Es war einmal...

  • Es war mal wieder einer dieser Tage. Sie spülte den trockenen Brotrest am Morgen mit einem Dunkelbohnentrank hinunter, rang sich zu einer hastigen Katzenwäsche mit dem Brunnenwasser vom gestrigen Abend durch und war schon unterwegs, den Rucksack geschultert und zu allem bereit.


    Nun… zu allem? Sicher, so lange ein Tag an der Goldschmiedebank den Ansprüchen genügt. Seufzend machte Lia sich auf den Weg,
    in Gedanken schon die Aufgaben durchgehend, die der heutige Tag für sie bereithielt.
    Ein Bilderrahmen, sorgsam mit dünn gewalztem Gold beschlagen. Ein filigraner Kupferring – so schlicht und doch so aufwendig zu fertigen, das Material so weich und das Ergebnis doch so dauerhaft, beständig…


    … beständig. So war es einst auch gewesen. Ein Platz, der nur einem selbst gehörte. Wo niemand sonst war, außer…


    … außer dieser vermaledeite Hammer würde ihr wieder ausrutschen. Genau wie beim letzten Mal, als sie auf das so sorgfältig gefertigte Schmuckstück nur noch ihr Siegel aufprägen wollte. Entschlossen beschritt sie die letzten paar Schritte zum Haus der Raritäten. Heute würde ihr das sicher nicht passieren. Schließlich hatte sie in den letzten Wochen und Monaten viel Zeit auf diese ehrenwerte Kunst verwand, so dass ihr wirklich nur noch sehr selten etwas misslang. Ein jeder Ring, ein jedes Armband etwas ganz Besonderes…


    „… spürst du es? Dieses Besondere? Wenn es nur uns beide auf der Welt gibt? Und alles andere steht still, der Mond, die Sterne – selbst die Gezeiten…“


    … nun denn. Sie verstärkte den Griff um ihren Hammer, nahm den filigranen Meißel in die linke Hand und machte sich an die mühsame Aufgabe, das feine Blattgold auch in die letzten Ritzen des meisterhaft geschnitzten Bilderrahmens zu bringen. Und das natürlich, ohne die empfindliche Oberfläche zu beschädigen. Nur allzu schnell konnte man dabei einen Fehler machen…


    … den schwersten Fehler ihres jungen Lebens. Es einfach hinzunehmen, noch nicht einmal den Versuch zu unternehmen, dafür zu kämpfen. Zu suchen. Nicht aufzugeben. Manchmal ist Schwäche einfach viel zu leicht…


    … glitt der Meißel in das hauchdünne Gold. „Verdammt!“ rief sie aus, sich sogleich wieder besinnend und einen Blick um sich herum werfend. Nun, zumindest hatte es niemand mitbekommen. Wieso war sie nur so unkonzentriert? Ärgerlich betrachtete sie den Makel, der den beinahe fertigen Bilderrahmen nun verunzierte. Aber vielleicht wäre sie ja in der Lage, dies mit ein klein wenig zusätzlichem Gold wieder auszugleichen? Konzentriert schob sie ihre Zungenspitze in den linken Mundwinkel und nahm Hammer und Meißel wieder zur Hand. Wenn sie nur ein klein wenig…


    „… anders ist es schon dieses Mal. Aber warum? Seit ich meinen ersten Schritt auf diesen Landstrich lenkte, gab es nie etwas anderes.
    Das Rauschen des Meeres, das leise Auf und Ab der Wellen, nie brauchte ich mehr. Doch nun, seit ich dein Antlitz erblickte… scheint etwas zu fehlen. Seltsam, man scheint nie auszulernen…“


    … Verdammt! Ärgerlich warf sie das nun endgültig verdorbene Stück von sich. Wie konnte das sein? Sie fuhr sich mit den Händen durch die Haare und stütze den Kopf auf. Vielleicht sollte sie sich doch erst dem Ring widmen, das Gold schien heute nicht ihr Freund zu sein. Mit Bedacht nahm sie ein Stück Kupfer aus ihrem Rucksack. Es war ein besonderes Stück, ganz rein und wirklich hervorragend eingeschmolzen. Keine Adern oder sonstige Verunreinigungen zeigten sich in dem Stück und so machte sie sich mit neuem Mut ans Werk. Ein Ring, in Auftrag gegeben von einem liebenden Herzen, gleichfalls Verheißung und ein Versprechen…


    … dass sie ihn niemals verlassen würde. Wie könnte sie auch? Ein Blick in diese Augen, ein einziger Augenblick nur im Angesicht der Sterne und des leise knisternden Feuers und sie war gefangen. Das Lächeln auf seinen Lippen wärmte nicht nur ihr Herz, ihr gesamter Körper schien wie von innen heraus zu glühen und so lehnte sie sich zu ihm, nicht mehr als einen Fingerbreit trennt sie…


    … von einer Beinahe-Katastrophe. Himmel noch eins! War sie denn heute zu gar nichts in der Lage? Mit einem letzten Blick auf ihre
    Werkzeuge und den um Haaresbreite geretteten Ring fasste sie einen Entschluss, packte ihre Habe ein und erhob sich. Den Rucksack mit Schwung über die Schulter geworfen machte sie sich auf den Weg. Und wenn schon, so brachte sie heute eben nichts zustande. Verschollen würde ihr Talent schon nicht sein…


    … nein, nie im Leben! Verschollen? Wie könnte er… ist er? Nein! Ich habe doch gestern noch mit ihm… nein… Die Stimme brach ihr. Das
    Versprechen, so kurz erst gegeben, konnte doch noch nicht…? Und doch – Hände, die ihr den Rücken tätschelten. Nur schlecht verborgene, mitleidige Blicke. Übertriebene Freundlichkeit. Sorgsames Vermeiden des einen Themas. Was war passiert? Plötzlich… allein…


    … die Zeit konnte ihr hierbei helfen. Nachdenklich drehte sie den unvollendeten Kupferring in ihren Händen. Morgen würde sie es erneut
    versuchen, und dann würde es klappen! Zuversichtlich lehnte sie sich zurück und genoss die Wärme des Feuers am Marktplatz, ehe sie für heute eindöste.


    Und der Ring? Er wurde nie fertig. Mit dem nächsten Versuch zerbrach er. Doch nicht allein.