[Die Handlungen anderer Spieler-Charaktere in dieser Geschichte beruhen auf tatsächlichen Spielereignissen (und Forumstexten). Ich habe mich bemüht, sie möglichst wahrheitsgetreu wiederzugeben, erhebe jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und absolute Korrektheit.]
Da stand sie schon wieder, unauffällig in ihre dunklen Kleider gehüllt. Wie immer trug sie einen spitzen Hut, der viel zu groß für ihren schmalen Kopf war, sodass er ihr bis ins Gesicht rutschte. Hanswalter brauchte ihre krumme Nase gar nicht erst zu sehen, um die Frau wiederzuerkennen. Wie im letzten Jahr und dem Jahr davor betrachtete er sie argwöhnisch. War es schon wieder so weit? Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, verkaufte sie auch dieses Jahr fleißig ihre roten Laternen an ahnungslose Bürger.
Doch auch Kostüme aller Art verkaufte sie. Ob Feuerwehrmann oder Stirnlappenbasilisk, man bekam bei ihr fast alles. Viele Leute liefen bereits verkleidet in Trent herum und erschreckten die übrigen Bürger. Auch Hanswalter wollte es sich nicht nehmen lassen, diesem Spaß beizuwohnen. Doch dazu musste er sich von dieser Frau ein Kostüm besorgen. Ein wenig fürchtete er sich vor ihr. Wie konnte sie es einfach so gutheißen, was er tat? Dieses Jahr hatte er noch nicht keines der üblichen Schilder aufgestellt, aber sicherlich war sie dennoch nicht gut auf ihn zu sprechen. Diese Frau, die gemeinhin als Halloweenbotin bekannt war, aber auch gut nur eine gewöhnliche Hexe hätte sein können, verfügte wohlmöglich über magische Kräfte, mit denen sie ihre Widersacher in harmlose Kröten verwandeln konnte. Hanswalter hatte mit Tierverwandlungen bereits seine Erfahrungen gemacht und konnte gerne darauf verzichten.
Wenig später, ohne dass er sagen konnte, wie es dazu gekommen war, stand der Schmied mit einem Kostüm und einer magischen Laterne auf dem Marktplatz. Mal wieder hatte die Frau es geschafft, ihm eine dieser unmenschlichen Gespensterfallen anzudrehen. Er beschloss, sie ihr einfach zurückzugeben und sein Geld zurückzuverlangen.
Als er erneut der Halloweenbotin gegenüberstand, fiel ihm auf, dass sie ein wenig bedrückt wirkte. Statt sie wegen der Laterne anzusprechen, fragte er, ob bei ihr alles in Ordnung sei. Doch scheinbar war dies nicht der Fall. Sie sagte etwas davon, dass ihre Freundin, die alte Frau am Rathaus, sehr traurig wegen ihrer vermissten Enkelin sei.
Hanswalter bot ihr an, ihr zu helfen. Mit der magischen Laterne noch immer im Rucksack machte er sich auf den Weg zum Rathaus.
Wie üblich stand die alte Frau neben der Rathaustür herum und bot ihre exklusiven Waren an. Auf den ersten Blick sah sie aus wie immer. An ihren grauen zu einem Dutt geknoteten Haaren und vor allem an der riesigen Nase, die auch von einem Oger stammen konnte, erkannte Hanswalter sie schon vom Weiten. Sie schaute wie gewohnt aus ihrem dicken blauen Wollmantel heraus und lächelte freundlich, als sie ihn näherkommen sah.
Ohne langes Umschweifen sprach der Schmied die alte Frau auf ihre Enkelin an. Das Lächeln in ihrem Gesicht erstarb. Mit traurigem Blick berichtete sie davon, wie ihre Enkelin Emeline zehn Jahre zuvor in einem Buch gelesen hatte und daraufhin spurlos verschwunden war.
Hanswalter fragte nach dem Buch. Er wollte es sich einmal ansehen und nach einer Möglichkeit suchen, das Verschwinden der Enkelin aufzuklären. Die alte Frau händigte ihm das Buch aus und nahm ihm das Versprechen ab, ihr ein Lebenszeichen ihrer Enkelin zu bringen, wenn er sie finden würde.
