hanswalter seine Karriere als Bergsteiger.

    Weit kam er jedoch nicht. Gut drei Meter über dem Boden, spürte er, wie das Seil plötzlich nachgab. Begleitet von losem Geröll kam ihm der Wurfanker entgegen. Ohne den Halt des Seiles stürzte der Bergmann hinab und schlug unsanft mit dem Rücken auf dem Boden auf, das Geröll und der Anker knapp neben ihm. Im Gegensatz zu den Lebensmitteln in seinem Rucksack, trug er nur leichte Verletzungen davon, weshalb er es gleich noch einmal versuchte.

    Dieses Mal war ihm das Glück wohlgesonnener. Er erreichte das Plateau ohne weitere Zwischenfälle. Sogleich machte er sich daran, das deutlich erkennbare Eisenerzvorkommen aufzusuchen. Wie gewohnt setzte er die Hacke an, holte aus und schlug zu. Mehrfach. Doch anders als das Erz in der Mine seines Meisters, wollte dieses hier sich einfach nicht aus dem Felsen lösen. Es kostete ihn einiges an Anstrengungen, bis er den ersten Erzklumpen in seinen Rucksack fallen lassen konnte. In dem Bemühen, besser mit diesem eigenartigen Material vertraut zu werden, klopfte er immer weiter auf dem Felsen herum. Auch dem nahegelegenen Kohlevorkommen widmete er seine Aufmerksamkeit, aber auch hier ließ sich kaum etwas losbrechen.

    Stunden und Tage vergingen, aber der Rucksack füllte sich nur langsam mit Rohstoffen. Der Bergmann machte nur kurze Pausen, in denen er schlief oder seine Vorräte reduzierte. Hier erkannte er eine positive Seite an dem Sturz bei seinen Kletterversuchen: Äpfel und Brote ließen sich in plattgedrückter Form viel schneller verzehren.

    Nach einigen Tagen waren schließlich das letzte Apfelmus und der letzte Brotdiskus aufgebraucht und es wurde Zeit, in die Stadt zurückzukehren. Behutsam machte Hanswalter sich an den Abstieg. Von oben nach unten ließ sich die Steilwand deutlich leichter bewältigen.

    Zurück in Trent besorgte er sich gleich die restlichen für seine Arbeit benötigten Teile und besuchte die Schmiede. Wieder einmal zeigte sich die Widerstandsfähigkeit der simkeanischen Materialien. Erst nach einigen Fehlversuchen hielt der Schmied seine erste in dieser Welt gefertigte Hacke in den Händen. Aus den restlichen Erzbrocken und Holzstäben bastelte er noch ein paar weitere Hacken. Er hatte gehört, dass die Nachfrage danach gerade relativ hoch sei.


    So war es Hanswalter mit diesen doch recht rustikal gefertigten Werkzeugen gelungen, an sein früheres Berufsleben anzuknüpfen.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

    Einmal editiert, zuletzt von Hanswalter () aus folgendem Grund: Rechtschreibung

  • Der Schmied und das Meer


    Leise plätschernd schlugen die Wellen gegen den Rumpf der Tamalon und schaukelten ihn im gleichbleibenden Takt auf und ab. Die großen weißen Segeltücher flatterten schwach in den gelegentlichen Windböen. Weit würde er nicht mehr kommen. Die Flaute war absehbar. Doch das musste er auch nicht. Die Nadel seines Kompasses hatte bereits zu zappeln begonnen.
    Mit einem zufriedenen Lächeln stand Hanswalter am Steuerrad seines Segelbootes und betrachtete das einzige Erinnerungsstück an seine Familie. Er war seinem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen. Vor wenigen Monaten hatte er nicht einmal die nötige Ausrüstung besessen, um es zu erreichen, und nun lag es direkt vor ihm - oder vielmehr unter ihm.
    Nach einer weiten Drehung am Steuerrad luvte die Tamalon nach Backbord bis sie am Wind lag. Dann ließ Hanswalter das Steuerrad wieder los und duckte sich unter den herüberschwingenden Baum. Als das Boot ausreichend an Fahrt verloren hatte, machte er sich daran, die Segel einzuholen und den Anker zu versenken.
    Er verstand nicht viel von dem, was er tat. Sein gesamtes Wissen über die Seefahrt hatte der Schmied erst ein paar Tage zuvor aus einigen von Professor Blooms Büchern gelernt. Es reichte aus, um mit dem Segelboot unter den gegebenen Bedingungen zurechtzukommen, aber bei Nacht oder in einem Sturm hätte er ziemlich verloren dagestanden. Sein Fachgebiet lag eben eher im Schmieden.
    Aber auch dieses Wissen war für seine Mission unverzichtbar. Aus der Gepäckkiste holte er neben einem ledernen Ganzkörperanzug einen kugelförmigen Kupferhelm hervor. Mit der Anfertigung dieses Schmiedewerkes hatte er ganze Arbeit geleistet - es hatte ihn ja auch Einiges an Zeit und Geduld gekostet. Bei ersten Tests in der Badewanne hatten sich Helm und Anzug als wasserdicht erwiesen. Ob sie auch dem Ozean standhalten konnten, würde sich in den nächsten Minuten zeigen.
    In dem gründlich einstudierten Ablauf zwängte Hanswalter sich in den Anzug, knotete die Schnur des Kompasses an den Gürtel und stülpte den schweren Helm über seinen Kopf. Dann angelte er mit Zunge und Zähnen nach der darin herumbaumelnden Atemmaske bis sie über Mund und Nase lag. Während des gesamten Tauchgangs würde er sie unter allen Umständen mit den Zähnen festhalten müssen. Ebenso wichtig war es, das er von nun an nur noch durch die Nase ein- und den Mund ausatmete, oder andersherum, Hauptsache nur in eine Richtung. Ansonsten würde er vermutlich nie wieder auftauchen.
    Die Maske war an zwei getrennte Schläuche angeschlossen die durch den Helm hindurch über etliche Meter Länge zu einer Befestigung am Bootsrumpf führten. Noch befand sich in beiden Schläuchen die Umgebungsluft, aber schon mit dem ersten Atemzug über die Maske würde sich einer von ihnen mit den Abgasen der Lunge füllen. Er war viel zu lang, als dass die Luft einer Lungenfüllung darin Platz finden konnte. Hätte Hanswalter den Taucherhelm nur mit einem Schlauch versehen, würde er statt frischer Luft ständig seine ausgeatmete Luft wieder einatmen.
    Mit einem Klacken rastete der Helm in den Verschlussring am Kragen des Anzuges ein. Nun sollte kein Tropfen Wasser mehr ins Innere gelangen können. Dennoch hatte der Taucher ein mulmiges Gefühl, als er langsam auf die Leiter am Heck des Bootes zuschritt. Er hob den Haken des ebenfalls am Rumpf befestigten Flaschenzuges auf und hakte ihn an den Gürtel. Da der Anzug die Schwimmfähigkeit einer Granitplatte besaß, war dies die Rückfahrkarte zur Wasseroberfläche.
    Hanswalter befestigte auch noch das Zugseil mittels Karabinerhaken am Gürtel und stellte sich auf die oberste Stufe der Leiter. Vorsichtig stieg er sie hinab, bis seine Füße ins Leere traten. Mit einem Rutsch tauchte er bis zur Helmoberkante ins Wasser. Seine Hände umklammerten noch die Haltestangen neben der Leiter. Noch konnte er es sich anders überlegen und wieder hinaufklettern. Hatte er an alles gedacht? Der Kompass hing am Gürtel, Schläuche und Flaschenzug waren ordnungsgemäß befestigt und im Anzug war es noch trocken. So löste er seinen Griff und ließ sich in die Tiefe sinken.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

    Einmal editiert, zuletzt von Hanswalter () aus folgendem Grund: Formatierung

  • Der Schmied und das Meer (Fortsetzung)


    Das Licht wurde immer schwächer, während der Taucher immer weiter hinabsank. Er richtete den Anzug so aus, dass er durch die kleinen runden Fenster in die Tiefe sehen konnte. Aber es gab nichts zu sehen. Nur Dunkelheit erwartete ihn dort und noch immer hatte er keinen Boden unter den Füßen. Wie weit würde er noch sinken? Plötzlich kam ihm ein erschreckender Gedanke. Was wäre, wenn die Atemschläuche zu kurz waren? Er spürte sie schon Abreißen und das Wasser in den Helm eindringen. In diesem Moment des Schreckens vergaß er, dass er nur das Zugseil des Flaschenzuges festhalten musste, um den Fall zu stoppen. Doch dann stießen seine Füße endlich auf den schlammigen Meeresboden.
    Hanswalter beruhigte sich erst einmal wieder und sah sich um. Seine Augen hatten sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt und er konnte zumindest ein paar Meter weit sehen. Das Licht reichte aus, um die dunkle Kompassnadel auf dem hellen Hintergrund zu erkennen. Allerdings half sie derart zappelnd nicht wirklich weiter, außer, dass der Taucher so wusste, dass er sich im Suchgebiet befand.
    Irgendwo hier in dem Schlamm musste er liegen, der blaugrüne Stein von Tamalon, wie Hanswalters Segelboot benannt nach der Reichshauptstadt von Aliquandor. Fand der Schmied diesen Stein, würde er auch den gelben finden. Beide hatte er an derselben Stelle fallen lassen. Dann könnte er endlich seinen Auftrag erfüllen und in seine Heimat zu Familie und Freunden zurückkehren.
    Doch die Teleportersteine wollten zunächst auch tatsächlich gefunden werden. Mit dieser eingeschränkten Sichtweite war das nicht so einfach. Wäre das viele Wasser nicht gewesen, hätte Hanswalter sie vermutlich unweit seiner Position herumliegen sehen. Aber so konnte es gut passieren, dass er sogar mehrmals unwissentlich nur wenige Schritte an ihnen vorbeiging. Daher durschritt er das Suchgebiet in nebeneinanderliegenden Bahnen, um möglichst jeden Zentimeter zu absuchen zu können.
    Er bemerkte nicht, wie die Zeit verging. Stundenlang marschierte er durch den Schlamm. Erfolglos.
    Immer wieder lief er durch das Gebiet, aber die Steine waren einfach nicht auffindbar. Waren sie möglicherweise im Schlamm versunken oder hatten sich Muscheln darauf niedergelassen? Dann hätte Hanswalter wirklich ein Problem gehabt. Eindeutig hatte er viel zu viel Zeit damit verbracht, den Helm anzufertigen. Er hätte viel früher mit der Suche beginnen müssen, bevor die örtliche Natur sich der Steine bemächtigen konnte.
    Ratlos stand er bis zu den Knöcheln im Schlamm, von dem er schon so viel aufgewirbelt hatte, dass die Sichtweite darunter litt. Ein einsamer Fisch kam vorbeigeschwommen. Der Taucher meinte, ein spöttisches Grinsen auf seinem langen Gesicht erkennen zu können. Vielleicht sollte er es für heute einfach aufgeben und an einem anderen Tag hierher zurückkehren.
    Gerade wollte er nach dem Zugseil greifen, um sich wieder zur Wasseroberfläche zu ziehen. Doch das Seil war verschwunden. Er tastete nach dem Karabinerhaken und fand ihn leer vor seinem Bein baumelnd vor. Hektisch schaute er sich um, aber nirgendwo gab es einen Hinweis auf dem Verbleib des Seiles. Zu allem Überfluss musste Hanswalter nun auch feststellen, dass nicht nur der Schlamm für die Verschlechterung der Sicht verantwortlich war. Er musste schon Ewigkeiten hier unten verbracht haben und offenbar brach langsam die Nacht herein. Es wurde höchste Zeit, dieses verfluchte Seil wiederzufinden. Wer wusste schon, welche Seeungeheuer, sich hier nach Sonnenuntergang herumtrieben. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er daran dachte, dass es um ihn herum wohl schon von riesigen Seeschlangen und Haien und giftigen Quallen nur so wimmelte. Sicherlich waren all diese Untiere in Lage, den Taucheranzug mühelos zu durchbrechen. War das vielleicht kein kalter Schauer auf seinem Rücken, sondern das tödliche Nesselgift eines Quallententakels?
    Panisch drehte Hanswalter sich um. Er konnte nichts sehen. Die Qualle klebte wohl an seinem Rücken. Er versuchte, mit den Händen, seinen Rücken zu erreichen, aber der Taucheranzug bot zu wenig Bewegungsfreiheit dafür. So entschied er sich, einfach davonzulaufen. Als ob er das Viech dadurch loswerden könnte.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


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  • Der Schmied und das Meer (Fortsetzung)


    Schon nach wenigen Metern wurde ihm klar, dass er nicht von einer Killerqualle angegriffen wurde. Er hatte in seiner Angst nur überreagiert und nun war es ihm irgendwie peinlich. Zum ersten Mal während seines Tauchgangs war er froh, dass außer ihm kein Mensch hier war. Wenn er die Geschichte mal jemanden erzählen sollte, würde er diesen Teil jedenfalls weglassen. Es war doch auch völlig abwegig, dass sich hier Ungeheuer herumtrieben, nur weil es dunkel war.
    Dennoch wollte er nach Möglichkeit nicht die Nacht hier unten verbringen. Also machte er sich daran, weiter nach dem Seil zu suchen. Inzwischen war es jedoch so dunkel geworden, dass er nicht einmal mehr seine eigenen Hände sehen konnte. Wie sollte er so ein Seil finden?
    Plötzlich spürte er einen leichten Zug am Helm, der aber sogleich wieder nachließ. Doch kurz darauf tauchte er wieder auf. Etwas stimmte nicht. Es wurde stärker. Hanswalter tastete nach seinen Atemschläuchen. Sie waren gespannt. Dafür waren sie nicht ausgelegt. Sie konnten jeden Moment abreißen. Dem Schmied blieb daher nichts anderes übrig, als in die Zugrichtung zu gehen, um die Schläuche wieder zu entspannen. Vorsichtig machte er die ersten Schritte nach vorne. Da er aber starke Probleme hatte, überhaupt noch etwas zu sehen, war jeder Schritt ein Schritt ins Ungewisse. Jederzeit konnte vor ihm ein scharfkantiger Felsen auftauchen ... oder ein tiefer Abgrund.
    Und wie befürchtet stellte sich diese Sorge als berechtigt heraus. Hanswalter schrie auf, als sein Fuß plötzlich gegen einen harten Gegenstand stieß. Mehr vor Schreck als vor Schmerz, denn der Stiefel des Anzuges war fest und dick genug, um solche Stöße abzufangen. Dummerweise glitt dem Taucher dabei aber die Atemmaske vom Gesicht.
    Eilig schwenkte er den Helm hin und her. Die Maske musste unverzüglich zurück an ihren Platz, wenn er nicht ersticken wollte. Durch seine Verrenkungen, die einem Unterwasserballett in nichts nachstanden, verlor er schließlich das Gleichgewicht und kippte vorn über. Aus einem Reflex heraus versuchte er, sich an irgendetwas festzuhalten und griff wild um sich. Er staunte nicht schlecht, als seine Hand tatsächlich etwas zu fassen bekam. Fest, länglich, geriffelt ... das musste die Ankerkette der Tamalon sein. Dann war der Gegenstand, gegen den er mit seinem Fuß gestoßen war, offenbar der zugehörige Anker.
    Doch was war das? Die Kette bewegte sich. Hanswalter konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie davon gezogen worden wäre. Scheinbar war der Wind stärker geworden. So stark, dass der Anker das Boot nicht mehr halten konnte. Hier unten merkte man davon allerdings nicht viel. Vielleicht hätte der Schmied doch ein paar Heller mehr in einen größeren Anker investieren sollen.
    Er hatte das Boot von seiner Nahrungsmittellieferantin anfertigen lassen. Anfangs war damit alles in Ordnung gewesen, doch bei der ersten Testfahrt hatte er durch seine Unerfahrenheit versehentlich den Anker verloren, mit dem das Boot ursprünglich ausgestattet gewesen war, und hatte sich daher einen neuen besorgen müssen. Ein Original-Ersatzteil war ihm damals zu teuer gewesen. Sobald er wieder Land unter den Füßen hätte, würde er diesen Fehler beheben.
    Nun musste er aber erst einmal zusehen, dass er wieder ins Boot kam. Mit beiden Händen hielt er sich an der Kette fest und schlang seine Beine darum. Irgendwie auf diese Weise würde er versuchen daran hinaufzuklettern. Doch das war anstrengender als erwartet. Schon nach wenigen Zentimetern begann er schwer zu atmen und sein Schweiß zu laufen. Das war aber auch eine schlechte Luft in dem Helm.
    Plötzlich wurde Hanswalter bewusst, dass er in seiner Überraschung, den Anker anzutreffen, völlig vergessen hatte, dass ihm die Atemmaske aus dem Gesicht gerutscht war. Den Helm eifrig herumschwenkend, bemühte er sich, die Maske wieder an ihren vorgesehenen Platz zu bringen. Er spürte, wie er schon langsam müde wurde. Lange würde er nicht mehr durchhalten können.
    Erst nach einer gefühlten Ewigkeit steckte das Mundstück wieder zwischen seinen Zähnen. Jetzt musste er aber noch Frischluft in den Helm bekommen. Da die ausgeatmete Luft sich nun in beiden Schläuchen befand, musste er dazu zunächst wieder den Beatmungskreislauf in Gang bringen. Er nahm einen tiefen Atemzug durch die Nase und sogleich wurde ihm schwindelig. Nicht nur metaphorisch sah er schwarz für seine gesunde Heimkehr.
    Mit letzter Kraft klammerte er sich an die Ankerkette, doch schon bald war er dafür zu schwach. Seine Hände begannen abzurutschen. Dann knickten seine Knie ein und er sackte auf dem schlammigen Grund zusammen.
    Seine Atemzüge wurden flacher. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und das Atmen in der richtigen Weise erforderte seine volle Konzentration. Leise rauschend strömte das tödliche Luftgemisch durch seine Nase in die Lunge und verließ sie wieder durch den Mund. Während sich sein Bewusstsein langsam verabschiedete, kämpfte er verzweifelt um sein Leben.
    Doch dieser Kampf fand bald ein erlösendes Ende.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


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  • Der Schmied und das Meer (Fortsetzung)


    Nach einigen Atemzügen lag endlich wieder der salzige Geruch frischer Meeresluft in Hanswalters Nase. Sein Bewusstsein kehrte unverzüglich zurück. Er holte ein paar Mal tief Luft und erhob sich wieder aus dem Schlamm. Vorerst hatte er den Tod besiegt, aber wo war nun der Anker hin? Er erinnerte sich, die Kette losgelassen zu haben, als er zu Boden fiel. Es blieb nur zu hoffen, dass der Anker inzwischen nicht weiter fortgetrieben worden war.
    Hilflos um sich greifend, versuchte der Taucher ihn wiederzufinden. Zu seiner Erleichterung schlug er auch schon gleich mit dem Arm gegen die Kette. Ohne weitere Zeit zu verlieren umklammerte er sie mit Armen und Beinen und zog sich daran hoch. Nachdem er den Gefahren der Unterwasserwelt getrotzt hatte, konnte er nun endlich zur Oberfläche zurückkehren.
    Doch schon auf den letzten Metern musste er feststellen, dass das Meer noch andere Gefahren für ihn bereithielt. Offenbar war es während seiner Suche nach den Teleportersteinen noch stürmischer geworden wie er befürchtet hatte. Als er sich zurück in sein Boot zog, schaukelte dies heftig auf und ab. Es war zum Spielball des Windes geworden. Hanswalter hatte keine Ahnung, wie er es zurück in den heimatlichen Hafen steuern sollte. Der schwere Regen und die Dunkelheit der Nacht erschwerten dies zusätzlich. Das Licht des Mondes, das gelegentlich schwach durch die ruhelose Wolkendecke schimmerte, war keine große Hilfe. Nach Sternen, an denen man sich hätte orientieren können, brauchte der Schmied gar nicht erst zu suchen. Seine laienhaften Kenntnisse über die Navigation nach Sternenbildern würden ihn nur weiterbringen können, wenn er diese Sternenbilder auch sehen konnte. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als den nächtlichen Sturm an Ort und Stelle auszuharren.
    Erschöpft ließ er sich auf die Sitzbank sinken. Einen Moment überlegte er, ob er den Taucheranzug anlassen sollte. Immerhin war es dort drinnen schön trocken. Anderseits war er froh, wenn er wieder frei atmen konnte. Also löste er den Verschluss am Kragen und setzte den Helm ab. Sofort peitschte der Wind ihm den kalten Regen ins Gesicht. Er schälte sich aus dem Anzug und verstaute die gesamte Ausrüstung wieder in der Gepäckkiste. Noch bevor er sie verschlossen hatte, war seine Kleidung bis auf die Haut durchnässt. Er entschied sich, unter Deck zu fliehen. Hier oben konnte er ohnehin nichts mehr tun und es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf das Ende des Sturms zu warten. Er hoffte nur, dass die Tamalon bis dahin nicht allzu weit abtreiben würde. Ein Riff war das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.
    In der Kabine des Bootes war das Wetter viel besser. Hanswalter schloss gleich die Luke hinter sich und tauschte seine nassen Klamotten gegen trockene. Auch wenn er endlich all dem Wasser entkommen war, blieb doch die Kälte. Daher nahm er die Decke aus der Koje und legte sie sich über die Schultern. Der Tisch vor der Sitzbank an der vorderen Wand bot ihm eine gute Sitzgelegenheit, von der aus er durch eines der kleinen runden Fenster nach draußen sehen konnte.
    Pausenlos trug der Sturm mitunter haushohe Wellen heran, und stellte damit die Seetauglichkeit der Tamalon auf eine harte Probe. Zusätzlich vielen etwa nochmal die gleichen Wassermassen vom nächtlichen Himmel herab. Doch im Inneren blieb es trocken. Auch das deutliche Knarren der Balken und Planken schien nicht bedrohlich zu sein. Das Boot hielt den Mächten der Natur stand. Bei Gelegenheit musste Hanswalter seiner Nahrungsmittellieferantin mal ein paar Worte des Lobes aussprechen.
    In die Decke gehüllt wurde es ziemlich gemütlich auf dem Tisch. Die Wellen bewegten das Boot gleichmäßig auf und ab und der Regen prasselte monoton auf das Dach. Langsam spürte der Freizeitkapitän Müdigkeit aufkeimen. Aber er würde wohl kaum einschlafen können, solange er sich in dieser Gefahrenlage befand. Ganz allein im Sturm auf dem großen weiten Meer.


    Als er die Augen wieder aufschlug schien die Sonne durch die Fenster. Es herrschte beinah völlige Stille und das Boot schaukelte nur ruhig vor sich hin. Der Sturm war verschwunden. Die Nacht war verschwunden.
    Hanswalter schreckte hoch. Wie lange hatte er geschlafen? War die Tamalon schon auf ein Riff gelaufen? Er würde sofort nach oben gehen und sich umsehen.
    Doch schon mit der nächsten Bewegung musste er feststellen, dass der Tisch doch nicht so eine gemütliche Schlafstätte abgab, wie es in der Nacht den Anschein gehabt hatte. Ein unangenehmes Ziehen im Rücken war ihm Anlass genug für den Vorsatz, demnächst wieder vorzugsweise in einem Bett zu übernachten.
    Noch leicht verschlafen schob er die Decke beiseite, ließ von der Tischplatte gleiten und ging über die schmale Treppe nach draußen. Dort vergewisserte er sich kurz, dass der Bootsrumpf nicht in einem Riff steckte, und schlurfte mit halb geschlossenen Augen zur Gepäckkiste. Die Haare zerzaust und das Gesicht unrasiert. Unter seinem immer noch nassen Taucheranzug fand er ein Fernrohr, das er sich sogleich vor eines seiner Augen klemmte, um sich die Gegen anzusehen.
    Land. Da war tatsächlich Land in Sicht. Hanswalter hatte keine Ahnung welches Land, aber es war auf jeden Fall besser wie dieses viele Wasser. Er würde dort sicherlich jemanden finden, den er nach dem Weg zurück in den Heimathafen fragen konnte.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


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  • Schnee von gestern


    Es war schon eine ganze Weile her, seit die Monster in Simkea eingefallen waren und sich überall im Land ausgebreitet hatten. Niemand konnte sich erklären, woher sie kamen und was ihre Ziele waren. Von heute auf morgen waren sie einfach da gewesen und es wurden immer mehr.
    Als die ersten von ihnen gesichtet wurden, entschied der hohe Rat von Simkea, dass es notwendig sei, ihrem Ursprung auf den Grund zu gehen. Es kam der Tag, an dem eine kleine Gruppe tapferer Bürger in die Dienste des Rates trat, mit Waffen und Rüstungen ausgestattet wurde und zur Klärung der Umstände rund um die Monster auf Erkundungsmissionen geschickt wurde.
    Hanswalter war einer dieser Freiwilligen. Simkea war seine zweite Heimat geworden und er wollte sie gegen die Horden der Ungeheuer verteidigen, wenn es notwendig war.
    Die Katzenfrau Pytron, die die Missionen leitete, verteilte die Kampfausrüstung an die Gruppe. Aufgrund seiner Kampferfahrungen aus früheren Tagen bat Hanswalter sie um eine stabile Lederrüstung und ein Bastardschwert. Doch da in dem friedlichen Simkea vorher offenbar nie Waffen gebraucht worden waren, sah die Bestückung der Waffenkammer Trents entsprechend spärlich aus. Die Lederrüstung, die man ihm aushändigte war sehr dünn, kaum mehr als eine Lederweste. Und das Schwert – seine Kinnlade wäre beinahe auf den Boden geschlagen – war aus Holz.
    Schwer bewaffnet zog die Gruppe los, um die unbekannten Gegner auszuspähen. Schon nach einigen Meilen entdeckten sie, dass es weitaus mehr zu erspähen gab, als sie vorher angenommen hatten. So teilten sie sich auf, um ein möglichst großes Gebiet abdecken zu können.
    Hanswalter verschlug es ins Adoragebirge. Hier hatte er erst wenige Tage zuvor seine Arbeit in der Kupfermine unterbrochen, um dem Ruf des hohen Rates zu folgen, mit dem die freiwilligen Späher geworben worden waren. Nach einiger Zeit der erfolglosen Suche nach Monstern, beschloss der Schmied und Bergmann, wieder die Kupfermine aufzusuchen, um seine Arbeit fortzusetzen. Nebenbei bot sich die Gelegenheit, die dunklen Schächte nach Monstern zu durchsuchen.
    Viele Tage verbrachte Hanswalter untertage, ohne einem Monster über den Weg zu laufen. Als er ausreichend Erz gesammelt hatte, verließ er die Mine wieder.
    Draußen versperrte ihm schon nach wenigen Schritten ein rundes weißes Wesen seinen Weg. Es machte einen recht friedlichen Eindruck, bis es seine Zähne zeigte und einen langen spitzen Eiszapfen hervorholte. Hanswalter konnte sich gerade noch ducken, als es auf ihn zusprang. Es hinterließ einen eiskalten Windzug an seinem Ohr. Offenbar handelte es sich bei diesem Wesen um einen Schneeball, um einen bösen Schneeball.
    Der überraschte Bergmann zog sein Holzschwert. Gegen einen Schneeball würde es wohl ausreichen. Er setzte zu einem gezielten Schlag an. Schnee flog durch die Luft. Das Unwesen hatte nicht parieren können. Doch unbeeindruckt setzte es sogleich zum Gegenschlag an und stach mit seinem Eiszapfen zu. Ausweichen war unmöglich. Es traf Hanswalter an der Wade. Das gefrorene Wasser drang tief unter seine Haut und verbreitete dort den stechenden Schmerz der Kälte. Überrascht von dieser Art der Attacke fiel sein nächster Hieb weniger erfolgreich aus. Der Schneeball parierte ihn und stach erneut zu, diesmal traf er den Schwertarm.
    Das Untier war ein stärkerer Gegner, als der erste Eindruck vermuten ließ. Mit pochenden Wunden, aber entschlossen, den Kampf zu gewinnen, umfasste Hanswalter den Schwertgriff mit beiden Händen und schlug zu. Der Eiszapfen zerbrach unter der Klinge des Schwertes. Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht des Ungeheuers ab. Es versuchte noch, mit diesem Stummel weiter zu kämpfen, doch seine Angriffe würden nun deutlich schwächer ausfallen.
    Hanswalter gelang es den nächsten Schlag zu parieren. Sein Schwertstreich brachte den Gegner ins Taumeln. Der Bergmann nutzte diesen Moment und hob sein Schwert hoch über den Kopf. Hörbar teilte die Klinge die Luft, als sie auf den Schneeball niederfuhr. Dieser versuchte noch mit seinem Eisstummel zu Parade anzusetzen, bevor er einem Überraschungsei gleich in zwei Hälften zerfiel und zerbröselte.
    Das Monster war tot, doch auch Hanswalter war nicht ohne Verletzungen geblieben. Notdürftig verband er seine Wunden. Er würde sie später dem Heiler seines Vertrauens präsentieren. Während er den Leinenstoff aus seinem Medizinbeutel um die betroffen Glieder wickelte, fragte er sich immer wieder, was den Schneeball dazu getrieben hatte, ihn anzugreifen. Die Ziele der Monster waren ihm ein Rätsel, doch er wusste nun, dass sie tatsächlich feindselig waren.
    Froh darüber, überlebt zu haben, verließ er den Ort des Geschehens und machte sich auf den Heimweg. Er ahnte schon, dass dies nicht sein einziger Kampf gegen die unbekannten Monster bleiben würde. An diesem Tag hatte er gesiegt, doch schon der nächste Kampf konnte weniger erfolgreich ausfallen.
    Nur das Häufchen Schnee, das er hinterließ, zeugte von der ehemaligen Existenz seines Gegners. Schon bald würde er schmelzen und von dem Wesen, das er einst formte, würde nichts bleiben. Hanswalter blieb nur zu hoffen, dass er nicht eines Tages den Platz mit einem seiner Gegner tauschen würde.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