Etwas später, in einer ruhigen Minute, schlug Hanswalter das Buch auf. Neben dem Willen, der Frau zu helfen, motivierte ihn auch ein gewisses Maß an Neugier. Die ersten Seiten sahen noch nicht sehr ungewöhnlich aus, doch plötzlich, als er eine weitere Seite umblätterte, wurde es um ihn herum dunkel. Ein kalter Windhauch umfing ihn und er verlor die Orientierung.
Hektisch schaute er sich um, doch er konnte nichts Vertrautes mehr erkennen. Die Häuser Trents, die Bürger in den Straßen, ja auch die Straßen selbst waren verschwunden. Auch von dem Buch, das er gerade noch in seinen Händen gehalten hatte, fehlte jede Spur. Wie ein kürzlich Erblindeter tastete er in der Gegend umher, doch seine Hände fuhren nur durch Luft.
Als sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte Hanswalter, dass es an diesem Ort doch noch etwas mehr als Dunkelheit zu geben schien. Ein schwacher diffuser Lichtschein lag über ihm, wie ein wolkenverhangener Nachthimmel bei Halbmond. Jedoch endete er schon in einiger Höhe an einer unregelmäßigen schwarzen Kante. Hanswalter erkannte, dass die Kante zu einer Hecke gehörte, die ihn ein gutes Stück überragte. Er drehte sich um. Überall um ihn herum sah er diese dunkle Hecke, nur in eine Richtung führte ein Weg davon.
Da ihm wohl nichts anderes übrig blieb, begann der Schmied, dem Weg zu folgen. Irgendwo musste es einen Ausgang zurück nach Trent geben. Er setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Nur schwer konnte er erkennen, wo er hintrat.
Nach nur wenigen Schritten erreichte er eine Wegegabelung. Nun war er sich sicher, er befand sich ein einem Labyrinth. Es konnte wohl noch eine Weile dauern, bis er wieder in Trent sein würde. Bevor er eine der beiden Richtungen wählte, prägte er sich diese Kreuzung gut ein. Wenn er dies an jeder Kreuzung tat, würde er, wie er hoffte, bald einen Überblick über das Labyrinth bekommen und sich nicht hoffnungslos verirren. Glücklicherweise hatte er sein Notizbuch bei sich. So konnte er den Weg, den er ging, aus der Vogelperspektive nachzeichnen. Der Lichtmangel gestaltete das Zeichnen jedoch etwas schwierig.
Einige Kreuzungen weiter erreichte Hanswalter eine kleine Hütte. Er sah schon nach der letzten Wegbiegung den gelben Lichtschein der von ihren Fenstern ausging. Vor der Hütte lag ein Kürbisfeld mit kopfgroßen Kürbissen. Eine gebeugte Gestalt stand zwischen den Früchten und blickte scheinbar auf, als sie den Besucher näher kommen sah.
Hanswalter blickte in ihr Gesicht und sah die typische Bilderbuchhexe vor sich. Ihre Augen waren dunkel umrandet, ihre Haare grau und dürr. Der Riechkolben in ihrem Gesicht stellte den der alten Frau bei weitem in den Schatten. Wobei dieser hier eher eine kantige geknickte Form aufwies, während der der alten Frau eher rundlich war.
Die Hexe stellte sich als Amanda vor. Hanswalter stellte sich ebenfalls vor und versuchte dabei sein Misstrauen ihr gegenüber zu verbergen. Er fragte sie, ob sie die Enkelin der alten Frau gesehen hätte. Irgendwie schien sie nicht gerne darüber zu sprechen, dennoch erklärte sie ihm, dass das Mädchen irgendwo im Labyrinth zu finden sei.
Als Hanswalter gerade aufbrechen wollte, bot sie ihm noch an, etwas Proviant bei ihr einzukaufen oder einen Kürbis zu pflücken. Da ihre Küche jedoch überwiegend auf Blut und Leichenteilen basierte, begnügte der Schmied sich dankend mit einem Kürbis.
Es war nur ein kurzer Weg, bis er auf den nächsten Bewohner des Labyrinths stieß. Ein schwarzer Reiter ritt eilig an ihm vorbei und verschwand um die nächste Ecke. Er konnte in der Eile nicht viel von ihm erkennen, doch irgendwie sah es so aus, als würde dem Reiter sein Kopf fehlen. Vielleicht war das aber auch nur eine Täuschung in der Dunkelheit gewesen. Schulterzuckend setzte er seinen Weg fort.