    Einmal editiert, zuletzt von Hanswalter () aus folgendem Grund: Formatierung

  • Bis(s) zur kalten Dusche


    Dreihundert Dachziegel und Zweihundert Mauerziegel, so lautete die Bestellung. Schon seit Tagen arbeitete Hanswalter daran und noch viele weitere würde es noch dauern. Das Brennen von Ziegeln fiel eher weniger in das Tätigkeitsfeld eines Schmiedes, doch gelegentlich suchte er nach ein wenig Abwechslung zu seinem Berufsalltag.
    Er kam mit seinem Auftrag gut voran und wollte der Auftraggeberin Yoschi schon eine deutliche Verkürzung der Lieferzeit bekannt geben, doch dann kam alles anders als geplant.
    Es war ein friedlicher Abend am Markt. Hanswalter hatte sich am Feuer niedergelassen und formte fleißig seine Ziegel. Wie gewohnt unterhielten sich die Anwesenden heiter miteinander. Auch der Schmied wurde in das eine oder andere Gespräch verwickelt. Nur eine junge Dame mit roten welligen Haaren und schwarzen Flügeln saß etwas abseits und schnitzte in Gedanken versunken vor sich hin. Artemis war ihr Name, wenn er sich recht entsann. Sie machte einen traurigen Eindruck und ihr war offenbar nicht nach Gesellschaft zumute. Nachdem er sie kurz gemustert hatte, beachtete Hanswalter sie nicht weiter und wandte sich wieder der fröhlicheren Gesellschaft zu.
    Doch als sie einige Zeit darauf immer noch so still da saß, beschloss er, sie anzusprechen. Vielleicht fand er ja ein paar aufmunternde Worte. In einem kurzen Gespräch stellte sich heraus, dass der Grund für ihre gesenkte Stimmung ihre Einsamkeit war. Hanswalter erfuhr, dass sie ein Vampir war, was vielen Männern Angst zu machen schien. Niemand wollte ihr zu nahe kommen.
    Damit hatte er nicht gerechnet. Es fielen ihm keine aufmunternden Worte ein, die er ihr dazu hätte sagen können. So endete das Gespräch sehr bald und die Vampirdame entschied sich, den Markt zu verlassen, um irgendwo zu verschwinden.
    Der Schmied sah ihr noch eine Weile nach. Er konnte die Furcht der Männer gut verstehen. Vampire waren grausame Geschöpfe, vor denen niemand sicher war. Sie waren Untiere, die ohne zu zögern Menschen ihres Blutes beraubten und sie dadurch entweder töteten oder ebenfalls in Vampire verwandelten. Dies glaubte er zu wissen. Immer wieder hörte man von Geschichten, die dies bestätigten. Doch irgendwie schien dieser Vampir nicht in das Muster zu passen. Wie konnte ein seelenloses Wesen derartig traurig sein? Er begann zu zweifeln.
    Als Artemis schon verschwunden war, fiel ihm plötzlich doch etwas ein, das sie möglicherweise ein wenig trösten könnte. In einem kurzen Brief empfahl er ihr, sich nach einem männlichen Vampir umzusehen. Ein solcher würde bestimmt keine Furcht vor ihr haben und bei der Menge neuer Bürger, die tagtäglich in das Land strömten, war es sehr wahrscheinlich, dass bald ein Artgenosse durch das Portal trat.
    Die Antwort auf den Brief ließ nicht lange auf sich warten. Die Vampirdame erklärte ihm, dass sie keinen Vampir haben wolle. Sie mochte viel lieber ein normales Leben führen, wie das eines Menschen. Hanswalter versuchte, ihr in einem weiteren Brief zu erklären, dass die Angst der Menschen häufig auf Unwissenheit beruht und dass er selbst offenbar auch nicht ausreichend informiert war. Sie bot ihm daraufhin an, seine Fragen zu beantworten, wenn er welche hätte. Für den Schmied war dies eine Gelegenheit, eine zweite Sichtweise kennen zu lernen.
    Eine Brieftaube folgte der anderen und zu jedem Brief kam eine Antwort. Letztendlich war sich Hanswalter sicher, sich sein Leben lang in einem Irrglauben gegenüber Vampiren befunden zu haben. Zumindest wurde ihm nun bewusst, dass man wohl nicht alle Vampire über einen Kamm scheren konnte. Er erfuhr beispielsweise, dass Vampire keineswegs zwanghaft oder böswillig alles leersaugten, was nicht rechtzeitig entkommen konnte. Artemis schien ihm viel mehr ein liebenswertes Wesen zu sein. Sogar liebenswerter als so mancher Mensch, den er kannte. Dass ihre Zieheltern, Nillicwyed und Bo, sie nach ihrer Ankunft in Simkea aufgenommen hatten und sie nun ein Teil der Familie war, bestärkte Hanswalter nur in dieser Erkenntnis. Er kannte die Eltern seinerseits seit seinen ersten Tagen in Simkea und traute ihnen durchaus eine ausreichende Menschenkenntnis zu.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


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  • Bis(s) zur kalten Dusche (Fortsetzung)


    Eine ganze Weile nach dem Briefwechsel grübelte der Schmied über das geschriebene. Neben den allgemeinen Dingen über Vampire hatte er auch ein wenig über die Vergangenheit der Vampirdame erfahren und sie selbst besser kennengelernt. Er sah sie nun mit ganz anderen Augen.
    Zu vorangeschrittener Stunde kehrte sie zum Markt zurück. Während Hanswalter sich mit den anderen Bürgern am Markt unterhielt, setzte sie sich wieder an das Feuer und schnitzte. Er bemerkte ihre Anwesenheit zunächst nicht, bis etwas geschah, das man beim Zusammentreffen größerer Gruppen in Simkea häufiger beobachten konnte. Aufgrund eines für ihn nicht mehr erklärbaren Anlasses, holten die Anwesenden nacheinander ihre Handtücher hervor – ohne die sich kaum jemand aus dem Haus traute, was durchaus seine Berechtigung hatte – und wedelten damit herum. Auch der Schmied wedelte fleißig mit.
    Artemis hingegen besaß kein Handtuch und breitete stattdessen ihre schwarzen Schwingen aus. Es war ein beeindruckender Anblick. Die Schwingen verliehen der ohnehin schon bildschönen Frau etwas geheimnisvolles, sodass Hanswalter nur noch da stehen und sie bewundern konnte. Die Vampirdame schien dies zu bemerken und schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. Das war der Moment, in dem er sich in sie verliebte.
    Etwas unbeholfen lächelte er zurück, woraufhin sie verlegen ihren Blick senkte und die Schwingen wieder zusammenlegte. Er wusste nicht, was er nun tun oder sagen sollte, und verpasste dadurch den Moment, sie erneut anzusprechen. Nun, da seine Empfindungen für sie sich gewandelt hatten, schien es ihm plötzlich nicht mehr so einfach. Während er nur herumstand, zog sie sich wieder zurück und schnitzte weiter. Hanswalter nahm wieder an den Gesprächen der übrigen Anwesenden teil, warf Artemis aber immer wieder heimliche Blicke zu, um sie bei der Ausübung ihrer Schnitzkunst zu beobachten.
    Da es immer später wurde, gingen nach und nach die meisten der Bürger zu Bett. Doch auch einige neue traten auf den Markt. Darunter Xanatos und Kallekgb. Den Anwesenden fiel diese drastische Zunahme der Quote männlicher Bürger auf. Kallekgb bot daraufhin an, Xanatos freundlich mit einer Schaufel zu knuffen, um den Männeranteil ein wenig zu reduzieren.
    „Knuffen Männer einen Mann eigentlich anders als sie eine Frau knuffen würden?“, fragte Artemis vorsichtig.
    Hanswalter grinste. „Ich würde eine Frau niemals mit einer Schaufel knuffen.“
    „Wie würdet Ihr denn eine Frau knuffen, HW?“
    „Naja, eher so mit zwei Finger sachte in die Wange.“ Der Schmied war offensichtlich mit der Bedeutung des Begriffs Knuffen weniger vertraut als er annahm.
    Die Vampirdame sah ihn ungläubig an. „Das würdet Ihr Euch getrauen?“
    „Trauen würde ich mich das nicht.“ Er wich ihrem Blick aus. „Aber das wäre meine Vorstellung von Knuffen.“
    „Schade“, murmelte sie leise und schmunzelte.
    „Möchtet Ihr denn geknufft werden?“, fragte er unsicher.
    Ein Schulterzucken und ein Lächeln. „Vielleicht.“
    Ermuntert durch ihre Worte, trat Hanswalter näher an sie heran. Etwas zögerlich hob er seine Hand an ihre Wange. Nur noch Millimeter trennten seine Finger von ihrer Haut. Er konnte ihre Wärme schon spüren, als er sich plötzlich fragte, wie es dazu gekommen war, dass er kurz davor war, eine erwachsene Frau in die Wange zu kneifen, wie es üblicherweise nur entzückte Großmütter bei ihren Enkelkindern taten. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Seine Daumen und sein Zeigefinger lagen auf ihrer samtenen Haut. Sachte drückte er sie zusammen und formte daraus eine Falte.
    „Au...ah...hm“, sagte die Vampirdame. „Ich glaube, Knuddeln ist angenehmer.“
    War das eine Aufforderung? Hanswalter war sich nicht sicher. Er ließ ihre Wange wieder los und fragte sich, was er nun tun sollte. Nur zu gerne wollte er die Arme um sie legen und sie an sich drücken, aber irgendwie traute er sich nicht so recht. Mehrere Male gingen ihm ihre letzten Worte durch den Kopf, bis er schließlich die Erkenntnis erlangte, dass Artemis tatsächlich von ihm in die Arme geschlossen werden wollte.
    „Dann Knuddeln“, sagte er mit einem Rest Unsicherheit und legte seine Arme um sie. Ihr zarter Körper lehnte sich an seinen und plötzlich verschwanden alle anderen Bürger vom Marktplatz. So kam es Hanswalter zumindest vor. Es schien nur noch sie beide zu geben. Die junge Frau in seinen Armen beanspruchte sein gesamtes Wahrnehmungsvermögen. Einen anderen Gedanken zu fassen, war einfach unmöglich. Vor diesem unendlichen, aber dennoch zu kurzen Moment hätte er nicht geglaubt, dass man sich so kurz hintereinander zweimal in dieselbe Frau verlieben konnte.
    Als er sie wieder losließ, fiel sein Blick auf ihre Schwingen. Er fragte sich, wie leicht sie wohl zerknitterten. „Ich hoffe ich habe Eure Flügel nicht beschädigt“, sagte er daher vorsichtshalber.
    Doch Artemis schüttelte leicht den Kopf. „Nein das habt Ihr nicht, die halten einiges aus. Ihr dürft sie gern einmal berühren, wenn Ihr wollt.“
    Beruhigt legte Hanswalter seine Hand auf die federnbedeckten Schwingen und fuhr beeindruckt darüber. „Ich nehme an, dass an dem Gerücht, dass sich alle Vampire in Fledermäuse verwandeln können auch nicht viel dran ist?“
    Sie nickte leicht. „Stellt Euch doch nur mal vor, wie ich als Fledermaus aussehen würde.“
    „Ich mag es mir lieber nicht vorstellen. Diese prächtigen Flügel passen nicht zu einer Fledermaus.“
    „Gefallen Euch die Schwingen?“, fragte sie schmunzelnd.
    Er senkte seine Stimme. „Nicht nur die Schwingen.“
    „Nicht nur Schwingen?“, wiederholte sie und sah ihn erstaunt an.
    Da begriff der Schmied erst, was er gesagt hatte. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. War er zu weit gegangen? Er wollte sie keinesfalls verschrecken. Nach den passenden Worten ringend antwortete er: „Naja... der Rest von Euch ist mindestens ebenso... ansehnlich.“
    Zu seiner Erleichterung schienen diese Worte passend genug zu sein.
    Artemis errötete und senkte ihren Blick. „Ihr schmeichelt mir, werter HW.“
    Bo, der inzwischen auf dem Markt aufgetaucht war, bekam diese letzten Worte mit. Hanswalter hatte ihn zu spät entdeckt. Unsicher sah er zu ihm hinüber.

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  • Bis(s) zur kalten Dusche (Fortsetzung)


    Der ebenfalls anwesende Waldelf Draugfaron hatte unterdessen bemerkt, dass die Vampirdame scheinbar nervös mit ihren Fingern spielte. „Solange sie nicht nervös an den Zähnen herumspielt, ist alles in Ordnung“, nuschelte er laut genug, um einen bösen Blick von Artemis zu ernten. Schnell verschwand er hinter einem der zahlreichen Marktstände und sie wandte sich wieder ihrem Schmeichler zu.
    „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sagte sie leise.
    Hanswalter lächelte. „Mir geht es da nicht besser.“
    Sie lächelte zurück. „Ich... bin etwas überrascht über Eure Worte.“
    Durch die Anwesenheit Bos wurde der Schmied immer nervöser. Er fragte sich, ob es richtig war, was er hier tat.
    Seine Angebetete schien dies zu bemerken. „Möchtet ihr ein Bier, HW?“
    Er befand sich nun in einer Lage, in der nur weglaufen und sich verstecken konnte, oder die Flucht nach vorne antreten. „Oh, ein Bier... nein ein Bier ist es nicht, was ich möchte.“ Sanft fuhr er mit seinen Fingern durch das Haar an ihrer Schläfe.
    „Was wollt Ihr dann?“
    Nun gab es kein Zurück mehr. Er nahm all seinen Mut zusammen und legte seine Arme um sie.
    Bo schrie plötzlich auf: „Nilliii!“
    Hanswalter entschied sich, ihn vorerst nicht weiter zu beachten. Langsam näherte er sein Gesicht dem von Artemis, woraufhin sie ihrerseits die Arme um seinen Körper legte. Bestärkt durch diese Reaktion führte er seine Lippen immer näher an ihre heran, bis sie sich berührten.
    Er küsste die Frau in seinen Armen erst etwas zurückhaltend, dann aber mit zunehmender Hingabe. Ihre vollen Lippen lagen zart auf seinen, was einen wohligen Schauer durch seine Körper laufen ließ. Doch plötzlich riss ihn ein eiskaltes Gefühl in seinem Nacken aus diesem wunderbaren Moment. Er fuhr herum und sah Nillicwyed in Gestalt eines Bibers hinter ihm stehen. Der Schwamm in ihren Pfoten tropfte noch.
    „Für‘nen kühlen Kopf“, sagte Bo lachend. „Und zur Not hab i no des hier.“ Fast beiläufig schwang er ein blutbesudeltes Schlachtermesser durch die Luft. „au für’n Kopp.“
    Artemis wurde unterdessen von ihrer Ziehmutter weggezogen. „Was macht ihr da?“, fragte sie entsetzt und setzte sich mit Händen und Füßen zur Wehr. „Mama, lass mich los.“
    Doch Nillicwyed gab nicht nach. „Junges Fräulein...“
    „Mama bitte ... lass mich los.“ Ihr Blick wanderte traurig zu Hanswalter.
    „Es ist ja nichts grundsätzliches“, sagte sie und bleckte ihre Nagezähne in die Richtung des Schmiedes, „aber jemand, der Geld für den Schlüssel zum Keuschheitsgürtel bietet...“
    Hanswalter widerstand dem Drang, sich mit der flachen Hand an den Kopf geschlagen. Das, was die Biberfrau da ansprach, war eine Dummheit gewesen, die er lieber unterlassen hätte. Als Bo kurz zuvor auf der Suche nach einem Schmied gewesen war, der Keuschheitsgürtel für seine Töchter anfertigt, hatte Hanswalter zum Zweck eines Scherzes ein Gebot für einen Zweitschlüssel an potentielle Auftragnehmer gestellt. Er hatte es schon fast wieder vergessen und bemühte sich nun, Nillicwyed zu überzeugen, dass es nur Spaß gewesen war.
    „Mit meiner Tochter macht man keine Scherze!“, entgegnete diese aber aufgebracht.
    Da mischte sich kleinlaut Artemis ein. „Er will doch nur beweisen, dass ihm etwas an mir liegt.“
    „Die Frage ist, an welchem Teil von dir, mein Kind.“
    „An mir? Welchen Teil meinst du Mama?“
    „Na, ich hoffe doch, dass ihm an allen Teilen etwas liegt. Hast du aus den letzten Wochen gar nichts gelernt?“
    Hanswalter hatte keine Ahnung, was sie damit meinte.
    „Aber HW ist anders.“
    „Arte, das kann ich gar nicht pauschal abstreiten, aber meinst du nicht, du solltest das vielleicht erst herausfinden, bevor du dich wieder Hals über Kopf in etwas stürzt?“
    Der Rest des Gespräches wurde für den Schmied noch verwirrender. Offenbar ging es um eine Angelegenheit, die vor nicht allzu langer Zeit zu enttäuschter Liebe geführt hatte.
    „Arte, ich glaube, wir müssen uns mal unterhalten“, sagte Nillicwyed dann.
    „Über Bienen und Blumen?“, rutschte es Hanswalter heraus, woraufhin Bo nur meinte: „Genau, besonders über die Bienen und ihre Stachel.“
    Artemis sah ihre Ziehmutter fragend an. „Kann mir HW das nicht erzählen?“
    „Darf ich?“, fragte der Genannte hoffnungsvoll.
    „Nein“, sagte die Biberfrau entschieden und zog ihre Ziehtochter in ihren nahegelegenen Marktstand, um sich in Ruhe mit ihr zu unterhalten. Nur widerwillig ließ diese sich mitziehen.
    Als die beiden Frauen die Tür hinter sich geschlossen hatten, stellte Bo sich davor. „Klappe zu, Affe tot. Geht weiter Leute, hier gibt es nichts mehr zu sehen.“
    Hanswalter setzte sich derweil betreten an das Marktfeuer und formte ein paar weitere Ziegel. Doch er musste ein Lachen unterdrücken, als Bo Nillicwyed fragte: „Hast du ’ne Auster? Leichter können wir es ihr nicht erklären.“

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  • Bis(s) zur kalten Dusche (Fortsetzung)


    Den Rest des Gespräches bekam der Schmied nicht mit. Der Dauer nach zu urteilen, gab es aber wohl einiges zu besprechen, dort im Marktstand. Bos Beteiligung an dem Frauengespräch schien offenbar auch nicht wirklich erwünscht zu sein. Nach einer Weile kam er zu Hanswalter ans Feuer. Dieser hielt es jedoch für besser, in dem Moment nichts zu sagen. Er wusste nicht, wie er sich in dieser Situation verhalten sollte. Alles, was er tun oder sagen könnte, schien ihm falsch zu sein. Lieber wollte er erst einmal abwarten, was passieren würde und verbrachte die Zeit damit, sich ziellos umzuschauen.
    Alriks Auktionshaus erweckte seine Aufmerksamkeit. Die Fassade konnte mal wieder gestrichen werden und die Pflanzen in seinen Blumenkübeln benötigten mal wieder etwas Wasser.
    Doch dann musste er wieder an Artemis denken. Gedankenverloren stocherte er mit einem Stock im Feuer herum, während er sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr ausmalte. Es war ihm ungewiss, wohin das Gespräch in dem Marktstand führen würde. Auch fragte er sich, was es mit den ganzen Andeutungen der Biberfrau auf sich hatte, die den Eindruck erweckten, dass die Vampirdame in Liebesangelegenheiten nicht auf sich selbst aufpassen konnte.
    Bo, der die ganze Zeit gestanden hatte, setzte sich zu ihm und erkundigte sich, wie die Geschäfte liefen.
    Hanswalter schaute überrascht auf.
    Es folgte ein Gespräch über Pelze, Hamster und Schlaglöcher, das die Zeit etwas vertrieb. Schon fast unerwartet öffnete sich bald wieder die Tür des Marktstandes, aus der sogleich Artemis herausgestürmt kam. Eilig lief sie zum Marktfeuer und setzte sich lächelnd neben den Schmied.
    Bo hingegen zog es vor, wieder aufzustehen und sich zu seiner Liebsten zu begeben. Auf dem Weg zu ihr holte er eine Kakerlake – mit Namen Peter – aus seinem Rucksack und streichelte sie, als wäre sie ein Goldhamster. Was genau er mit ihr vor hatte, wollte Hanswalter lieber nicht wissen.
    Er nutzte die Gelegenheit der Unaufmerksamkeit, um gleich wieder einen Arm um seine Angebetete zu legen, natürlich darauf bedacht, sich nicht in ihren Flügeln zu verheddern. Ihre tiefgründigen graugrünen Augen schauten zu ihm auf, als sie sich an ihn lehnte. Dass ihre Eltern sie beobachteten, schien ihr völlig gleichgültig zu sein.
    „Und? Erlauben deine Eltern, dass wir uns weiterhin sehen?“, fragte Hanswalter sie.
    „Ja, das tun sie, aber... aber Mama sagt, wir sollen uns Zeit lassen.“
    Er nickte leicht. „Ich denke, damit hat sie Recht.“
    „Ja, das glaube ich auch.“
    Wirklich überzeugt davon waren sie aber offenbar beide nicht. Sehnsüchtig schauten sie sich gegenseitig in die Augen. Sie lächelte glücklich, doch plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck.
    „Wuuuah!“, rief sie erschrocken und im nächsten Moment erkannte er den Grund dafür. Nillicwyed hatte sich hinter sie geschlichen und wieder einen nassen Schwamm über ihren Köpfen ausgedrückt. Und wieder hatte Hanswalter nicht gesehen, wie es der kleine Biber geschafft hatte, den Schwamm überhaupt so hoch zu halten. Nicht schon wieder, dachte er nur.
    Artemis sprang auf und sah zu ihrer Ziehmutter hinunter. „Mama, was soll das?!“
    „Ich gieße nur“, entgegnete diese lächelnd. Scheinbar war dies noch so eine Aussage, die man nur als Eingeweihter verstand.
    Völlig überraschend wurde aber auch Bo Opfer einer solchen Dusche. Wie genau Nillicwyed dies angestellt hatte, blieb Hanswalter schon wieder verborgen. Er war gerade dabei gewesen, seinen Umhang auszuwringen.
    Dem Geduschten musste wohl seine Kakerlake heruntergefallen sein. Eilig flitzte sie über den Marktplatz und musste erst wieder eingesammelt werden.
    „Badetag ist doch erst nächste Woche“, bemerkte Bo, mit noch tropfenden Haaren.
    Ob nun wegen der Kakerlake oder wegen der Biberfrau mit dem Schwamm, Artemis huschte unauffällig hinter Hanswalter und versteckte sich dort. Geschützt vor den Blicken ihrer Zieheltern kuschelte sie sich an seinen Rücken. Der Schmied stellte sich extra breit auf, bereit, sie vor allen Gefahren zu schützen, und wenn es nur ein nasser Schwamm war.
    Als die Wasserschlacht schließlich ein Ende fand und Nillicwyed davonzog, sagte er: „Sie ist weg. Du kannst wieder hervorkommen.“
    Artemis lugte vorsichtig hinter seinem Rücken hervor. „Danke.“
    Da nun kein Schwamm mehr in der Nähe war, konnte er sie auch wieder in die Arme schließen. „Es ist spät geworden“, sagte er, während er dies tat.
    Sie nickte.
    „So ungern ich mich von dir trenne, ich müsste langsam mein Bett aufsuchen.“
    „Ich werde mit Paps gehen. Sehen wir uns... heute?“ Es war tatsächlich schon weit nach Mitternacht, fast schon kurz vor Sonnenaufgang.
    „Ja“, meinte er mit einem strahlenden Lächeln bei dem Gedanken daran, sie wiederzusehen.
    Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Dann freue ich mich auf später“, sagte sie löste sich von ihm.
    „Ich mich auch.“
    Sie wünschten sich noch eine gute Nacht und dann ging Artemis mit Bo davon.
    Hanswalter sah ihnen noch eine Weile hinterher. Er musste nun wirklich ins Bett, doch war er viel zu aufgeregt, als dass er ruhig schlafen konnte. Lange noch lag er wach auf dem Feldbett in seinem Marktstand und dachte nach. Der wenige Schlaf, den er schließlich im Morgengrauen fand, war begleitet von allerlei Träumen, die von einer rothaarigen Vampirdame und nassen Schwämmen handelten.

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  • Bis(s) in alle Ewigkeit


    Es waren nun schon einige Monate vergangen, seit Hanswalter die Liebe seines Lebens gefunden hatte. Artemis und er lachten und weinten zusammen, teilten sich ihr Leben und waren meist einfach nur gemeinsam glücklich. Schon sehr bald nachdem sie sich kennengelernt hatten, gingen ihre Gedanken in Richtung einer dauerhaften Beziehung. Hanswalter war sich sicher, Artemis war die Frau, mit der den Rest seines Lebens zusammen sein wollte. Doch gab es da ein Problem, dass ihm mit der Zeit immer deutlicher bewusst wurde: Sie war ein Vampir, er ein Mensch. Seine Lebenszeit würde in einigen Dekaden ablaufen, sie würde noch Jahrhunderte leben.
    Als er ihr das erste Mal von seinen Bedenken erzählte machte es sie sehr traurig. Doch es war nun einmal ein Thema, das angesprochen werden musste. Besser früher als später. Hanswalter legte zwar alles daran, eine Lösung zu finden, doch wenn seine Suche erfolglos blieb, würde er sich von ihr trennen müssen. Er wollte ihr einfach nicht den Schmerz zumuten, den es ihr gebracht hätte, wenn er nach einigen Jahrzehnten glücklicher Ehe aus dem Leben geschieden wäre und sie noch eine Ewigkeit ohne ihn weiterleben müsste.
    Vor einiger Zeit hatte er von einer Elfenfrau gelesen, die ihren menschlichen Gemahl an den Alterstod verlor und mit ihm auch jede Form von Frohsinn und Heiterkeit. Für die restlichen zweihundert Jahre ihres Lebens. Das würde Hanswalter seiner geliebten Artemis ersparen. Eine frühe Trennung war da das geringere Übel.
    In den darauffolgenden Wochen lastete dieser Gedanke schwer in den Gemütern der beiden Verliebten. Sie versuchten gemeinsam eine Lösung zu finden, doch diese schien selbst in Simkea unmöglich zu sein, wo Vertreter der Völker unzähliger Welten aufeinander trafen und Unmengen an Wissen zusammenkamen.
    Artemis deute eines Tages an, dass sie eine Möglichkeit kenne, um Hanswalters Lebenszeit zu verlängern. Doch sie meinte, dass sie es ihm nicht zumuten könne. Es würde sein Leben völlig verändern und wäre auch nicht ganz ungefährlich. Der Schmied ahnte worauf sie hinaus wollte. Sie sprach es nicht direkt aus, doch er wusste, dass sie erwog, ihn zu beißen und dadurch in einen Vampir zu verwandeln. Neben dem längeren Leben hätte das aber auch den typischen Blutdurst zur Folge. Es sei nicht sicher, ob er es schaffen würde, mit dem Blut von Tieren auszukommen. Artemis selbst hatte Jahre für diese Umstellung gebraucht. Keinesfalls wollte Hanswalter einen Menschen anfallen, um sich von ihm zu ernähren. Er würde danach nicht mehr in den Spiegel schauen können. Dann zog er es doch vor, sich von seiner geliebten Artemis zu trennen, so schmerzhaft es auch sein würde.
    Einen Hoffnungsschimmer bot jedoch noch die Bibliothek des Professors Bloom. Hanswalter durchsuchte dort jeden kleinsten Winkel nach einem Schriftstück, das Hinweise auf einen Zauber oder ähnliches lieferte, mit dem man ein Leben verlängern konnte. Doch er war sich bewusst, dass er nicht der erste war, der nach einem längeren Leben strebte. Schon seit Ewigkeiten musste es wohl schon Menschen geben, die nach dem ewigen Leben suchten. Wenn hier in der Bibliothek einst ein Hinweis darauf zu finden gewesen war, so war er schon längst entwendet worden. Oder es gab ihn schlichtweg nicht.
    Der Suchende war schon kurz davor aufzugeben, als plötzlich der Professor und Hüter der Bücher neben ihn trat. Er hielt ihm ein großes staubiges Buch im ledernen Einband entgegen und sah ihn aus mitleidvollen Augen an. Die Übersetzung eines alten Werkes der Elfen sollte es nach seinen Worten sein. Es enthalte viele Geheimnisse des Volkes und möglicherweise könne es ihm weiterhelfen.
    Hanswalter nahm das Buch dankend und mit leichter Überraschung entgegen. Offenbar hatte er dem Professor so lange mit seiner Sorge in den Ohren gelegen, dass dieser ihm lieber dieses kostbare Schriftstück aushändigte als noch einen weiteren Ton seines Gejammers zu hören.
    Die nächsten Tage über verbrachte er viel Zeit damit, in dem Buch nach einem Hinweis auf das Geheimnis der langen Lebenszeit der Elfen zu suchen. Es hatte einiges Lesenswertes zu bieten, doch wie zu erwarten war, stand darin nichts Nützliches über die Lebensdauer der Elfen geschrieben.
    Während er das Schriftwerk so erfolglos studierte, kam er mit seinem befreundeten Schmied- und Bergbaukollegen Drachenritter ins Gespräch. Er erzählte ihm von seinem Problem mit dem Unterschied in der Lebenserwartung der Vampirdame und seiner eigenen und dass er bisher noch keine Lösung gefunden hatte. Zu seiner Überraschung meinte Drachenritter jedoch, dass er in einem Buch aus seiner Herkunftswelt einmal etwas gelesen hätte, das weiterhelfen könnte. Es ginge um ein Symbol, das den Alterungsprozess von Lebewesen beeinflussen könne.
    Das war es, was Hanswalter gesucht hatte. Er stellte seinem Freund viele Fragen dazu und wurde sich immer sicherer, dass er so ein Symbol haben musste. Wie er erfuhr, konnte man damit in einem aufwändigen Ritual die Lebensdauer eines Wesens in einem begrenzten Maß ändern. Würde er seine Lebensdauer an die von Artemis anpassen lassen, wäre das Problem gelöst.
    Allerdings kamen ihm dabei leise Zweifel auf. Es schien ihm zu einfach zu sein, um war sein zu können. Könnte Drachenritter oder ein anderer Magiekundiger aus seiner Welt nicht einfach nach Belieben das Leben anderer Leute verlängern? Mit dieser Fähigkeit wäre doch sicher ein Vermögen zu verdienen gewesen. Doch Drachenritter beruhigte ihn. Nur Wenige verfügten über das nötige Wissen dazu und diese hätten einen Eid geschworen sorgsam damit umzugehen. Auch wäre das Ritual sehr kräftezehrend und nicht ganz ungefährlich für den ausführenden Magier.
    Das beunruhigte Hanswalter dann doch wieder. Er würde für eine Verlängerung seines Lebens nicht das eines Anderen riskieren. Drachenritter versicherte ihm jedoch, dass er wisse, was er tue und das Risiko für ihn eher gering wäre.
    Durch die Aussicht auf ein langes Leben mit der Frau seines Herzens getrieben, ließ Hanswalter sich von ihm bereitwillig überzeugen. Bis das Ritual durchgeführt werden könne, müssten aber noch einige Vorbereitungen getroffen werden. Es sei noch ungewiss, wie lange das dauern würde. Drachenritter konnte nur so viel dazu sagen, dass Artemis ein wichtiger Bestandteil des Rituals sei, da ihre Lebenszeit als Maßstab für das gewünschte Ergebnis des Zaubers benötigt werden würde.
    Gleich nach dem Gespräch überbrachte der Schmied seiner Liebsten die frohe Botschaft. Sie freute sich sehr darüber, wenn sie auch seine Zweifel teilte. Gemeinsam warteten sie, bis Drachenritter sich melden würde, und fragten sich, was wohl auf sie zukommen mochte.

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  • Bis(s) in alle Ewigkeit (Fortsetzung)


    Dann, wenige Tage später, war es endlich soweit. Sie wurden zum Himmelsee mit dem kleinen Waldstück in Trent gebeten, in dem auch ein gewisser Zwurrf haust. Drachenritter und seine damalige Lebensabschnittsgefährtin Sally erwarteten die beiden bereits.
    Unsicher schaute Hanswalter sich um.
    „Was ist, HW?“, fragte Drachenritter ihn.
    „Naja, ich bin etwas nervös. Das ist meine erste Lebenszeitverlängerung.“
    „Und wohl auch deine einzige.“
    „Das auch.“
    Drachenritter schien ebenfalls leicht nervös zu sein. Er saß auf dem Waldboden und überprüfte noch einmal seine Berechnungen. Sally saß neben ihm und wirkte beruhigend auf ihn ein. Auch Artemis, deren Anspannung Hanswalter deutlich spüren konnte, versuchte sie zu beruhigen.
    „Keine Angst, Arte. Ritter weiß was er tut.“
    „Keine Angst“, stimmte der Ritter zu, „euch kann nichts passieren. Höchstens mir.“
    Hanswalter sah ihn an. „Jetzt hoffe ich erst recht, dass du weißt, was du tust.“
    „Bitte pass auf dich auf“, meinte auch Artemis.
    Drachenritter begann unterdessen wortlos einige merkwürdige Symbole auf den Boden zu malen. Hanswalter sah ihm aufmerksam dabei zu, doch er hatte keine Ahnung, wozu genau sie gut sein sollten. Zu den Symbolen wurden noch einige Schälchen mit noch merkwürdigeren Flüssigkeiten auf den Boden gestellt. Alles schien einen exakt bestimmten Platz zu haben. Der Ritualmagier wirkte hoch konzentriert, als ob er tatsächlich wüsste, was er da tat.
    „So Artemis“, sprach er schließlich und deutete auf eine Stelle zwischen den Symbolen und Schälchen, „stell dich bitte da hin.“
    Die Angesprochene tat wie geheißen.
    „Und du da hin, HW.“
    Auch Hanswalter folgte der Anweisung und machten einen großen Schritt über eine Ansammlung von Schälchen, um seinen Platz etwa einen Meter neben seiner Liebsten zu erreichen. Gespannt, was nun kommen würde, schaute er zwischen den anderen Anwesenden hin und her.
    Drachenritter setzte sich im Schneidersitz vor die beiden. „Sally, geh am besten etwas in Deckung“, sagte er.
    Sally kam der Aufforderung nach und suchte Schutz hinter einem Baum. Ihre Angst um ihren Ritter konnte man ihr förmlich vom Gesicht ablesen, auch wenn sie es scheinbar zu verbergen versuchte, wohl um die Anderen nicht weiter zu beunruhigen.
    Der Gesichtsausdruck von Drachenritter vermittelte unterdessen wieder höchste Konzentration. Langsam hob er seine ausgestreckten Arme an. Die Flüssigkeiten in den Schalen folgten dieser Bewegung wie von Geisterhand. Für Hanswalter war es immer wieder faszinierend, einem Magier bei seinem Werk zuzusehen. Er schaute sich aufmerksam um, wagte es aber nicht, seine Füße zu bewegen.
    Die Flüssigkeiten stiegen immer weiter empor, verloren dabei jedoch nicht den Kontakt zu den Schalen. Wie dünne Säulen umgaben sie den Schmied und die Vampirin. Plötzlich begannen sie, sich seitwärts zu bewegen. Sie verließen ihre Schalen und weiteten sich aus, bis sie an ihre Nachbarn stießen. Eine undursichtige Wand bildete sich, die immer schneller rotierte. Hanswalter musste sich einen festen Punkt am Boden suchen, den er anstarren konnte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Einen Moment später juckte es ihn fürchterlich am Rücken. Wie konnte das sein? Er hatte doch erst zwei Wochen zuvor gebadet.
    „So, bin schon fertig“, hörte er Drachenritters Stimme.
    „Schon fertig?“, fragte er, überrascht, dass es so schnell ging.
    Die Flüssigkeiten sanken zurück in ihre Schalen und gaben den Blick auf den Magier wieder frei. Fertig war er in der Tat. Die Anstrengungen des Rituals standen ihm ins Gesicht geschrieben. Wie Hanswalter später erfuhr, hatte das Ritual wohl einige Schattendämonen hervor gerufen, die Drachenritter zurückdrängen musste. So wie Artemis verwirrt und nach Atem ringend neben dem Schmied stand, musste sie sie wohl auch gesehen haben. Ihm selbst waren sie jedoch beim Anstarren des Bodens entgangen.
    Er wollte gerade zu ihr gehen, als ein greller Lichtblitz das Entsorgungsproblem der Schalen mit den Flüssigkeiten löste. Drachenritter kippte daraufhin nach hinten weg und blieb bewusstlos liegen.
    Sofort kam Sally hinter ihrem Baum hervor geeilt und kniete sich neben ihren Ritter. Auch Artemis und Hanswalter liefen zu ihm.
    „Ritter, hörst du mich?“, fragte Sally ihn.
    Zur Erleichterung aller Anwesenden schlug er die Augen auf. „So, alles fertig“, sagte er nur. „HW, du alterst jetzt genauso wie Artemis.“
    Sally umarmte ihn. „Geht es dir gut?“
    „Ja, mir geht es gut, aber ich bin noch etwas schwach.“ Er lächelte.
    Auch Artemis schloss Drachenritter in die Arme. „Vielen Dank für deine Hilfe. Wie können wir das wieder gut machen?“
    Hanswalter wollte ihm ebenfalls gerade seinen Dank aussprechen, als er plötzlich erneut das Bewusstsein verlor.
    Ein „Oh“ war von den Damen zu vernehmen.
    Der Schmied kratzte sich unbewusst am Rücken. „Ist er...“
    „Ich weiß nicht“, sagte Sally.
    Hanswalter beugte sich hinab und legte zwei Finger an den Hals seines Freundes.
    „Lebt er noch?“, wollte Sally wissen.
    „Ja, er lebt noch.“
    „Ich bleibe bei ihm bis er wieder zu sich kommt.“
    „Kann ich etwas für euch tun?“
    „Wir können nur warten und hoffen.“
    Ratloses Nicken. Leise Vorwürfe begannen an dem Gemüt des Schmieds zu nagen. Gedankenversunken lief er umher. Er hätte sich wohl besser doch nicht auf dieses Ritual einlassen sollen. So wie Drachenritter nun da lag, hatte er offenbar untertrieben, als er die Risiken nannte. Wer wusste, was ihm noch hätte passieren können oder welche Auswirkungen sich erst später zeigen würden.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

    Einmal editiert, zuletzt von Hanswalter () aus folgendem Grund: Formatierung

  • Bis(s) in alle Ewigkeit (Fortsetzung)


    Es dauerte eine ganze Weile, bis Drachenritter wieder erwachte. Artemis war inzwischen verschwunden, um eine dringliche Angelegenheit zu erledigen.
    „Wo bin ich?“, fragte der Magier.
    Sally fiel ihm gleich um den Hals. „Du lebst.“
    „Ah, du bist wieder wach“, stellte Hanswalter erfreut fest. „Wir sind hier am See bei Zwurrf.“
    „Achso, stimmt ja.“ Drachenritters Stimme war leise.
    „Wie geht es dir?“
    „Ich fühle mich schwach und kann mich nicht bewegen, aber sonst geht es mir gut. Wie geht es Artemis und dir?“
    Irritiert durch seine scheinbare Sorglosigkeit über die Bewegungsunfähigkeit schaute Hanswalter ihn einen Moment an, während Sally sich ein paar Tränen weg wischte.
    „Uns geht es gut“, antwortete er schließlich. „Ich danke dir sehr für das, was du getan hast.“
    „Habe ich doch gerne gemacht.“ Er wandte sich an Sally, die noch immer in Tränen stand. „Mir geht es doch gut.“
    „Wirklich?“, vergewisserte sie sich noch einmal.
    „Ja ganz bestimmt.“
    „Kannst du aufstehen oder bist du noch zu schwach?“
    „Ich kann mich gar nicht bewegen, außer meinen Kopf.“
    „Scheinbar geht es dir dann doch nicht so gut“, meinte Hanswalter, doch Drachenritter wich nicht von seinem Standpunkt.
    „Ich habe eigentlich nichts gespürt“, sagte Hanswalter dann. „Kann man das Symbol sehen?“
    „Ja HW, so wie ein Tattoo.“
    Der Schmied schaute an seinem Körper hinab. „Wo ist es?“
    „Auf deinem Rücken.“
    „Auf meinem Rücken?“ Das war also der Grund für den Juckreiz. „Wie groß ist es?“
    „Zehn mal zehn Zentimeter.“
    Hanswalter zog sein Hemd aus und ging zum See, wo er sich an einem ufernahen Baum festhielt und über die Wasseroberfläche beugte. Das Symbol, das er in dem Spiegelbild sah, befand sich genau zwischen den Schulterblättern. Es war das Bild eines fliegenden Drachens mit offener Schnauze. Ob er gerade brüllte oder nur gähnte war nicht zu unterscheiden.
    Dem Schmied gefiel es. „Das sieht interessant aus.“
    „Ja, das finde ich auch“, stimmte Sally zu.
    Drachenritter grinste nur.
    „Das muss ich nachher Arte zeigen.“
    Als der frisch Tätowierte sah, wie Sally versuchte einen plötzlich auftauchenden Schwarm Mücken zu verscheuchen, zog er sein Hemd schnell wieder an.
    Drachenritter versuchte zu lachen, doch es kam nur ein Husten aus seiner Kehle.
    „Wir sollten hier weg“, meinte Sally, die noch immer mit den Mücken kämpfte.
    „Okay, ich kann Ritter tragen.“
    „Möchtest du zum Haus, Ritter?“, fragte sie.
    „Wo möchtest du denn hin?“, stellte dieser die Gegenfrage.
    „Mir ist es egal.“
    „Dann bitte zur Weberei. Am Markt ist zu viel los und für das Haus ist es zu früh.“
    Hanswalter zuckte mit den Schultern und warf sich den vermeintlich temporär Gehbehinderten über selbige.
    „HW, soll ich dir helfen?“, fragte Sally.
    Der Schmied grinste. „Danke, wenn ihr nicht ins Gebirge wollt, geht es.“
    Sie lachte. „Nein, erst einmal nicht.“
    Nachdem der Ritter noch einmal zurecht gerückt worden war, machten sie sich auf den Weg zur Weberei. Dort legte sein Träger ihn wieder auf den Boden.
    Sally setzte sich gleich zu ihm. „So, nun ruh dich aus.“
    In dem Moment tauchte Artemis an der Weberei auf. Sie grüßte und stellte sich neben ihren Liebsten. „Geht es dir besser, Ritter?“, fragte sie.
    Der Gefragte hatte inzwischen seinen Kopf auf Sallys Schoß liegen. „Ja, mir geht es gut.“
    „Das freut mich.“ Sie lächelte. „Danke nochmal, dass du uns so geholfen hast.“
    „Immer wieder gerne.“
    Sally wirkte leicht entsetzt über diese Worte. „Versprich mir, dass du so etwas nie wieder machst.“
    Er sah sie einen Moment an. „Okay, ich verspreche es dir.“
    „Danke“, sagte sie lächelnd.
    „Ich bin dir zu ewigen Dank verpflichtet, Ritter“, sagte Hanswalter.
    „Wir beide sind dir dazu verpflichtet“, stimmte Artemis zu. „Wie können wir das nur wieder gut machen?“
    Hanswalter warf einen Blick auf das Paar vor ihnen und lächelte dann seine Liebste an. „Ich glaube, erst einmal würde es reichen, wenn wir gingen.“
    Die Vampirin schaute leicht irritiert und zuckte mit den Schultern, lächelte dann aber. „Bis später ihr beiden.“
    Auch der Schmied verabschiedete sich und ging mit ihr in Richtung Markt.
    „Ich habe jetzt ein Tattoo auf dem Rücken“, meinte er zu ihr.
    „Das musst du mir später zeigen, Liebster.“
    Er grinste. „Du darfst es dann auch mal anfassen.“
    „Ich bin gespannt, wie es aussieht“, sagte sie mit dem sanften Lächeln, dass er so an ihr liebte.

  • Miau!


    Es war schon sehr spät, als Hanswalter den Marktplatz verließ. Er hatte den ganzen Tag in der Schmiede gestanden und gerade die gefertigten Werkzeuge zu Amalias Marktstand gebracht, in den er sich kürzlich eingemietet hatte. Seine Frau Artemis, die eine Teilhaberin an dem Stand war, hatte dort die Nachtschicht übernommen. Er hätte ihr gerne noch etwas länger Gesellschaft geleistet, doch er war sehr müde und zu Hause wartete ein gemütliches Bett auf ihn. Nur noch den bevorstehenden seligen Schlaf in Gedanken ging er durch die Gassen Trents.
    Beinahe hätte er den großen Mann mit dem roten Umhang angerempelt, der plötzlich wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war. „Verzeihung“, sagte er kurz und machte einen Schritt zur Seite, um an ihm vorbeizugehen.
    Der Mann legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn an. „Macht doch nichts“, sagte er in freundlichem Tonfall, doch das Lächeln war so eisig, dass es die Glaubwürdigkeit dieser Worte stark in Frage stellte.
    Hanswalter sah ihn genauer an. Etwas an ihm kam ihm befremdlich und zugleich jedoch vertraut vor. Es waren nicht die kurzen schwarzen Haare, die in zu einer öligen Scheitelfrisur gekämmt waren. Auch nicht die riesige Hakennase, die unvorteilhaft aus seinem Gesicht prangte, oder die kleinen dunklen Augen, die so finster dreinblickten. Dann fielen Hanswalter die spitzen Eckzähne auf...
    „Ihr schaut so erstaunt“, meinte der Mann, noch immer so fies grinsend. „Gefällt Euch meine Nase nicht? Meint Ihr etwa, dass ich hässlich bin? Ihr glaubt, dass keine Frau dieses Gesicht lieben könnte. Ihr findet es sogar witzig.“
    Hanswalter hatte doch gar nichts gesagt. Irgendwie wurde ihm der Mann unheimlich.
    „Euch wird das Lachen noch vergehen.“
    „Aber...“, begann er fassungslos.
    „Ja das wird es.“ Die Stimme nahm einen bedrohlichen Klang an. „Jeden Tag verhöhnt Ihr mich auf’s Neue, wenn ihr sie küsst, sie anfasst oder auch einfach nur anseht. Sie liebt Euch, doch sollte sie für mich bestimmt sein.“
    Hanswalter kam der leise Verdacht auf, dass diese Begegnung kein Zufall war. „Äh... es gibt sicherlich eine andere...“
    „Nein!“, unterbrach der Mann ihn. „Es gibt nur sie.“
    „Nun ja, wenn ihr das so seht, werdet Ihr wohl nie eine finden. Diese Frau bekommt Ihr jedenfalls nicht.“ Im Angesicht dieser spitzen Zähne, war es vielleicht keine so gute Idee gewesen, dies so direkt auszudrücken.
    Der fremde Mann wirkte daraufhin etwas ungehalten. „So?“, sagte er scharf.
    Sein Schwert trug Hanswalter so gut wie immer bei sich. Es war wohl der richtige Zeitpunkt, sich daran zu erinnern, dass es auch in diesem Moment an seinem Gürtel hing. Wenn er doch nur nicht so müde wäre...
    „Hört mal“, versuchte er den Mann zu beschwichtigen, „wir sollten darüber morgen mal in Ruhe reden. Ich bin sicher es findet sich eine Lösung.“
    „Oh, ich kenne da auch eine Lösung.“ Das unheilvolle Grinsen gefiel Hanswalter überhaupt nicht. „Sie ist kurz und schmerzlos und muss nicht bis morgen warten.“ Er öffnete seinen Mund und entblößte die spitzen Eckzähne noch weiter. Seine Augen begannen, rot zu glühen.
    Hanswalter wusste, was auf ihn zukam. Um das Schwert zu ziehen, war es nun zu spät. Aber auch er war befähigt, alternative Lösungen für seine Probleme zu finden. Er dachte auch nicht lange darüber nach. Aus einem geistigen Impuls heraus schlug er seine zu einer Faust geballte Hand in das Gesicht seines Gegenübers. Sie traf auf seine Oberlippe. Die meisten seiner darunter befindlichen Zähne überlebten dies nicht. Einer der spitzen Eckzähne war jedoch noch immer intakt. Bevor der Mann reagieren konnte, entfernte Hanswalter auch diesen auf seine bewährte fachmännische Weise, wobei erneut hinnehmbare Kollateralschäden entstanden.
    Nach dem zweiten Schlag taumelte der Mann ein wenig, konnte sich jedoch schnell wieder fangen. Er tastete an seiner blutenden Lippe und sah den Schmied verärgert an.
    „Daff wirfft du bereuen“, knurrte er. „Eff gibt auch noch andere Möglichkeiten.“ Er sah sich suchend um. „Egon!“, rief er. „Wo ifft der Mifftkerl?“
    Inzwischen hatte Hanswalter sein Schwert gezogen.
    „Ich bin hier, Meister“, erklang eine unterwürfige Stimme. Dann trat eine dürre Gestalt hinter einer Hausecke hervor, die dem Schmied höchstens bis zur Brust reichte. Der kleine Mann, der auf den Namen Egon hörte, trat an die Seite seines Meisters. Von der alten grünen Robe, die offenbar für einen größeren Mann geschneidert worden war, schleifte gut ein Viertel über den Boden. Doch er bewegte sich recht darin flink, obwohl es ein Wunder zu sein schien, dass er nicht mindestens bei jedem dritten Schritt auf den Saum der Robe latschte und sich lang legte. Sein vernarbtes Gesicht ließ Hanswalter jedoch vermuten, dass er diesbezüglich schon seine Erfahrungen gesammelt hatte. Seine dünnen grauen Haare und die riesige Warze an seinem spitzen Kinn machten ihn nicht unbedingt ansehnlicher.
    „Etwaff kleineff, Egon“, sprach der Meister.
    „Wie meinen, Meister“, fragte Egon vorsichtig.
    „Etwaff kleineff, vielleicht ein Kätffchen.“
    „Ein Käffchen, Meister?“, hakte er nach.
    „Ein Kätffchen!“, wiederholte der Meister eindringlich.
    „Ich fürchte, Heißgetränke liegen außerhalb meiner Fähigkeiten, Meister. Verzeiht.“
    „Ein Kätffchen, du hirnlofer Wurm!“, fuhr er ihn an. „Miau!“
    Egon verstand. „Das kann ich, Meister“, sagte er stolz.
    „Dann mach hin.“ Er deute auf Hanswalter, der ihm mit dem Schwert schon gefährlich nahe gekommen war und allmählich begriff, worum es ging.
    „Ihr beide nehmt jetzt die Hände hoch und verschwindet“, sagte der Schmied und legte dem größeren der beiden Männer die Klinge seines Schwertes auf die Schulter. „Aber langsam“, fügte er hinzu. „Eine hastige Bewegung und hier rollen zwei Köpfe übers Pflaster. Und lasst euch ja nicht nochmal in meiner Nähe oder der meiner Frau blicken.“
    „Egon“, mahnte der Große langsam, fast beunruhigt.
    Dann sah Hanswalter im Augenwinkel nur noch die knochigen Finger des Kleinen auf sich zufliegen und ihm wurde schwarz vor Augen. Das Schwert fiel klirrend zu Boden, sein Besitzer folgte mit einem dumpferen Aufprall. Im nächsten Moment spürte er am ganzen Körper seine Haut jucken. Er versuchte sich aufzurichten, doch dazu fehlte ihm Kraft. Gerade als er wieder sehen konnte, rutschte ihm die Kapuze seines Umhangs vor sein Gesicht und sorgte erneut für Dunkelheit. Er spürte, wie seine Beine aus der Hose glitten und die Arme aus den Ärmeln seines Hemdes. Wieso raubten sie ihm schon die Kleidung bevor er tot war? Doch tot war er noch lange nicht. Er spürte deutlich wie seine Kraft zurückkehrte. Wo war das Schwert? Die beiden hatten das letzte Mal einen unschuldigen Bürger überfallen.
    Todesmutig kroch Hanswalter unter seinem Umhang hervor, richtete seine Pfote auf die beiden Männer und brüllte: „Miau!“
    Die Männer lachten nur. Wieso lachten sie?
    Moment... hatte er gerade wirklich „miau“ gesagt? Seine Maulwinkel sanken deutlich nach unten, als sein Blick auf die pelzige Pfote fiel.
    „Du bifft ja immer noch fo mutig“, lachte der Große. „Aber daff wird dir nun vergehen.“ Er hob seinen schweren Stiefel über das kleine Katzenköpfchen und stampfte auf. Es folgte ein kurzer Katzenschrei, dann war Ruhe.
    „Wo ifft er hin?“, fragte der Mann, als er seinen Fuß wieder hob und darunter nichts als Pflastersteine entdecken konnte. „Hafft du ihn weggetfaubert, Egon?“
    „Nein Meister, ich habe nichts getan.“
    „Komiff, dann muff er doch hier irgendwo fein.“
    Tatsächlich verriet ein leichtes Zucken des Umhangs, den der Schmied bis vor kurzem noch getragen hatte, den Aufenthaltsort des kleinen Katers.
    „Da ifft er!“, rief der Große fast fröhlich und sprang mit beiden Füßen auf dem Umhang herum.
    Doch noch bevor die Stiefel das erste Mal den Stoff berührten, war ein kleines graues Pelzbündel darunter hervorgeschossen und rannte nun davon.
    „Er entkommt Euch, Meister.“
    „Daff feh ich felber du Kröte. Lof hinterher!“
    Beide rannten sie in die Richtung, in die Hanswalter verschwunden war – Egon mit hochgeraffter Robe –, doch der Kater blieb für sie unauffindbar.

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  • Wie süß


    Plötzlich wirkte alles so riesig. Bordsteine waren so hoch wie Mauern. Das Gras in den Gärten ragte teilweise so hoch über ihn hinaus, dass er Angst haben musste, sich darin zu verlaufen. Noch gestern musste er bei den meisten Leuten den Blick senken, um ihnen ins Gesicht zu sehen, heute könnte er denselben im Stehen die Schnürsenkel öffnen. Die Welt hatte sich für Hanswalter grundlegend verändert.
    Nach seiner unheimlichen Begegnung am gestrigen Abend war er bis zur Weberei geflüchtet und hatte sich dort unter in einem vergessenen Wollhaufen versteckt. Als er am nächsten Morgen die Augen öffnete, dauerte es einen Moment bis seine Erinnerung an den Vorfall zurückkehrten. Er dachte gleich daran, dass er Artemis davon erzählen musste. Also tapste er los in Richtung Markt.
    Auf dem Weg dorthin kam er an dem Brunnen vorbei. Er spürte, dass er durstig war, und beschloss, ein wenig Wasser zu schöpfen. Die Getränke, die er sonst immer bei sich hatte, lagen in seinem Rucksack irgendwo in den Trenter Gassen, wenn sich nicht schon längst jemand über seine Sachen hergemacht hatte. Zu seinem Bedauern musste er feststellen, dass er auch seinen Ehering verloren hatte. Wie sollte Artemis ihn nun erkennen? Sprechen konnte er ja nicht, wie er am Vortag bereits festgestellt hatte.
    Doch dazu würde ihm schon etwas einfallen. Nun wollte er erst einmal seinen Durst stillen. Er erreichte den Brunnen. Wie eine Festung ragte er vor ihm auf. Wie sollte er da an Wasser kommen? Hochspringen traute er sich nicht. Am Ende würde er noch zu weit springen oder abrutschen und dann in den Brunnen stürzen.
    Eine Pfütze vor dem Brunnen erweckte seine Aufmerksamkeit. Scheinbar hatte hier ein Neuling beim Wasserholen geplempert. Konnte man dieses Wasser vielleicht trinken? Hanswalter stellte sich an den Rand der Pfütze und beugte seinen Kopf herab, um daran zu schnuppern.
    Er hatte nicht damit gerechnet, so plötzlich mit seinem Spiegelbild konfrontiert zu werden. Das plüschige Köpfchen eines jungen Katers starrte mit fassungslos geöffnetem Mäulchen aus der Pfütze zu ihm hoch. Wie er feststellte, hatte er ein hellgraues Fell mit dunklen Streifen, eine niedliche Stupsnase und große runde Augen. Das Gesicht, das er früher immer in Spiegelbildern gesehen hatte, ähnelte diesem nicht im Geringsten. Seinen Durst völlig vergessen, tapste er weiter zum Marktplatz.
    Wie eigentlich zu jeder Tages- und Nachtzeit war dort einiges los. Der kleine Kater musste aufpassen, dass er nicht versehentlich zertreten wurde, bei so vielen Füßen. Doch er spürte auch, wie die Leute ihm mit ihren Blicken folgten und hörte sie Dinge rufen wie „Oh, wie süß“ oder „Mama, so eine will ich auch“. Statt zertreten zu werden, musste er eher befürchten, dass die vielen Kinder, die so plötzlich aufgetaucht waren, ihm den Pelz wund streichelten. Nur mit großer Mühe schaffte er es, ihnen zu entkommen. Eilig flitzte er davon.
    Dann endlich traf er auf die Frau, die er gesucht hatte. Artemis wirkte sehr beschäftigt mit dem Verkauf ihrer Waren, doch Hanswalter gelang es, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Es wirkte erst ein wenig schockierend, als sie ihm wie einer gewöhnlichen Katze eine Schale mit Milch hinstellte. Doch was hatte er auch erwartet? Er wusste ja, dass sie ihn unmöglich wiedererkennen konnte.
    Er überlegte sich, wie er ihr zeigen konnte, wer er tatsächlich war. Währenddessen machte er sich aber dennoch über die Milch her. Wie eine gewöhnliche Katze. Schlabb, schlabb...
    Ganz in Gedanken war ihm nicht aufgefallen, dass Artemis verschwunden war. Als er den Kopf aus der Schüssel hob, war sie weg. Vielleicht auch nur kurz am Lagerhaus? Sicher, dass sie bald wiederkehren würde legte er sich in eine gemütliche Ecke unter dem Tresen der Marktbude und schlief ein.

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  • Wie süß (Fortsetzung)


    Als er die Augen wieder aufschlug, war Artemis wieder da. Sogleich tapste er wieder auf sie zu. Erneut bekam er ein Schälchen Milch hingestellt, doch diesmal ignorierte er es. Er wollte lieber die ungeteilte Aufmerksamkeit der Vampirin. Mit großen Augen schaute er sie an und miaute. Es schien zu wirken.
    „Was ist denn, kleines Kätzchen?“, fragte sie.
    Hanswalter fiel darauf nichts Besseres ein, als sich auf ihren Fuß zu setzen und sich an ihr aufzurichten. Er wurde direkt hochgehoben. Dies war die Gelegenheit, ihr alles zu erzählen. Er sah ihr in die Augen und die Worte begannen nur so, aus ihm herauszusprudeln: „Miau, miau, miau.“
    Artemis schien es zu nerven. „Was hast du denn, kleine Katze.“
    Er schaute sie traurig an. Natürlich konnte sie ihn nicht verstehen. Er selbst hätte sein Gemiaue nicht übersetzen können. Allerdings bewirkte es, dass nun auch noch einige der anderen Anwesenden am Markt auf ihn aufmerksam wurden.
    „Vielleicht mal ein bisschen säubern?“, fragte die Walküre Samuela und winkte dabei mit einem Striegel, der eigentlich für Rentiere bestimmt war.
    Artemis schüttelte den Kopf. „Der ist doch viel zu groß.“
    „Er leckt sich doch selber sauber“, meinte der Gnom Schnuddel, woraufhin Hanswalter an die vielen Fussel auf der Zunge denken musste, die das wohl hinterlassen würde.
    „Und dann bekommt das Kätzchen ein Schleifchen ins Fell gebunden“, schlug die Wiesennymphe Maeve vor und holte ein buntes Geschenkband hervor.
    „Mit Glöckchen?“, fragte Schnuddel daraufhin. Er wedelte dabei mit einer vom Weihnachtbaum schmücken übrig gebliebenen Glocke herum.
    „Gute Idee, Schnuddel“, meinte Maeve. Hanswalter sah das anders. Er war doch kein Schokohasi.
    Artemis hatte ihn inzwischen auf ihrem Arm platziert und kraulte ihn nun gedankenverloren. Bei dieser Gelegenheit, kam ihm eine Idee. Er richtete sich auf, stützte die kleinen Pfötchen auf ihre Schulter und stupste ihr sanft mit der Nase an die Wange.
    „Wie süß“, hörte er noch Maeve schwärmen, „das Kätzchen gibt Küsschen.“ Dann sah ihm Artemis überrascht in die Augen und er vergaß die Anderen.
    Sie kraulte ihn hinter dem Ohr, woraufhin er begann, ungewohnte Geräusche von sich zu geben. Leise schnurrend kuschelte er sich an sie. Etwas verwundert hörte er, wie auch sie kurz schnurrte. Er lächelte. Zumindest versuchte er es. An einem Katzenmaul musste es aber wohl etwas merkwürdig aussehen. Artemis schüttelte verwirrt den Kopf, woraufhin er ihr einfach mal über die Nase leckte.
    „Igitt...“, rief sie und stupste ihm auf die Nase. „Lass das.“
    „Miau“, meinte er nur und schaute sie mit großen Augen an.
    Sie schmunzelte. „Machst du das noch einmal, lecke ich dir auch über die Nas.“ Und obwohl Hanswalter noch nichts gemacht hatte, gab sie ihm einen Kuss auf die Nasenspitze.
    Daraufhin musste er ihr einfach nochmal über die Nase lecken.
    „Was man verspricht, muss man auch halten“, meinte sie seufzend und leckte ihm nun tatsächlich über die Nase.
    „Hm, Nase lecken...“, hörte er Schnuddel daraufhin sagen. „Muss ich mal bei Alessa probieren.“
    „Hat mal jemand einen Schwamm?“, nuschelte Artemis leise, als der kleine Kater ihr erneut fröhlich über die Nase leckte. „Freches kleines Ding.“ Sie hörte auf, ihn zu kraulen, und kramte in ihrem Essenskorb. „Hast du Hunger, Kleiner?“, fragte sie und hielt ihm dabei einen Stockfisch unter die Nase.
    Doch Hanswalter schielte an dem Stockfisch vorbei in den Essenskorb. Er hatte dort einen Pfannkuchen entdeckt, den er viel lieber verspeisen wollte. Mit ausgestreckter Pfote deutete er darauf.
    Artemis schaute in den Korb. „Was meinst du denn?“
    „Arte, verwöhn ihn nicht so“, meinte Schnuddel. „Wenn er Hunger hat, steck ihn bei Reto in den Keller. Da gibt’s fette, leckere Ratten.“
    „Aber er ist so süß.“
    „Süß und verfressen.“
    „Bei Reto im Keller ist es aber einsam“, sagte die Fee Ravalya Kergarth.
    „Er will keine Ratten“, warf Sally ein, „ich glaube er will lieber einen Pfannkuchen.“
    Artemis zupfte daraufhin endlich ein Stück von dem Pfannkuchen ab und hielt es dem Kater hin.
    „Hm“, meinte Schnuddel, „bei Reto im Keller würde er wohl auch die Weinvorräte angehen.“
    „Heißt der Kleine Schnuddel?“, fragte Ravalya, während dieser Kleine sich genüsslich über das Stück Pfannkuchen hermachte.
    Samuela schaute ihm dabei zu. „Das ist ja ein Süßschnabelkater“, stellte sie fest.
    „Komisch, nicht?“, stimmte Artemis zu. „Ich dachte immer die mögen Steaks und Fischsteaks.“
    Das Stück des Pfannkuchens wurde unterdessen immer kleiner. „Miau“, meinte Hanswalter, als es schließlich vollständig verspeist war.
    Artemis hielt ihm daraufhin ein neues Stück unter die Nase. „Noch mehr Hunger?“, meinte sie dabei.
    Auch Schnuddel staunte. „Kaum zu glauben, was so reingeht in den kleinen Kater.“
    Als auch dieses Stück das Zeitliche gesegnet hatte, hielt die Vampirdame dem kleinen Kater gleich den ganzen Rest des Pfannkuchens hin. Doch Hanswalter drohte zu platzen. Mehr konnte er wirklich nicht essen. Mit aufgepusteten Wangen, die dies zum Ausdruck bringen sollten, schaute er seine Liebste an. Sie kicherte daraufhin leise und packte den Rest des Pfannkuchens wieder ein.
    Plötzlich fiel Hanswalter etwas ein. Müsste er nicht noch das Drachensymbol auf dem Rücken haben? Irgendwo unter den dichten Haaren? Er drehte den Hals und versuchte, sich auf den Rücken zu schauen. Doch durch die dichten Haare konnte er nichts erkennen. Artemis schaute wortlos zu, wie er sich verrenkte. Zwischendurch musste sie ihren Umhang wieder zurechtzupfen, an dem der kleine Kater sich achtlos bei seinen Verrenkungen festklammerte. „Vorsicht Kleiner“, meinte sie.
    Hanswalter schaute sie daraufhin an, dann auf ihren Umhang. Er versuchte sich wieder an einem Lächeln.
    „Also wenn ich’s nicht besser wüsste, könnte man meinen, du bist mein Liebster“, sagte sie leise. „Aber das kann nicht sein“, fügte sie schnell hinzu.
    Der Kater miaute laut und bewegte dabei sein Köpfchen auf und ab. Wenn Artemis es schon erraten hatte, musste er ihr doch mitteilen, dass sie richtig lag. Doch in dem Moment kam ihre Schwester Fayris vorbei und wünschte eine gute Nacht. Die Vampirin übersah dadurch abgelenkt das nickende Katerchen in ihren Armen.
    Die Schwester war kaum gegangen, da widmete Artemis ihre Aufmerksamkeit einem Herrn, der sich selbst The Man They Couldnt Hang nannte, um ein Gebot für irgendeine Ware abzugeben. Aber Hanswalter nickte eifrig weiter und hoffte, dass Artemis bald wieder hinsehen würde, bevor ihm der Kopf abfiel.
    Als sie dann endlich wieder hinsah hatte sie jedoch bereits den letzten Teil ihres Monologs mit ihm vergessen. Sie sah ihn an, sichtlich verwundert über das Nicken. Er hörte auf zu nicken und erwiderte ihren Blick.
    Dann flüsterte sie schließlich unsicher in sein Ohr: „Bist du es?“
    Hanswalter miaute fröhlich und begann trotz der einsetzenden Nackenschmerzen erneut zu nicken. Vor Schreck hätte Artemis ihn beinahe fallen lassen. Gerade noch rechtzeitig klammerte er sich an sie. In dem Moment kam auch schon der Herr mit dem merkwürdigen Namen auf sie zu. „Hast du 9 gesagt?“, fragte er Artemis und tätschelte dem Kater geistesabwesend den Kopf.
    Dieser war nicht sonderlich erfreut, dass der Mann, der eigentlich auf den Namen Karl hörte, ausgerechnet in diesem Moment die Aufmerksamkeit seiner Liebsten beanspruchte. Er fauchte.
    Artemis funkelte ihn an. „Wirst du dich wohl benehmen?“
    „Eine komische Katze hast du da“, meinte der Mann. „Ich würde dir die Beeren geben“, setzte er dann die Verhandlung fort.
    „Dann nehme ich sie gerne. Ich danke dir Karl.“
    Hanswalter blieb nichts weiter übrig, als geduldig zuzusehen, wie die beiden ihre Geschäfte abwickelten. Erst eine ganze Weile später widmete sich Artemis wieder dem Kater in ihrem Arm. Sie stupste ihm auf die Nase und sagte grinsend: „Freches kleines Ding. Das erklärt so einiges von eben.“
    Hanswalter stupste mit der Nase zurück.
    Sie schmunzelte und setzte ihn auf dem Tresen von Amalias Marktbude ab. „Ich bin gleich zurück.“
    Der kleine Kater blieb brav auf dem Tresen stehen und schaute zu ihr hoch.
    „Ich muss dich kurz alleine lassen, kurz etwas arbeiten“, erklärte sie, während sie ihm über das Fell streichelte. „Pass schön auf.“
    „Miau“, bestätigte Hanswalter und schaute ihr hinterher, als sie verschwand. Dann setzte er sich hin und beobachtete die Leute.
    Der Marktplatz hatte sich seit seiner Ankunft bereits deutlich gelichtet. Wie üblich für diese Uhrzeit, waren die meisten der Bürger schon in ihren Betten verschwunden. Auch der kleine Kater spürte eine deutliche Müdigkeit aufkommen. Doch er würde über die Bude wachen bis Artemis zurückgekehrt war. Um nicht vor Langeweile auf dem Tresen einzuschlafen, begann er, sich zu putzen.
    Sein Pfötchen streifte gerade über sein Ohr, als Artemis wieder den Markt betrat. Sie kam gleich wieder zu ihm und kraulte ihn. Ein Gähnen verriet, dass auch sie müde war.
    Hanswalter ließ sich anstecken. Er öffnete sein kleines Mäulchen und streckte sich auf dem Tresen.
    Daraufhin nahm die Vampirin ihn wieder auf den Arm, wünschte den verbleibenden Bürgern am Markt eine gute Nacht und bettete sich mit ihrem pelzigen Gatten in der Marktbude zur Nachtruhe.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

    2 Mal editiert, zuletzt von Hanswalter () aus folgendem Grund: Formatierung

  • Die Abenteuer eines kleinen Katers


    Schon wenige Tage nach seiner Verwandlung erkannte Hanswalter, dass es durchaus auch Vorteile haben konnte, ein kleiner Kater zu sein. Er konnte den ganzen Tag faul herumliegen, ohne ein schlechtes Gewissen wegen seiner liegen gebliebenen Arbeit haben zu müssen. Wie sollte er sie denn in seiner Gestalt erledigen? Eisen schmelzen, Werkzeug schmieden, so etwas war mit kleinen Katzenpfötchen schwer zu bewerkstelligen.
    Um seinen Lebensunterhalt brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Er musste nur über den Markt spazieren und die Leute stellten ihm haufenweise Milchschälchen und Fischgerichte hin. Er konnte sich schon nicht mehr dagegen wehren.
    Auch Zuneigung bekam er haufenweise. Praktisch jeder wollte ihn streicheln, meistens einfach nur, weil er so niedlich war. Es waren überwiegend Frauenhände, die durch seinen Pelz strichen. Wenn ihn doch nur früher so viele Damen hätten streicheln wollen...
    Was ihn besonders faszinierte, war, dass Artemis nicht einmal eifersüchtig war. Sie reichte ihn sogar bei mehreren Gelegenheiten an Mitbürgerinnen weiter, wenn sie einmal ihre freien Hände brauchte. In den Armen dieser Damen wurde er dann immer geknuddelt und gekrault wie ein Teddybär in den Armen eines kleinen Mädchens.


    Doch nicht alle Simkeaner waren dem kleinen Kater auf Anhieb so freundlich gesonnen. Eines Nachmittags veranstalteten die Bürger am Markt eine spontane Schneeballschlacht... Eigentlich war es mehr ein Massaker an einer gewissen Vampirdame als eine Schlacht. Hanswalter hätte gerne mitgemacht, doch dafür war er viel zu klein. Er setzte sich auf den Tresen von Amalias Marktbude und schaute zu.
    Da betrat die kleine Ratte Ratti den Marktplatz, zwei Baumstämme hinter sich her zerrend. Hanswalter hopste von dem Tresen herunter und eilte zu ihr, um sie zu begrüßen. Er dachte dabei nicht daran, dass er wie eine gewöhnliche Katze aussah. Ratti wurde mit jedem seiner Schritte nervöser. Als er schließlich vor ihr stand und sie anmiaute, bekam er die Gelegenheit, sich mit einem Gesichtsabdruck in ihrer Schaufel zu verewigen. Nach dem ersten Schlag zog er den Kopf ein. Als die Ratte dann noch eine Axt hervorholte eilte er lieber wieder zurück zum Tresen.
    Das Missverständnis konnte später allerdings geklärt werden.


    Als Hanswalter sich von dem Schlag mit der Schaufel wieder erholt hatte, überlegte er, dass es doch noch eine Tätigkeit gäbe, die er ausüben konnte. Eisen schmelzen und Werkzeuge schmieden waren ja nicht seine einzigen Berufsfelder. Dachziegel anfertigen sollte auch mit kleinen Pfötchen gehen.
    Etwas unbeholfen schob er kurz darauf eine Ziegelform auf den Tresen und füllte sie mit Lehm und Stroh. Das Gemisch musste jetzt nur noch in Form gebracht werden. Also stellte er sich mit allen vier Pfoten in Ziegelform und trampelte darauf herum.
    Wie er so fröhlich in dem Lehm herummatschte, fing Artemis an zu kichern. Doch ganz glücklich schien sie mit seiner Tätigkeit nicht zu sein. Sie fragte ihn, ob er das nicht auf dem Boden machen könne. Er würde ja den ganzen Tresen verdrecken.
    Hanswalter hielt inne und betrachtete den Tresen. Dann miaute er, woraufhin Artemis die Ziegelform samt Kater nahm und auf den Boden stellte. Ungestört matschte er dort weiter in dem Lehm herum.
    Doch so richtig kam er nicht voran mit seiner Tätigkeit und hatte schon bald keine Lust mehr weiterzuarbeiten. Lieber wollte er sich wieder auf den Tresen setzen. Mit einem Satz hopste er hinauf und tapste auf ein gemütliches Eckchen zu.
    Artemis sah seufzend zu, wie er dabei viele kleine Pfotenabdrücke auf dem Tresen hinterließ. Sie nahm einen nassen Lappen und putzte erst einmal den Kater sauber und legte ihm dann einen weiteren Lappen hin, damit er selbiges mit dem Tresen tun konnte.
    Hanswalter schaute sie und miaute. Dann stützte er sich mit seinen Vorderpfoten auf den Lappen und begann, ihn über den Tresen zu schieben. Bei einigen der Anwesenden am Markt sorgte dies für Belustigung. Auch Artemis kicherte. Der kleine Kater fragte sich verständnislos, was denn daran so amüsant ist, wenn er seinen Dreck wegputzt.
    Als der Tresen wieder schön sauber war, tauschte die Vampirin den Lappen gegen ein Schälchen Milch, über das Hanswalter sich sogleich hermachte.


    Seine zweite tierische Begegnung hatte der kleine Kater abends am Lagerhaus. Er saß vor dem Tor und schaute Artemis beim ein- und auslagern zu, als Morticia dort auftauchte. Mit großen Augen schaute er den großen Kater an und miaute leise.
    Dieser schnurrte und schob ihm einen Bierkrug zu.
    Hanswalter näherte sich gerade mit gespitzten Lippen dem Rand des Kruges, als Pengel am Lagerhaus eintraf und ihn darauf hinwies, dass Alkohol schädlich für kleine Kater sei. Wehmütig doch widerstandslos sah Hanswalter zu, wie Artemis daraufhin das Bier in Sicherheitsverwahrung nahm. Stattdessen legte sie den beiden Katern ein Fischsteak hin.
    Morticia setzte sich neben Hanswalter und zusammen verspeisten sie dieses katzenfreundlichere Nahrungsmittel. Artemis sah ihnen entzückt dabei zu.
    Nebenbei versuchte der kleine Kater, sich bei dem großen Kater einige katerhafte Verhaltensweisen abzuschauen. Immer wieder sah er zu ihm hinüber.
    Morticia bemerkte dies. Er legte sich flach hin und beobachtete seinerseits Hanswalter. Dann robbte er ein Stück näher heran und beschnüffelte ihn. Ehe sich der kleine Kater versah, putzte der große ihm das Köpfchen. Artemis kicherte belustigt.
    Spielerisch sprang Morticia davon und versteckte sich hinter der Vampirin, die inzwischen auf dem Boden Platz genommen hatte. Hanswalter tapste hinterher. Er miaute den großen Kater an, als er ihn fand. Dieser miaute zurück. Dann packte den kleinen am Genick und trug ihn zu Artemis, um ihn in ihren Schoß zu legen.
    Leider musste er sich schon verabschieden. Artemis und Hanswalter sahen ihm hinterher, als er den Weg Richtung Taverne einschlug. Dann brachen auch sie auf, um wieder zum Marktplatz zu gehen, wobei eigentlich nur Artemis ging. Der kleine Kater machte es sich in ihren Armen bequem und schlief schon nach wenigen Metern ein.

  • Die Abenteuer eines kleinen Katers (Fortsetzung)


    Am nächsten Abend hatte Hanswalter einen plötzlichen Einfall. Ziegel herstellen konnte ja nicht die einzige Tätigkeit sein, die ihm aus seinen früheren Beschäftigungsfeldern geblieben war. Hoch motiviert, noch etwas anderes zu tun, schob er einen Steinblock aus seinem Markstandlager auf den Marktplatz. Die verwunderten Gesichter, die ihm dabei zusahen bekamen einen noch fragenderen Ausdruck, als der kleine Kater anschließend auch noch einen Hammer auf den Marktplatz schob.
    Abwechselnd betrachtete er Hammer und Stein. Irgendwie mussten diese beiden Dinge doch auch von einem Kater zu kombinieren sein. In einem ersten Versuch umklammerte er den Hammerstiel mit beiden Pfötchen. Mühevoll versuchte er ihn hochzuheben. Artemis schaute ihm dabei zu und Eulchen feuerte ihn sogar an.
    Hochheben konnte Hanswalter den Hammer nicht, doch es gelang ihm, ihn aufrecht hinzustellen. Eulchen klatschte daraufhin mit seinen großen Eulenflügeln Beifall.
    In einer engen Umarmung hielt der Kater den Hammer fest, damit er nicht gleich wieder umfiel. Ein kurzer Blick zum Steinblock sagte ihm, dass er mit dem Hammer noch etwas näher heranrücken musste. Auch das schaffte nach einigen Anstrengungen. Als der Hammer nah genug am Steinblock stand, ließ Hanswalter ihn los und gab ihm einen Schubs in die richtige Richtung. Es polterte laut, doch der Steinblock blieb unversehrt. Unzufrieden miauend ließ der Kater die Öhrchen hängen.
    Da bot Artemis ihm ihre Hilfe an. Gemeinsam hoben sie den Hammer hoch und hauten ihn auf den Steinblock. Mit Erfolg. Stolz schaute Hanswalter die Vampirin an. Sie hob ihn daraufhin hoch, um ihm einen Kuss auf die Nase zu geben und sich dabei unfreiwillig von den Schnurrhaaren kitzeln zu lassen.
    Wieder auf den Boden gesetzt tapste der Kater zu dem Steinhäufchen und suchte sich eines der größeren Stücke heraus. Er setzte sich hin und schlug damit auf weiteres Stück ein.
    Nach einer Weile hatte der untere Stein die Form einer Pfeilspitze angenommen. Hanswalter zeigte sein Werk zufrieden herum, woraufhin er einige lobende Worte der umstehenden Anwesenden vernehmen konnte. Rein zufällig war Eulchen gerade auf der Suche nach genau einer Pfeilspitze. Der Kater nahm die Pfeilspitze zwischen die Zähne, tapste damit zu dem gefiederten Interessenten und legte sie ihm vor die Füße.
    Eulchen eröffnete die Verhandlungen. Leider sprach er dabei eulisch, was Hanswalter nicht verstehen konnte. Er versuchte es daher seinerseits mit einem fragenden „Miau“.
    Der Eulerich nahm die Pfeilspitze auf und prüfte sie mit einer Klaue. Aus den Eulenlauten, die er dabei von sich gab, war eine gewisse Anerkennung herauszuhören.
    Im Hintergrund begann Artemis dabei leise zu kichern.
    Hanswalter miaute verlegen über das Lob.
    Aus den darauffolgenden Eulenlauten war so etwas wie „2 Kreuzer“ herauszuhören. Der Kater nickte zustimmend und so wurde man sich handelseinig.
    Artemis‘ Kichern wurde dabei immer lauter. Sie musste sich schon die Hand vor den Mund halten.
    Pfeilspitze und Münzen wechselten den Besitzer und die Handelspartner dankten sich gegenseitig. Eulchen verwendete dazu wieder die Sprache der Menschen. Bei den vielen verschiedenen Wesen, die es in Simkea gab, war es sicherlich von Vorteil, wenn man viele verschiedene Sprachen beherrschte. In seiner Situation wäre Hanswalter sehr gerne mit der Sprache der Katzen vertraut gewesen.
    Eulchen führte dem Kater vor, dass er es unter anderem auch verstand, sich in der Gebärdensprache auszudrücken. Er begann mit seinen Flügelspitzen irgendwelche Wörter in die Luft zu fuchteln, von denen Hanswalter keines Verstand. Der Kater folgte jedoch den Flügeln interessiert mit seinen Blicken.
    Nun konnte Artemis das Lachen nicht mehr hinter ihrer Hand zurückhalten. Laut prustete sie los.
    Der Eulerich hielt sich einen Flügel vor den Schnabel. Der Kater tat es ihm nach und hielt sich ein Pfötchen vor das Maul.
    Dann breitete Eulchen seine Flügel aus und fächelte damit den Staub vom Steine klopfen aus Hanswalters Pelz. Der Kater wunderte sich, dass eine solche Menge an Steinstaub in dem Fell Platz gefunden hatte. Er überlegte, ob sein Kunde vielleicht Interesse an einer größeren Menge davon hätte.
    An dieser Stelle musste Eulchen sich jedoch leider verabschieden. Auf dem Gutshof wartete Arbeit auf ihn. Er winkte noch einmal und erhob sich in die Lüfte.
    Hanswalter winkte zurück und sah ihm zu, wie er davonflog. Wenn er nochmal in ein Tier verwandelt werden würde, wollte er auch ein Vogel sein.


    Später am Abend entdeckte Hanswalter den Lippenstift in seinem Marktstandlager, den er von Artemis zu Weihnachten bekommen hatte. Er wollte seine Liebste gerne damit küssen und warum sollte er ihn nicht auch als Kater benutzen können?
    So setzte er sich hin und entfernte die Kappe des Lippenstifts. Er hielt ihn mit beiden Pfötchen fest, als er sein Maul über das bunte Ende rieb. Leider war dies doch etwas schwieriger als er dachte. Da kein Spiegel in der Nähe war, konnte er sein Gesicht nicht sehen, doch nach mehrfachen ungeschickten Abrutschern musste er wohl wie ein Clown ausgesehen haben.
    Als er sich so vor den Marktleuten zeigte, traf er gleich auf eine schmunzelnde Eluanda. Doch unbeirrt hielt er auf seine geliebte Artemis zu. Er setzte sich vor ihre Füße, schaute mit schräg gelegtem Köpfchen zu ihr hoch und miaute. Um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, musste er ihr jedoch noch mit der Pfote an den Stiefel stupsen. Bei der Gelegenheit entdeckte er den Saum ihres Rocks. Verspielt schlug er mit den Pfoten danach. Dann bemerkte er aber, wie die Vampirin schmunzelnd zu ihm heruntersah. Er miaute noch einmal, woraufhin er von ihr hochgehoben wurde.
    Sogleich stellte er sich auf die Hinterpfoten und drückte ihr sein kunstvoll geschminktes Mäulchen an die Wange.
    Sie schwärmte daraufhin, wie süß er sei. Liebevoll streichelte sie sein Fell.
    Hanswalter kuschelte sich an sie und genoss es, in ihren Armen zu liegen.

    Hanswalter öffnet einen Glückskeks und liest folgenden Spruch: Wer zuletzt lacht, hat es als letzter verstanden.


    Falls jemand Langeweile hat: In Professor Blooms Bibliothek steht ein Werk in 4 Bänden zu der Vorgeschichte Hanswalters.

  • Die Abenteuer eines kleinen Katers (Fortsetzung)


    Eines schönen Wintertages hatte ein Mitbürger am Marktplatz eine größere Menge Schneebälle hinterlassen. Artemis stellte bald fest, dass man so einen Schneeball auch hervorragend mit einem kleinen Kater kombinieren konnte. Sie nahm einen der Bälle und warf ihn Hanswalter an den Pelz.
    Das Opfer dieses hinterhältigen Angriffs fauchte sogleich und schüttelte sich. Von Lady Sharina erntete der kleine Kater Mitleid, Artemis hingegen fauchte nur zurück.
    Jetzt wollte Hanswalter Rache üben. Er eilte zu dem Schneeballhaufen, um sich ein möglichst großes Exemplar auszusuchen. Dieses vor sich her rollend eilte er auf die Vampirin zu.
    Sie hob dabei nur eine Augenbraue. Irgendwie schien sie ihn nicht ganz ernst zu nehmen. Doch ihr würde er es zeigen. Mitsamt dem Schneeball verschwand er unter ihrem Rock.
    Nun lachte Lady Sharina, während Artemis begann nervös herumzuzappeln.
    Hanswalter richtete sich an ihrem Stiefel auf, wobei er den Schneeball mit den Vorderpfoten daran hochschob. Als der Schneeball über den Rand des Stiefels rutschte, zerdrückte der Kater ihn und seifte das Bein der Vampirin damit gründlich ein. Den Rest des Schnees stopfte er ihr in den Stiefel. Dann flitzte er schnell davon, um aus sicherer Entfernung amüsiert dabei zuzusehen, wie Artemis auf einem Bein herumhüpfte und versuchte, den Schnee wieder aus dem Stiefel zu bekommen.
    Sie murrte dabei, dass dies doch sehr gemein gewesen wäre, da der Kater im Gegensatz zu ihr einen dichten Pelz besäße. Vor sich hin grummelnd setzte sie sich auf den Tresen von Amalias Marktbude.
    Lady Sharina erinnerte sie jedoch daran, dass es ja sie gewesen war, die angefangen hatte.
    Wie er seine Liebste so schmollend auf dem Tresen sitzen sah, tapste Hanswalter zu ihr. Sie fauchte ihn nur leise an, als sie ihn angelaufen kommen sah. Er setzte sich vor ihre vom Tresen baumelnden Füße und miaute zu ihr hoch. Sie gab ein „Wuff“ zurück.
    Der kleine Kater schaute verwirrt und miaute erneut. Und wieder kam ein „Wuff“ als Antwort.
    Daraufhin hopste er einfach auf ihren baumelnden Fuß. Um nicht herunterzufallen, klammerte er sich mit beiden Pfötchen an ihren Stiefel.
    Noch immer leise grummelnd nahm Artemis ihn schließlich auf ihren Arm und begann ihn zu kraulen. Eigentlich konnte sie ihm ja gar nicht wirklich böse sein.


    Am späten Abend rollte Hanswalter erneut einen Schneeball auf Artemis zu. Doch er zweifelte daran, dass es ein zweites Mal funktionieren würde. Die Vampirin erkannte, was er vor hatte, und deutete schmunzelnd auf Eluanda, die gerade erst den Markt betreten hatte.
    Der Kater überlegte einen Moment und rollte den Schneeball dann zu ihr. Sie schaute nur verwundert in ihrer Ahnungslosigkeit von dem, was ihr bevorstand. Da war der Attentäter aber auch schon unter ihrem Rock verschwunden.
    Jim der Siedler und Schnuddel, die auch zugegen waren, schienen im Gegensatz zu ihr zu wissen, was passieren würde. Schnuddel hielt sich in Erwartung plötzlich eintretenden Gekreisches sicherheitshalber die Ohren zu.
    Eluanda protestierte noch, dass man nicht einfach so unter den Rock einer Dame kriechen könne, aber da steckte auch schon der Schnee in ihrem Stiefel. Das Gekreische blieb leider aus. Eluanda meinte nur, dass Hanswalter lieber den beiden Kerlen Schnee in die Stiefel stopfen solle, da sie es verdient hätten. Sie murmelte noch, dass sie ihn jetzt nicht mehr so süß finden würde.
    Das wollte der Kater nun aber auf die Probe stellen. Er setzte sich vor sie hin und schaute mit großen Augen zu ihr hoch. Die Menschenfrau blieb standhaft. Sie meinte nur, dass sie gegen solche Augen immun sei, weil sie lange genug dafür geübt hätte.
    Hanswalter ließ nicht locker. Er schaute sie einfach weiter an und versuchte noch eindringlicher niedlich auszusehen. Er gab sogar ein unschuldiges „Miau“ von sich.
    Doch Eluanda blieb stur.
    Auch als er begann, an ihrem Rock zu zupfen, zeigte sie keine Regung. Von den übrigen Marktleuten meinte der eine oder andere hingegen, dass der kleine Kater unheimlich putzig sei. Nur für Eluanda schien das nicht zu reichen.
    Hanswalter überlegte schon, ob er ihr einfach auch in den anderen Stiefel einen Schneeball stecken sollte. Doch da hörte er, wie Artemis mit Papier raschelte. Er schaute sich um und sah sie mit einem Paket an der Marktbude sitzen, das etwa doppelt so groß war wie er. Neugierig lief er auf sie zu.
    Auf dem halben Weg rollte ein Apfel an ihm vorbei. Hanswalter stoppte. Ein Blick nach hinten verriet ihm, dass er wohl von Eluanda stammte. Irgendwie wirkte die Frau erleichtert, dass die Aufmerksamkeit des Katers nun nicht mehr ihr galt. Sie war ihm scheinbar doch weniger böse gewesen als sie zugeben wollte.
    Wieder raschelte das Papier und Hanswalter setzte den Weg zu Artemis fort. Dort angekommen begann er sogleich, das Papier von dem riesigen Paket zu entfernen. Es dauerte eine ganze Weile bis er schließlich den Inhalt freigelegt hatte. Freudig strahlend betrachtete er das Katzenhaus, das unter dem Papier verborgen gewesen war. Ebenso strahlend schaute er dann Artemis an.
    Sie kraulte ihn sacht und forderte ihn auf, das Haus zu erkunden.
    Er kroch daraufhin durch den Eingang. Ein freudiges „Miau“ war aus dem Inneren des Hauses zu hören, als er darin verschwunden war. Auch über die kleine Stoffmaus, die am Vordach baumelte, freute er sich sehr.
    Samuela hatte während des Auspackens einige Baumwollbäuschchen auf den Boden gelegt. Artemis nahm nun eines davon und warf es gezielt durch den Eingang. Es war ein erneutes „Miau“ zu hören. Kurz darauf erschien Hanswalter wieder in dem Türbogen des Hauses, das flauschige Bällchen im Maul tragend. Als er die vielen anderen Bällchen sah stürzte er sich sofort in sie hinein. Verspielt langte er mit seinen Pfötchen nach ihnen. Er versuchte, sie alle festzuhalten, als ob die Gefahr bestünde, dass sie sonst davonliefen. Doch dafür hatte er bei Weitem zu wenig Pfötchen.
    Am Ende saß er mitten in dem Baumwollhaufen und gähnte vor Müdigkeit. Auch Artemis gähnte. Hanswalter trug schnell noch die Baumwollbällchen in sein neues Haus, bevor er auf dem Dach Platz nahm und Artemis ansah. Sie hob jedoch das ganze Haus hoch und trug es mitsamt Kater in die Marktbude. So endete ein weiterer aufregender Tag im Leben des Miniaturtigers.